Für den Größten unseres Jahrhunderts halten ihn zeitgenössische Autoren wie Beckett, Simon, Bernhard. Dabei denken sie nicht an jenen erbaulichen Proust, wie er uns immer noch in Anthologien begegnet: der Duft einer teegetränkten Madeleine, die wiedergefundene Kindheit in Combray, blühender Weißdorn vor Tansonville, die Kirchtürme von Martinville - versteckte Appelle an Marcels Künstlertum, die einmünden in das Erweckungserlebnis der Matinee Guermantes. Unschwer erkennt man darin das alte Schema der Suche: das ursprüngliche Paradies, der Fall in die Zeitlichkeit, die restituierende Erinnerung. Spannend wird die Recherche in dem Maße, wie sie im Laufe der sich über zwei Jahrzehnte erstreckenden Genese dieses Schema sprengt. Was ist vergessen, was verdrängt, was wird erinnert, was imaginiert, woran arbeitet sich das Imaginäre ab? Sakrales und Profanes, Moral und Transgression, Christentum und Judentum, romantische Intersubjektivität und moralistische Eigenliebe, Hetero- und Homosexualität, Identität und Perspektivismus, Zeitentiefe und schillernde Oberfläche - mit solchen Gegenstrebigkeiten hat die Recherche ihre erbauliche Erinnerungspoetik hinter sich gelassen. Sie hat gerade die auf immer verlorene Zeit aufgewertet zu einer modernen Ästhetik der Diskontinuität und Ich-Zerreißung, der Geburt des Kunstwerks aus übermäßigem Leidensdruck. Sie ist erfüllt von Euphorie und Dysphorie, von einer Sinnlichkeit, einem unstillbaren Begehren, das im Kunstwerk nicht überwunden wird, sondern sich fortsetzt bis in den Akt der Niederschrift hinein und damit den klassischen Werkbegriff nachhaltig problematisiert. Racine und Chateaubriand, Nietzsche und Bataille werden so zu Fixpunkten, auf die hin die hier vorgelegten Studien perspektiviert sind. Gewonnen aber wird diese größere Dimension über die Vertiefung in Prousts Sprache, über eine ruminierende Lektüre dieses zugleich forderndsten und dankbarsten Stilisten des französischen 20. Jahrhunderts.
Vom selben Autor:
- Rainer Warning. Die Phantasie der Realisten. 349 Seiten, Kt. DM 58,-
ISBN 3-7705-3386-0
- Rainer Warning. Funktion und Struktur. Die Ambivalenzen des geistlichen Spiels. 272 Seiten, Reihe: Theorie und Geschichte der Literatur und der Schönen Künste 35Leinen. DM 48,- 3-7705-1011-9; Kt. , DM 36,-
ISBN 3-7705-1012-7
- Rainer Warning. Illusion und Wirklichkeit in "Tristam Shandy" und "Jacques le Fataliste". 123 Seiten, Ln. DM 28,-; Reihe: Theorie und Geschichte der Literatur und der Schönen Künste 4
ISBN 3-7705-0073-3
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