Produktdetails
  • Rowohlts Enzyklopädie
  • Verlag: Rowohlt TB.
  • Abmessung: 190mm
  • Gewicht: 245g
  • ISBN-13: 9783499555541
  • Artikelnr.: 24267660
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.08.1995

Die Grausamkeit des Analytikers
Wieder einmal wird der Freudschen Aufklärung ihre Unaufgeklärtheit nachgewiesen

Psychoanalyse, gerade in ihrer klassischen Form, hat in der Öffentlichkeit einen schweren Stand. Während das analytische Betätigungsfeld in der Abgeschiedenheit des Kabinetts liegt, sind ihre verallgemeinerungsfähigen, theoretischen Botschaften (Entthronisierung der Eigenliebe, Negierung der kindlichen Unschuld, infantile Sexualität, konstitutive Aggressivität der Individuen) kaum dazu angetan, auf allgemeines Wohlwollen zu treffen. Hinzu kommt die mit der Professionalisierung einhergehende, überaus strikte Standespolitik der psychoanalytischen Vereinigungen. Mittels berufsständischer Organisierung, Bürokratisierung und Standardisierung haben sie nicht wenig dazu beigetragen, den Ruf des von Freud unmöglich genannten Berufs zu diskreditieren.

In ihrer Kritik an den Auswüchsen psychoanalytischer Institutionspolitik legen sich Manfred Pohlen und Margarethe Bautz-Holzherr von der Marburger Poliklinik für Psychotherapie keinerlei Zurückhaltung auf. Das reicht von der unglaubwürdigen Imagepflege einzelner Psychoanalytiker (die vor dem Hintergrund ihrer staatlichen Alimentierung das Image des revolutionär unabhängigen Freigeistes pflegen) über das empathische Partizipieren an der derzeit herrschenden Norm der unendlichen Selbstverwirklichung (die Diagnose von der Häufigkeit narzißtischer Störungen entspricht im Negativ dem narzißtischen Kulturideal) bis hin zum autoritären Führungsstil psychoanalytischer Institutionen.

Doch mehr als der individuell schlechten Handhabung des Diskurses schreiben die Autoren die Auswüchse dem Diskurs selber zu. Nicht der einzelne Psychoanalytiker sei pervers, narzißtisch oder sadistisch, die Psychoanalyse selbst stelle seinem Machtbegehren die Weichen. Sie dämonisiere ihn mit allen Regeln der Kunst, verleiht die analytische Methode der Deutung doch denen, die sie ausüben, eine Art von Schlüsselgewalt über das Unbewußte. Dabei wirke die unersättliche Unendlichkeitslogik des Unbewußten ansteckend - dergestalt, daß Psychoanalytiker meinen, wie es Karl Popper treffend formulierte, nun alles erklären zu können und nichts mehr falsifizieren zu müssen.

Allen gültigen Kriterien von Wissenschaft biete die Psychoanalyse die Stirn und halte dennoch unbeirrt an eigenen wissenschaftlichen Ansprüchen fest. Sie habe, so die nicht ganz originelle Feststellung der Autoren, das Erbe religiöser Erlösungssehnsucht angetreten und sei mithin als Aufklärungsunternehmen, als emanzipatorische Wissenschaft endgültig gescheitert. Ihr Hauptversäumnis bestehe darin, den eigenen Aufklärungsanspruch nicht aufgeklärt und die ihre Praxis erst ermöglichenden Voraussetzungen und Bedingungen nicht befragt zu haben.

In den Augen der Autoren beginnt das Unheil bereits mit dem Grundelement jeder analytischen Praxis, der Übertragungsbeziehung. Sie imponiert in der Tat durch eine wahrhaft absurde Logik (eine neu produzierte Übertragungsneurose soll Bedingung für die Auflösung der alten Neurose sein), durch konsequente Verweigerung reziproker Beziehungen und Versagung der Bedürfnisse des Patienten (Abstinenzprinzip) sowie durch ihre nicht eben reputierliche Verwandtschaft mit der Suggestion beziehungsweise mit dem "mystischen Element" der Hypnose.

