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Dieses Buch folgt den Spuren der Antikenrezeption in den Anfängen der Psychoanalyse. Jenseits häufig begangener Pfade wie der Ödipus- und Mytheninterpretation geht es von der paradoxen Überlegung aus, die Antike werde gerade dort erkenntnistheoretisch relevant, wo ihre Präsenz fragmentarisch und verhüllt, im Gewande des rhetorischen Zitats, in Erscheinung tritt. Im Übergang von den Studien über Hysterie zur Traumdeutung, von der Welt noch beweisbarer Hypothesen zu einer »Eindeutigkeit des Vorläufigen« (Blumenberg), tritt die antike Literatur dort auf, wo (natur-)wissenschaftliche Beweisbarkeit aussteht. …mehr

Produktbeschreibung
Dieses Buch folgt den Spuren der Antikenrezeption in den Anfängen der Psychoanalyse. Jenseits häufig begangener Pfade wie der Ödipus- und Mytheninterpretation geht es von der paradoxen Überlegung aus, die Antike werde gerade dort erkenntnistheoretisch relevant, wo ihre Präsenz fragmentarisch und verhüllt, im Gewande des rhetorischen Zitats, in Erscheinung tritt. Im Übergang von den Studien über Hysterie zur Traumdeutung, von der Welt noch beweisbarer Hypothesen zu einer »Eindeutigkeit des Vorläufigen« (Blumenberg), tritt die antike Literatur dort auf, wo (natur-)wissenschaftliche Beweisbarkeit aussteht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2003

Ein Wink zur Wortmagie
Traumforschung zum ersten: Paola Traverso fragt nach der Rolle der Antike im Werk Freuds / Von Bettina Engels

Da sich Sigmund Freud immer wieder der Literatur bediente, um psychoanalytische Theoreme zu entwickeln - bekanntestes Beispiel ist der Ödipuskomplex -, scheint es nahezuliegen, daß Literaturwissenschaftler nicht nur methodologische Anleihen bei der Psychoanalyse machen, sondern auch Freuds Texte selbst philologisch unter die Lupe nehmen. Natürlich ist es nicht verboten, die Erkenntnisansprüche einer Wissenschaft durch die Brille einer zweiten zu verfremden, doch sollte gerade eine literaturwissenschaftliche Lektüre nicht aus den Augen verlieren, daß Freud seine Seelenlehre immer auch als Naturwissenschaft konzipierte.

Zwei interessante Vorstöße in diese Richtung wurden dem deutschen Publikum in letzter Zeit präsentiert - zum hundertsten Geburtstag der "Traumdeutung" (1900) erschienen ein Essay von Jean Starobinski und jüngst ein Buch der Berliner Literaturwissenschaftlerin Paola Traverso, das sich programmatisch auf Starobinski bezieht. Mögliche Gefahren und Erträge eines solchen Vorgehens lassen sich an beiden Texten gut aufzeigen, weil sie denselben Ausschnitt des Freudschen OEvres (eben die "Traumdeutung") mit derselben antiken "Quelle" konfrontieren (der "Äneis" des Vergil) und dabei sehr vergleichbare Arbeitshypothesen verfolgen: Freud habe das dem Vergilschen Epos entnommene Motto der "Traumdeutung" nicht nur nachträglich zur Bebilderung seiner Theorie gewählt. Der ganze Kosmos der antiken Mythologie und eben insbesondere dies geflügelte Wort hätten formgebend in Freuds psychologische Konzeption des Traumes eingegriffen.

So vergleichbar das Thema, so unvergleichlich die stilistische Brillanz, die intellektuelle Klarheit und Kürze des Starobinski-Essays. Nach wenigen Zeilen ist das titelgebende Motto "Flectere si nequeo superos, Acheronta movebo" auch dem des Lateinischen nicht mächtigen Leser verständlich und die Rolle, die es in der Traumdeutung spielt, klar umrissen: Vergils "Weigern's die da droben, so werd ich des Abgrunds Kräfte bewegen" symbolisierte für Freud, wie Traverso behauptet und Starobinski unmißverständlich zeigt, den Umweg, den das Begehren einschlagen muß, wenn der gerade Weg "versperrt" ist, mithin die Arbeit, die der Traum leistet, um den infantilen Wunsch des Träumers zu entstellen, kurz gesagt: den Weg seiner Verdrängung. Ihm gegenüber steht die von Freud als Königsweg zum Unbewußten bezeichnete Traumdeutung: Durch eine Analyse seiner Verschiebungen und Entstellungen rekonstruiert sie den verdrängten Wunsch. Während das "Acheronta movebo" also dessen irrationale Kraftentfaltung repräsentiert, dient die Traumdeutung seiner Aufklärung.

