Als Max Planck im Jahr 1900 seine revolutionäre Quantentheorie vorstellte, war dies die Geburtsstunde der modernen Physik. Die ebenso faszinierende wie irritierende Welt der kleinsten Teilchen, deren Verhalten nach den Regeln der klas sischen Physik geradezu bizarr anmutete, sollte in den folgenden Jahrzehnten zum Gegenstand einer der kontroversesten intellektuellen Debatten des 20. Jahrhunderts werden. Eindrücklich beschreibt Kumar die daran beteiligten Forscher, die zugleich das Goldene Zeitalter der Physik verkörperten: Planck, Einstein, Bohr, de Broglie, Pauli, Heisenberg, Schrödinger und Dirac. Quanten erzählt eine überaus menschliche Geschichte von Freundschaft und Rivalität, von genialen Ideen und fatalen Fehlern. Im Zentrum des Buches steht dabei die jahrzehntelange Auseinandersetzung zwischen dem dänischen Physiker Niels Bohr und Albert Einstein, die 1927 in aller Heftigkeit entbrannte. Ihr Streit drehte sich um die Frage, was die Quantentheorie letztlich bedeutete: Während Bohr davon ausging, dass sich die Teilchenphysik durch eine fundamentale Unbestimmtheit auszeichnet, dass darin also Zufall und Wahrscheinlichkeiten wirken, beharrte Einstein darauf, dass auch dort sehr wohl weiterhin Präzision, Vernunft und Kausalitäten herrschen - dass Gott eben gerade nicht "würfelt". Es ist eine bis heute andauernde Debatte über die Berechenbarkeit und Gesetzmäßigkeit der Dinge, die mit ihren Fragen und Zweifeln an den Grundfesten unseres Wissenschafts- und Weltverständnisses rüttelt. Manjit Kumar legt mit Quanten ein herausragendes Stück Wissenschafts - geschichte vor, spannend und anschaulich erzählt und nicht weniger als ein intellektuelles Vergnügen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.2009Schwierigkeiten mit der Quantenwelt
Es war eine denkbar grundsätzliche Debatte, aus der in den zwanziger Jahren die moderne Physik hervorging: Manjit Kumar stellt sie eingängig dar und holt dabei Einstein aus seinem Winkel.
Brüssel, Oktober 1927: Gruppenbild mit Einstein. Der Ausnahmeforscher, seine Rolle akzeptierend, in vorderster Reihe in der Mitte, um ihn herum Max Planck, Erwin Schrödinger, Niels Bohr, Paul Dirac, Werner Heisenberg, schon ausgezeichnete und anstehende Nobelpreisträger, Altmeister und junge Wilde. Sie alle diskutieren in Brüssel über die Deutung der Quantenmechanik.
Manjit Kumar hat aus dem Gruppenfoto eine Gruppenbiographie gemacht. Sein Buch beginnt mit den Porträts derer, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts den atomaren Mikrokosmos erforschen. Kumar leuchtet ihre Arbeitszimmer und Labore aus, schildert die Mühen ihres sorgfältigen Messens und die Widrigkeiten mathematischer Beschreibungsversuche. Er führt nach Berlin und Zürich, Manchester und Kopenhagen, wo die Existenz von Atomen experimentell bestätigt wird, wo Wissenschaftler über die Wechselwirkung der Atome mit radioaktiver Strahlung und mit Licht rätseln. Der Abschied von der klassischen Physik vollzieht sich parallel an mehreren Orten und in kleinen Etappen: in Quantensprüngen.
Kumar bereitet das faszinierende Gipfeltreffen gründlich vor, beginnend mit Max Planck, jenem theoretischen Physiker, der als Professor in Berlin in Kontakt mit Experimentalphysikern kommt, die neue Techniken zur elektrischen Beleuchtung der Städte entwickeln. Gaslaternen und Glühbirnen konkurrieren zur Jahrhundertwende miteinander, man sucht nach einer idealen Lichtquelle.
In einem "Akt der Verzweiflung" ringt sich Planck im Dezember 1900 zu einer Erklärung für das bis dahin unverstandene Verhalten von Lichtstrahlen in einem Hohlraum durch. Das Licht, so Planck, wird von den Wänden eines solchen Hohlraums in Energiepaketen abgestrahlt, die wir heute als Quanten bezeichnen. Die jeweilige Energie ist festgelegt durch die Frequenz des Lichts und durch eine dem Betrag nach winzige Naturkonstante, das Planksche Wirkungsquantum.
