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Wladimir Putin lässt Kritiker ermorden, er erobert erst die Krim und facht mitten in Europa einen Krieg an. Russland ist unter diesem Präsidenten zu einer Gefahr für den Rest der Welt geworden und zu einem Schurkenstaat. Mit seinem Angriff auf die Ukraine fordert Putin den Westen heraus - und gleichzeitig gibt es im Land weit und breit niemanden, der ihm politisch gefährlich werden könnte. Die amerikanische Politologin Angela Stent fragt, warum sich die Erwartung des Westens nicht erfüllt und Russland sich seit dem Untergang der Sowjetunion nicht zu einer liberalen marktwirtschaftlichen…mehr

Produktbeschreibung
Wladimir Putin lässt Kritiker ermorden, er erobert erst die Krim und facht mitten in Europa einen Krieg an. Russland ist unter diesem Präsidenten zu einer Gefahr für den Rest der Welt geworden und zu einem Schurkenstaat. Mit seinem Angriff auf die Ukraine fordert Putin den Westen heraus - und gleichzeitig gibt es im Land weit und breit niemanden, der ihm politisch gefährlich werden könnte.
Die amerikanische Politologin Angela Stent fragt, warum sich die Erwartung des Westens nicht erfüllt und Russland sich seit dem Untergang der Sowjetunion nicht zu einer liberalen marktwirtschaftlichen Demokratie entwickelt hat. Und wie stattdessen ein KGB-Agent mittleren Rangs so mächtig werden konnte, so einflussreich und populär, dass sein autokratisches System inzwischen als bedrohliches Gegenmodell zur westlichen Demokratie wahrgenommen wird.
Die Autorin beschäftigt sich als Wissenschaftlerin und Politikberaterin seit Jahrzehnten mit Russland und seinen Außenbeziehungen. Sie beschreibt in diesem Buch, wie Putin sein Land geprägt und verändert hat und wie sich unter ihm Russlands Beziehungen zum Westen, zu den USA, aber auch besonders zu Deutschland dramatisch verschlechtert haben. Auf dem Höhepunkt der von Putin ausgelösten Krisen wagt Stent gleichzeitig den Blick in die Zukunft: auf ein Russland ohne Wladimir Putin.

Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Angela Stent, geboren 1947, ist die Direktorin des Center for Eurasian, Russian and East European Studies und Professor of Government and Foreign Service an der Georgetown University. Im Herbst 2008 war sie Fulbright Scholar am Moscow State Institute of International Relations und Berlin Prize Fellow an der American Academy in Berlin. Von 2004 bis 2006 diente sie als National Intelligence Officer for Russia and Eurasia beim National Intelligence Council. 2000 erschien ihr Buch 'Rivalen des Jahrhunderts. Deutschland und Russland im neuen Europa'.
Rezensionen
So detaillreich wie ausgewogen. Die Welt

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.06.2019

Die Tugend der alten Schule
Eine Analyse Russlands unter Präsident Wladimir Putin mit mehreren blinden Flecken

Angela Stent ist eine Politikwissenschaftlerin der alten Schule - im guten wie im schlechten Sinn. Die gebürtige Britin ist Professorin an der Georgetown University und hat Präsident George W. Bush beraten. In ihrem Buch "Putins Russland" zieht sie die Bilanz ihrer dreißigjährigen Beschäftigung mit Russland. Sie sah die sowjetischen Gerontokraten der frühen achtziger Jahre ins Grab sinken. Sie erlebte die Aufbruchsstimmung unter Gorbatschow. Sie machte die allgemeine Ernüchterung unter Jelzin mit. Sie beobachtete den unaufhaltsamen Aufstieg des Wladimir Putin. Und heute konstatiert sie auf der Weltbühne die Rückkehr eines Russlands, das wie die Sowjetunion behandelt werden will.

Die Tugend der alten Schule liegt darin, dass die internationalen Beziehungen vor dem Hintergrund der Diplomatiegeschichte verstanden werden. In der Tat prägen historische Erfahrungen die Wahrnehmungsmuster der Regierungen stark. Gleichzeitig hat die alte Schule aber auch Nachteile. Wenn Politik vor allem als Beziehungsgeflecht zwischen Staaten, Regierungen und oft sogar nur Führungspersonen aufgefasst wird, treten wichtige Aspekte in den Hintergrund: die Tätigkeit nichtstaatlicher Akteure, die Interessen von Konzernen, die öffentliche Sphäre, das Mediensystem. Angela Stent unterstellt sogar einen direkten Zusammenhang zwischen der persönlichen Zuneigung der Staatslenker und den bilateralen Wirtschaftsbeziehungen. Anekdotisch berichtet sie von einem amerikanischen Staatsbesuch in Moskau im Juli 2009, dass der damalige Premierminister Putin Barack Obama während eines spröden Arbeitstreffens auf einem zu kleinen Stuhl sitzen ließ, während Präsident Medwedew mit ihm ein herzliches Abendessen genoss. Stent hätte ebenso auf Obamas feudales Frühstück mit Putin hinweisen können - allerdings passt diese Episode nicht ihn ihr personalisierendes Narrativ.

