Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.09.2007Das geht alles von Ihrer Zeit ab
Kunststücke: Woody Allen überlistet die Schwerkraft
Von Patrick Bahners
Er ist wieder da und ganz der Alte. Woody Allen legt seine vierte Sammlung von Kurzprosa vor. Der Geschichtenerzähler Allen hat ein Talent, wie es der Künstleragent hätte entdecken können, den Allen in "Broadway Danny Rose" spielt. Er ist ein Jongleur. Unter den vermischten Nachrichten der "New York Times" entdeckt er eine beliebige Kuriosität. Er reißt das Blatt heraus, zerknüllt es, formt es zu einem Ball und lässt den Ball rollen, über Arme, Beine und sonstige Gliedmaßen, über Hinter- und Vorderkopf, Haar- und Bauchansatz, wirft ihn hin und her, dreht sich und wendet sich und rotiert - und noch immer fällt der Ball nicht herunter, wieder und wieder lässt sich dem abgegriffenen Stoff noch eine Pointe abgewinnen, gibt es eine neue Drehung und eine weitere Wendung in Allens Rotationsnovelle.
Lange hätte der Ballzauberer dem Luftballonfalterduo und dem einbeinigen Stepptänzer in der Kartei von Danny Rose wohl nicht Gesellschaft leisten müssen. Wie in vielen Ballsportarten erklärt den Erfolg allerdings eine Selbstbeherrschung, die Selbstbeschränkung ist. Man beachte, was er alles nicht mit dem Ball macht: Er versenkt ihn nicht, schießt ihn nicht über die Linie, erzielt keinen Treffer, macht keinen Punkt. Wer diesen Virtuosen mit dem Zwischenruf "Und die Botschaft? Und was ist mit der Botschaft?" aus dem Konzept bringen möchte, den Obelix in "Asterix und der Kupferkessel" als Bildungsneubürger ausstößt, sitzt im falschen Theater und hat die Spielregeln nicht verstanden.
Diese Prosastücke gehorchen dem Gesetz des Stehaufkomikers, als welcher Allen begonnen hat. Für sie gilt die Negation der von Lester alias Alan Alda in "Verbrechen und andere Kleinigkeiten" zitierten Definition, Komödie sei Tragödie plus Zeit. Hier kommt das Komische heraus, wenn man von der Zeit alles Tragische abzieht, allen ungefälschten Lebensstoff, alles, was es nicht auf Kredit oder im Abonnement gibt. Was bleibt unter dem Strich? Der reine, sinnentleerte Moment, der den Ernst der Welt hinausschiebt. Und dann noch einer. Und noch einer. Da! Noch einer! Bis zur eleganten Schlusspointe, die mit der Verbeugung zusammenfällt.
Es gibt hier Anfänge, die einfach perfekt sind. "Ich bin wirklich erleichtert, dass sich das Universum endlich erklären lässt. Ich dachte schon, das Problem läge bei mir." Steigern könnte man die Ökonomie dieser zweigliedrigen Fügung nicht mehr. Das ist ja der Witz, den Woody Allen immer schon macht, die Verwechslung der eigenen Person mit dem Kosmos, dem gerade diese Person herzlich gleichgültig ist. Die Kunst, den Gag noch einmal hinzukriegen, ist nichts als Technik. Keine Variation ist der neue Einfall, weil das Thema eben nicht in eine andere Tonart versetzt oder durch Verzierung verkleidet wird.
