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Heiko Ernst, Chefredakteur der Zeitschrift "Psychologie heute", macht sich Gedanken um den Menschen an der Schwelle zum 3. Jahrtausend. Wie bewältigt er die wachsende Hektik, die Informationsflut, die Einbindung in das Netzwerk elektronischer Medien, das Überangebot der Vergnügungsindustrie, den Verlust an Werten und Sicherheit? Ernst entwirft Perspektiven für die Zukunft, die trotz des vor Augen geführten Szenarios der Zwänge einen Spielraum für persönliche Freiheit und Kreativität eröffnen.

Produktbeschreibung
Heiko Ernst, Chefredakteur der Zeitschrift "Psychologie heute", macht sich Gedanken um den Menschen an der Schwelle zum 3. Jahrtausend. Wie bewältigt er die wachsende Hektik, die Informationsflut, die Einbindung in das Netzwerk elektronischer Medien, das Überangebot der Vergnügungsindustrie, den Verlust an Werten und Sicherheit? Ernst entwirft Perspektiven für die Zukunft, die trotz des vor Augen geführten Szenarios der Zwänge einen Spielraum für persönliche Freiheit und Kreativität eröffnen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.08.1996

Appetit auf Luxurese
Heiko Ernst über die Psychotrends des kommenden Jahrhunderts

Das Zeitalter des zunehmenden Individualismus ist auch die Ägide der Do-it-yourself-Literatur. Ob man Reparaturen ausführen will oder Ausgrabungen, segeln möchte oder sich besinnen: zu jedem Thema lauert der Ratgeberband schon im Regal und verheißt die Beherrschung aller Prozesse durch den einzelnen. Dabei gibt es kaum etwas Egalisierenderes als ebendiese Anleitungen, normieren sie doch ihre zahlreiche Leserschaft auf die vorgeschriebenen Handgriffe oder Überlegungen.

Heiko Ernst, der Chefredakteur der Zeitschrift "Psychologie heute", führt die Schwemme der Selbsthilfebücher auf das wachsende Informationsbedürfnis zurück, auf "immer verfeinertere Formen der Selbstaufbereitung" angesichts eines zugleich unaufhaltsam steigenden Informationsangebots, das nicht etwa zur Sättigung beiträgt, sondern immer mehr Appetit macht. Ernst kennzeichnet das ausgehende zwanzigste Jahrhundert als eine Epoche der "Entgrenzung", die alle Freiheiten bereitstellt, aber genau damit den Menschen auch überfordert. Die prinzipielle Möglichkeit der Informationsbeschaffung für jedermann stellt derart komplexe Anforderungen an die psychische Disposition der Nutzer dieser Vielfalt, daß die Elitenbildung vielmehr verstärkt wird. Das global village wird weiterhin Bürgermeister, Stadträte, Müllmänner und Bettler kennen.

Hinzu kommen die Umwertung aller Werte, der Verfall der Moral, die Vereinzelung von Armen und Arbeitslosen. Die Medienfülle relativiert alle Ereignisse: "Wir können in einer Millisekunde aus Burundi und Bosnien verschwinden - mit einem leichten Druck auf die Fernbedienung katapultieren wir uns in die Welt der Unterhaltung und Zerstreuung." Man merkt, wir haben es hier mit einem kulturpessimistischen Buch zu tun. Der neue Mensch ist bei Strafe des Untergangs zur Toleranz gegenüber den eigenen Widersprüchen verurteilt. Das impliziert die Anerkennung des Todes als zentrales Problem eines ichbezogenen Individuums und auch die scheinbar banale Sprachregelung des Nachrichtensenders CNN, das Wort "ausländisch" nicht zu benutzen.

Aber die neue Zeit erfordert auch ein neues Konsumverhalten, die Ära des Massenverbrauchs ist passé; Ernst proklamiert die "Luxurese" als Trend. Der Luxuret gönnt sich nur noch selten Neuanschaffungen, dann aber von höchster Qualität und Umweltverträglichkeit. Wie allerdings dadurch eine Rückbesinnung auf Gemeinschaftsmodelle zustande kommen soll - abgesehen von der Tatsache, daß man nach gleichen Kriterien einkauft -, bleibt offen: Ernsts Modell schafft höchstens eine Gesellschaft von Bioladenkunden, um deren Toleranz man fürchten muß (zumindest sind dies die Erfahrungen des Rezensenten mit den bisherigen Luxureten).

Aber der Verfasser belohnt seine Leser ohnehin nur mit den kleinen Münzen der Erkenntnis, etwa mit der mittlerweile wohl in jeder Publikation zum Zeitgeschehen enthaltenen Feststellung: "Zu jeder Meinung gibt es eine Gegenmeinung, zu jedem Gutachten ein Gegengutachten." Heiko Ernst wird also über die Unzufriedenheit eines Lesers nicht allzu verblüfft sein, der hoffte, in seinem Buch einen Wegweiser durch die heutigen "Psychotrends" zu finden, und dann enttäuscht war, als der Inhalt dem Titelbild entsprach, das ein Einbahnstraßenschild abbildet, das in zwei Richtungen weist.

Sicher, wer sich dessen freut, daß die Dialektik endlich ihren Weg aus den philosophischen Entwürfen in die Realität vollzogen habe, der muß auch an widersprüchlichen Entwicklungen Freude haben. Allerdings könnte man doch leise die Syntheseleistung einfordern, die ja eben Ausweis jeglicher Dialektik ist. Der "Lebensmanager", den Ernst als Gegenbild zum derzeit noch vorherrschenden "Bastler" entwirft, also ein Mensch, der seinen Lebensweg bewußt plant, setzt diese Synthese ja voraus, aber sein Herold gibt ihm dafür keine Ratschläge mit auf den Weg.

Den wohlfeilen Rufen nach mehr Gefühl, mehr Gewissen und allgemein mehr Moral setzt Ernst immerhin die Forderung nach mehr Rationalität entgegen. Gesundheitliche, finanzielle und soziale Wirkungen unserer Taten hält er für fundiertere Kontrollinstanzen als moralische Anwandlungen. Hier kehrt der Egoist gleichsam durch die Hintertür wieder zurück, nachdem ihn die Toleranz des Gebäudes verwiesen zu haben schien. Allerdings müßte Ernst damit auch einen ganzen Hausflügel evakuieren, denn Toleranz hat angesichts finanzieller Wirkungen bislang immer den kürzeren gezogen. ANDREAS PLATTHAUS

Heiko Ernst: "Psychotrends". Das Ich im 21. Jahrhundert. Piper Verlag, München 1996. 214 S., br., 36,- DM.

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