Die Stoßrichtung des Buchs wird im englischen Originaltitel besonders deutlich: "Putin's World: Russia Against the West and with the Rest". Präsident Putin erscheint in Stents Konzeption als Verkörperung der russischen Staatsmacht. Wie ein postmoderner Zar steuert er von seinem Thron aus die Geschicke des Landes. Nun trifft es in der Tat zu, dass der russische Präsident eine enorme Machtfülle in seinen Händen ballt. Allerdings tobt hinter der vielbeschworenen "Vertikale der Macht" ein erbitterter Kampf um Einfluss, Ressourcen und Aufstiegschancen. Die staatsnahen Energiekonzerne stehen in harter Konkurrenz zueinander, die Geheimdienste und Ermittlungsbehörden machen sich gegenseitig das Leben schwer, die mächtige Präsidialverwaltung stellt sich gegen die Ministerien.

Dieses Gerangel wird bei Stent zu wenig berücksichtigt. Sie verlässt sich zu oft auf die pathetische Rhetorik Putins, wenn es um die Erklärung des russischen Machtgefüges geht. Damit erhalten aber schwammige Konzepte wie die "russische Idee" oder die "imperiale Vergangenheit" einen irreführenden Stellenwert. Die Begründung der russischen Außenpolitik durch abstrakte Ideen ist in erster Linie eine Legitimationsstrategie des Kremls und taugt kaum als politikwissenschaftliches Analyseinstrument. Auch im Untertitel spiegelt sich Stents vereinfachende Sicht der Dinge. Putin - so suggeriert Stent - will aus den Feinden seiner Feinde Freunde zu machen: Russland stellt sich gegen den "Westen" und versucht den "Rest der Welt" für sich zu vereinnahmen.

Damit greift Stent den ohnehin schon schematischen Ansatz des Historikers Niall Ferguson auf. Allerdings kann man Russland nicht einfach als Gegenmodell zum zivilisatorischen Projekt des Westens beschreiben. Russland ist eine traditionsreiche Kulturnation. Dass der Kreml auf seiner weltpolitischen Souveränität insistiert und die universale Geltung der Menschenrechte in Frage stellt, ist erst eine Entwicklung der vergangenen 15 Jahre. Stents Ansatz birgt die Gefahr, die Weltpolitik zu sehr in starren Oppositionen aufzufassen. Bereits die Kapitelstruktur zeigt, dass Stent in erster Linie die Beziehungen zu den europäischen Institutionen, Deutschland, China, Japan, Iran, Syrien, Israel und den Vereinigten Staaten durchdekliniert. Gerade das russische Militärengagement in Syrien sollte aber nicht einfach als Teil einer neuen Nahost-Politik aufgefasst werden. Auch hier darf man die Verlautbarungen des Kremls nicht als wohlfeile Erklärung akzeptieren. Angela Stent bewegt sich gefährlich nahe an der Moskauer Siegesrhetorik, wenn sie anerkennt, dass sich das russische Engagement in Syrien "ausgezahlt" habe. Es gibt eine Reihe von gewichtigen Nachteilen bei diesem Abenteuer: Der international geächtete Diktator Baschar al-Assad ist kein Wunschpartner, die Kollateralschäden in Aleppo sind enorm, die russische Unterstützung für den Status quo in Syrien beeinträchtigt Moskaus Beziehungen zu Iran und zur Türkei, der Kriegseinsatz stößt bei der russischen Bevölkerung auf starke Ablehnung.

Angela Stents großes Vorbild ist der Historiker und Diplomat George F. Kennan (1904-2005), auf den sie sich wiederholt beruft. Kennan war nach dem Zweiten Weltkrieg der Architekt der amerikanischen Eindämmungspolitik gegenüber der Sowjetunion. Im hohen Alter kritisierte er allerdings im Gegenzug die Nato-Ost-Erweiterung als "schicksalshaften Fehler". Stent warnt wie Kennan vor der expansionistischen Tendenz, die sie in allen Staatsgebilden der russischen Geschichte wirken sieht. Und wie Kennan romantisiert sie die russische Kultur und zitiert sogar den abgegriffenen Vierzeiler des Lyrikers Fjodor Tjutschew, der behauptete, Russland sei mit der Vernunft nicht zu begreifen, an Russland könne man nur glauben. Angela Stent beschwört die schiere territoriale Größe, die sich auf fast jeden Aspekt des russischen Lebens ausgewirkt habe. Sie verortet Russland außerhalb des "Mainstreams der europäischen Zivilisation": Eine russische Renaissance, Reformation oder Aufklärung habe es nie gegeben.

