Lässt sich das Verhalten aller Dinge, von den kleinsten Teilchen bis zum Universum, einheitlich beschreiben? Der heißeste Kandidat für die Entwicklung einer Weltformel, die alle physikalischen Phänomene erklären kann, ist die Stringtheorie. Sollte sie sich als richtig erweisen, so würde das unser Verständnis über den Ursprung der Naturgesetze dramatisch verändern. Denn das von uns beobachtete Universum wäre dann vermutlich eine winzige Blase in einem viel größeren Gebilde, dem Multiversum.
Um die Stringtheorie und die Idee des Multiversums plausibel zu machen, greift der international bekannte theoretische Physiker Dieter Lüst auf ein Modell zurück: das Leben von Fischen in einem Teich. Eines Tages gelingt es den Fischen, die kleinsten Teilchen zu identifizieren, aus denen alles im Fischteich besteht - eingeschlossen sie selbst. Sie nennen diese Urbausteine Quantenfische, da ihr Verhalten nahelegt, dass sie auch eine Art von Lebewesen sind. Doch der ersten folgt eine weitere Entdeckung der Fische: Der Quantenfischteich, in dem sie leben, ist nur eine unter vielen Möglichkeiten. Daraufhin fassen die Fische den Plan, ihren Teich zu verlassen, nicht zuletzt, um die eigene Fischspezies vor dem Aussterben zu bewahren ...
Um die Stringtheorie und die Idee des Multiversums plausibel zu machen, greift der international bekannte theoretische Physiker Dieter Lüst auf ein Modell zurück: das Leben von Fischen in einem Teich. Eines Tages gelingt es den Fischen, die kleinsten Teilchen zu identifizieren, aus denen alles im Fischteich besteht - eingeschlossen sie selbst. Sie nennen diese Urbausteine Quantenfische, da ihr Verhalten nahelegt, dass sie auch eine Art von Lebewesen sind. Doch der ersten folgt eine weitere Entdeckung der Fische: Der Quantenfischteich, in dem sie leben, ist nur eine unter vielen Möglichkeiten. Daraufhin fassen die Fische den Plan, ihren Teich zu verlassen, nicht zuletzt, um die eigene Fischspezies vor dem Aussterben zu bewahren ...
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.12.2011Die Kosmologen tappen immer noch buchstäblich im Dunkeln
Ein schwindelerregender Katalog der Welten: Drei neue Bücher erzählen vom Versuch der Physiker, die Rätsel des Universums zu lösen
Kurz nachdem im Oktober dieses Jahres die diesjährigen Träger des Nobelpreises für Physik bekanntgegeben wurden, stellte man den drei Auserwählten die üblichen Fragen: Was taten Sie, als Sie die Nachricht bekamen? Und zweitens: Wann wurde Ihnen klar, dass Sie eine bahnbrechende Entdeckung gemacht hatten – dass die Expansion des Universums sich beschleunigt? Die Antworten auf die erste Frage waren einigermaßen erwartbar – die beiden Wissenschaftler in den USA lagen im Bett, der Astronom in Australien machte sein Abendessen. Schöner war, was den Forschern auf die zweite Frage einfiel: „Das langsamste ‚Aha‘ in der Geschichte der Naturwissenschaft“, nannte etwa Saul Perlmutter seinen Heureka-Moment.
Drei neue Bücher befassen sich jetzt mit diesem Zeitlupen-Aha der Menschheit. Aha: die Expansion des Universums beschleunigt sich. Dieses Ergebnis veröffentlichten zwei Gruppen von Physikern und Astronomen unabhängig voneinander im Januar 1998, eine unter Leitung von Saul Perlmutter, eine andere unter Leitung von Brian Schmidt, in der Adam Riess eine entscheidende Rolle spielte; die drei teilen sich den Nobelpreis. Und tatsächlich war die Entdeckung so verblüffend, dass beide Gruppen lange fest an einen Fehler glaubten. Schließlich hatte man sich zuvor lange gefragt, ob sich die Expansion verlangsamt, und wenn ja, ob das Universum eines Tages gar wieder in sich zusammenfällt. Eine Beschleunigung hatte kaum jemand im Blick. Aber das war es, was die jahrelange Beobachtung ferner Sternexplosionen ergab.
