Gestützt auf die von ihnen enthüllten vertraulichen "Qatar Papers", belegen die französischen Journalisten Chesnot und Malbrunot, wie der Golfstaat Katar über die NGO "Qatar Charity" in Europa Organisationen mit Nähe zur Muslimbruderschaft fördert. Das Buch, das schon bei seiner Erstveröffentlichung in Frankreich großen Staub aufgewirbelt hat, beleuchtet verstreute Projekte zur Finanzierung von Moscheen, islamischen Schulen und Zentren. Es zeigt außerdem auf, wie Entscheidungsträger aus Unwissenheit oder Wahltaktik den Kopf in den Sand stecken. Wichtig ist den Autoren dabei: "Das ist kein Buch gegen den Islam." Weder bezichtigen sie die Organisationen illegaler Finanzierungen noch jihadistischer Tendenzen. Sie weisen lediglich auf mögliche Gefahren für unsere westlichen Demokratien hin. Neu in dieser deutschen Erstausgabe: ein eigenes Kapitel über Österreich und ein aktualisiertes Deutschland-Kapitel.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Thomas Thiel erfährt aus dem im französischen Original bereits 2019 erschienenen und nun erweiterten Buch von Christian Chesnot und Georges Malbrunot, wie Qatar gezielt die Muslimbrüderschaft und die Ausbreitung eines fundamentalistischen Islams in Europa fördert. Die Autoren verfolgen laut Thiel die Geldströme bis ins Büro des Emirs, zeichnen Verbindungen nach und warnen vor dem Import einer auf Unterwerfung zielenden islamistischen Ideologie, ohne auf eine kulturkämpferische Abrechnung mit dem Islam aus zu sein. Der erweiterte Band bezieht neben den französischen nun auch deutsche Verhältnisse mit ein, informiert Thiel.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.09.2020Des Emirs edle Gaben
Christian Chesnot und Georges Malbrunot über die finanzielle Förderung des Islams in Europa durch Qatar
Der finanzielle Einfluss von Golfstaaten auf den Islam in Europa ist kein Geheimnis, konnte aber bisher kaum konkret nachgewiesen werden. Wenn große Moscheen oder Bildungszentren in Europa gegründet werden, wird immer wieder behauptet, sie seien ausschließlich mit Spenden von Gemeindemitgliedern finanziert worden. Mit dieser Legende räumt das Buch von Christian Chesnot und Georges Malbrunot auf. Die beiden französischen Journalisten wissen bis heute nicht, wer ihnen vor vier Jahren die vertraulichen Dokumente zukommen ließ, die belegen, wie gezielt das Emirat Qatar die Ausbreitung eines fundamentalistischen Islams in Europa fördert. Im Detail listen die Geheimpapiere die Geldströme auf, die von dem Wohltätigkeitsverein Qatar Charity mehr oder weniger im Auftrag der Regierung an insgesamt 138 Moscheen, Schulen und Bildungszentren in Europa flossen. Der eigentliche Skandal sind aber nicht die Geldtransfers, sondern ihr Adressat. Denn das ist den Dokumenten nach in vielen Fällen das Aktionsfeld der Muslimbruderschaft, der Mutterorganisation des politischen Islams.
Das Emirat, in das viele Muslimbrüder nach der Vertreibung aus Ägypten durch Gamal Abdel Nasser und vor einigen Jahren dann durch Abd al Fattah al Sisi flohen, ist heute eine Kommandozentrale der Bruderschaft. Ihr Chefideologe, Yusuf al-Qaradawi, propagiert von Qatar aus die Errichtung von islamischen Gottesstaaten auf europäischem Boden. Anders als viele Salafisten haben es die Muslimbrüder aber nicht auf gewaltsamen Umsturz abgesehen. Sie verfolgen eine legalistische Strategie, die sich geschickt den Umständen anpasst, aber ihr langfristiges Ziel nicht aus den Augen verliert: die Überordnung des Islams über alle weltlichen Angelegenheiten in Europa.