Das ist zumindest eine gewagte These. Der Moskauer Kreml erhielt im 15. Jahrhundert von italienischen Architekten seine heutige Gestalt, die Kirchenkämpfe des 17. Jahrhunderts brachten intensive theologische Diskussionen mit sich, und Immanuel Kant war kurzzeitig russischer Untertan, als Königsberg im Siebenjährigen Krieg von der zaristischen Armee besetzt wurde.

Die Stärke von Angela Stents Überblick liegt darin, dass sie eine Auslegeordnung der russischen Macht- und Wirtschaftsinteressen in den wichtigsten Weltregionen präsentiert. Es gelingt ihr, die politische Dynamik der Ära Putin kompetent zu beschreiben. Sie beendet ihr Buch mit einer treffenden Formulierung: "Russland ist berechenbar, bis es das nicht mehr ist, und der Westen könnte sich in den kommenden Jahren mit unerwarteten Entwicklungen konfrontiert sehen." Ihre Handlungsempfehlung orientiert sich auch hier an George F. Kennan: "Engagieren wir uns in Fragen, die gemeinsame Interessen berühren, und seien wir bereit, den Blick nach vorne zu richten, wenn Russland sein Verhalten mäßigt." Mit diesem Ansatz wendet sie aber einmal mehr ein Deutungsmuster aus dem Kalten Krieg auf das heutige Russland an.

ULRICH SCHMID

Angela Stent: Putins Russland.

Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2019. 576 S., 25,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension

Richard Herzinger liest das Buch der amerikanischen Politikanalystin und Russlandexpertin Angela Stent mit Gewinn. Dem weiten Überblick der Autorin folgend, erfährt Herzinger, wie Russland sich unter Putin zum Gegenspieler des Westens beziehungsweise der USA entwickelte. Die Autorin setzt dem Rezensenten die Säulen von Putins Denken und Walten und seinen neuen russischen Nationalismus auseinander, ohne allerdings sagen zu können, wie es nach der Ära Putin weitergehen könnte. Dass die Autorin dabei immer von einem intakten Westen als politischer und kultureller Gegengröße ausgeht, scheint Herzinger schon angesichts von Putins Infiltrationspolitik fragwürdig.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.03.2020