Eine Entdeckung zu machen und sie vollständig zu verstehen ist allerdings nicht dasselbe. Was immer sich hinter dem seltsamen Energieaustausch zwischen Strahlung und Materie verbirgt - Planck schreckt davor zurück, weitergehende Schlüsse zu ziehen. Die Annahme, dass das Licht selbst aus Teilchen bestehen könnte, ist ihm nicht geheuer, denn die Belege für die Wellennatur des Lichts sind überwältigend.
Dann tritt der bis dahin unbekannte Albert Einstein mit seiner Lichtquantenhypothese an die Öffentlichkeit. Schon bei der ersten Begegnung mit Planck spricht Einstein davon, dass sich Licht mal als Welle und mal als Teilchen zeigt. Er drückt auch sein Unbehagen darüber aus, welche Rolle der Zufall in dieser neuen Physik spielt. Ausgerechnet Planck nimmt ihn noch Jahre später mit den Worten in Schutz: "Dass er in seinen Spekulationen gelegentlich auch einmal über das Ziel hinausgeschossen haben mag, wie zum Beispiel in seiner Hypothese der Lichtquanten, wird man ihm nicht allzu schwer anrechnen dürfen."
Kumar macht deutlich, warum es so lange dauerte, ehe Einsteins These Anerkennung fand. Sein Buch ist eine facettenreiche Geschichte über herausragende Wissenschaftler und das mehr oder weniger fruchtbare Zusammenspiel ihrer Forschungsmethoden und Ideen. Es geht um Freundschaften und Konkurrenzdenken, um eine Kommunikation, die immer wieder an ihre Grenzen stößt, wo Erkenntnisse nicht mehr in bestehende Wissenssysteme integriert werden können, wo sich plötzlich vielfältige Ansatzpunkte für neue Theorien zeigen.
Einstein selbst tat sich bekanntermaßen schwer damit, die Quantenphänomene mit den Vorstellungen der klassischen Physik zu verbinden. Denn Objekte im Mikrokosmos verhalten sich anders. "Es war", so Einstein, "wie wenn einem der Boden unter den Füßen weggezogen worden wäre, ohne dass sich irgendwo fester Grund zeigte, auf dem man hätte bauen können."
Umsichtig und in gut verständlicher Sprache führt Kumar den Leser durch das anfängliche Quantenchaos, durch ein Gebirge sich auftürmender Fragen, die nicht nur Planck an den Rand der Verzweiflung brachten. "Wenn es doch bei dieser verdammten Quantenspringerei bleiben sollte, so bedaure ich, mich überhaupt jemals mit der Quantentheorie abgegeben zu haben", meinte Erwin Schrödinger. Sollte man Licht nun als Welle oder Teilchen betrachten?
Der Däne Niels Bohr suchte den Ausweg im Konzept der Komplementarität: Es ist nicht möglich, gleichzeitig den Wellen- und Teilchencharakter zu studieren, zum Beispiel eine Überlagerung zweier Lichtwellen auf einem Schirm zu messen, während man im selben Experiment den Weg der einzelnen Lichtteilchen verfolgen möchte. Eine physikalische Apparatur, mit der sich die Bahn eines Teilchens registrieren lässt, zerstört unweigerlich das Interferenzmuster. In ähnlicher Weise lassen sich, wie in der Heisenbergschen Unschärferelation zum Ausdruck gebracht wird, Ort und Impuls eines Teilchens nicht gleichzeitig genau messen. Bohr zufolge sind solche physikalischen Größen und Begriffe zueinander komplementär, mehr noch: Es gebe gar keine Quantenwelt, sondern nur die abstrakte quantenmechanische Beschreibung. Die Quantenphysik sei keine Wissenschaft über die Natur, sondern eine Wissenschaft der Aussagen über die Natur.
Die große Entdeckungsgeschichte vom ganz Kleinen erreicht ihren Höhepunkt 1927. Einstein reist nach Brüssel und trifft dort auf Bohr, Heisenberg & Co. Nachdem er einigen Vorträgen schweigend zugehört hat, konfrontiert er Bohr mit Gedankenexperimenten und vermeintlichen Widersprüchen, denn er glaubt nicht an dessen Interpretation, sondern an eine Wirklichkeit, die es "dort draußen" unabhängig vom Beobachter gibt.
Kumar lässt Einstein nicht im Abseits stehen, in das sich der Forscher mehr und mehr hineinmanövrierte. Er spannt den Bogen weiter: Einsteins Einwände haben immerhin den Weg zu neuen Experimenten und damit auch zur heutigen Quantentechnologie gewiesen. Im diesem Sinn kann man das Buch auch als eine Rehabilitation Einsteins verstehen, der oft für seinen Altersstarrsinn angegriffen worden ist. Etwas befremdlich wirkt in diesem Zusammenhang nur Kumars Verweis auf Spekulationen über Paralleluniversen, die sich als Alternative zu Bohrs Interpretation gegenwärtig einer gewissen Beliebtheit erfreuen. Doch gerade Einstein hätte sich wohl kaum damit angefreundet, ganze Welten zu erfinden, für die es keine Notwendigkeit gibt.
