Das demokratische Gesicht der BRD im Spiegel der WahlkämpfeWahlkämpfe sind mehr als das Vorprogramm des Wahlausgangs: Sie sind Szenen einer demokratischen Kultur. Bürger und Politiker kommen sich hier besonders nahe und äußern ganz direkt ihre Vorstellungen von Demokratie und den Aufgaben von Politik.Thomas Mergel zeigt in seiner kulturgeschichtlichen Studie, welche Erwartungen an Politik zwischen Wählern und Wahlkämpfern verhandelt werden - in Bildern, Diskursen, in symbolischen Handlungs- und Kommunikationsformen. Dabei unterzieht er die weitverbreitete These von der Amerikanisierung europäischer Wahlkämpfe einer kritischen Überprüfung. Obwohl die deutschen Wahlkämpfer durchaus ins Ausland - und besonders in die USA - blickten, gingen sie dennoch eigensinnige Wege: In Reaktion auf die Zeit des Nationalsozialismus erwarteten die Wähler der alten BRD vor allem Sachlichkeit und Fairness und waren skeptisch gegenüber verführerischen Bildern und Polit-Marketing.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.01.2011Kein Hauch von Bürgerkrieg
Kluge Beobachtungen zu den Wahlkämpfen in der Bundesrepublik von der Gründung bis zur Wiedervereinigung
"Wahlkämpfe müssen einen Hauch von Bürgerkrieg ins Land tragen, anders lassen sich die Bürger nicht mobilisieren", meinte einst Winston Churchill. An diese Empfehlung haben sich die deutschen Wahlkämpfer nach dem Zweiten Weltkrieg nicht gehalten. Die Begründung liefert Thomas Mergel in seiner lesenswerten Studie gleich mit: Wahlkampf im Bürgerkrieg von NSDAP und KPD hatten sie Anfang der dreißiger Jahre genug gehabt. Um so erstaunlicher allerdings die "Offenheit, ja Unverfrorenheit, mit der die Vergangenheit in Wahlkämpfen nach dem Krieg instrumentalisiert wird", nicht allein, weil die APO und ihre Adepten "mit dem NS-Vorwurf schnell bei der Hand waren".
Nein, schon im ersten Wahlkampf 1949 ging es los, wetterte die CDU über die "Nazi-Methoden der SPD gegen Erhard", während es auf Seiten der Sozialdemokraten hieß, Konrad Adenauers Rede "hätte Hitlers Hinkefuß Goebbels nicht besser halten können". 1957, in jenem Jahr, als Adenauer einen Wahlsieg der SPD mit dem Untergang Deutschlands gleichsetzte, plakatierten eben jene Sozialdemokraten: "In 12 Jahren ruinierte Hitler Deutschland. Gebt Adenauer keine 12 Jahre Zeit." Die FDP erklärte damals, Adenauer sei "die größte Gefahr in der deutschen Geschichte seit Hitler" - und einer ihrer Spitzenpolitiker, Reinhold Maier, der einzige Ministerpräsident, den die Partei je hervorgebracht hat, warnte, der Alte aus Rhöndorf bereite "die totale Machtergreifung im Staate vor". Ein Jahr später - die Union hatte inzwischen als erste und einzige deutsche Partei in freien Wahlen die absolute Mehrheit in Prozenten und Mandaten gewonnen - nannte der SPD-Politiker Herbert Wehner den siegreichen Bundeskanzler "eine Nachgeburt Hitlers". Ließ sich der Wundergreis Adenauer im Wahlkampf mit seinen Enkeln ablichten, dann kommentierte der Sozialdemokratische Pressedienst hämisch: "Kinder ziehen immer, selbst Hitler nahm sie auf den Arm . . . " Der Kanzler scherte sich um derlei Anwürfe wenig, nutzte in seinen Wahlkämpfen ganz ungeniert Görings bequemen Sonderzug.
Mergel hat eine Fülle solch erstaunlicher Fundstücke zusammengetragen, hat auch das wellenförmige An- und Abschwellen von aggressiven Kampagnen herausgearbeitet. Während in den fünfziger und siebziger Jahren in Wahlkämpfen eher geholzt und gebolzt wurde, waren sie in den Sechzigern unter dem Eindruck von Willy Brandt und Ludwig Erhard stärker "friedfertig-sachlich", nicht zuletzt, weil Brandt sich damit ganz bewusst von der infamen Kampagne absetzte, die auf seine uneheliche Geburt und sein Exil anspielte, ihn als "vaterlandslosen Gesellen" zu stigmatisieren suchte. Allerdings bedeutete "68" auch für die Wahlkämpfe einen tiefen Einschnitt, weil fortan Regelverletzungen und massive Störungen von Wahlveranstaltungen zum Repertoire des linken politischen Lagers gehörten, was nicht nur Franz Josef Strauß zu spüren bekam, gegen den 1980 der "härteste Wahlkampf überhaupt" geführt werden sollte. Dass Helmut Schmidt angesichts der Studentenunruhen 1968/69 mit "über 30 Toten im Wahlkampf" rechnete, war aber in jedem Fall übertrieben.