Das Werkzeug dieser legalistischen Variante des Islamismus ist die Bildung. Die Bruderschaft hat zu diesem Zweck in Europa ein dichtes Netz von Institutionen aufgebaut, die nach außen jede Verbindung zur Bruderschaft abstreiten. Das Europäische Institut für Geisteswissenschaften, das neben seinem Hauptsitz bei Paris eine Zweigstelle in Frankfurt am Main unterhält, wurde ebenso auf die Initiative al-Qaradawis gegründet wie der europäische Fatwa-Rat in Dublin und Rüsselsheim, der Verhaltensempfehlungen für Muslime in Europa gibt. Auch hier ist der Skandal nicht die Existenz der Institution, sondern die Tatsache, dass Vertreter eines fundamentalistischen Islams aus dem Ausland Gläubigen Anweisungen geben, die jene ihrer Umgebung nur entfremden können. Nicht weniger bedenklich ist, dass ein al-Qaradawi, der das NS-Regime ebenso wie Terroranschläge auf Israel verherrlicht, Einfluss auf Lehrpläne in Europa nimmt.
Die Dokumente von Chesnot und Malbrunot belegen die oft mit komplizierten Finanzkonstrukten verschleierten Geldströme zwischen Qatar Charity und der Muslimbruderschaft und zeichnen dabei eine Verbindung nach, die sich bis in die höchste staatliche Ebene erstreckt. Die Zuwendungen lassen sich bis ins Büro des Emirs zurückverfolgen. Anders als von ihr selbst behauptet, dient die Wohltätigkeitsorganisation klar den ideologischen Zielen des Emirats. Für die Missionierung Europas hat die Organisation eine eigene Abteilung eingerichtet. Geleitet wird sie von Scheich al-Hammadi, den der französische Geheimdienst als engen Vertrauten al-Qaradawis bezeichnet.
Es geht den Autoren nicht um eine Abrechnung mit dem Islam und einen Kulturkampf gegen muslimische Gotteshäuser. Muslime, schreiben sie, "haben ein Recht auf angemessene Gebetsräume". Ihre Warnung gilt einem fundamentalistischen Import-Islam, der nicht auf friedliche Koexistenz, sondern Eroberung und Unterwerfung abzielt. Emmanuel Macron hat Anfang dieses Jahres erklärt, dass ein solcher Islam keinen Platz in Frankreich habe. Bei ihren Recherchen treffen die Autoren aber immer wieder auf Bürgermeister, die sich von den staatlichen Behörden alleingelassen fühlen und sich aus Ahnungslosigkeit oder Mangel an Alternativen auf die Muslimbruderschaft einlassen. Das ist auf den ersten Blick sogar verständlich. Die Muslimbrüder sind gebildete und eloquente Ansprechpartner. Andererseits nehmen sie es mit der Wahrheit nicht so genau. Anhand der Dokumente werden sie von den Autoren ein ums andere Mal der Lüge überführt.
Als das Buch 2019 in Frankreich erschien, wurde es schnell zum Politikum und nahm Einfluss auf politische Entscheidungen. Die nun erschienene deutsche Ausgabe weitet die Analyse auf andere europäische Staaten aus, auch auf Deutschland Auch hierzulande hat die Muslimbruderschaft ein Netzwerk aufgebaut, das von Qatar finanziell unterstützt wird. In das Islamische Zentrum Berlin flossen mehr als vier Millionen Euro aus dem Emirat. Ein hilfreicher Partner der Bruderschaft sind auch deutsche Ministerien und Stiftungen, die deren Institutionen großzügig mit Fördergeldern bedenken. Bei der im Aktionsfeld der Bruderschaft angesiedelten Wohltätigkeitsorganisation Islamic Relief Deutschland hat beispielsweise kürzlich der Vorstandsvorsitzende auf öffentlichen Druck hin seinen Rückzug angekündigt, nachdem er öffentlich die Qassem-Brigaden der Hamas verherrlicht hatte. Ein weiteres Vorstandsmitglied, das Juden "Enkelkinder von Affen und Schweinen" nannte, ist bereits zurückgetreten, nachdem die "Times" darüber berichtet hatte. Bis vor kurzen war die Organisation noch vom Bundesaußenministerium gefördert worden.
