Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.03.2005Masken, Mütter, Mythen
Schlicht, doch nicht ergreifend: Chimamanda Ngozi Adichies Debüt
Eine wohlerzogene Tochter, um die Fünfzehn, findet sich in der vormals vertrauten Welt nicht mehr zurecht. Das streng gebahnte Leben der Familie vermittelt ihr keine Geborgenheit, sondern nur noch Druck und Zwang. Ihr vorsichtiges Aufbegehren gegen heimische Autorität verbindet sich mit leiser Angst, den Halt am Hergebrachten zu verlieren, während sie zugleich beginnt, das Leben jenseits der bekannten und engumgrenzten Erfahrungsräume zu erkunden. Eine erste, schwärmerische Verliebtheit in einen unerreichbar fernen Mann; zaghafte Zweifel an der Religion, die den Familienalltag machtvoll prägt; heimliche Bewunderung für den älteren Bruder, der sich dem Regime des Vaters widersetzt - vielleicht sind es solche gängigen Motive und einfachen Geschichten, die immer wieder neu zu würdigen und zu erzählen sind, weil das Abenteuer des Erwachsenwerdens unser aller Leben irgendwann einmal bestimmt. Bei Chimamanda Ngozi Adichie allerdings spielt diese Geschichte in Nigeria, und dort ist alles noch viel abenteuerlicher.
Angesiedelt in den frühen neunziger Jahren im christlichen Süden Nigerias, der Igbo-Region um Nsukka, zeigt ihr Roman uns ein Land der Extreme, wo oft genug der bloße Alltag zu einem Existenzkampf wird. In der reichsten Ölnation des Kontinents stehen Warteschlangen vor den Tankstellen; der Bauboom bringt neue Kirchen, doch Universitätsgebäude verfallen; politische Gewalttaten bis hin zu Mord sind an der Tagesordnung; auf dem Nachhauseweg trifft man am Straßenrand auf Leichen; ein neuerlicher Staatsstreich lähmt das öffentliche Leben und treibt die Korruption lokaler Machteliten wie auch der Polizei nur noch voran. Doch in "Blauer Hibiskus" gibt all das nur die landestypische Kulisse, vor der das eigentliche Drama spielt. Den wahren Ort aller Gewalt und Schrecken bildet die Familie: Hier ist der Terror daheim.
Aus der Erlebnisperspektive jener halbwüchsigen Tochter aus gutem Haus wird uns in schlichten Worten Ungeheuerliches mitgeteilt. Der Vater, aus ärmlichen Verhältnissen stammend, hat sich zum Herrscher über ein Geschäftsimperium aus Fabriken und Verlagen hochgeschuftet und beherrscht auch den Familienkreis unerbittlich mit eiserner Hand. Als erklärter Katholik verbietet er allen Kontakt zur traditionellen Glaubenspraxis und Kultur der Igbo, die er als Teufelswerk verdammt, und verstößt selbst seinen alten Vater, weil der sich nicht der neuen Religion anschließt. Den Kindern zwingt er einen Stundenplan auf, der ihren Tageslauf aus Schule, Kirchgang, Beten und sogenannter "Familienzeit" - Freizeit, Vergnügen oder Spielen sind nicht vorgesehen - minutiös reglementiert. Jeden geringsten Verstoß gegen seinen Willen bestraft der bigotte Patriarch mit grausamsten Züchtigungsmethoden. Die Tochter schlägt er mit dem Riemen blutig, wenn sie einmal nicht Klassenbeste wird, dem Bruder verstümmelt er den Finger, die Mutter prügelt er krankenhausreif, so daß sie eine Fehlgeburt erleidet. Und jedesmal beteuert er noch unter Tränen, daß er allein aus Liebe und zum Wohlgefallen Gottes, der keinen Ungehorsam dulde, so und nicht anders handeln mußte. Dem blanken Wahn dieses Tyrannen wird erst zum Schluß - und dann auf überraschende und eher unglaubwürdige Art - ein melodramatisches Ende bereitet.
Geschichten über häusliche Gewalt, wo immer sie sich auch ereignen, gehen gewiß jedem an die Nieren. Was an Chimamanda Ngozi Adichies Debütroman daher vor allem irritiert, ist die offenkundige Gewißheit, mit der die Autorin dies ganz gezielt in ihr Kalkül aufnimmt. Die junge Nigerianerin, Jahrgang 1977 und seit 1998 in den Vereinigten Staaten lebend, hat in den Creative-Writing-Seminaren zwar gut aufgepaßt und sich genau gemerkt, wie man so eine Sache angeht. Doch ihre erzählerischen Mittel bleiben hinter der gefühlten Absicht weit zurück. Von den ersten Seiten an ist eigentlich schon alles klar; im weiteren geht das Handlungsschema aus sachtem Ausbruch und brutalem Rückschlag lediglich in Serie. Schnittmusterhaft verlaufen die Konfliktlinien, lehrbuchmäßig kommt Symbolisches zum Einsatz (wie der titelgebende Hibiskus, dessen Bedeutsamkeit allerdings eigens ausbuchstabiert werden muß), holzschnittartig sind die Charaktere (duldsame Mutter, guter Pater, kluge Tante) angelegt. Wer, wie einige amerikanische Rezensenten, so etwas auch noch jubelnd zum modernen Erbe "afrikanischer" Erzähltradition erklärt, beteiligt sich nur am Verbreiten von Klischees.
