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Die Aufzeichnungen Harald Hartungs kommen niemals triumphal daher, ihnen eignet die Diskretion des Understatements. Hartung ist romantischer Poet und gleichzeitig scharfer Beobachter, der Nachdenkliche und der Heitere. Der Rückschau Haltende und der Gegenwartsversessene. So spannt er den Bogen vom ersten Schultag 1939 bis heute. Unterwegs in Wien, Venedig und der Schweiz, in der Geschichte und immer wieder in Büchern, Gemälden und Träumen hält Hartung fest, was seine Neugier fesselt, worüber er sich wundert und dem er neue Sichtweisen abgewinnt, was er bedenkt oder über was (und wen) der…mehr

Produktbeschreibung
Die Aufzeichnungen Harald Hartungs kommen niemals triumphal daher, ihnen eignet die Diskretion des Understatements. Hartung ist romantischer Poet und gleichzeitig scharfer Beobachter, der Nachdenkliche und der Heitere. Der Rückschau Haltende und der Gegenwartsversessene. So spannt er den Bogen vom ersten Schultag 1939 bis heute. Unterwegs in Wien, Venedig und der Schweiz, in der Geschichte und immer wieder in Büchern, Gemälden und Träumen hält Hartung fest, was seine Neugier fesselt, worüber er sich wundert und dem er neue Sichtweisen abgewinnt, was er bedenkt oder über was (und wen) der Neunzigjährige spottet. Nicht zuletzt auch über sich selbst, etwa in einem Haiku: »Die Hosenträger / halten einen zusammen / Noch nennt man sich Ich.«
Autorenporträt
Harald Hartung, geb. 1932 im westfälischen Herne, lebt als Lyriker, Kritiker und Essayist in Berlin. Mitglied der Akademie der Künste (Berlin), der Akademie der Wissenschaften und der Literatur (Mainz) und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung (Darmstadt). Hartung hat deutsche und internationale Lyrik in berühmt gewordenen Anthologien wie 'Luftfracht' und 'Jahrhundertgedächtnis' und in Essaybüchern wie 'Masken und Stimmen' vermittelt und analysiert. Preise: Annette-von-Droste-Hülshoff-Preis (1987) Internationaler Lyrikpreis 'Chianti Ruffino-Antico Fattore' (1999) Preis der Frankfurter Anthologie (2002) Würth-Preis für Europäische Literatur (2004) Johann-Heinrich-Merck-Preis (2009) Literaturpreis Ruhr (2012)
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Profund und anregend" kommt der schmale Band mit Texten des 91-jährigen Harald Hartung daher, findet Rezensentin Christiane Pöhlmann. Ihr begegnen hier kleine Texte, Miniaturen und kurze Gedichte vor allem, die "sich wie Puzzlestücke zu einem Lebenslauf Hartungs" fügen, lesen wir. Es geht um die Kindheit im Krieg, Anekdoten aus dem Leben als Berliner Schriftsteller und kleine literarische Porträts von literarischen Größen wie Uwe Johnson und Max Frisch, resümiert Pöhlmann. Die Texte mit Gegenwartsbezug lesen sich für die Kritikerin etwas "weniger originell", besonders wenn es um die jüngere Generation geht, die Hartung kritisiert. Aber selbst hier setzt Hartung noch eine ganz wunderbare Pointe, lobt die Kritikerin und zitiert: "Auf der Rechnung stand / 'Es bediente Herr Stiller' / Mir kamen Zweifel / Zumal der Herr am / Nebentisch so ziemlich wie / Dürrenmatt aussah."

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.10.2023

Poetische Puzzlestücke
Der Literaturkritiker und Lyriker Harald Hartung zieht "Provisorische Schlüsse"

Der neunzigste Geburtstag von Harald Hartung lag im letzten Jahr, nun folgt ein schmaler Band, der Rückschau hält. "Provisorische Schlüsse" sind es, und der Titel sollte nicht als kokette Unverzagtheit gedeutet werden, sondern, im Gegenteil, als leises Abwägen. So könnte es sein, anders aber auch. Fürs Erste jedoch sei es in dieser Weise festgehalten. Nicht von ungefähr sind die meisten - und die besten - Texte melancholisch grundiert.