Damit weiß man allerdings immer noch nicht allzu viel über das Universum, und daran ändern auch populärwissenschaftliche Bücher nichts: Denn noch tappen die Kosmologen buchstäblich im Dunkeln. Erst im vergangenen Jahr haben es die jüngsten Daten der Raumsonde Wilkinson Microwave Anisotropy Probe (WMAP) bestätigt: Das Universum besteht zu etwa 4,5 Prozent aus gewöhnlicher, sichtbarer Materie und zu 23 Prozent aus der rätselhaften „Dunklen Materie“. Der Rest ist die noch rätselhaftere „Dunkle Energie“, die die immer schnellere Expansion des Universums antreibt.
Trotzdem ist die Erforschung des Universums im vergangenen Jahrhundert mit Riesenschritten vorangekommen. Auch wenn man nicht weiß, woraus die Dunkle Materie besteht und was Dunkle Energie ist: Immerhin hat man eine ungefähre Vorstellung davon, wie das Universum aussieht, auch wenn man nicht versteht, wie es funktioniert. Dass es in der Geschichte der Forschung einen ganzen Zoo von Modellen gegeben hat, das zeigt der britische Kosmologe John Barrow in seinem „Buch der Universen“.
Er stellt sie alle detailreich vor wie ein Philatelist seine Briefmarkensammlung, unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt. Da sind Aristoteles’ Kristallschalenmodell und Ptolemäus’ ausgetüfteltes Epizyklenkonstrukt, in dem die Planeten auf verschachtelten Umlaufbahnen um mehrere Achsen kreisen wie im Fahrgeschäft auf dem Jahrmarkt. Mit der Erde im Zentrum, versteht sich – überholt. Dann kam die Kopernikanische Wende, und die Sonne rückte in die Mitte. Das neue Modell wurde abgelöst von Einsteins Universum, in dem die Materie den Raum krümmt. Aber er ging zunächst von einem statischen Universum aus, das sich nicht zusammenzieht oder ausdehnt; auch das ist längst erledigt durch das Urknall-Modell.
Danach geht es erst richtig los. Da sind Schaumuniversen, chaotische, heiße, kalte, rotierende, und viele davon sind nach wie vor im Bereich des Möglichen. John Barrow war als Kosmologe und Mathematiker an einigen der Entwicklungen beteiligt, er weiß, wovon er spricht. Seinen Katalog der Welten verziert er mit Anekdoten und Zitaten aus dem Leben berühmter Wissenschaftler. Etwa Einstein, der wutentbrannt einen Aufsatz zurückzieht, weil die Zeitschrift sie einem Kollegen zur Begutachtung gegeben hat – was heute selbstverständlich ist.
Trotzdem bleibt das Buch ein Reigen von Szenarien, die uns alle gleichermaßen fremd bleiben. Um Schwindelgefühle zu vermeiden, ist man gut beraten, sich schon vor der Lektüre über das aktuelle kosmologische Standardmodell im Klaren zu sein: Urknall; danach eine Phase der rasanten Aufblähung; dann Verlangsamung; inzwischen Beschleunigung der Expansion. Geometrisch ist das Ganze global betrachtet flach wie ein Blatt Papier, nicht oder nur kaum gekrümmt – so weit die Messungen, Punkt.
Den weiten Weg der Wissenschaft von Einstein aus bis dorthin, was ungefähr gleichbedeutend ist mit der Geschichte der Dunklen Mächte im Universum, erzählt der New York Times-Autor Richard Panek in seinem neuen Buch. Es ist eine spannende, gut recherchierte Geschichte von Enttäuschung, Hoffnung, Verrat und Triumph. „Wenn du die Dunkle Materie lässt, bricht sie dir das Herz“, schreibt Panek, und man glaubt es ihm. Leider ist das Buch in der deutschen Bearbeitung nur eingeschränkt genießbar: Man befürchtet zuweilen, dass Übersetzer und Lektorat Schwierigkeiten mit dem Englischen oder dem Deutschen haben. Wer auch nur ansatzweise Gefühle für Sprache und logischen Zusammenhang hegt, wird hier hart geprüft. Da werden Doktorväter, im Englischen advisors, zu Beratern gemacht, jemand, der etwas falsch gemacht hat, hat es „in den falschen Hals“ bekommen, Wasserstoff wird zu Sauerstoff, Anekdoten bis zur Sinnlosigkeit verzerrt, und so geht das Seite um Seite von eins bis 315: Es ist ein Jammer um das schöne Buch.
