Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.06.2007Geadelt ist der Vers durch knappe Strenge
Sprachkürze gibt Denkweite: Eugen Gomringers Gedichte
Von Michael Lentz
Zwei Männer begegnen einander immer wieder an einer Tramhaltestelle in Zürich. Wortlos empfinden sie Sympathie füreinander. Eines Tages bricht einer von beiden dann doch das Schweigen. Ihn sprächen des Öfteren fremde Leute an, die bekundeten, er sähe ihrem Großvater ähnlich. Das sei rührend, fänden die Leute, dass er auf die Tram warte und ihrem Großvater ähnlich sehe. Dass sie in ihm nicht den Schriftsteller oder gar Nobelpreisträger erkannten, fand er wohl selbst rührend. Der "Großvater" war Elias Canetti, der andere der beiden Männer Eugen Gomringer, der die Anekdote in seinem Buch "Kommandier(t) die Poesie!" erzählt. Jawohl, dieses Buch, das "biografische Berichte" von und über Gomringer enthält, zeigt den internationalen Galionsdichter der Konkreten Poesie als Erzähler. Fesselnd und anrührend ist das, man lese das Kapitel ",'s Negerli chunt!' Einzug in Europa".
Eugen Gomringer wurde 1925 in Cachuela Esperanza, einer kleinen bolivianischen Urwaldstation, als Sohn einer Bolivianerin indianisch-spanischer Herkunft und eines Schweizers geboren. Was er zu erzählen hat, sind "Fragmente der Erinnerung an ein armes, reiches Bolivien und der Wirklichkeit der Schweizer Jahre und der nun sehr vertraut gewordenen deutschen Umgebung" (seit mehr als dreißig Jahren wohnt der Dichter in Deutschland).
Der Leser begegnet Max Frisch, Helmut Heißenbüttel, Hermann Hesse, Walter Gropius und Salvador Dalí; er erfährt etwas über den Schweizer Werkbund, dessen Geschäftsführer Gomringer war, über sein Engagement als Kulturbeauftragter bei dem damals noch kaum bekannten Porzellanfabrikanten Philip Rosenthal oder über seine Zeit als Sekretär bei Max Bill, dem Mitbegründer der Hochschule für Gestaltung Ulm.
Unvermutete Querverbindungen der Literatur- und Kunstgeschichte tun sich auf, der Sperrbezirk sich nach gängiger Meinung ausschließender ästhetischer Konzepte wird osmotisch durchbrochen. So etwa in "quadrate aller länder", dem "band IV der gesamtausgabe". Die "märchen", "texte", "gedichte" und "wurlitzer verse" des mehrfarbig gestalteten Bandes dokumentieren, dass die andere, die konventionellere Dichtung in der Konkreten beziehungsweise intermedialen Poesie enthalten sein kann, zumindest aber mitgedacht ist - und umgekehrt, ganz nach einer Zeile aus den "wurlitzer versen": "was einmal war, ist längst gedicht." Auch wer den Dichter zu kennen meint - seine "märchen" und "texte" sind eine wahre Überraschung, ein wunderschönes "wurzelwerk".
Hier ist jemand, der von Anfang an Sehen, Sprechen, Anordnen, Begreifen als eine Tateinheit verstanden hat, und zwar von Kunst und Leben. Einer auch, dessen Credo es immer war, dass es nicht vieler Umstände bedarf, dass es ruhig etwas weniger sein kann; nur dieses wenige zu finden ist halt so ungeheuer schwer. In diesem Sinne des Auffindens ist Eugen Gomringer sicher einer der wichtigsten Erfinder der Dichtkunst. Von der Konkreten Poesie über die Konstellation zu Dialog und Märchen, zu Dreieck, Kreis und Quadrat und wieder zurück: So könnte die programmatische Ausrichtung und Bewegung seiner so ungemein präzisen, fasslichen und nicht zu korrumpierenden Poesie beschrieben werden. Ihr Taktgeber ist oft die bildende Kunst, die ja schon länger das Wort als Gestalt und Plastik erschlossen hat und Gomringer Formen und Formationen sehen ließ von geradezu zarter Reduktion und stabiler Instabilität, die es immer noch in die Literatur hinüberzuretten gilt.