Unübersehbar sucht Adichie Anschluß an die große Romankunst ihres Landes - schon ihr Eröffnungssatz (im Original: "Things started to fall apart at home") zitiert wörtlich den Gründungstext der postkolonialen Literatur, "Things fall apart" von Chinua Achebe, wie auch der moralische Rigorismus ihrer Zentralfigur klar den Vorprägungen seiner alten Vaterrolle folgt. Welten aber trennen die subtilen Erzählgeflechte und Figurenkonstellationen eines Achebe und anderer nigerianischer Autoren auch der jüngeren Generation von der kunstgewerblichen Collage Adichies, die darauf angelegt zu sein scheint, das Erwartungsrepertoire an afrikanische Romane - Masken, Mütter, Mythen und Gewalt - artig zu bedienen. 1991 erschien bei Rowohlt "Der Preis der Freiheit", die deutsche Fassung eines packenden und psychologisch anspruchsvollen Debütromans der simbabwischen Autorin Tsitsi Dangarembga, die eine ganz ähnliche Geschichte erzählt wie jetzt Adichie. So überfällig und erfreulich es in der Tat ist, daß zeitgenössische Literatur aus Afrika auch in deutschen Verlagsprogrammen prominent erscheint, so frustrierend ist es daher, wenn hier gefällig Gefühliges mit amerikanischem Verbrauchergütesiegel präsentiert wird. Denn bei der Lektüre von "Blauer Hibiskus" erfahren wir nur immer wieder, daß zwischen schlicht und ergreifend doch ein erheblicher Unterschied besteht.
TOBIAS DÖRING
Chimamanda Ngozi Adichie: "Blauer Hibiskus". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Judith Schwab. Luchterhand Literaturverlag, München 2005. 318 S., geb., 21,90 [Euro].
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Schlicht, doch nicht ergreifend: Chimamanda Ngozi Adichies Debüt
Eine wohlerzogene Tochter, um die Fünfzehn, findet sich in der vormals vertrauten Welt nicht mehr zurecht. Das streng gebahnte Leben der Familie vermittelt ihr keine Geborgenheit, sondern nur noch Druck und Zwang. Ihr vorsichtiges Aufbegehren gegen heimische Autorität verbindet sich mit leiser Angst, den Halt am Hergebrachten zu verlieren, während sie zugleich beginnt, das Leben jenseits der bekannten und engumgrenzten Erfahrungsräume zu erkunden. Eine erste, schwärmerische Verliebtheit in einen unerreichbar fernen Mann; zaghafte Zweifel an der Religion, die den Familienalltag machtvoll prägt; heimliche Bewunderung für den älteren Bruder, der sich dem Regime des Vaters widersetzt - vielleicht sind es solche gängigen Motive und einfachen Geschichten, die immer wieder neu zu würdigen und zu erzählen sind, weil das Abenteuer des Erwachsenwerdens unser aller Leben irgendwann einmal bestimmt. Bei Chimamanda Ngozi Adichie allerdings spielt diese Geschichte in Nigeria, und dort ist alles noch viel abenteuerlicher.
Angesiedelt in den frühen neunziger Jahren im christlichen Süden Nigerias, der Igbo-Region um Nsukka, zeigt ihr Roman uns ein Land der Extreme, wo oft genug der bloße Alltag zu einem Existenzkampf wird. In der reichsten Ölnation des Kontinents stehen Warteschlangen vor den Tankstellen; der Bauboom bringt neue Kirchen, doch Universitätsgebäude verfallen; politische Gewalttaten bis hin zu Mord sind an der Tagesordnung; auf dem Nachhauseweg trifft man am Straßenrand auf Leichen; ein neuerlicher Staatsstreich lähmt das öffentliche Leben und treibt die Korruption lokaler Machteliten wie auch der Polizei nur noch voran. Doch in "Blauer Hibiskus" gibt all das nur die landestypische Kulisse, vor der das eigentliche Drama spielt. Den wahren Ort aller Gewalt und Schrecken bildet die Familie: Hier ist der Terror daheim.
