Norbert Bolz plädiert für einen neuen Geist im Kapitalismus. Statt auf den Staat setzt er auf die »Generation WIR«, die füreinander eintritt und voneinander profitiert. Das große Thema des 21. Jahrhunderts ist die Produktion sozialen Reichtums. Im Internet wird er bereits sichtbar. Es geht heute darum, sich sozial zu verknüpfen und im Spiel zu bleiben. Norbert Bolz plädiert für die Hinwendung zu uns selbst, zur Kraft des Einzelnen. Am Ende steht der Profit für alle. Die gegenwärtige Krise ist für Norbert Bolz das Signal zum Aufbruch und für neues Denken: »Wir brauchen eure Krise nicht.«
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.01.2010Sozialkapitalismus
Norbert Bolz verpackt den Ordoliberalismus modern
Die äußere Gestaltung des Buches ist ein paradoxer Marketing-Trick. Rot wie der Sozialismus leuchtet der Umschlag, von dem der Autor "Profit für alle" brüllt und die "Soziale Gerechtigkeit", das Rattenfängerwort des Jahrzehnts, "neu zu denken" verlangt. Erinnert an die Wahlkampfplakate der Linken, die "Reichtum für alle" forderten und doch zugleich von einer Reichensteuer träumten, mögen Vertreter des bürgerlichen Lagers das Werk erschreckt gleich wieder aus der Hand legen.
Das können sie freilich auch ruhig, denn sie haben es nicht nötig. Wer das Buch hingegen dringend braucht, das sind gerade jene, bei denen solche optischen und verbalen Reize mitten ins linke Herz treffen. Denn was Norbert Bolz, studierter Philosoph und Professor für Medien und Kommunikation an der TU Berlin, hier höchst listig unternimmt, ist das Gegenteil dessen, was das Äußere erwarten lässt: eine kluge, populäre Aufklärung über die Vorzüge der Sozialen Marktwirtschaft. Seine Darstellungen kommen freilich nicht etwa in der heimeligen Sprache der Freiburger Schule daher, sondern in modernistisch gespreiztem Soziologendeutsch samt entsprechenden Worthülsen.
"Profit für alle", das ist die Bolzsche Neufassung von Ludwig Erhards "Wohlstand für alle". Mit diesem gewagten Kommunikationskniff überholt der Autor die Linke gleichsam doppelt links - und zwar so lange, bis inhaltlich nichts Linkes mehr übrigbleibt. Unterwegs wird noch eine Menge an geistesgeschichtlichem Hintergrund vermittelt, die Schlaglichter fallen dabei auf Karl Marx, Max Weber, John Rawls, Niklas Luhmann, Jürgen Habermas und Robert Nozick ebenso wie auf Adam Smith, Wilhelm von Humboldt und Friedrich August von Hayek. Den Kern der Hayekschen Theorie bringt Bolz auf eine verblüffende Formel: "Weil alle klüger sind als jeder, gibt es zur Marktwirtschaft keine Alternative."
"Soziale Gerechtigkeit neu denken", das heißt für Bolz, dass eine Gesellschaft, in der mittlerweile jeder Bürger die Hand in den Taschen des anderen hat, endlich damit beginnen muss, sich vom eingeübten Neid und von der unproduktiven Umverteilungsfixierung zu lösen, ebenso wie von der Tyrannei des Wohlmeinens. Neu ist der Gedanke zwar nicht, dass es besser ist, einen größeren Kuchen für alle entstehen zu lassen, als einen schrumpfenden Kuchen umzuverteilen. Aber man kann zu dieser Erkenntnis wohl gar nicht oft genug aufrufen. "Soziale Gerechtigkeit als Umverteilung sorgt für die politische Stabilisierung der Unmündigkeit. Sie bringt den Menschen bei, sich hilflos zu fühlen", schreibt Bolz. Er geißelt die "erlernte Hilflosigkeit" und die damit einhergehende Betreutenmentalität der Menschen als Grundübel des überzogenen Wohlfahrtsstaats, als "Todfeind von Mut und Initiative".
Nichts sei daher bodenloser als die sozialromantische Kapitalismuskritik unserer Tage. Die Wirtschaft als ein Nullsummenspiel zu beschreiben sei irreführend. In der Marktwirtschaft steigerten sich Zusammenarbeit und Wettbewerb gegenseitig, und das ergebe eine "Win-win"-Situation, wie der Amerikaner sage, mit "Profit für alle" Bolz wendet sich vehement gegen die linke Angstindustrie, welche die Verunsicherung der Menschen durch die Finanzkrise für ihre antikapitalistischen Zwecke zu nutzen suche: "Soziale Gerechtigkeit gibt es nicht durch Sozialismus, sondern durch die Produktion sozialen Reichtums."
