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Produktdetails
  • Verlag: Murmann Publishers
  • Seitenzahl: 358
  • Abmessung: 220mm
  • Gewicht: 568g
  • ISBN-13: 9783932425141
  • ISBN-10: 3932425146
  • Artikelnr.: 23930976
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.07.1999

Wer tanzt schon gerne zur Zukunftsmusik?
Es ist die alte Leier, doch Allan Hammond zieht bei seinen Prognosen alle Register

Vom Blick in die Zukunft erwartete sich der Mensch stets Handlungsanweisungen. Man suchte nach Rat für bevorstehende Entscheidungen, nach Hinweisen, wie nahendes Unglück noch abgewendet oder künftiger Erfolg gesichert werden könne. Nicht anders ist es mit modernen Szenarien. In dieses Muster paßt Allen Hammonds Buch. Für den Harvard-Professor und Abteilungsleiter für Strategische Analyse am World Resources Institute in Washington dienen Szenarien dazu, anhand entsprechender Schilderungen künftige Entwicklungen "spürbar" zu machen und dadurch zum Handeln aufzufordern. Damit verändert jeder in Kenntnis des Zukunftsentwurfs getroffene Entschluß bereits dessen Ausgang. Die Welt "im guten wie im schlechten" ist gestaltbar, wie auch der englische Originaltitel "Which World" verdeutlicht.

In bewußt globaler Perspektive werden bis 2050 die Entwicklungslinien für sämtliche Weltregionen gezogen, die aufgrund geographischer oder entwicklungsgeschichtlicher Gemeinsamkeiten voneinander abgegrenzt werden. So bilden etwa Nordamerika, Westeuropa und Japan eine Gruppe und werden Nordafrika und der Nahe Osten wegen des dort vorherrschenden Islams zusammengefaßt. Die Zuordnungen überzeugen nicht immer. An anderer Stelle wird etwa Religionszugehörigkeiten - so bei Indien, China oder Südostasien - keine Relevanz zugemessen. Die globale Perspektive unterstreicht weltweite Abhängigkeiten, wenngleich die jeweiligen Szenarien nicht immer auf die Interdependenzen mit den Entwicklungen in anderen Regionen eingehen. Der Autor stützt sich - wie andere vor ihm - auf "Megatrends", die er in der demographischen Entwicklung, technologischen Innovationen und Umweltveränderungen ausmacht. Damit hat sich seit den Studien des Club of Rome oder "Global 2000" nicht viel geändert.

Für das "Projekt Erde" stellt Hammond drei Welten zur Wahl: die Markt-, die Festungs- und die Reformwelt. Welcher der drei Optionen der Vorzug gegeben werden sollte, ist einfach. Die Reformwelt bietet nicht zuletzt das interessanteste und anspruchsvollste Szenario. Es befriedigt Gestaltungsbedürfnisse und bietet unendlich Platz für gutgemeintes Engagement. Jedoch werden nicht für sämtliche Regionen alle Optionen ausführlicher dargestellt: Die Marktwelt etwa wird für Nordamerika, Westeuropa und Japan nicht berücksichtigt, weil sie bloß eine Fortschreibung der Gegenwart wäre, und für Nordafrika und den Nahen Osten ebenfalls nicht, weil dies nach Ansicht des Autors den "Begriff der Plausibilität zu strapazieren" hieße.

Fraglos gehört Hammonds Sympathie der Reformwelt; nicht zuletzt deshalb, weil der Markt allein die Aufgaben in keiner Weltregion bewältigen könne. Doch schon den Formulierungen ist anzumerken, daß es einer gehörigen Portion Hoffnung bedarf, das Reformszenario für wahrscheinlich zu halten. Die Darstellung des charismatischen saudischen Prinzen, der seine Region in die Reformwelt führt, liest sich wie ein Märchen aus "1001 Nacht".

Andere Visionen setzen ein "erstaunliches soziales Handeln" voraus, das zwar in Anfängen hier und da erkennbar wird, doch auf die Rahmenbedingungen seiner Verbreitung kaum Einfluß hat. Weshalb etwa Indien seine weitere Entwicklung ausgerechnet auf postmaterialistischen Werten gründen sollte, wird nicht plausibel. Gelegentlich kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß Hammond an die Tradition von Utopisten anknüpft, um die eher trost- und aussichtslose Realität in einer Idealwelt zu spiegeln. Insoweit wären die Adressaten dieser Schilderung, in der sich die indische Gesellschaft zum "Schaufenster der Basisdemokratie" entwickelt und die "Expansion der Wirtschaft . . . mehr von Grundgütern als von stark profilierten Verbrauchsgütern getragen" wird, nicht die Inder, sondern die Menschen in Nordamerika, Westeuropa und Japan, die sich durch den für den Subkontinent für möglich gehaltenen Wandel herausgefordert sehen könnten, ihre vergleichsweise kleinen Schritte zu einer Reformwelt zu tun.

Denn gemessen an dem, was etwa in der Bundesrepublik im Zusammenhang mit der Einführung einer Ökosteuer an Horrorgemälden wirtschaftlichen Niedergangs gezeichnet wurde, ist das, was den hochentwickelten Industriestaaten von Hammond als Reformwelt angesonnen wird, schlichtweg utopisch. Im Zentrum der Empfehlungen steht eine drastische Verteuerung des Energieverbrauchs durch gezielte Abgaben, mit deren Einnahmen die Lohnnebenkosten finanziert werden sollen.

Vielleicht fehlt es an der Bereitschaft zur Umstellung des eigenen Verhaltens nicht deshalb, weil Bücher wie das von Hammond nicht recht überzeugen, sondern weil sie bereits genug bewirken, um den Verlauf des Negativ-Szenarios abzumildern oder den Eintritt der Katastrophe hinauszuzögern. So ist schließlich die Weltbevölkerung weniger stark gewachsen als noch durch "Global 2000" prognostiziert. Wer sagt uns also, daß Hammond mit seinen im Innern autoritären und nach außen waffenstarrend abgeschotteten Festungswelten recht behalten muß? Vielleicht interessiert die Gegenwärtigen die Zukunft aber auch nicht wirklich, denn fünfzig Jahre sind eine lange Zeit. Nur die wenigsten heutigen Entscheidungsträger werden das Jahr 2050 erleben.

THOMAS KREUDER

Allan Hammond: "Projekt Erde." Szenarien für die Zukunft. Aus dem Amerikanischen von Klaus Sticker. Gerling Akademie Verlag, München 1999. 358 S., geb., 58,- DM.

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