Wie es zu dem doch merkwürdig anmutenden Kommandiertitel des Buches kam, erzählt der Dichter auch. Als junger Grenadierleutnant, zu dessen Aufgaben das Entschärfen von Blindgängern gehörte, fühlte er sich hin- und hergerissen zwischen seinen Dienstpflichten und dem Schreiben. Also fragte er seinen General, was in diesem Falle zu tun sei. Der antwortete mit Goethe: "So kommandiert die Poesie." Das hat Eugen Gomringer fortan getan, im Geiste eines Aphorismus von Jean Paul: "Sprachkürze gibt Denkweite." Wie heißt es so bündig in den "wurlitzer versen": "es adelt ihn die knappe strenge."
Das dichterische Werk Eugen Gomringers gehört neu entdeckt. Es ist ein "wurzelwerk" der deutschsprachigen Poesie nach 1945 und eines ihrer Fundamente. Es ist jung geblieben. Erkläre mal einer, warum dieser große Brückenbauer bis heute keinen einzigen Literaturpreis bekommen hat!
- Eugen Gomringer: "Kommandier(t) die Poesie". Biografische Berichte. Edition Signathur, Dozwil 2006. 167 S., br., 14,80 [Euro].
- Eugen Gomringer: "Quadrate aller Länder". Band IV der Gesamtausgabe. Edition Splitter, Wien 2006. 96 S., br., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sprachkürze gibt Denkweite: Eugen Gomringers Gedichte
Von Michael Lentz
Zwei Männer begegnen einander immer wieder an einer Tramhaltestelle in Zürich. Wortlos empfinden sie Sympathie füreinander. Eines Tages bricht einer von beiden dann doch das Schweigen. Ihn sprächen des Öfteren fremde Leute an, die bekundeten, er sähe ihrem Großvater ähnlich. Das sei rührend, fänden die Leute, dass er auf die Tram warte und ihrem Großvater ähnlich sehe. Dass sie in ihm nicht den Schriftsteller oder gar Nobelpreisträger erkannten, fand er wohl selbst rührend. Der "Großvater" war Elias Canetti, der andere der beiden Männer Eugen Gomringer, der die Anekdote in seinem Buch "Kommandier(t) die Poesie!" erzählt. Jawohl, dieses Buch, das "biografische Berichte" von und über Gomringer enthält, zeigt den internationalen Galionsdichter der Konkreten Poesie als Erzähler. Fesselnd und anrührend ist das, man lese das Kapitel ",'s Negerli chunt!' Einzug in Europa".
Eugen Gomringer wurde 1925 in Cachuela Esperanza, einer kleinen bolivianischen Urwaldstation, als Sohn einer Bolivianerin indianisch-spanischer Herkunft und eines Schweizers geboren. Was er zu erzählen hat, sind "Fragmente der Erinnerung an ein armes, reiches Bolivien und der Wirklichkeit der Schweizer Jahre und der nun sehr vertraut gewordenen deutschen Umgebung" (seit mehr als dreißig Jahren wohnt der Dichter in Deutschland).
Der Leser begegnet Max Frisch, Helmut Heißenbüttel, Hermann Hesse, Walter Gropius und Salvador Dalí; er erfährt etwas über den Schweizer Werkbund, dessen Geschäftsführer Gomringer war, über sein Engagement als Kulturbeauftragter bei dem damals noch kaum bekannten Porzellanfabrikanten Philip Rosenthal oder über seine Zeit als Sekretär bei Max Bill, dem Mitbegründer der Hochschule für Gestaltung Ulm.