Starobinski erweist sich in diesem Zusammenhang nicht nur als der elegantere Stilist, sondern vor allem als der bessere Freud-Kenner. Denn bei Traverso, die sich eng an Starobinskis Aufsatz anschmiegt, führt eine Unzahl von philologischen Querverweisen und Nebengedanken - allein das zentrale Kapitel zur Traumdeutung überfrachtet etwa dreißig Textseiten mit 125 Endnoten! - zu der letztlich falschen Vorstellung, Freud habe sich über die Gestalt des Äneas auch mit der Sprecherposition des Vergilschen Verses identifiziert. Selbst wenn man die zur Erkenntnisgewinnung vorgenommene Reise des antiken Sagenhelden durch die Unterwelt ("katabasis"), so wie Traverso, als Vorbild für Freuds Selbstanalyse (das Fundament seiner "Traumdeutung") verstehen möchte, läßt sich doch die sogenannte "prometheische" Deutung des Vergilverses kaum halten: Die für Freud kränkende Ablehnung seiner Theorien durch die zeitgenössische Medizin hätte ihn dieser Logik gemäß zu einer Verherrlichung des Verdrängungsmechanismus getrieben. Nichts aber ist dem Arzt Freud weniger zu unterstellen, der die Verdrängung unbewußter Wünsche gerade als Ursache hysterischen Leids entdeckt hatte.

"Psyche ist ein griechisches Wort und lautet in deutscher Übersetzung Seele", schreibt Freud in einem vorpsychoanalytischen Aufsatz, dem der Titel des Traverso-Buches entnommen ist. Unter psychischer Behandlung sei eine Behandlung mit Mitteln zu verstehen, die "unmittelbar auf das Seelische des Menschen einwirken". Ein solches Mittel sei "vor allem das Wort". Über weite Strecken des Buches scheint es, als habe sich Traverso von einem noch an die Macht von Hypnose und Suggestion glaubenden Freud bei ihrer Freud-Exegese auf die falsche Fährte locken lassen. Sie schreibt den griechischen und lateinischen Zitaten, die Freud gesammelt habe wie antike Statuetten, eine ähnlich unvermittelte Macht über den Geist des Psychoanalysebegründers zu, wie sie die Worte des hypnotisierenden Arztes nach Ansicht des jungen Freud über seine hysterischen Patientinnen besaßen.

Aus diesem Grund kann sie auch die richtige Intuition nicht plausibel machen, daß die Psychoanalyse gleichzeitig den psychologischen Gehalt der antiken Mythologie aufgedeckt - der Homerische Hades als Vorahnung des Unbewußten - und der Psychologie eine mythologische, sprich: narrative Dimension erschlossen hat. Denn letztere hat nichts mit primitiver Wortmagie zu tun, aber sehr viel mit der umständlichen Wiederaneignung der eigenen Lebensgeschichte oder, wie es bei Starobinski heißt, mit der "Verwandlung der Ereignisse in Erzählungen".

Paola Traverso: ",Psyche ist ein griechisches Wort . . .'". Rezeption und Wirkung der Antike im Werk von Sigmund Freud. Aus dem Italienischen von Leonie Schröder. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 301 S., br., 11,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Paola Traversos literaturwissenschaftliche Arbeit über die Rolle der Antike im Werk Sigmund Freuds hat Rezensentin Bettina Engels nicht wirklich überzeugt. Wie sie darlegt, sucht Traverso zu zeigen, dass die griechische Mythologie und insbesondere das der "Traumdeutung" vorangestellte Motto aus Vergils Aenäis formgebend auf Freuds psychologische Konzeption des Traumes gewirkt haben - eine These, die schon Jean Starobinski in einem Essay zum hundertsten Geburtstag von Freuds "Traumdeutung" (1900) vertreten hat. Doch was für ein Unterschied zwischen den Autoren: weder bei Starobinskis Freud-Kenntnissen, noch bei seiner "stilistischen Brillanz" und "intellektueller Klarheit und Kürze" kann Traverso nach Einschätzung von Engels mithalten. Stattdessen führe Traverso über eine "Unzahl" von philologischen Querverweisen und Nebengedanken zu der letztlich falschen Vorstellung, dass sich Freud über die Gestalt des Äneas auch mit der Sprecherposition der Vergil'schen Verse identifiziert habe.

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