Aus der Erlebnisperspektive jener halbwüchsigen Tochter aus gutem Haus wird uns in schlichten Worten Ungeheuerliches mitgeteilt. Der Vater, aus ärmlichen Verhältnissen stammend, hat sich zum Herrscher über ein Geschäftsimperium aus Fabriken und Verlagen hochgeschuftet und beherrscht auch den Familienkreis unerbittlich mit eiserner Hand. Als erklärter Katholik verbietet er allen Kontakt zur traditionellen Glaubenspraxis und Kultur der Igbo, die er als Teufelswerk verdammt, und verstößt selbst seinen alten Vater, weil der sich nicht der neuen Religion anschließt. Den Kindern zwingt er einen Stundenplan auf, der ihren Tageslauf aus Schule, Kirchgang, Beten und sogenannter "Familienzeit" - Freizeit, Vergnügen oder Spielen sind nicht vorgesehen - minutiös reglementiert. Jeden geringsten Verstoß gegen seinen Willen bestraft der bigotte Patriarch mit grausamsten Züchtigungsmethoden. Die Tochter schlägt er mit dem Riemen blutig, wenn sie einmal nicht Klassenbeste wird, dem Bruder verstümmelt er den Finger, die Mutter prügelt er krankenhausreif, so daß sie eine Fehlgeburt erleidet. Und jedesmal beteuert er noch unter Tränen, daß er allein aus Liebe und zum Wohlgefallen Gottes, der keinen Ungehorsam dulde, so und nicht anders handeln mußte. Dem blanken Wahn dieses Tyrannen wird erst zum Schluß - und dann auf überraschende und eher unglaubwürdige Art - ein melodramatisches Ende bereitet.
Geschichten über häusliche Gewalt, wo immer sie sich auch ereignen, gehen gewiß jedem an die Nieren. Was an Chimamanda Ngozi Adichies Debütroman daher vor allem irritiert, ist die offenkundige Gewißheit, mit der die Autorin dies ganz gezielt in ihr Kalkül aufnimmt. Die junge Nigerianerin, Jahrgang 1977 und seit 1998 in den Vereinigten Staaten lebend, hat in den Creative-Writing-Seminaren zwar gut aufgepaßt und sich genau gemerkt, wie man so eine Sache angeht. Doch ihre erzählerischen Mittel bleiben hinter der gefühlten Absicht weit zurück. Von den ersten Seiten an ist eigentlich schon alles klar; im weiteren geht das Handlungsschema aus sachtem Ausbruch und brutalem Rückschlag lediglich in Serie. Schnittmusterhaft verlaufen die Konfliktlinien, lehrbuchmäßig kommt Symbolisches zum Einsatz (wie der titelgebende Hibiskus, dessen Bedeutsamkeit allerdings eigens ausbuchstabiert werden muß), holzschnittartig sind die Charaktere (duldsame Mutter, guter Pater, kluge Tante) angelegt. Wer, wie einige amerikanische Rezensenten, so etwas auch noch jubelnd zum modernen Erbe "afrikanischer" Erzähltradition erklärt, beteiligt sich nur am Verbreiten von Klischees.
Unübersehbar sucht Adichie Anschluß an die große Romankunst ihres Landes - schon ihr Eröffnungssatz (im Original: "Things started to fall apart at home") zitiert wörtlich den Gründungstext der postkolonialen Literatur, "Things fall apart" von Chinua Achebe, wie auch der moralische Rigorismus ihrer Zentralfigur klar den Vorprägungen seiner alten Vaterrolle folgt. Welten aber trennen die subtilen Erzählgeflechte und Figurenkonstellationen eines Achebe und anderer nigerianischer Autoren auch der jüngeren Generation von der kunstgewerblichen Collage Adichies, die darauf angelegt zu sein scheint, das Erwartungsrepertoire an afrikanische Romane - Masken, Mütter, Mythen und Gewalt - artig zu bedienen. 1991 erschien bei Rowohlt "Der Preis der Freiheit", die deutsche Fassung eines packenden und psychologisch anspruchsvollen Debütromans der simbabwischen Autorin Tsitsi Dangarembga, die eine ganz ähnliche Geschichte erzählt wie jetzt Adichie. So überfällig und erfreulich es in der Tat ist, daß zeitgenössische Literatur aus Afrika auch in deutschen Verlagsprogrammen prominent erscheint, so frustrierend ist es daher, wenn hier gefällig Gefühliges mit amerikanischem Verbrauchergütesiegel präsentiert wird. Denn bei der Lektüre von "Blauer Hibiskus" erfahren wir nur immer wieder, daß zwischen schlicht und ergreifend doch ein erheblicher Unterschied besteht.
TOBIAS DÖRING
Chimamanda Ngozi Adichie: "Blauer Hibiskus". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Judith Schwab. Luchterhand Literaturverlag, München 2005. 318 S., geb., 21,90 [Euro].
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