Es ist tatsächlich "ein Stück Kulturgeschichte", das Mergel bietet, auch wenn er sich vor allem auf CDU und SPD konzentriert, deren Archive umfassend durchforstet und ausgewertet hat, den Anteil der Grünen am deutschen "Campaigning" weitgehend ausblendet. Das ist deshalb schade, weil er die hohe Bedeutung von Angstkampagnen, das Eingehen auf das umfassende Sicherheitsbedürfnis in der Bevölkerung sorgfältig herausdestilliert, den Antikommunismus ("Alle Wege der SPD führen nach Moskau") als entscheidenden Wahlhelfer der Union in den fünfziger Jahren präsentiert. Der hat nun lange ausgedient. Aber könnte es nicht sein, dass an seine Stelle in den Wahlkämpfen seit den achtziger Jahren zunehmend "Atomkraft" als mobilisierender Angstbegriff getreten ist, den ganz besonders die Grünen zu instrumentalisieren verstehen?
Der Autor beschreibt den umfassenden Prozess der Professionalisierung, Personalisierung und Medialisierung, den deutsche Wahlkämpfe durchlaufen haben. Er holt weit aus dabei, blickt zurück in die Weimarer Republik, liefert auch amüsante Beispiele politischer Agitation: "Wählt SPD", stand auf Seifenstücken, die Sozialdemokraten 1928 an ihre proletarischen Wähler verteilten. Die SPD, nicht Goebbels, setzte damals erstmals einen dreißigminütigen Film als Werbemittel ein und schickte mehr als 100 Agitpropgruppen wie die "Roten Raketen" übers Land.
Nach dem Zweiten Weltkrieg, wo man in den Parteien noch ungeniert von "Wahlpropaganda" sprach und sich niemand daran störte, dass viele der für die Wahlkampfgestaltung Verantwortlichen - wie Erich Peter Neumann, Elisabeth Noelle oder Otto Lenz - mit der NS-Propaganda "intim vertraut" waren, richtete sich erst allmählich der Blick nach draußen, vor allem in Richtung Vereinigte Staaten. Die Idee, Brandt als "Mr. Berlin" und deutschen Kennedy aufzubauen, brachten Klaus Schütz und Alex Möller von ihren dortigen Wahlkampfbeobachtungen zurück, auch die "Händeschüttel-Taktik", die Brandt so schwer fiel und jenen scheinbar schüchternen Satz, den er immer wieder nach Wahlversammlungen verwenden musste: "Ich komme gern wieder. Als was, hängt von Ihnen ab!"
Die Professionalisierung auf allen Seiten nahm zu. Weg von persönlichen Beratern, hin zu geschulten Stäben im Parteiapparat, lautete jetzt die Devise. Neue Berufsprofile entstanden. Der "Pollster" wertete Umfragen (Polls) aus. "Strategist, Media Man, Spin Doctor" sollten dem Wahlkampf den entscheidenden "Dreh" (Spin) geben. Die Bedeutung von Agenturen und vor allem des Fernsehens stieg - auf dieses Medium hatte CDU-Wahlkampfleiter Franz Meyers 1957 noch ganz verzichten wollen -; die Länge der Werbespots sank von 5 Minuten auf 90, ja 30 Sekunden im Privatfernsehen. Wahlkampf wurde zum medialen Ereignis. Der prominente "Testimonial" wurde mit Martin Walser und Günter Grass im SPD-Wahlkampf entdeckt, der einfache Bürger sprach sich 1965 erstmals für Erhard aus. Nach "68" kamen Wählerinitiativen auf, etwa 380 mit mehr als 70 000 Beteiligten forderten 1972 "Willy wählen" - ein einsamer Rekord in der Republikgeschichte.
