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Den 200. Geburtstag von Alexander Puschkin am 6. Juni 1999 hat Swetlana Geier zum Anlaß genommen, den vorliegenden Band zusammenzustellen. Zu Wort sollen hier die Großen der russischen Literatur kommen: Mit Alexander Puschkin als dem Ausgangspunkt spannt der Bogen sich von Fjodor Dostojewskij, Lew Tolstoj über Alexander Blok, Maxim Gorkij bis hin zu Andrej Sinjawskij und Josif Brodskij - sie alle sind Beweger nicht nur der russischen Literatur, sondern auch des russischen Geisteslebens, deren Wirkung unvermindert geblieben ist.

Produktbeschreibung
Den 200. Geburtstag von Alexander Puschkin am 6. Juni 1999 hat Swetlana Geier zum Anlaß genommen, den vorliegenden Band zusammenzustellen. Zu Wort sollen hier die Großen der russischen Literatur kommen: Mit Alexander Puschkin als dem Ausgangspunkt spannt der Bogen sich von Fjodor Dostojewskij, Lew Tolstoj über Alexander Blok, Maxim Gorkij bis hin zu Andrej Sinjawskij und Josif Brodskij - sie alle sind Beweger nicht nur der russischen Literatur, sondern auch des russischen Geisteslebens, deren Wirkung unvermindert geblieben ist.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.01.2000

Grabschriften auf eine Ikone
Swetlana Geiers Anthologie zu Ehren von Alexander Puschkin

"Rußland kam nach Europa wie ein vom Stapel laufendes Schiff, begleitet vom Klopfen der Äxte und vom Donner der Kanonen", heißt es bei Puschkin in einem Aufsatz von 1834. Darin sieht der Dichter in der späten Ankunft der westeuropäischen Aufklärung an den Ufern der Newa einen der Gründe für die "Nonexistenz einer russischen Literatur". Tatsächlich gab es nur zwei russische Schriftsteller vor Puschkin, auf deren sprachlichen Reformen er aufbauen konnte: Michail Lomonossow (1711 bis 1765), der die erste russische Rhetorik und Grammatik verfasste, und Gawriil Derschawin (1743 bis 1816), Privatsekretär der Zarin Katharina der Großen. Seine Ode "Gott" (1784) gehört zu den frühesten Werken der modernen russischen Literatur, die außerhalb der Landesgrenzen wahrgenommen wurden. Klopstock übersetzte sie 1793 ins Deutsche.

Vor Lomonossow und Derschawin sah Puschkin nur die Chronik und das Igorlied als "einsames Denkmal in der Wüste der alten russischen Literatur", wie er angesichts der in Westeuropa vorherrschenden Vielfalt literarischer Genres resigniert feststellte. Sein Lieblingsautor und Vorbild aber wurde Voltaire. In der Bibliothek des Vaters hatte Puschkin die französischen Klassiker gelesen, sie auswendig gelernt und begonnen, französische Verse zu schreiben. Deutsche Literatur las er in französischer Übersetzung, wichtig war ihm vor allem die deutsche Kunsttheorie von Kant, Lessing, Winckelmann und Friedrich Schlegel. Er begeisterte sich für Byron, später für Shakespeare und Walter Scott. Ein Jahrhundert nach den Reformen Peters des Großen war Puschkins Werk vollendet: Er hatte die russische Literatursprache geschaffen, indem er die verschiedenen Sprach- und Stilebenen der noch vom Kirchenslawischen her bestimmten klassizistischen Literatur mit der lebendigen Umgangssprache verband. Als er Ende Januar 1837 an den Folgen des Duells mit seinem Intimfeind Georges d'Anthès, einem der Leibgardisten des Zaren Nikolaus I., starb, hinterließ er ein literarisches Vermächtnis, das bis heute Vorbild geblieben ist.

