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Lester Bangs ist eine, wenn nicht die Rock-Kritiker-Legende in Amerika. 1948 geboren, starb er bereits mit 33 Jahren im Jahre 1982. In Kalifornien aufgewachsen, ging er 1971 nach Detroit und arbeitete dort für fünf Jahre als Redakteur bei der Musikzeitschrift Creem Magazine. In dieser Zeit entwickelte er seinen kritischen, journalistisch aufrührerischen Stil, dem vor allem der Sound und die Sprache des Rock n Roll wichtig war. 1976 verließ er Creem und ging nach New York, um sich als freier Autor durchzuschlagen. Er gründete die Rockgruppe Lester Bangs&The Delinquents, schrieb die Texte, sang…mehr

Produktbeschreibung
Lester Bangs ist eine, wenn nicht die Rock-Kritiker-Legende in Amerika. 1948 geboren, starb er bereits mit 33 Jahren im Jahre 1982. In Kalifornien aufgewachsen, ging er 1971 nach Detroit und arbeitete dort für fünf Jahre als Redakteur bei der Musikzeitschrift Creem Magazine. In dieser Zeit entwickelte er seinen kritischen, journalistisch aufrührerischen Stil, dem vor allem der Sound und die Sprache des Rock n Roll wichtig war. 1976 verließ er Creem und ging nach New York, um sich als freier Autor durchzuschlagen. Er gründete die Rockgruppe Lester Bangs&The Delinquents, schrieb die Texte, sang und spielte Harmonika. Da war er bereits in der Welt des Rock n Roll berühmt als Dope rauchender und exzessiv trinkender wilder Mann. In seinen Reportagen, Kritiken, Glosssen und Fragmenten entdeckte er in"Wild Thing"von den Troggs eine Art unkontrolliertes Lebensmanifest für die Zukunft. Er bewundert Richard Hell, analysiert den Mythos von Elvis, beschreibt sein schwieriges Verhältnis zu Lou Reed, begeleitet die Clash auf Tour, schreibt über John Coltrane, Iggy Pop, Sham 69, John Lennon, PIL, Jethro Tull, Barry White u.a.
Autorenporträt
Greil Marcus, geboren 1945, gilt als einer der größten Bob Dylan-Kenner. In seinen Büchern hat er immer wieder über Rockmusik und ihr Verhältnis zur amerikanischen Kultur und Politik geschrieben. Der Autor lebt in Berkeley.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.09.2009

Die Nazis haben auch den Pop verbrochen

Es ist nur Journalismus, aber ich mag es, mag es, mag es: Wie der Amerikaner Lester Bangs die moderne Popmusikkritik erfand und sich mit seinem Beharren auf Subjektivität und Unabhängigkeit schon damals zwischen alle Stühle setzte.

Wer heutzutage beim Kneipenbummel in eine Traube parlierender Musikkritiker gerät, setzt sich der Gefahr aus, einen äußerst langweiligen Abend zu verbringen. Bärtige Kapuzenshirtträger, die sich stundenlang mit stetig röter werdenden Köpfen über brasilianische Vinyl-Importe, Körperpolitik im R 'n' B oder das Revival des holländischen Trash-Techno unterhalten, können beim Zaungast nur den Wunsch auslösen, lieber in einem Pulk plauderseliger Sitzrasenmäherhersteller zu stehen. Man könnte sagen: Musikkritiker sind heute ebenso langweilig wie die meiste Musik.

Das heißt im Umkehrschluss jedoch nicht, dass Musikkritiker früher, als auch die Popstars noch bekloppt waren, überwiegend schillernde Persönlichkeiten gewesen sind, die jederzeit bereit waren, im Vollrausch donnernde Tiraden zu verfassen und sich unentwegt gemeinsam mit Iggy Pop Transvestitennamen auf den Rücken tätowieren zu lassen. Immerhin jedoch gab es Lester Bangs.

Der 1982 im Alter von dreiunddreißig Jahren infolge einer Medikamentenunverträglichkeit verstorbene Bangs war so etwas wie der unangeschnallte Gonzo-Autor des Musikjournalismus. Ein nicht zu bremsender, ebenso beherzter wie egomaner Haudrauf-Schreiber, dessen Einfluss auf den Musikjournalismus der achtziger Jahre ohne Beispiel ist. Auch Musiker liebten ihn: Die Ramones sangen gar über Bangs, ebenso R.E.M. Ins Kino fand der Überlebensgroße ebenso seinen Weg: In Cameron Crowes "Almost Famous" wird er von Philip Seymour Hoffman dargestellt.

Die Karriere des 1948 in Escondido, Kalifornien, geborenen Bangs begann 1969, als er dem amerikanischen "Rolling Stone" unaufgefordert einen Verriss des MC5-Albums "Kick Out The Jams" schickte. Der Kritik hatte der damals Achtzehnjährige eine Notiz beigefügt, in der er den Verlag aufforderte, ihm im Falle einer Nichtveröffentlichung mitzuteilen, warum man von einem Abdruck absehe. Der "Rolling Stone" druckte den Text, und Bangs wurde freier Mitarbeiter des Hefts. 1973 feuerte "Rolling Stone"-Gründer Jann Wenner seinen Autor bereits wieder - wegen mangelnden Respekts gegenüber den von ihm behandelten Musikern. Schon damals litt der sogenannte kritische Journalismus in sogenannten Musikzeitschriften darunter, dass man vom Wohlwollen der Bands, ihrer Managements und ihrer Plattenfirmen abhängig war, deren Anzeigen man doch so dringend benötigte. Bangs zog nach Detroit und gründete das Magazin "Creem", mit dem er endgültig seine eigene Stimme fand.

