Rhetorik als Waffe - über Putins Reden als Mittel der Politik.Den Krieg gegen die Ukraine hat Wladimir Putin rhetorisch vorbereitet, eskaliert und durch eine komplexe Argumentation begründet. Das Geflecht aus Legitimationsstrategien mag befremdlich und verstörend erscheinen, es knüpft aber gezielt an den Erwartungshorizont eines breiten, nationalen wie internationalen Publikums an und garantiert ein diffuses Verständnis für die Positionen des Kreml. Der russische Präsident ist dabei kein charismatischer und eloquenter Politiker. Gerade im Vergleich zu seinem Kontrahenten Selenskyj fällt seine Redekunst deutlich ab. Aber Putins Wort ist der Ursprung aller politischen Kommunikationsstrategien im heutigen Russland. Es steckt den Rahmen des politisch Sagbaren ab.Riccardo Nicolosi seziert Putins Kriegskommunikation: von der Parodie westlicher Kriegsbegründungen hin zu einer paranoiden Kausallogik, in der Russland als ewiges Opfer westlicher Hegemonialbestrebungen figuriert; von der Affektrhetorik des Ressentiments zur Mystifizierung des Zweiten Weltkriegs als niemals endendes Ereignis; von der Modellierung des Ukraine-Konflikts als antikoloniale, tektonische Verschiebung in der geopolitischen Weltordnung zur Erhebung des Kriegs als einzig wahre Daseinsform im gegenwärtigen und künftigen Russland. So legitimiert die Macht der Worte die martialische Gewaltanwendung ebenso sehr wie sie den Krieg als Lösung aller Probleme plausibilisiert.
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Rezensent Michael Wolf wünschte, Ricardo Nicolosis Buch zu Putins Kriegsrhetorik wäre früher erschienen. Denn dann hätte man vielleicht früher verstanden, dass Putin selbst meist recht genauen Aufschluss darüber geben hat, was er will oder meint: So liest Wolf etwa, dass Putin sich mit der Formulierung der "militärischen Spezialoperation" zum einen ganz gezielt ein Hintertürchen für verschiedene Ausgänge offenlasse - denn eine Operation könne man, anders als einen Krieg, nicht nur gewinnen oder verlieren -, und wie damit zum anderen der Eindruck einer "inneren Angelegenheit" (Nicolosi) erweckt und somit die Souveränität der Ukraine ein weiteres Mal untergraben werde. Spannend findet Wolf auch die Ausführungen zu den Drohungen gegen "den Westen", die Putin nutze, um sich als "antikoloniale" Schutzmacht des Globalen Südens in Szene setzen könne. Was "zynisch" klingen mag, verdient für den Rezensenten gerade eine genaue Lektüre auch von Diplomatinnen und Diplomaten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»elegantes Büchlein« (Ulrich M. Schmid, NZZ, 24.03.2025)