Dieses Problem hat Dieter Lüsts Buch „Quantenfische“ nicht, denn der Münchner Physikprofessor schreibt auf Deutsch. Ihm geht es ums große Ganze. Sein Fach ist die Stringtheorie, die nach der Weltformel sucht. Wenn die Stringtheoretiker recht haben, besteht alles aus schwingenden Saiten, den Strings; Materie – hell wie dunkel – und Wechselwirkungen wären nur ein vielstimmiges Konzert. Einfach ist das alles nicht, weder für die Forscher noch für die Leser. Dafür vertritt Lüst entschieden die Multiversums-These: Weil die Theorie eine Vielzahl von Welten erlaubt, spricht wenig dagegen, dass unser Universum nur eines von vielen ist, die nach- und nebeneinander existieren. Vielleicht zeichnet sich unseres auch allein dadurch aus, dass es menschliches Leben ermöglicht. Viele Warum-Fragen wären in diesem Fall müßig. Diese Argumentation bleibt in der Wissenschaft umstritten – ein faszinierender Gedanke ist es allemal.
Wenn es der Stringtheorie dereinst tatsächlich gelingt, Schwerkraft und Quantentheorie zu vereinen, würde man wohl auch endlich erfahren, was es mit der Dunklen Energie auf sich hat. Denn der Wert, den die Quantentheorie ergibt, weicht um 120 Größenordnungen von dem Ergebnis der Kosmologen ab: nur eines der großen verbleibenden Rätsel der Gegenwart.
MARLENE WEISS
JOHN D. BARROW: Das Buch der Universen. Aus dem Englischen von Carl Freytag. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2011. 358 Seiten, 24,99 Euro.
RICHARD PANEK: Das 4 %-Universum. Aus dem Englischen von Hainer Kober. Hanser Verlag, München 2011. 363 Seiten, 24,90 Euro.
DIETER LÜST: Quantenfische – Die Stringtheorie und die Suche nach der Weltformel. Verlag C. H.Beck, München 2011.381 Seiten, 26,95 Euro.
„Wenn du die
Dunkle Materie lässt,
bricht sie dir das Herz.“
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Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Ein schwindelerregender Katalog der Welten: Drei neue Bücher erzählen vom Versuch der Physiker, die Rätsel des Universums zu lösen
Kurz nachdem im Oktober dieses Jahres die diesjährigen Träger des Nobelpreises für Physik bekanntgegeben wurden, stellte man den drei Auserwählten die üblichen Fragen: Was taten Sie, als Sie die Nachricht bekamen? Und zweitens: Wann wurde Ihnen klar, dass Sie eine bahnbrechende Entdeckung gemacht hatten – dass die Expansion des Universums sich beschleunigt? Die Antworten auf die erste Frage waren einigermaßen erwartbar – die beiden Wissenschaftler in den USA lagen im Bett, der Astronom in Australien machte sein Abendessen. Schöner war, was den Forschern auf die zweite Frage einfiel: „Das langsamste ‚Aha‘ in der Geschichte der Naturwissenschaft“, nannte etwa Saul Perlmutter seinen Heureka-Moment.
Drei neue Bücher befassen sich jetzt mit diesem Zeitlupen-Aha der Menschheit. Aha: die Expansion des Universums beschleunigt sich. Dieses Ergebnis veröffentlichten zwei Gruppen von Physikern und Astronomen unabhängig voneinander im Januar 1998, eine unter Leitung von Saul Perlmutter, eine andere unter Leitung von Brian Schmidt, in der Adam Riess eine entscheidende Rolle spielte; die drei teilen sich den Nobelpreis. Und tatsächlich war die Entdeckung so verblüffend, dass beide Gruppen lange fest an einen Fehler glaubten. Schließlich hatte man sich zuvor lange gefragt, ob sich die Expansion verlangsamt, und wenn ja, ob das Universum eines Tages gar wieder in sich zusammenfällt. Eine Beschleunigung hatte kaum jemand im Blick. Aber das war es, was die jahrelange Beobachtung ferner Sternexplosionen ergab.
Damit weiß man allerdings immer noch nicht allzu viel über das Universum, und daran ändern auch populärwissenschaftliche Bücher nichts: Denn noch tappen die Kosmologen buchstäblich im Dunkeln. Erst im vergangenen Jahr haben es die jüngsten Daten der Raumsonde Wilkinson Microwave Anisotropy Probe (WMAP) bestätigt: Das Universum besteht zu etwa 4,5 Prozent aus gewöhnlicher, sichtbarer Materie und zu 23 Prozent aus der rätselhaften „Dunklen Materie“. Der Rest ist die noch rätselhaftere „Dunkle Energie“, die die immer schnellere Expansion des Universums antreibt.