Bei seinem letzten Deutschland-Besuch hat der Emir von Qatar weitere wirtschaftliche Investitionen in Milliardenhöhe angekündigt, als Dank für die Unterstützung im Streit mit Saudi-Arabien. Ganz zweckfrei wird die Gabe nicht sein.
THOMAS THIEL
Christian Chesnot und Georges Malbrunot: "Qatar Papers". So beeinflusst der Golfstaat den Islam in Europa.
Seifert Verlag, Wien 2020. 300 S., br., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Christian Chesnot und Georges Malbrunot über die finanzielle Förderung des Islams in Europa durch Qatar
Der finanzielle Einfluss von Golfstaaten auf den Islam in Europa ist kein Geheimnis, konnte aber bisher kaum konkret nachgewiesen werden. Wenn große Moscheen oder Bildungszentren in Europa gegründet werden, wird immer wieder behauptet, sie seien ausschließlich mit Spenden von Gemeindemitgliedern finanziert worden. Mit dieser Legende räumt das Buch von Christian Chesnot und Georges Malbrunot auf. Die beiden französischen Journalisten wissen bis heute nicht, wer ihnen vor vier Jahren die vertraulichen Dokumente zukommen ließ, die belegen, wie gezielt das Emirat Qatar die Ausbreitung eines fundamentalistischen Islams in Europa fördert. Im Detail listen die Geheimpapiere die Geldströme auf, die von dem Wohltätigkeitsverein Qatar Charity mehr oder weniger im Auftrag der Regierung an insgesamt 138 Moscheen, Schulen und Bildungszentren in Europa flossen. Der eigentliche Skandal sind aber nicht die Geldtransfers, sondern ihr Adressat. Denn das ist den Dokumenten nach in vielen Fällen das Aktionsfeld der Muslimbruderschaft, der Mutterorganisation des politischen Islams.
Das Emirat, in das viele Muslimbrüder nach der Vertreibung aus Ägypten durch Gamal Abdel Nasser und vor einigen Jahren dann durch Abd al Fattah al Sisi flohen, ist heute eine Kommandozentrale der Bruderschaft. Ihr Chefideologe, Yusuf al-Qaradawi, propagiert von Qatar aus die Errichtung von islamischen Gottesstaaten auf europäischem Boden. Anders als viele Salafisten haben es die Muslimbrüder aber nicht auf gewaltsamen Umsturz abgesehen. Sie verfolgen eine legalistische Strategie, die sich geschickt den Umständen anpasst, aber ihr langfristiges Ziel nicht aus den Augen verliert: die Überordnung des Islams über alle weltlichen Angelegenheiten in Europa.
Das Werkzeug dieser legalistischen Variante des Islamismus ist die Bildung. Die Bruderschaft hat zu diesem Zweck in Europa ein dichtes Netz von Institutionen aufgebaut, die nach außen jede Verbindung zur Bruderschaft abstreiten. Das Europäische Institut für Geisteswissenschaften, das neben seinem Hauptsitz bei Paris eine Zweigstelle in Frankfurt am Main unterhält, wurde ebenso auf die Initiative al-Qaradawis gegründet wie der europäische Fatwa-Rat in Dublin und Rüsselsheim, der Verhaltensempfehlungen für Muslime in Europa gibt. Auch hier ist der Skandal nicht die Existenz der Institution, sondern die Tatsache, dass Vertreter eines fundamentalistischen Islams aus dem Ausland Gläubigen Anweisungen geben, die jene ihrer Umgebung nur entfremden können. Nicht weniger bedenklich ist, dass ein al-Qaradawi, der das NS-Regime ebenso wie Terroranschläge auf Israel verherrlicht, Einfluss auf Lehrpläne in Europa nimmt.