Doch was soll das sein, dieser "soziale Reichtum"? Der Autor nutzt diesen Begriff einfach als Chiffre für eine Gesellschaft, die mit sich selbst im Reinen ist; die fähig ist, die Balance zu halten zwischen den verschiedenen Zielen, die sie sich setzt, zum Beispiel Ökonomie und Ökologie; die dem Menschen Teilhabe ermöglicht und die Freude, den Sinn seines Lebens nicht nur in der Selbstverwirklichung, sondern auch im Dienst an anderen zu erleben; in der Unternehmen zwischen wirtschaftlichen und moralischen Zielen keinen Konflikt mehr sehen, sondern sie miteinander zu verbinden wissen. Die Wirtschafts- und Gesellschaftsform, die sich so beschreiben lässt, nennt Bolz sorgenden Kapitalismus oder Sozialkapitalismus. Der Wandel zu einem solchen gebenden Kapitalismus habe längst stattgefunden.
Der Autor greift nicht explizit auf die Theorien vom Sozialkapital zurück, wie sie zum Beispiel die diesjährige Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom erarbeitet hat. Wenn er aber schreibt, dass sozialer Reichtum durch "soziale Netzwerke und die Kraft des Einzelnen" zustande kommt, dann bewegt er sich genau in diesem theoretischen Fahrwasser und bestätigt damit, dass es ihm um das Miteinander selbstverantwortlicher Menschen auf dem Markt geht. Dies setze indes einen starken Staat voraus, schreibt Bolz in lupenrein ordoliberaler Manier. Dieser habe die Aufgabe, einen geeigneten Ordnungsrahmen zu setzen, für die Herrschaft des Leistungsprinzips, die Freiheit des Marktes und die Demokratie der Konsumenten zu sorgen - aber auch nicht mehr als das. "Politik kann rahmen, aber nicht planen; sie kann kontrollieren, aber nicht instruieren."
Der Leser muss in diesem eigentümlichen Werk stilistisch einiges aushalten, unter anderem Sätze wie: "Die Globalisierung vollzieht sich als Entortung" oder "Das Selbst wird wirklich, indem es sich übersteigt". Auch ein wenig aufdringliche Lektionen für "gewissenhafte Wirtschaftsjournalisten" bleiben einem nicht erspart. Trotzdem ist es ein lesenswertes, ein gelehrtes, ein erstaunliches Buch.
KAREN HORN
Die Verfasserin leitet das Berliner Büro des Instituts der deutschen Wirtschaft.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Norbert Bolz verpackt den Ordoliberalismus modern
Die äußere Gestaltung des Buches ist ein paradoxer Marketing-Trick. Rot wie der Sozialismus leuchtet der Umschlag, von dem der Autor "Profit für alle" brüllt und die "Soziale Gerechtigkeit", das Rattenfängerwort des Jahrzehnts, "neu zu denken" verlangt. Erinnert an die Wahlkampfplakate der Linken, die "Reichtum für alle" forderten und doch zugleich von einer Reichensteuer träumten, mögen Vertreter des bürgerlichen Lagers das Werk erschreckt gleich wieder aus der Hand legen.
Das können sie freilich auch ruhig, denn sie haben es nicht nötig. Wer das Buch hingegen dringend braucht, das sind gerade jene, bei denen solche optischen und verbalen Reize mitten ins linke Herz treffen. Denn was Norbert Bolz, studierter Philosoph und Professor für Medien und Kommunikation an der TU Berlin, hier höchst listig unternimmt, ist das Gegenteil dessen, was das Äußere erwarten lässt: eine kluge, populäre Aufklärung über die Vorzüge der Sozialen Marktwirtschaft. Seine Darstellungen kommen freilich nicht etwa in der heimeligen Sprache der Freiburger Schule daher, sondern in modernistisch gespreiztem Soziologendeutsch samt entsprechenden Worthülsen.
"Profit für alle", das ist die Bolzsche Neufassung von Ludwig Erhards "Wohlstand für alle". Mit diesem gewagten Kommunikationskniff überholt der Autor die Linke gleichsam doppelt links - und zwar so lange, bis inhaltlich nichts Linkes mehr übrigbleibt. Unterwegs wird noch eine Menge an geistesgeschichtlichem Hintergrund vermittelt, die Schlaglichter fallen dabei auf Karl Marx, Max Weber, John Rawls, Niklas Luhmann, Jürgen Habermas und Robert Nozick ebenso wie auf Adam Smith, Wilhelm von Humboldt und Friedrich August von Hayek. Den Kern der Hayekschen Theorie bringt Bolz auf eine verblüffende Formel: "Weil alle klüger sind als jeder, gibt es zur Marktwirtschaft keine Alternative."