Noch zu Lebzeiten Puschkins, im Jahre 1834, legte sein Schüler Nikolai Gogol den Grundstein für den Puschkin-Mythos. Dostojewski baute in seiner ekstatischen Rede zur Enthüllung der Puschkin-Statue auf der Twerskaja in Moskau im Juni 1880 darauf auf. Im Gegensatz zum gedämpften und intellektuellen Ton Turgenjews setzte Dostojewski als erster Schriftsteller das volle Potential von Puschkin als kultureller Ikone frei. Er pries den Dichter als Propheten, der Russland den wahren Weg zum nationalen Selbstbewusstsein gezeigt habe. In Alexander Bloks Rede "Von der Bestimmung des Dichters", gehalten im "Haus der Literatur" in Petrograd im Februar 1921 anlässlich des 84. Todestages des Dichters, ist Puschkin das "Urbild des Dichters", ein "Sohn der Harmonie". Blok macht nicht die Kugel eines d'Anthès für seinen Tod verantwortlich, sondern den Mangel an Luft, durch den die von Puschkin repräsentierte Kultur dahingestorben sei. Wie vor ihm Dostojewski überlebte Blok seine Puschkin-Rede nur um wenige Monate. Sie war sein letzter großer öffentlicher Auftritt. Im Rückblick liest sie sich wie eine Grabschrift auf das geistige Leben der vorrevolutionären Intelligentzija.

Die Slawistikprofessorin und Übersetzerin Swetlana Geier stellt in ihrer Anthologie anlässlich des zweihundertsten Geburtstags von Puschkin im Jahre 1999 den genannten Texten von Puschkin selbst, Dostojewski und Alexander Blok Beiträge von Tolstoi, Maxim Gorki, Andrei Sinjawski und Joseph Brodskij zur Seite. Damit soll dem Leser "eine Art Kompaß zur Orientierung der russischen Literatur im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert gegeben werden". Zwar gibt sich das Buch im Titel als Hommage an Puschkin, doch steht er eigentlich nur in den Reden von Dostojewski und Alexander Blok im Mittelpunkt.

Tolstois Rede, gehalten 1859 in der "Gesellschaft der Freunde russischer Literatur", handelt von der einseitigen Liebe des Autors zur schönen, zweckfreien Literatur, die er gegen die modern gewordene politische und enthüllende Literatur verteidigt. Daneben zeigt der abgedruckte Entwurf eines Briefes den Sinneswandel Tolstois, der nach fünfzehnjähriger Überlegung gegen Puschkins Diktum "Der Sinn der Poesie ist die Poesie" zu dem Schluss kommt, wahre Kunst habe nur ein Ziel: "die Menschen besser zu machen". Gorkis Referat "Die sowjetische Literatur" auf dem Ersten Allunions-Kongress der sowjetischen Schriftsteller im August 1934 schlägt einen großen Bogen von der Entwicklung der europäischen Kultur zur Aufgabe des proletarischen Staates, "Ingenieure der Seelen" zu erziehen. Sinjawskis literarisches Manifest "Sozialistischer Realismus. Was ist das?" (1959), unter dem Pseudonym Abram Terz im Westen erschienen, ist ein ironischer Spaziergang durch die offizielle sowjetische Literatur. Dabei wird en passant der sozialistische Realismus aus der Binnenperspektive dekonstruiert.

Joseph Brodskijs Nobelpreis-Rede "Der Staat, die Sprache und der Dichter" (1987) steht am Abschluss dieser Auswahl und bietet, so die Herausgeberin, "Trost und Verheißung zugleich: Trost, weil sie das Zeugnis für die Kontinuität einer Idee ablegt, einer Idee, die, gegen ideologische Versuchungen immun, allem äußeren Druck widersteht, und Verheißung in ihrem Vertrauen auf die unberührbaren schöpferischen Quellen in Kunst und Leben".

DANIELA RIPPL

Swetlana Geier: "Puschkin zu ehren. Von russischer Literatur". Ammann Verlag, Zürich 1999. 270 S., geb., 32, - DM.

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