THOMAS DE PADOVA
Manjit Kumar: "Quanten". Einstein, Bohr und die große Debatte über das Wesen der Wirklichkeit. Berlin Verlag, Berlin 2009. 540 S., geb., 28,- [Euro].
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Es war eine denkbar grundsätzliche Debatte, aus der in den zwanziger Jahren die moderne Physik hervorging: Manjit Kumar stellt sie eingängig dar und holt dabei Einstein aus seinem Winkel.
Brüssel, Oktober 1927: Gruppenbild mit Einstein. Der Ausnahmeforscher, seine Rolle akzeptierend, in vorderster Reihe in der Mitte, um ihn herum Max Planck, Erwin Schrödinger, Niels Bohr, Paul Dirac, Werner Heisenberg, schon ausgezeichnete und anstehende Nobelpreisträger, Altmeister und junge Wilde. Sie alle diskutieren in Brüssel über die Deutung der Quantenmechanik.
Manjit Kumar hat aus dem Gruppenfoto eine Gruppenbiographie gemacht. Sein Buch beginnt mit den Porträts derer, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts den atomaren Mikrokosmos erforschen. Kumar leuchtet ihre Arbeitszimmer und Labore aus, schildert die Mühen ihres sorgfältigen Messens und die Widrigkeiten mathematischer Beschreibungsversuche. Er führt nach Berlin und Zürich, Manchester und Kopenhagen, wo die Existenz von Atomen experimentell bestätigt wird, wo Wissenschaftler über die Wechselwirkung der Atome mit radioaktiver Strahlung und mit Licht rätseln. Der Abschied von der klassischen Physik vollzieht sich parallel an mehreren Orten und in kleinen Etappen: in Quantensprüngen.
Kumar bereitet das faszinierende Gipfeltreffen gründlich vor, beginnend mit Max Planck, jenem theoretischen Physiker, der als Professor in Berlin in Kontakt mit Experimentalphysikern kommt, die neue Techniken zur elektrischen Beleuchtung der Städte entwickeln. Gaslaternen und Glühbirnen konkurrieren zur Jahrhundertwende miteinander, man sucht nach einer idealen Lichtquelle.
In einem "Akt der Verzweiflung" ringt sich Planck im Dezember 1900 zu einer Erklärung für das bis dahin unverstandene Verhalten von Lichtstrahlen in einem Hohlraum durch. Das Licht, so Planck, wird von den Wänden eines solchen Hohlraums in Energiepaketen abgestrahlt, die wir heute als Quanten bezeichnen. Die jeweilige Energie ist festgelegt durch die Frequenz des Lichts und durch eine dem Betrag nach winzige Naturkonstante, das Planksche Wirkungsquantum.
Eine Entdeckung zu machen und sie vollständig zu verstehen ist allerdings nicht dasselbe. Was immer sich hinter dem seltsamen Energieaustausch zwischen Strahlung und Materie verbirgt - Planck schreckt davor zurück, weitergehende Schlüsse zu ziehen. Die Annahme, dass das Licht selbst aus Teilchen bestehen könnte, ist ihm nicht geheuer, denn die Belege für die Wellennatur des Lichts sind überwältigend.
Dann tritt der bis dahin unbekannte Albert Einstein mit seiner Lichtquantenhypothese an die Öffentlichkeit. Schon bei der ersten Begegnung mit Planck spricht Einstein davon, dass sich Licht mal als Welle und mal als Teilchen zeigt. Er drückt auch sein Unbehagen darüber aus, welche Rolle der Zufall in dieser neuen Physik spielt. Ausgerechnet Planck nimmt ihn noch Jahre später mit den Worten in Schutz: "Dass er in seinen Spekulationen gelegentlich auch einmal über das Ziel hinausgeschossen haben mag, wie zum Beispiel in seiner Hypothese der Lichtquanten, wird man ihm nicht allzu schwer anrechnen dürfen."
Kumar macht deutlich, warum es so lange dauerte, ehe Einsteins These Anerkennung fand. Sein Buch ist eine facettenreiche Geschichte über herausragende Wissenschaftler und das mehr oder weniger fruchtbare Zusammenspiel ihrer Forschungsmethoden und Ideen. Es geht um Freundschaften und Konkurrenzdenken, um eine Kommunikation, die immer wieder an ihre Grenzen stößt, wo Erkenntnisse nicht mehr in bestehende Wissenssysteme integriert werden können, wo sich plötzlich vielfältige Ansatzpunkte für neue Theorien zeigen.