Die äußere
und die innere Sicht
Angela Stent und Golineh Atai interpretieren
Russlands Politik auf sehr unterschiedliche Weise
VON FRANZISKA DAVIES
Putin, immer wieder Putin. Der Markt für Werke, die sich eine Zeitdiagnose über Russland zur Aufgabe machen, ist offenbar groß. Der Rowohlt Verlag hat voriges Jahr gleich zwei solcher Erklärbücher herausgebracht – mit sehr unterschiedlichen Perspektiven. Angela Stent, amerikanische Politologin und ehemalige Beraterin der US-Regierung, interessiert sich in ihrem fast fünfhundert Seiten starken Werk vor allem für russische Außenpolitik seit dem Ende der Sowjetunion. Sie beginnt mit der Frage nach Traditionen in der heutigen russischen Außenpolitik und bietet ihren Lesern dann einen breit angelegten Überblick über Russlands Beziehungen zu Europa, zur Nato, zur Ukraine, China, Japan, dem Nahen Osten und schließlich den Vereinigten Staaten von Amerika.
Wer nach einem solchen informativen Überblick über Russlands Beziehungen in der Welt sucht, wird in diesem Buch fündig werden. Die Anlage des Buches ist aber zugleich eine Schwäche, denn sie erlaubt es der Autorin kaum, bei wichtigen Fragen ins Detail zu gehen. Aus diesem Grund geht es tatsächlich fast immer um „Putins Russland“; die russische Gesellschaft und ihre Funktionsmechanismen kommen allenfalls in Ansätzen vor. Auf die Frage nach dem Wechselverhältnis zwischen Innen- und Außenpolitik geht Stent nicht ein. Die Konstruktion eines äußeren Feindes – seien es die USA, die Nato oder die Ukraine – erfüllt aber auch eine wichtige innenpolitische Funktion, nämlich die Konsolidierung von Putins Herrschaft. Genauso bleiben die Führungsriegen um Putin und deren Konkurrieren um Macht und Einfluss weitgehend unberührt.
Sehr erfreulich ist dagegen die Ausgewogenheit von Stents Analysen, sie vermeidet einfache Kausalitätsketten oder einseitige Schuldzuweisungen für die Verschlechterung der Beziehung etwa zwischen Russland und Europa. Ein Beispiel dafür ist ihre Analyse der Nato-Osterweiterung, wo sie einerseits darauf verweist, dass russische Befindlichkeiten besonders von Amerika nicht ernst genommen worden seien, andrerseits aber daraus auch nicht die einfache Schlussfolgerung zieht, dass die Beziehungen zwischen Russland und dem „Westen“ jetzt spannungsfrei wären, wenn den Staaten Ostmitteleuropas die Mitgliedschaft in der Nato verweigert worden wäre.
Schwächer ist Stents Kapitel über die „Last der Vergangenheit“, in welchem sie die Kontinuitäten in der russischen Geschichte herauszuarbeiten versucht und außerdem die gewagte Prognose aufstellt, dass sich Russland auch im 21. Jahrhundert nicht verändern werde. Dies gerät teilweise etwas holzschnittartig und führt zu einer fragwürdigen Exotisierung Russlands als eines zum Wandel unfähigen Landes. So attestiert Stent Russland einen stets virulenten „Drang“ zu expandieren und behauptet, dass Russland nie in der Geschichte „Gebietsverluste akzeptiert“ habe. In ihrer Lesart war der Zusammenbruch der Sowjetunion Ergebnis vor allem vom Unabhängigkeitsstreben nicht-russischer Völker. Dabei vergisst sie, dass es nicht nur die nicht-russischen Sowjetrepubliken waren, die sich vom sowjetischen Projekt abwandten. Auch in Russland vollzog sich eine Stärkung der Nation auf Kosten des sowjetischen Imperiums, die zum Ende jenes Imperiums mindestens beitrugen. Gebietsverluste wurden zu bestimmten Zeiten in der Geschichte durchaus akzeptiert. Die Unabhängigkeit etwa Usbekistans war für viele in der russischen Gesellschaft sehr viel einfacher zu akzeptieren als jene der Ukraine. Dies hängt weniger mit einem stetigen Expansionsdrang Russlands zusammen als mit der engen, aber gleichzeitig ausgesprochen konflikthaften Beziehung zwischen russischer und ukrainischer nationaler Idee.
Die Tendenz zur Vereinfachung schlägt sich teilweise auch in Stents Begrifflichkeiten nieder und zwar nicht nur, wenn es um Russland geht. Im Zusammenhang mit dem Nato-Bombardement Serbiens bedient die Autorin zum Beispiel das Bild des Balkans als „Hexenkessel“. Auch wenn es sich hier um eine Übersetzung aus dem Englischen handelt, so liegt doch die Vermutung nahe, dass es auch dem Original zeitweise an analytischer Schärfe fehlt. Dennoch bietet das Buch Lesern und Leserinnen, die auf der Suche nach einem Überblick zur russischen Außenpolitik seit 1990/1991 sind, einen guten Einstieg.
