Die Lebensgeschichte des Malers und Schriftstellers Joseph Czapski (1896-1993) würde, schrieb sein Freund Manès Sperber, »in einem Europäischen Testament ein höchst aufschlußreiches Kapitel ergeben.« In Prag als Kind einer österreichisch-polnischen Familie geboren, bei Minsk mehrsprachig aufgewachsen, studierte er in Petersburg, Warschau, Krakau und Paris Malerei. Er wurde zum engagierten Zeugen dreier Kriege - des Ersten und Zweiten Weltkrieges und des polnisch-russischen Krieges 1920 -, teils als Soldat, teils mit der Suche nach verschwundenen polnischen Kriegsgefangenen beauftragt. Über seine Nachforschungen - und ihre Ergebnisse, die er lange nicht glauben wollte: die Verschleppung und Ermordung von ca. 15.000 Soldaten, die in den Wäldern von Katyn und in den hintersten Winkeln Sibiriens umgebracht worden waren - berichtete er in dem Buch Unmenschliche Erde.Nach dem Krieg kehrte er nicht nach Polen zurück, er blieb in Paris, wo er zu den maßgeblichen Köpfen um die polnische Exilzeitschrift Kultura gehörte und als Maler internationale Anerkennung fand.»Man bewunderte dreierlei an ihm: den Maler, den Schriftsteller und den Menschen ob seiner Geradlinigkeit, Intelligenz und Güte. Jeder, der ihm begegnete, wußte sofort, daß er es mit einem der Gerechten zu tun hat.« Adam Zagajewski»Dieses kleine Buch zeigt einen großen Proust-Kenner....Seine Vorträge über Die Suche nach der verlorenen Zeit diktierte er im Winter 1940/41 in einem sowjetischen Lager heimlich. Das Ergebnis: eine luzide Proust-Einführung eines Tolstoi-Lesers und Stalinopfers.«Lothar Müller, SZ
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Einigermaßen beeindruckt hat Rezensent Felix Philipp Ingold die Vorträge des polnisch-französischen Malers und Publizisten Joseph Czapski über Prousts berühmten Roman über die Suche nach der verlorenen Zeit gelesen, die während seiner Internierung im sowjetischen Straflager Grjasowez entstanden sind. Czapski habe zu einer Gruppe von inhaftierten Intellektuellen und Künstlern gehört, berichtet Ingold, die in einem intellektuellen Zirkel versucht hätten, dem Schrecken mit Kulturproduktion zu begegnen. Das Proust-Buch, Ingolds Informationen zufolge in einem russischen Schulheft auf Polnisch konzipiert und mit Buntstiften schematisch aufgezeichnet, ist vor zwanzig Jahren zuerst im Original publiziert worden. Zwar erfahre man wenig Neues über Proust, schreibt der Rezensent, dafür aber viel über die rettende Kraft, die Kultur dem Schrecken abzuringen verstehe. Beeindruckt ist er auch von der Gedächtnisleistung Czapskis, der ohne Referenzbibliothek habe auskommen müssen. Besonders die Dialektik, die aus Prousts Detailschärfe bei der Beschreibung von Interieurs und Landschaften und ihrer Rekonstruktion durch das Gedächtnis Czapskis entsteht, fasziniert ihn sehr. Aber auch die "unangestrengte Treffsicherheit" bei seinen Abschweifungen zu anderen Autoren.
© Perlentaucher Medien GmbH
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