Einstein selbst tat sich bekanntermaßen schwer damit, die Quantenphänomene mit den Vorstellungen der klassischen Physik zu verbinden. Denn Objekte im Mikrokosmos verhalten sich anders. "Es war", so Einstein, "wie wenn einem der Boden unter den Füßen weggezogen worden wäre, ohne dass sich irgendwo fester Grund zeigte, auf dem man hätte bauen können."
Umsichtig und in gut verständlicher Sprache führt Kumar den Leser durch das anfängliche Quantenchaos, durch ein Gebirge sich auftürmender Fragen, die nicht nur Planck an den Rand der Verzweiflung brachten. "Wenn es doch bei dieser verdammten Quantenspringerei bleiben sollte, so bedaure ich, mich überhaupt jemals mit der Quantentheorie abgegeben zu haben", meinte Erwin Schrödinger. Sollte man Licht nun als Welle oder Teilchen betrachten?
Der Däne Niels Bohr suchte den Ausweg im Konzept der Komplementarität: Es ist nicht möglich, gleichzeitig den Wellen- und Teilchencharakter zu studieren, zum Beispiel eine Überlagerung zweier Lichtwellen auf einem Schirm zu messen, während man im selben Experiment den Weg der einzelnen Lichtteilchen verfolgen möchte. Eine physikalische Apparatur, mit der sich die Bahn eines Teilchens registrieren lässt, zerstört unweigerlich das Interferenzmuster. In ähnlicher Weise lassen sich, wie in der Heisenbergschen Unschärferelation zum Ausdruck gebracht wird, Ort und Impuls eines Teilchens nicht gleichzeitig genau messen. Bohr zufolge sind solche physikalischen Größen und Begriffe zueinander komplementär, mehr noch: Es gebe gar keine Quantenwelt, sondern nur die abstrakte quantenmechanische Beschreibung. Die Quantenphysik sei keine Wissenschaft über die Natur, sondern eine Wissenschaft der Aussagen über die Natur.
Die große Entdeckungsgeschichte vom ganz Kleinen erreicht ihren Höhepunkt 1927. Einstein reist nach Brüssel und trifft dort auf Bohr, Heisenberg & Co. Nachdem er einigen Vorträgen schweigend zugehört hat, konfrontiert er Bohr mit Gedankenexperimenten und vermeintlichen Widersprüchen, denn er glaubt nicht an dessen Interpretation, sondern an eine Wirklichkeit, die es "dort draußen" unabhängig vom Beobachter gibt.
Kumar lässt Einstein nicht im Abseits stehen, in das sich der Forscher mehr und mehr hineinmanövrierte. Er spannt den Bogen weiter: Einsteins Einwände haben immerhin den Weg zu neuen Experimenten und damit auch zur heutigen Quantentechnologie gewiesen. Im diesem Sinn kann man das Buch auch als eine Rehabilitation Einsteins verstehen, der oft für seinen Altersstarrsinn angegriffen worden ist. Etwas befremdlich wirkt in diesem Zusammenhang nur Kumars Verweis auf Spekulationen über Paralleluniversen, die sich als Alternative zu Bohrs Interpretation gegenwärtig einer gewissen Beliebtheit erfreuen. Doch gerade Einstein hätte sich wohl kaum damit angefreundet, ganze Welten zu erfinden, für die es keine Notwendigkeit gibt.
THOMAS DE PADOVA
Manjit Kumar: "Quanten". Einstein, Bohr und die große Debatte über das Wesen der Wirklichkeit. Berlin Verlag, Berlin 2009. 540 S., geb., 28,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Dieses Gruppenbild mit Lichtquanten leuchtet dem Rezensenten ein. Die Geschichte von Max Planck, Albert Einstein, Niels Bohr und Co. und den Betrachtungsweisen des Lichts, die Manjit Kumar mit Mäuschenspielen in Zürcher, Berliner und Kopenhagener Arbeitszimmern und Laboren erzählt, hat Thomas de Padova die Widrigkeiten und die Faszination der Quantenforschung vor Augen geführt. Es geht um Forschungsansätze, Ideen und das nicht immer konflikfreie Zusammenspiel der Pioniere. Kumar führt den Leser "umsichtig und in gut verständlicher Sprache" durch einen Haufen Fragen. Am Ende weiß der Rezensent nicht nur Einsteins Rolle bei der Entwicklung der Quantentheorie besser einzuschätzen. Seine neu erworbenen Kenntnisse erlauben ihm sogar, Kumars Ausführungen zu Paralleluniversen als "befremdlich" zu empfinden.
© Perlentaucher Medien GmbH
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