Eine ganz andere Perspektive auf das heutige Russland nimmt Golineh Atai ein. Atai, die für mehrere Jahre Korrespondentin der ARD in Moskau war und zeitweise in Kiew arbeitete, beginnt ihre Darstellung mit den Protesten oft junger Menschen gegen Putins erneuten Griff nach der Präsidentschaft im Jahr 2012. Denn hier, in der russischen Innenpolitik, sieht Atai den Schlüssel für die Entwicklungen der russischen Gesellschaft in den vergangenen Jahren. Putin, der grundsätzlich Proteste gegen korrupte und autokratische Regime als Produkte westlicher Einmischung sieht, begann ein solches Szenario auch für Russland zu fürchten. Um die eigene Herrschaft zu sichern, ging es fortan darum, die unzufriedene Mittelschicht zu „neutralisieren“. Zuvor „ultrakonservative Randfiguren“ wurden in den Staatsmedien und der Politik zunehmend einflussreicher, die von ihnen propagierte Ideologie, eine Mischung aus Orthodoxie, Sowjetnostalgie und einem gegen den Westen gerichteten russischen Neo-Imperialismus, wurde zum Mainstream. Die Porträts dieser Ideologieproduzenten sind eine besondere Stärke dieses dicht geschriebenen Buches.
Im Gegensatz zu Stents Buch werden hier zentrale Akteure der inneren und äußeren Radikalisierung des Putin-Regimes vorgestellt und ihre Netzwerke aufgezeigt. Zu ihnen zählt etwa Konstantin Malofejew, orthodoxer Oligarch, Förderer einer nationalimperialistischen orthodoxen Mission Russlands und eng verbunden mit Igor Girkin, jener Schlüsselfigur des russischen Angriffs auf die Ukraine, der schließlich recht freimütig über die zentrale Rolle russischer Truppen im Donbass plauderte.
Dadurch, dass Atai ihren Fokus auf die innere Wirkung des russischen Neo-Imperialismus legt, fällt ihr Urteil über die Bilanz von Putins Politik auch ganz anders aus als jenes von Stent. Denn Stent macht sich in gewisser Weise den Maßstab der russischen Regierung zu eigen und attestiert Putin letztlich einen erfolgreichen außenpolitischen Kurs, indem es ihm gelungen sei, Russland wieder als global player zu etablieren. Atai aber verweist auf die inneren Kosten dieser Außenpolitik, nämlich die Durchsetzung eines nationalistischen Autoritarismus, die Auswanderungswelle gerade junger und gut ausgebildeter Menschen und ein grundsätzliches Modernisierungsdefizit etwa bei der Infrastruktur und der Energieversorgung.
Was in den offiziellen russischen Diskursen außerdem auf der Strecke bleibt, kündigt Atai schon im Titel ihres Buches an: Die Wahrheit wird zum Feind. Die Konsequenzen beschreibt Atai immer wieder auch aus ihrer persönlichen Perspektive, also aus der Sicht einer Journalistin, für die nicht alles eine Frage der Interpretation ist, sondern die von der Existenz unhintergehbarer Fakten ausgeht. Ratlos sieht sie sich auch in Deutschland teilweise einem Publikum gegenüber, das ihren Berichten über staatliche Gewalt Russlands gegen die eigene Bevölkerung und gegen die Ukraine mit Skepsis oder gar Feindseligkeit begegnet. Atai weiß, dass es absolute Objektivität nicht geben kann, sieht darin aber keinen Grund, nicht mehr danach zu streben. Freilich hat die Lüge, die Mobilisierung von Menschen gegen vermeintliche innere und äußere Feinde nicht nur in Russland Konjunktur. Atai selbst verweist vor diesem Hintergrund auf die Entwicklungen in Donald Trumps Amerika. Deswegen ist der Untertitel des Buches – „Warum Russland so anders ist“ – so unverständlich wie ärgerlich. Worin liegt denn Russlands vermeintliche Andersartigkeit begründet?
Die USA sind ein Beispiel dafür, dass auch westliche Demokratien nicht vor dem Siegeszug des Postfaktischen gefeit sind. Der Unterschied zu Russland ist freilich, dass Amerika zwar eine defizitäre Demokratie, aber dennoch eine Demokratie ist.
Trotzdem hilft es nicht weiter, Russland als grundsätzlich anders zu exotisieren. In diesem Punkt treffen sich dann doch die sonst so unterschiedlichen Bücher von Stent und Atai. Anstatt eine Dichotomie zwischen „uns“ und „Russland“ zu konstruieren, wäre es hilfreicher zwischen denjenigen zu unterscheiden, die unabhängigen Journalismus attackieren und aggressiven Nationalismus propagieren und denjenigen, die nach wie vor kritischen Journalismus für ein hohes Gut halten. Solche Menschen gibt es in Russland genau wie in Deutschland und den USA – mit dem Unterschied, dass sie in Russland mit dem Rücken zur Wand stehen. Warum das so ist, zeigt Atais Buch eindrucksvoll, auch wenn hier die – trotz allem noch existenten – russischen Gegenkulturen etwas zu kurz kommen.
Franziska Davies arbeitet als Osteuropahistorikerin an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählt die Geschichte Russlands im 19. und 20. Jahrhundert.
Ein Problem beider Analysen:
Russland wird der Stempel
des Exotischen aufgedrückt
Russland sei anders als
der Westen. Doch worin liegt
diese Andersartigkeit begründet?
Angela Stent:
Putins Russland.
Aus dem Englischen von Heike Schlatterer, Jens Hagestedt, Thomas
Pfeiffer, Ursula Pesch, Andreas Thomsen und Karsten Petersen.
Rowohlt, Hamburg 2019. 576 Seiten, 25 Euro
Golineh Atai:
Die Wahrheit ist der Feind. Warum Russland
so anders ist.
Rowohlt, Hamburg 2019. 384 Seiten, 18 Euro.
Der Präsident macht sich ein Bild: Wladimir Putin im April 2019 in Sankt Petersburg beim Fernsehen.
Foto: Alexei Druzhinin/AFP
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