Trotzdem ist die Erforschung des Universums im vergangenen Jahrhundert mit Riesenschritten vorangekommen. Auch wenn man nicht weiß, woraus die Dunkle Materie besteht und was Dunkle Energie ist: Immerhin hat man eine ungefähre Vorstellung davon, wie das Universum aussieht, auch wenn man nicht versteht, wie es funktioniert. Dass es in der Geschichte der Forschung einen ganzen Zoo von Modellen gegeben hat, das zeigt der britische Kosmologe John Barrow in seinem „Buch der Universen“.
Er stellt sie alle detailreich vor wie ein Philatelist seine Briefmarkensammlung, unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt. Da sind Aristoteles’ Kristallschalenmodell und Ptolemäus’ ausgetüfteltes Epizyklenkonstrukt, in dem die Planeten auf verschachtelten Umlaufbahnen um mehrere Achsen kreisen wie im Fahrgeschäft auf dem Jahrmarkt. Mit der Erde im Zentrum, versteht sich – überholt. Dann kam die Kopernikanische Wende, und die Sonne rückte in die Mitte. Das neue Modell wurde abgelöst von Einsteins Universum, in dem die Materie den Raum krümmt. Aber er ging zunächst von einem statischen Universum aus, das sich nicht zusammenzieht oder ausdehnt; auch das ist längst erledigt durch das Urknall-Modell.
Danach geht es erst richtig los. Da sind Schaumuniversen, chaotische, heiße, kalte, rotierende, und viele davon sind nach wie vor im Bereich des Möglichen. John Barrow war als Kosmologe und Mathematiker an einigen der Entwicklungen beteiligt, er weiß, wovon er spricht. Seinen Katalog der Welten verziert er mit Anekdoten und Zitaten aus dem Leben berühmter Wissenschaftler. Etwa Einstein, der wutentbrannt einen Aufsatz zurückzieht, weil die Zeitschrift sie einem Kollegen zur Begutachtung gegeben hat – was heute selbstverständlich ist.
Trotzdem bleibt das Buch ein Reigen von Szenarien, die uns alle gleichermaßen fremd bleiben. Um Schwindelgefühle zu vermeiden, ist man gut beraten, sich schon vor der Lektüre über das aktuelle kosmologische Standardmodell im Klaren zu sein: Urknall; danach eine Phase der rasanten Aufblähung; dann Verlangsamung; inzwischen Beschleunigung der Expansion. Geometrisch ist das Ganze global betrachtet flach wie ein Blatt Papier, nicht oder nur kaum gekrümmt – so weit die Messungen, Punkt.
Den weiten Weg der Wissenschaft von Einstein aus bis dorthin, was ungefähr gleichbedeutend ist mit der Geschichte der Dunklen Mächte im Universum, erzählt der New York Times-Autor Richard Panek in seinem neuen Buch. Es ist eine spannende, gut recherchierte Geschichte von Enttäuschung, Hoffnung, Verrat und Triumph. „Wenn du die Dunkle Materie lässt, bricht sie dir das Herz“, schreibt Panek, und man glaubt es ihm. Leider ist das Buch in der deutschen Bearbeitung nur eingeschränkt genießbar: Man befürchtet zuweilen, dass Übersetzer und Lektorat Schwierigkeiten mit dem Englischen oder dem Deutschen haben. Wer auch nur ansatzweise Gefühle für Sprache und logischen Zusammenhang hegt, wird hier hart geprüft. Da werden Doktorväter, im Englischen advisors, zu Beratern gemacht, jemand, der etwas falsch gemacht hat, hat es „in den falschen Hals“ bekommen, Wasserstoff wird zu Sauerstoff, Anekdoten bis zur Sinnlosigkeit verzerrt, und so geht das Seite um Seite von eins bis 315: Es ist ein Jammer um das schöne Buch.
Dieses Problem hat Dieter Lüsts Buch „Quantenfische“ nicht, denn der Münchner Physikprofessor schreibt auf Deutsch. Ihm geht es ums große Ganze. Sein Fach ist die Stringtheorie, die nach der Weltformel sucht. Wenn die Stringtheoretiker recht haben, besteht alles aus schwingenden Saiten, den Strings; Materie – hell wie dunkel – und Wechselwirkungen wären nur ein vielstimmiges Konzert. Einfach ist das alles nicht, weder für die Forscher noch für die Leser. Dafür vertritt Lüst entschieden die Multiversums-These: Weil die Theorie eine Vielzahl von Welten erlaubt, spricht wenig dagegen, dass unser Universum nur eines von vielen ist, die nach- und nebeneinander existieren. Vielleicht zeichnet sich unseres auch allein dadurch aus, dass es menschliches Leben ermöglicht. Viele Warum-Fragen wären in diesem Fall müßig. Diese Argumentation bleibt in der Wissenschaft umstritten – ein faszinierender Gedanke ist es allemal.