Dem Urknall der perfekten Eröffnung folgt eigentlich keine Geschichte. "K. o. der Stringtheorie" ist nichts als eine Verkettung von Kalauern, insofern allerdings beim zweiten Lesen der Weltgeschichte nicht unähnlich. Das Teilchen von "Plancklänge", "ein Millionstel von einem Milliardstel von einem Milliardstel Milliardstel Zentimeter groß", stößt folgende Hypothesenbildung an: "Wie schwer wäre so etwas wiederzufinden, wenn es uns in einem dunklen Kino runterfiele. Und wie funktioniert die Schwerkraft? Und müsste man, wenn sie plötzlich aufhörte, in bestimmten Restaurants trotzdem noch Jackett tragen? Immerhin weiß ich aus der Physik, dass einem, der am Ufer steht, die Zeit schneller vergeht als jemandem auf einem Schiff, besonders wenn der auf dem Schiff seine Frau dabeihat." Wo Allens Filme als Beweisstücke im Kulturkampf der Geschlechter herangezogen werden, wird gegen das ehefrauenverachtende Menschenbild des Cartoonuniversums seiner Prosa niemand ernsthaft protestieren. Alles Inhaltliche ist Klischee. Die Konvention darf nicht gesprengt werden, sonst geht die Show nicht weiter.
In dieser hermetischen Immanenz der Kleinkunstwelt liegt dann freilich doch ein Unterschied zu jener uramerikanischen Unterhaltungskunst, als deren Parodist Allen in diesem Band zu höchster Form aufläuft, zum Musical beziehungsweise zum heiteren Lied. "Singt, ihr Sachertorten" lässt die Nummern eines Broadway-Hits über die Wiener Moderne Revue passieren: Wer wird noch Lehárs "Lippen schweigen" summen, wenn er das große Liebesduett von Alma Mahler und Ludwig Wittgenstein im Ohr hat: "Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen"? Mit dem Spektakel der Geläufigkeit, der himmlisch gleitenden Übergänge brilliert der Erzähler Allen wie Fred Astaire und Cole Porter. Es fehlt nur der von Porter besungene Wechsel von Dur nach Moll.
- Woody Allen: "Pure Anarchie". Stories. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Malte Krutzsch. Kein & Aber, Zürich 2007. 188 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kunststücke: Woody Allen überlistet die Schwerkraft
Von Patrick Bahners
Er ist wieder da und ganz der Alte. Woody Allen legt seine vierte Sammlung von Kurzprosa vor. Der Geschichtenerzähler Allen hat ein Talent, wie es der Künstleragent hätte entdecken können, den Allen in "Broadway Danny Rose" spielt. Er ist ein Jongleur. Unter den vermischten Nachrichten der "New York Times" entdeckt er eine beliebige Kuriosität. Er reißt das Blatt heraus, zerknüllt es, formt es zu einem Ball und lässt den Ball rollen, über Arme, Beine und sonstige Gliedmaßen, über Hinter- und Vorderkopf, Haar- und Bauchansatz, wirft ihn hin und her, dreht sich und wendet sich und rotiert - und noch immer fällt der Ball nicht herunter, wieder und wieder lässt sich dem abgegriffenen Stoff noch eine Pointe abgewinnen, gibt es eine neue Drehung und eine weitere Wendung in Allens Rotationsnovelle.
Lange hätte der Ballzauberer dem Luftballonfalterduo und dem einbeinigen Stepptänzer in der Kartei von Danny Rose wohl nicht Gesellschaft leisten müssen. Wie in vielen Ballsportarten erklärt den Erfolg allerdings eine Selbstbeherrschung, die Selbstbeschränkung ist. Man beachte, was er alles nicht mit dem Ball macht: Er versenkt ihn nicht, schießt ihn nicht über die Linie, erzielt keinen Treffer, macht keinen Punkt. Wer diesen Virtuosen mit dem Zwischenruf "Und die Botschaft? Und was ist mit der Botschaft?" aus dem Konzept bringen möchte, den Obelix in "Asterix und der Kupferkessel" als Bildungsneubürger ausstößt, sitzt im falschen Theater und hat die Spielregeln nicht verstanden.