Insbesondere dieses "mystische Element" scheint die Psychoanalyse von Grund auf als einen Diskurs zu entlarven, dessen Behauptungen nicht verifizierbar sind und der, nimmt man das verwandte, von den Autoren freilich als Konstrukt abgetane Phänomen der falschen Verknüpfung hinzu, die "Mesalliance" zwischen Wunschinhalt und Arzt, auf nicht nachweisbarem Verhalten beruht. Freuds Erfindungen, so die Autoren, erheben das Nicht-Beobachtbare zum Gegenstand der Erkenntnis, führen alles Wahrgenommene auf die Übertragungssituation zurück und folgen dabei letztlich bloß Unterstellungen, die sich aus dem gesetzten Interpretationsrahmen ergeben.

Psychoanalyse verdanke sich eher der Abwehr ihres Erfinders und seiner persönlichen Einbildung, als daß sie eine wissenschaftlich zu nennende Konstruktion sei. Mit dieser Reduktion aufs Biographische gleitet die Studie dann aber auch vollends ins Subjektivistische ab. Als Motiv von Theoriebildung mag Persönliches zwar eine Rolle spielen, wo allerdings eine Theorie und ihre Praxis ihren Grund allein in der Person ihres Begründers haben sollte, müßte schon einiges an Paranoia im Spiel sein, um einem persönlichen Wahnsystem eine derartige Anhängerschaft zuzuführen.

Der Kritik an der unaufgeklärten Psychoanalyse lassen die Autoren ihren eigenen Therapieentwurf folgen. Er soll die vermeintliche Dekonstruktion der Psychoanalyse besiegeln. Gewiß, symbolische Macht und gewaltträchtige Beziehungen, rückwärtsgewandte, wenn auch nicht der Gegenwart entfremdete Perspektiven bestimmen die Grausamkeit der Psychoanalyse und erweisen sie, wie die Autoren zu Recht festhalten, als einen Diskurs, der sich von herrschaftsfreien Kommunikationsformenund symmetrischen Beziehungen radikal abwendet. Die "eherne" Notwendigkeit einer solchen Abwendung jedoch ist der Dimension des psychoanalytischen Gegenstands nur angemessen. Symptome sind mythische Gewebe, stellen gewaltträchtige und keineswegs partnerschaftlich strukturierte Beziehungsmuster vor. Eine Therapeutik wie die vorgeschlagene, die sich ihnen mittels nutritiver Funktionen nähern will (was im übrigen weniger infantilisierend als die psychoanalytische Regressionsmethode sein soll), die mit quasi marktorientierten "Angeboten" auf die Bedürfnislage der Patienten partnerschaftlich antwortet und dabei eine "wachstumsfördernde Haltung" des Therapeuten propagiert, trägt dem Konflikt mit dem Symbolischen, von dem Symptome zeugen und der sämtlichen Kategorien der Psychoanalyse eingeschrieben ist, keinerlei Rechnung und will es auch nicht.

Psychoanalyse, der Freuds Entdeckung des Konfliktes mit dem Symbolischen (Ödipus) zugrunde liegt, mag wohl nicht mehr zeitgemäß sein und den herrschenden kulturellen Standards, die die symbolische Dimension vollständig ausgeblendet haben, auch nicht mehr angemessen. Daß sie darum aber von Grund auf fiktional und auf Machtausübung hin ausgelegt wäre, spricht eher für die persönliche Anschauung der Verfasser als für die wohlverstandene Theorie und Praxis der Psychoanalyse selbst.

Für den Kleinianer Donald Meltzer spielen derlei Überlegungen überhaupt keine Rolle. In seinen vor 25 Jahren niedergeschriebenen Beobachtungen hat Psychoanalyse völlig fraglos ihre Daseinsberechtigung und steht ohne jeden Zweifel auf wissenschaftlichem Boden. Meltzer faßt den psychoanalytischen Prozeß im Sinne einer "Naturgeschichte" auf, die einer eigenständigen inneren Logik folge. Etwaige wissenschaftstheoretische Einwände hiergegen werden durch das beeindruckend innige Verhältnis Meltzers zur psychoanalytischen Arbeit, sei es im Hinblick auf die emotionale Lage des Analysanden, sei es unter dem Gesichtspunkt der Risiken und Anforderungen, die die psychoanalytische Arbeit dem Analytiker abverlangt, kompensiert. Ein Buch für die theoretische Arbeit von Praktikern. EDITH SEIFERT

Manfred Pohlen/Margarethe Bautz-Holzherr: "Psychoanalyse - Das Ende einer Deutungsmacht". Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1995. 287 S., br., 22,90 DM.

Donald Meltzer: "Der psychoanalytische Prozeß". Verlag Internationale Psychoanalyse, Stuttgart 1995. 217 S., geb.,

48,- DM.

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