Formal legt Hartung die Karten auf den Tisch, indem er eine Maxime von Elias Canetti zitiert, der für eine Aufzeichnung verlangte, sie "muss wenig genug sein, sonst ist sie keine". Bis auf vier Gedichtinterpretationen, Wiederaufnahmen aus der Frankfurter Anthologie, und zwei literarische Porträts (auch sie bereits früher einmal erschienen) handelt es sich bei den übrigen rund sechzig Texten um halbseitige Miniaturen und kurze Gedichte. Sie verdichten Erlebtes und fügen sich wie Puzzlestücke zu einem Lebenslauf Hartungs zusammen, halten Erinnerungen an den Krieg, den ersten Schultag, Reisen nach Italien und flüchtige Glücksmomente fest: "Wir drei erzählen uns über Stunden die Unglücke unseres Lebens, um bei jedem neuen heiterer zu werden." Für Altern und Tod findet er immer wieder überraschende und überzeugende Bilder, teils auch überraschend witzige, so wenn er auf die Vorratsnachrufe eingeht, die sich auch bei dieser Zeitung im "Giftschrank" finden. Er verfasste einen auf den Schriftsteller Franz Fühmann, den er dann aber fröhlich beim Frühschoppen in einer Buchhandlung erspähte, worauf Hartung, der "Mörder im Geist", die Flucht ergriff.

Das zusammengesetzte Puzzle lässt denn auch viel Literarisches erkennen. Das einschlägige Leben in Westberlin fängt Hartung ebenso ein, wie er, um nur einige zu nennen, an Ernst Jünger, Sarah Kirsch, Uwe Johnson oder Max Frisch erinnert. Skizzen solcher Art machen einen beachtlichen Teil der Sammlung aus. Sie sind profund und anregend - und deuten auf den einzigen kleinen Kritikpunkt, der anzumelden ist. "Schön ist es natürlich, wenn der Jüngere dem Alter Höflichkeit erweist", weiß Hartung, um sogleich einzuräumen: "Nicht immer ist sie von Herablassung zu unterscheiden." So mag sich eine Jüngere, eine Enkelin vielleicht, für den mehrfach auftretenden Max Frisch begeistern - es steht ihr nur zu gut zu Gesicht. Und umgekehrt? "Die heutige Poesie ist ,leicht' geworden", mit dem Vorteil, dass, was "leicht ist, floriert. Wer will, der kann. Die sogenannte Lyrikszene fabelt von einer neuen Blüte der Poesie." Doch auch neben einem Heidenröslein schießt mancherlei ins Kraut. Soll der Blick unvoreingenommen zurückgerichtet sein, warum dann nicht genauso unverstellt auf den Umkreis im Heute?

Anders ausgedrückt: Es geht hier beileibe nicht darum, dafür zu plädieren, jemanden von Kritik auszunehmen; es geht darum, festzuhalten, wie die Sicht im Moment des Kritisierens ist. In den "Provisorischen Schlüssen" ist sie meist dann nicht ganz ungetrübt, wenn Jüngere und Aktuelles gemeinsam ins Bild rücken. Diese Aufzeichnungen kommen auch etwas weniger originell daher.

Mit einer Ausnahme: Hartungs Pointe, wer sich unbedingt für die Position als Schutzheiliger der veganen Bewegung anbiete, ist mehr als gelungen. Generationenübergreifend kann man sich womöglich aufs "Café Odeon" einigen. "Auf der Rechnung stand / ,Es bediente Herr Stiller' / Mir kamen Zweifel / Zumal der Herr am / Nebentisch so ziemlich wie / Dürrenmatt aussah." CHRISTIANE PÖHLMANN

Harald Hartung: "Provisorische Schlüsse." Aufzeichnungen.

Wallstein Verlag, Göttingen 2023. 101 S., geb., 20,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»ein( ) beachtliche(r) Teil der Sammlung (ist) profund und anregend« (Christiane Pöhlmann, FAZ, 04.10.2023) »Hartungs Alltagsbeobachtungen und Erinnerungen sind durchzogen von leiser Melancholie und altersweiser Selbstironie und doch hochaktuell. Hundert Seiten mit ganz viel Substanz.« (Hannes Krauss, Neue Ruhr Zeitung, 29.12.2023) »Dieses Bändchen umweht die Aura unprätentiöser Kennerschaft. Jeder Text, die meisten kaum mehr als eine halbe Seite lang, ist ein Kleinod an gedanklicher Tiefe und stilistischem Vermögen.« (Walter Gödden, Westfalenspiegel, 1/2024)