Diese Prosastücke gehorchen dem Gesetz des Stehaufkomikers, als welcher Allen begonnen hat. Für sie gilt die Negation der von Lester alias Alan Alda in "Verbrechen und andere Kleinigkeiten" zitierten Definition, Komödie sei Tragödie plus Zeit. Hier kommt das Komische heraus, wenn man von der Zeit alles Tragische abzieht, allen ungefälschten Lebensstoff, alles, was es nicht auf Kredit oder im Abonnement gibt. Was bleibt unter dem Strich? Der reine, sinnentleerte Moment, der den Ernst der Welt hinausschiebt. Und dann noch einer. Und noch einer. Da! Noch einer! Bis zur eleganten Schlusspointe, die mit der Verbeugung zusammenfällt.
Es gibt hier Anfänge, die einfach perfekt sind. "Ich bin wirklich erleichtert, dass sich das Universum endlich erklären lässt. Ich dachte schon, das Problem läge bei mir." Steigern könnte man die Ökonomie dieser zweigliedrigen Fügung nicht mehr. Das ist ja der Witz, den Woody Allen immer schon macht, die Verwechslung der eigenen Person mit dem Kosmos, dem gerade diese Person herzlich gleichgültig ist. Die Kunst, den Gag noch einmal hinzukriegen, ist nichts als Technik. Keine Variation ist der neue Einfall, weil das Thema eben nicht in eine andere Tonart versetzt oder durch Verzierung verkleidet wird.
Dem Urknall der perfekten Eröffnung folgt eigentlich keine Geschichte. "K. o. der Stringtheorie" ist nichts als eine Verkettung von Kalauern, insofern allerdings beim zweiten Lesen der Weltgeschichte nicht unähnlich. Das Teilchen von "Plancklänge", "ein Millionstel von einem Milliardstel von einem Milliardstel Milliardstel Zentimeter groß", stößt folgende Hypothesenbildung an: "Wie schwer wäre so etwas wiederzufinden, wenn es uns in einem dunklen Kino runterfiele. Und wie funktioniert die Schwerkraft? Und müsste man, wenn sie plötzlich aufhörte, in bestimmten Restaurants trotzdem noch Jackett tragen? Immerhin weiß ich aus der Physik, dass einem, der am Ufer steht, die Zeit schneller vergeht als jemandem auf einem Schiff, besonders wenn der auf dem Schiff seine Frau dabeihat." Wo Allens Filme als Beweisstücke im Kulturkampf der Geschlechter herangezogen werden, wird gegen das ehefrauenverachtende Menschenbild des Cartoonuniversums seiner Prosa niemand ernsthaft protestieren. Alles Inhaltliche ist Klischee. Die Konvention darf nicht gesprengt werden, sonst geht die Show nicht weiter.
In dieser hermetischen Immanenz der Kleinkunstwelt liegt dann freilich doch ein Unterschied zu jener uramerikanischen Unterhaltungskunst, als deren Parodist Allen in diesem Band zu höchster Form aufläuft, zum Musical beziehungsweise zum heiteren Lied. "Singt, ihr Sachertorten" lässt die Nummern eines Broadway-Hits über die Wiener Moderne Revue passieren: Wer wird noch Lehárs "Lippen schweigen" summen, wenn er das große Liebesduett von Alma Mahler und Ludwig Wittgenstein im Ohr hat: "Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen"? Mit dem Spektakel der Geläufigkeit, der himmlisch gleitenden Übergänge brilliert der Erzähler Allen wie Fred Astaire und Cole Porter. Es fehlt nur der von Porter besungene Wechsel von Dur nach Moll.
- Woody Allen: "Pure Anarchie". Stories. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Malte Krutzsch. Kein & Aber, Zürich 2007. 188 S., geb., 17,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Schwelgerisch widmet sich Patrick Bahners dem neuen Story-Band von Woody Allen. Dieser, meint Bahners geradezu erleichtert, sei ganz der Alte. Seinem jeweiligen Stoff gewinne Allen noch immer Pointe über Pointe ab. Und wie das geht, erklärt Bahners auch. Nach den Regeln der Standup-Comedy, die nichts als den "reinen, sinnentleerten Moment" übriglässt. Inhaltliches, warnt Bahners, ist hier stets Klischee, also im Grunde unangreifbar.
© Perlentaucher Medien GmbH
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