Trickfilme mit den kleinen roten Giftzwergen, die nachts an Adenauers Regierungsapparaten herumfuhrwerkten und alles durcheinanderbrachten oder als Vögel "Plietsch" und "Plemm" auf Seiten der SPD die Lage kommentierten, verschwanden als Werbemittel. Auch Ironie wurde immer seltener: 1976 hatte die Union noch plakatiert "Wir haben die SPD jetzt lange genug GENOSSEN!" oder "CDU nicht nur für Christen, sondern auch für Atheisten". Unter dem Einfluss ihrer Generalsekretäre Kurt Biedenkopf und Heiner Geißler hatte sich die Partei vom Doppelwahldebakel 1969/72 erholt und begonnen, den "Sprachraub" (Biedenkopf) der SPD zu bekämpfen, die erfolgreich Schlüsselbegriffe wie "Demokratisierung/Gerechtigkeit/Mitbestimmung/Solidarität" für sich besetzt hatte. Nicht nur der wichtigste Wahlkampfspezialist der Union, Peter Radunski, erkannte jetzt, dass dem das antagonistische Begriffspaar von Sicherheit und Freiheit erfolgversprechend gegenübergestellt werden könne. Daraus wurde bald eine Trias: "Sicher, sozial und frei".
Klug sind all diese Beobachtungen, aber bedauerlich bleibt, dass die Studie keinen Blick in die Innenzentren der Parteien liefert, nicht doch stärker deren Entscheidungswege zu Wahlkampfstrategien und Wahlkampfslogans ausleuchtet und mit dem Jahr 1990 endet - selbst wenn Gerhard Schröders Entgleisung in der Elefantenrunde 2005 noch aufscheint, als er in der irrigen Annahme ausreichender Überhangmandate seine Niederlage nicht anerkennen mochte. In jedem Fall hätte man gern gewusst, wie Mergel die neueste Entwicklung erklärt, die Hinwendung zur "asymmetrischen Wählerdemobilisierung", bei der es darum geht, kaum Streitpunkte anzusprechen, damit die Wähler der Gegenpartei gar nicht mobilisiert werden und gleich zu Hause bleiben. Damit hat Angela Merkel die Bundestagswahl 2009 "gewonnen".
DANIEL KOERFER
Thomas Mergel: Propaganda nach Hitler. Eine Kulturgeschichte des Wahlkampfes in der Bundesrepublik 1949-1990. Wallstein Verlag, Göttingen 2010. 416 S., 29,90 [Euro].
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Kluge Beobachtungen zu den Wahlkämpfen in der Bundesrepublik von der Gründung bis zur Wiedervereinigung
"Wahlkämpfe müssen einen Hauch von Bürgerkrieg ins Land tragen, anders lassen sich die Bürger nicht mobilisieren", meinte einst Winston Churchill. An diese Empfehlung haben sich die deutschen Wahlkämpfer nach dem Zweiten Weltkrieg nicht gehalten. Die Begründung liefert Thomas Mergel in seiner lesenswerten Studie gleich mit: Wahlkampf im Bürgerkrieg von NSDAP und KPD hatten sie Anfang der dreißiger Jahre genug gehabt. Um so erstaunlicher allerdings die "Offenheit, ja Unverfrorenheit, mit der die Vergangenheit in Wahlkämpfen nach dem Krieg instrumentalisiert wird", nicht allein, weil die APO und ihre Adepten "mit dem NS-Vorwurf schnell bei der Hand waren".
Nein, schon im ersten Wahlkampf 1949 ging es los, wetterte die CDU über die "Nazi-Methoden der SPD gegen Erhard", während es auf Seiten der Sozialdemokraten hieß, Konrad Adenauers Rede "hätte Hitlers Hinkefuß Goebbels nicht besser halten können". 1957, in jenem Jahr, als Adenauer einen Wahlsieg der SPD mit dem Untergang Deutschlands gleichsetzte, plakatierten eben jene Sozialdemokraten: "In 12 Jahren ruinierte Hitler Deutschland. Gebt Adenauer keine 12 Jahre Zeit." Die FDP erklärte damals, Adenauer sei "die größte Gefahr in der deutschen Geschichte seit Hitler" - und einer ihrer Spitzenpolitiker, Reinhold Maier, der einzige Ministerpräsident, den die Partei je hervorgebracht hat, warnte, der Alte aus Rhöndorf bereite "die totale Machtergreifung im Staate vor". Ein Jahr später - die Union hatte inzwischen als erste und einzige deutsche Partei in freien Wahlen die absolute Mehrheit in Prozenten und Mandaten gewonnen - nannte der SPD-Politiker Herbert Wehner den siegreichen Bundeskanzler "eine Nachgeburt Hitlers". Ließ sich der Wundergreis Adenauer im Wahlkampf mit seinen Enkeln ablichten, dann kommentierte der Sozialdemokratische Pressedienst hämisch: "Kinder ziehen immer, selbst Hitler nahm sie auf den Arm . . . " Der Kanzler scherte sich um derlei Anwürfe wenig, nutzte in seinen Wahlkämpfen ganz ungeniert Görings bequemen Sonderzug.