"Soziale Gerechtigkeit neu denken", das heißt für Bolz, dass eine Gesellschaft, in der mittlerweile jeder Bürger die Hand in den Taschen des anderen hat, endlich damit beginnen muss, sich vom eingeübten Neid und von der unproduktiven Umverteilungsfixierung zu lösen, ebenso wie von der Tyrannei des Wohlmeinens. Neu ist der Gedanke zwar nicht, dass es besser ist, einen größeren Kuchen für alle entstehen zu lassen, als einen schrumpfenden Kuchen umzuverteilen. Aber man kann zu dieser Erkenntnis wohl gar nicht oft genug aufrufen. "Soziale Gerechtigkeit als Umverteilung sorgt für die politische Stabilisierung der Unmündigkeit. Sie bringt den Menschen bei, sich hilflos zu fühlen", schreibt Bolz. Er geißelt die "erlernte Hilflosigkeit" und die damit einhergehende Betreutenmentalität der Menschen als Grundübel des überzogenen Wohlfahrtsstaats, als "Todfeind von Mut und Initiative".
Nichts sei daher bodenloser als die sozialromantische Kapitalismuskritik unserer Tage. Die Wirtschaft als ein Nullsummenspiel zu beschreiben sei irreführend. In der Marktwirtschaft steigerten sich Zusammenarbeit und Wettbewerb gegenseitig, und das ergebe eine "Win-win"-Situation, wie der Amerikaner sage, mit "Profit für alle" Bolz wendet sich vehement gegen die linke Angstindustrie, welche die Verunsicherung der Menschen durch die Finanzkrise für ihre antikapitalistischen Zwecke zu nutzen suche: "Soziale Gerechtigkeit gibt es nicht durch Sozialismus, sondern durch die Produktion sozialen Reichtums."
Doch was soll das sein, dieser "soziale Reichtum"? Der Autor nutzt diesen Begriff einfach als Chiffre für eine Gesellschaft, die mit sich selbst im Reinen ist; die fähig ist, die Balance zu halten zwischen den verschiedenen Zielen, die sie sich setzt, zum Beispiel Ökonomie und Ökologie; die dem Menschen Teilhabe ermöglicht und die Freude, den Sinn seines Lebens nicht nur in der Selbstverwirklichung, sondern auch im Dienst an anderen zu erleben; in der Unternehmen zwischen wirtschaftlichen und moralischen Zielen keinen Konflikt mehr sehen, sondern sie miteinander zu verbinden wissen. Die Wirtschafts- und Gesellschaftsform, die sich so beschreiben lässt, nennt Bolz sorgenden Kapitalismus oder Sozialkapitalismus. Der Wandel zu einem solchen gebenden Kapitalismus habe längst stattgefunden.
Der Autor greift nicht explizit auf die Theorien vom Sozialkapital zurück, wie sie zum Beispiel die diesjährige Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom erarbeitet hat. Wenn er aber schreibt, dass sozialer Reichtum durch "soziale Netzwerke und die Kraft des Einzelnen" zustande kommt, dann bewegt er sich genau in diesem theoretischen Fahrwasser und bestätigt damit, dass es ihm um das Miteinander selbstverantwortlicher Menschen auf dem Markt geht. Dies setze indes einen starken Staat voraus, schreibt Bolz in lupenrein ordoliberaler Manier. Dieser habe die Aufgabe, einen geeigneten Ordnungsrahmen zu setzen, für die Herrschaft des Leistungsprinzips, die Freiheit des Marktes und die Demokratie der Konsumenten zu sorgen - aber auch nicht mehr als das. "Politik kann rahmen, aber nicht planen; sie kann kontrollieren, aber nicht instruieren."
Der Leser muss in diesem eigentümlichen Werk stilistisch einiges aushalten, unter anderem Sätze wie: "Die Globalisierung vollzieht sich als Entortung" oder "Das Selbst wird wirklich, indem es sich übersteigt". Auch ein wenig aufdringliche Lektionen für "gewissenhafte Wirtschaftsjournalisten" bleiben einem nicht erspart. Trotzdem ist es ein lesenswertes, ein gelehrtes, ein erstaunliches Buch.
KAREN HORN
Die Verfasserin leitet das Berliner Büro des Instituts der deutschen Wirtschaft.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Wäre so ein Titel wie die jüngste Publikation von Norbert Bolz in früheren Zeiten erschienen, hätte man ihn sicher als "pure Affirmation" abgetan, heute aber will er Rezensent Harry Nutt zumindest bedenkenswert erscheinen. Für den Philosophen und Kommunikationswissenschaftler ist Non-Profit nämlich nicht mehr Gegensatz, sondern unter Umständen Wegbereiter des Profits, wie der Rezensent erklärt. Nutt erkennt in dem Text allerdings vor allem eine "temporeiche" Materialsammlung aus eigenen Schriften wie aus anderen Wissensbereichen und so interessant er Bolz' Gedanken findet, er stört sich an Bolz' "luftigem Assoziationsstil".
© Perlentaucher Medien GmbH
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