Die Dokumente von Chesnot und Malbrunot belegen die oft mit komplizierten Finanzkonstrukten verschleierten Geldströme zwischen Qatar Charity und der Muslimbruderschaft und zeichnen dabei eine Verbindung nach, die sich bis in die höchste staatliche Ebene erstreckt. Die Zuwendungen lassen sich bis ins Büro des Emirs zurückverfolgen. Anders als von ihr selbst behauptet, dient die Wohltätigkeitsorganisation klar den ideologischen Zielen des Emirats. Für die Missionierung Europas hat die Organisation eine eigene Abteilung eingerichtet. Geleitet wird sie von Scheich al-Hammadi, den der französische Geheimdienst als engen Vertrauten al-Qaradawis bezeichnet.
Es geht den Autoren nicht um eine Abrechnung mit dem Islam und einen Kulturkampf gegen muslimische Gotteshäuser. Muslime, schreiben sie, "haben ein Recht auf angemessene Gebetsräume". Ihre Warnung gilt einem fundamentalistischen Import-Islam, der nicht auf friedliche Koexistenz, sondern Eroberung und Unterwerfung abzielt. Emmanuel Macron hat Anfang dieses Jahres erklärt, dass ein solcher Islam keinen Platz in Frankreich habe. Bei ihren Recherchen treffen die Autoren aber immer wieder auf Bürgermeister, die sich von den staatlichen Behörden alleingelassen fühlen und sich aus Ahnungslosigkeit oder Mangel an Alternativen auf die Muslimbruderschaft einlassen. Das ist auf den ersten Blick sogar verständlich. Die Muslimbrüder sind gebildete und eloquente Ansprechpartner. Andererseits nehmen sie es mit der Wahrheit nicht so genau. Anhand der Dokumente werden sie von den Autoren ein ums andere Mal der Lüge überführt.
Als das Buch 2019 in Frankreich erschien, wurde es schnell zum Politikum und nahm Einfluss auf politische Entscheidungen. Die nun erschienene deutsche Ausgabe weitet die Analyse auf andere europäische Staaten aus, auch auf Deutschland Auch hierzulande hat die Muslimbruderschaft ein Netzwerk aufgebaut, das von Qatar finanziell unterstützt wird. In das Islamische Zentrum Berlin flossen mehr als vier Millionen Euro aus dem Emirat. Ein hilfreicher Partner der Bruderschaft sind auch deutsche Ministerien und Stiftungen, die deren Institutionen großzügig mit Fördergeldern bedenken. Bei der im Aktionsfeld der Bruderschaft angesiedelten Wohltätigkeitsorganisation Islamic Relief Deutschland hat beispielsweise kürzlich der Vorstandsvorsitzende auf öffentlichen Druck hin seinen Rückzug angekündigt, nachdem er öffentlich die Qassem-Brigaden der Hamas verherrlicht hatte. Ein weiteres Vorstandsmitglied, das Juden "Enkelkinder von Affen und Schweinen" nannte, ist bereits zurückgetreten, nachdem die "Times" darüber berichtet hatte. Bis vor kurzen war die Organisation noch vom Bundesaußenministerium gefördert worden.
Bei seinem letzten Deutschland-Besuch hat der Emir von Qatar weitere wirtschaftliche Investitionen in Milliardenhöhe angekündigt, als Dank für die Unterstützung im Streit mit Saudi-Arabien. Ganz zweckfrei wird die Gabe nicht sein.
THOMAS THIEL
Christian Chesnot und Georges Malbrunot: "Qatar Papers". So beeinflusst der Golfstaat den Islam in Europa.
Seifert Verlag, Wien 2020. 300 S., br., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main