Mergel hat eine Fülle solch erstaunlicher Fundstücke zusammengetragen, hat auch das wellenförmige An- und Abschwellen von aggressiven Kampagnen herausgearbeitet. Während in den fünfziger und siebziger Jahren in Wahlkämpfen eher geholzt und gebolzt wurde, waren sie in den Sechzigern unter dem Eindruck von Willy Brandt und Ludwig Erhard stärker "friedfertig-sachlich", nicht zuletzt, weil Brandt sich damit ganz bewusst von der infamen Kampagne absetzte, die auf seine uneheliche Geburt und sein Exil anspielte, ihn als "vaterlandslosen Gesellen" zu stigmatisieren suchte. Allerdings bedeutete "68" auch für die Wahlkämpfe einen tiefen Einschnitt, weil fortan Regelverletzungen und massive Störungen von Wahlveranstaltungen zum Repertoire des linken politischen Lagers gehörten, was nicht nur Franz Josef Strauß zu spüren bekam, gegen den 1980 der "härteste Wahlkampf überhaupt" geführt werden sollte. Dass Helmut Schmidt angesichts der Studentenunruhen 1968/69 mit "über 30 Toten im Wahlkampf" rechnete, war aber in jedem Fall übertrieben.
Es ist tatsächlich "ein Stück Kulturgeschichte", das Mergel bietet, auch wenn er sich vor allem auf CDU und SPD konzentriert, deren Archive umfassend durchforstet und ausgewertet hat, den Anteil der Grünen am deutschen "Campaigning" weitgehend ausblendet. Das ist deshalb schade, weil er die hohe Bedeutung von Angstkampagnen, das Eingehen auf das umfassende Sicherheitsbedürfnis in der Bevölkerung sorgfältig herausdestilliert, den Antikommunismus ("Alle Wege der SPD führen nach Moskau") als entscheidenden Wahlhelfer der Union in den fünfziger Jahren präsentiert. Der hat nun lange ausgedient. Aber könnte es nicht sein, dass an seine Stelle in den Wahlkämpfen seit den achtziger Jahren zunehmend "Atomkraft" als mobilisierender Angstbegriff getreten ist, den ganz besonders die Grünen zu instrumentalisieren verstehen?
Der Autor beschreibt den umfassenden Prozess der Professionalisierung, Personalisierung und Medialisierung, den deutsche Wahlkämpfe durchlaufen haben. Er holt weit aus dabei, blickt zurück in die Weimarer Republik, liefert auch amüsante Beispiele politischer Agitation: "Wählt SPD", stand auf Seifenstücken, die Sozialdemokraten 1928 an ihre proletarischen Wähler verteilten. Die SPD, nicht Goebbels, setzte damals erstmals einen dreißigminütigen Film als Werbemittel ein und schickte mehr als 100 Agitpropgruppen wie die "Roten Raketen" übers Land.
Nach dem Zweiten Weltkrieg, wo man in den Parteien noch ungeniert von "Wahlpropaganda" sprach und sich niemand daran störte, dass viele der für die Wahlkampfgestaltung Verantwortlichen - wie Erich Peter Neumann, Elisabeth Noelle oder Otto Lenz - mit der NS-Propaganda "intim vertraut" waren, richtete sich erst allmählich der Blick nach draußen, vor allem in Richtung Vereinigte Staaten. Die Idee, Brandt als "Mr. Berlin" und deutschen Kennedy aufzubauen, brachten Klaus Schütz und Alex Möller von ihren dortigen Wahlkampfbeobachtungen zurück, auch die "Händeschüttel-Taktik", die Brandt so schwer fiel und jenen scheinbar schüchternen Satz, den er immer wieder nach Wahlversammlungen verwenden musste: "Ich komme gern wieder. Als was, hängt von Ihnen ab!"