Unvermutete Querverbindungen der Literatur- und Kunstgeschichte tun sich auf, der Sperrbezirk sich nach gängiger Meinung ausschließender ästhetischer Konzepte wird osmotisch durchbrochen. So etwa in "quadrate aller länder", dem "band IV der gesamtausgabe". Die "märchen", "texte", "gedichte" und "wurlitzer verse" des mehrfarbig gestalteten Bandes dokumentieren, dass die andere, die konventionellere Dichtung in der Konkreten beziehungsweise intermedialen Poesie enthalten sein kann, zumindest aber mitgedacht ist - und umgekehrt, ganz nach einer Zeile aus den "wurlitzer versen": "was einmal war, ist längst gedicht." Auch wer den Dichter zu kennen meint - seine "märchen" und "texte" sind eine wahre Überraschung, ein wunderschönes "wurzelwerk".
Hier ist jemand, der von Anfang an Sehen, Sprechen, Anordnen, Begreifen als eine Tateinheit verstanden hat, und zwar von Kunst und Leben. Einer auch, dessen Credo es immer war, dass es nicht vieler Umstände bedarf, dass es ruhig etwas weniger sein kann; nur dieses wenige zu finden ist halt so ungeheuer schwer. In diesem Sinne des Auffindens ist Eugen Gomringer sicher einer der wichtigsten Erfinder der Dichtkunst. Von der Konkreten Poesie über die Konstellation zu Dialog und Märchen, zu Dreieck, Kreis und Quadrat und wieder zurück: So könnte die programmatische Ausrichtung und Bewegung seiner so ungemein präzisen, fasslichen und nicht zu korrumpierenden Poesie beschrieben werden. Ihr Taktgeber ist oft die bildende Kunst, die ja schon länger das Wort als Gestalt und Plastik erschlossen hat und Gomringer Formen und Formationen sehen ließ von geradezu zarter Reduktion und stabiler Instabilität, die es immer noch in die Literatur hinüberzuretten gilt.
Wie es zu dem doch merkwürdig anmutenden Kommandiertitel des Buches kam, erzählt der Dichter auch. Als junger Grenadierleutnant, zu dessen Aufgaben das Entschärfen von Blindgängern gehörte, fühlte er sich hin- und hergerissen zwischen seinen Dienstpflichten und dem Schreiben. Also fragte er seinen General, was in diesem Falle zu tun sei. Der antwortete mit Goethe: "So kommandiert die Poesie." Das hat Eugen Gomringer fortan getan, im Geiste eines Aphorismus von Jean Paul: "Sprachkürze gibt Denkweite." Wie heißt es so bündig in den "wurlitzer versen": "es adelt ihn die knappe strenge."
Das dichterische Werk Eugen Gomringers gehört neu entdeckt. Es ist ein "wurzelwerk" der deutschsprachigen Poesie nach 1945 und eines ihrer Fundamente. Es ist jung geblieben. Erkläre mal einer, warum dieser große Brückenbauer bis heute keinen einzigen Literaturpreis bekommen hat!
- Eugen Gomringer: "Kommandier(t) die Poesie". Biografische Berichte. Edition Signathur, Dozwil 2006. 167 S., br., 14,80 [Euro].
- Eugen Gomringer: "Quadrate aller Länder". Band IV der Gesamtausgabe. Edition Splitter, Wien 2006. 96 S., br., 24,- [Euro].
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"Anselm Glück schafft es, mit rastlose lethargie eine Verbindung zwischen seinen Zeichnungen und Texten herzustellen. Obwohl manchmal der Text einen eigenen Weg einschlägt und die Zeichnungen sich nur atmosphärisch als zugehörig entpuppen. Als bildender Künstler hat er es ja inzwischen geschafft, d.h. er lebt von seiner Malerei inzwischen ganz gut, was aber gleichzeitig beinhaltet, dass er vom Schreiben allein nicht leben könnte. Was dem Rezensenten wirklich nicht neu vorkommt." (Zeitschrift Bücherschau)