Nun liegt erstmals in deutscher Sprache eine Sammlung seiner Texte unter dem Titel "Psychotische Reaktionen und heiße Luft" vor. Gleich im Vorwort zitiert Herausgeber Greil Marcus eine Selbsteinschätzung Bangs': "ich war ... wenn nicht heute, dann vielleicht morgen, ein Anwärter auf den Titel Bester Schriftsteller Amerikas (wer war besser? Burroughs? Hunter Thompson? Ach, Blödsinn. Ich war der Beste. Ich schrieb fast nichts außer Plattenkritiken, und davon auch nicht viel ..." Hier bricht die Notiz ab. Marcus fügt hinzu, dass Bangs diesen Satz freilich nicht ganz ernst gemeint habe - bis auf den Teil in der Klammer, die Bangs niemals schließen sollte. Der Popkritiker als Literat - bedauerlicherweise fast immer noch eine ungeheure Vorstellung.

Im schönsten Stück des nun vorliegenden Readers begleitet Bangs im Dezember 1977 die Punkband The Clash auf ihrer Tour durch Großbritannien. In dem Text geht es weniger um spektakuläre Exzesse vor oder hinter der Bühne; vielmehr ist die Reportage ein perfektes Beispiel dafür, welch hohen Einsatz Bangs wagte, wenn er den Text mindestens so sehr von sich selbst wie von der Band handeln ließ - eine Erzählweise, die bei vielen, die ihn heute zu imitieren trachten, nur zu eitler Faselei führt. Bangs macht sich enorm angreifbar, wenn er vollkommen unzynisch bekennt, "Rock-'n'-Roll-Bands als eine Art Modell für eine bessere Welt" zu betrachten, und über den Grund spekuliert: "Wahrscheinlich habe ich in einem kurzen Moment blitzlichtartig etwas Wunderschönes erblickt, es vielleicht mit einer Prophezeiung verwechselt und bin seitdem auf der Suche nach Erfüllung."

Auch wunderbar, weil gleichzeitig so verletzt wie verletzend sind die Dokumente seines von Hassliebe durchtränkten Abarbeitens an seinem Idol Lou Reed ("ein total entarteter Perverser und erbärmlicher Todeszwerg" und "deswegen mein Held, weil er für alles Abgefuckte steht, was ich mir nur vorstellen kann. Was aber wahrscheinlich nur zeigt, wie eingeschränkt meine Vorstellungskraft ist"). Doch er hat auch Thesen, fragwürdige Thesen mitunter, die oft pure Provokationen sind, die aber gerade darum nichts mit dem heute verbreiteten, dreifach bei allen Plattenfirmen abgesicherten Promo-Gewäsch zu tun haben.

Einmal - natürlich in einem Text über die Düsseldorfer Band Kraftwerk - verbindet er voller Ironie gar Faschismus und Rock 'n' Roll über die Idee einer musikalischen Mechanik, und zwar lange bevor eine faschistoide Ästhetik tatsächlich im Pop ankam. Die Deutschen hätten Methylamphetamin erfunden, den Wirkstoff, der den Menschen der Maschine am nächsten bringe: "Es ist also ziemlich leicht ersichtlich, dass in Wirklichkeit die Deutschen für ,Blonde on Blonde' und ,Unterwegs' verantwortlich zeichnen; das Reich ist nie untergegangen, es wurde in den amerikanischen Archetypen wiedergeboren, die von hohläugigen Männchen mit zuckenden Fingern, festgeklebt an ihren Schreibmaschinen und Gitarren wie kopulierende Rhinozerosse, mühsam fabriziert werden." Das ist tatsächlich weitaus mehr Literatur als Musikjournalismus. Zumindest aber doch wohl: Rock 'n' Roll.

ERIC PFEIL.

Lester Bangs: "Psychotische Reaktionen und heiße Luft". Rock 'n' Roll als Literatur und Literatur als Rock 'n' Roll. Herausgegeben von Greil Marcus. Edition Tiamat, Berlin 2008. 400 S., br., 19,80 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Beglückt begrüßt Rezensent Julian Weber diese erste Edition der Plattenkritiken und Essays des legendären Popkritikers Lester Bangs in deutscher Sprache, die aus Anlass von dessen sechzigstem Geburtstag erschienen ist. Im Original sei diese Sammlung mit Bangs besten und berühmtesten Texten aus Zeitungen und Zeitschriften wie "Rolling Stone", "Creem", "Village Voice" oder "Los Angeles Times" bereits 1987, also nach seinem frühen Tod erschienen und zelebrierten im Wesentlichen popmäßig-korrektes Außenseitertum. Leider erzählt der Rezensent mehr über das tragisch-bewegte Leben dieses Unterschichtskindes als über die Texte selber. Er äußert lediglich Unzufriedenheit mit dem Lektorat und kritisiert Unschärfen in der Übersetzung. Freut sich aber insgesamt mordsmäßig über dieses Buch.

© Perlentaucher Medien GmbH