Die Professionalisierung auf allen Seiten nahm zu. Weg von persönlichen Beratern, hin zu geschulten Stäben im Parteiapparat, lautete jetzt die Devise. Neue Berufsprofile entstanden. Der "Pollster" wertete Umfragen (Polls) aus. "Strategist, Media Man, Spin Doctor" sollten dem Wahlkampf den entscheidenden "Dreh" (Spin) geben. Die Bedeutung von Agenturen und vor allem des Fernsehens stieg - auf dieses Medium hatte CDU-Wahlkampfleiter Franz Meyers 1957 noch ganz verzichten wollen -; die Länge der Werbespots sank von 5 Minuten auf 90, ja 30 Sekunden im Privatfernsehen. Wahlkampf wurde zum medialen Ereignis. Der prominente "Testimonial" wurde mit Martin Walser und Günter Grass im SPD-Wahlkampf entdeckt, der einfache Bürger sprach sich 1965 erstmals für Erhard aus. Nach "68" kamen Wählerinitiativen auf, etwa 380 mit mehr als 70 000 Beteiligten forderten 1972 "Willy wählen" - ein einsamer Rekord in der Republikgeschichte.
Trickfilme mit den kleinen roten Giftzwergen, die nachts an Adenauers Regierungsapparaten herumfuhrwerkten und alles durcheinanderbrachten oder als Vögel "Plietsch" und "Plemm" auf Seiten der SPD die Lage kommentierten, verschwanden als Werbemittel. Auch Ironie wurde immer seltener: 1976 hatte die Union noch plakatiert "Wir haben die SPD jetzt lange genug GENOSSEN!" oder "CDU nicht nur für Christen, sondern auch für Atheisten". Unter dem Einfluss ihrer Generalsekretäre Kurt Biedenkopf und Heiner Geißler hatte sich die Partei vom Doppelwahldebakel 1969/72 erholt und begonnen, den "Sprachraub" (Biedenkopf) der SPD zu bekämpfen, die erfolgreich Schlüsselbegriffe wie "Demokratisierung/Gerechtigkeit/Mitbestimmung/Solidarität" für sich besetzt hatte. Nicht nur der wichtigste Wahlkampfspezialist der Union, Peter Radunski, erkannte jetzt, dass dem das antagonistische Begriffspaar von Sicherheit und Freiheit erfolgversprechend gegenübergestellt werden könne. Daraus wurde bald eine Trias: "Sicher, sozial und frei".
Klug sind all diese Beobachtungen, aber bedauerlich bleibt, dass die Studie keinen Blick in die Innenzentren der Parteien liefert, nicht doch stärker deren Entscheidungswege zu Wahlkampfstrategien und Wahlkampfslogans ausleuchtet und mit dem Jahr 1990 endet - selbst wenn Gerhard Schröders Entgleisung in der Elefantenrunde 2005 noch aufscheint, als er in der irrigen Annahme ausreichender Überhangmandate seine Niederlage nicht anerkennen mochte. In jedem Fall hätte man gern gewusst, wie Mergel die neueste Entwicklung erklärt, die Hinwendung zur "asymmetrischen Wählerdemobilisierung", bei der es darum geht, kaum Streitpunkte anzusprechen, damit die Wähler der Gegenpartei gar nicht mobilisiert werden und gleich zu Hause bleiben. Damit hat Angela Merkel die Bundestagswahl 2009 "gewonnen".
DANIEL KOERFER
Thomas Mergel: Propaganda nach Hitler. Eine Kulturgeschichte des Wahlkampfes in der Bundesrepublik 1949-1990. Wallstein Verlag, Göttingen 2010. 416 S., 29,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Hermann Theissen fasst seine Lektüre des immerhin gut 400 Seiten starken Buches recht knackig zusammen: Der Berliner Historiker Thomas Mergel analysiert die Wahlkampfstrategien der großen Volksparteien im Nachkriegsdeutschland und weist anschaulich nach, dass sich die CDU unter Adenauer weitaus besser auf das Geschäft der Wahlpropaganda verstand, als die traditionell pädagogische SPD. Adenauers bis in die sechziger Jahre erfolgreiches Konzept verließ sich auf die Diffamierung des politischen Gegners und den "spießigen Untertanengeist" der Deutschen. Erst 1969, als sich mit der Kandidatur Brandts eine Neudefinition des demokratischen Vokabulars durchsetzte (Partizipation), gelang der SPD der Wahlsieg. Hier bricht Theissens Rezension ab, nicht ohne knapp darauf hinzuweisen, dass sich der Autor "in soziokulturellen Analysen verzettelt und die große Erzählung aus den Augen verloren" habe.
© Perlentaucher Medien GmbH
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