Wenn es der Stringtheorie dereinst tatsächlich gelingt, Schwerkraft und Quantentheorie zu vereinen, würde man wohl auch endlich erfahren, was es mit der Dunklen Energie auf sich hat. Denn der Wert, den die Quantentheorie ergibt, weicht um 120 Größenordnungen von dem Ergebnis der Kosmologen ab: nur eines der großen verbleibenden Rätsel der Gegenwart.
MARLENE WEISS
JOHN D. BARROW: Das Buch der Universen. Aus dem Englischen von Carl Freytag. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2011. 358 Seiten, 24,99 Euro.
RICHARD PANEK: Das 4 %-Universum. Aus dem Englischen von Hainer Kober. Hanser Verlag, München 2011. 363 Seiten, 24,90 Euro.
DIETER LÜST: Quantenfische – Die Stringtheorie und die Suche nach der Weltformel. Verlag C. H.Beck, München 2011.381 Seiten, 26,95 Euro.
„Wenn du die
Dunkle Materie lässt,
bricht sie dir das Herz.“
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.2011Quantenfische auf der Reise ins Paralleluniversum
Wer, wenn nicht er? Es gibt auf der Welt keinen Zweiten, der sein Leben so rückhaltlos der Stringtheorie gewidmet hat wie Dieter Lüst.
Von Sibylle Anderl
Stringtheoretiker haben es nicht immer leicht. Nicht nur, dass sie im Zuge der Ausarbeitung ihrer Theorie nach wie vor mit einer Vielzahl hartnäckiger Probleme und ungelöster Fragen zu kämpfen haben. Daneben sehen sie sich oftmals auch noch mit Kritik grundsätzlichster Art konfrontiert, die ihnen im Extremfall sogar den Status als Naturwissenschaftler streitig zu machen sucht. Vor diesem Hintergrund hat Dieter Lüst, Leiter des Arnold-Sommerfeld-Instituts für theoretische Physik an der Ludwig-Maximilians-Universität und Direktor am Max-Planck-Institut für Physik in München, als einer der führenden Stringtheoretiker in Deutschland nun ein Buch verfasst, in dem er sich zum Ziel setzt, ein möglichst objektives Bild der Stringtheorie mit all ihren Schwächen und Erfolgen zu zeichnen.
Lüsts Einschätzung der Stringtheorie als Kandidatin einer Zusammenführung von Quantenmechanik und allgemeiner Relativitätstheorie fällt erwartungsgemäß äußerst positiv aus. Da ein solches Urteil nach Lüst insbesondere aber auch daran hängt, den Kosmos als ein Multiversum zu verstehen, das aus einer großen Anzahl verschiedener Universen besteht, muss Lüst den Versuch unternehmen, den Leser mit dem Verlust der Einzigartigkeit unseres Universums zu versöhnen.
Zu diesem Zweck schlüpft Lüst am Anfang seines Buches in die Rolle des Märchenerzählers und berichtet von einem Fischteich, dessen Fischbewohner mit Hilfe der Physik versuchen, ihre Umwelt zu verstehen. Analog dazu, wie wir heute Elementarteilchen erforschen, befassen sich die Fischwissenschaftler schließlich mit den verschiedenen Formen mikroskopischer Quantenfische, die sie mit dem Standardmodell der Quantenfische zu beschreiben versuchen.
Dabei stoßen sie auf theoretisch nicht erklärbare Parameterwerte wie zum Beispiel den Sauerstoffgehalt ihres Teiches, die für die Existenz von Fischen genau die vorliegenden Werte annehmen müssen. Irgendwann berechnen Theoretiker-Fische die Möglichkeit von Fischteichen mit anderen Parameterwerten, halten diese Lösungen aber zunächst für nicht real. Erst als das Überleben der Fische durch ein Absinken des Sauerstoffgehalts ihres Teiches gefährdet ist, werden diese postulierten Alternativteiche ernst genommen, und die Fische können ihre Art dadurch retten, dass mit genetischer Fisch-Information ausgestattete Quantenfische in einen überlebensfreundlichen Parallelteich tunneln.
Diese etwas propagandistisch anmutende Fischgeschichte ist Auftakt für eine sich in den nächsten Kapiteln anschließende detailscharfe und mit historischen Anekdoten gespickte Beschreibung der faszinierenden Suche nach der Weltformel. Dabei wird der Leser über die verschiedenen Routen der Elementarteilchenphysik sowie der Relativitätstheorie und Kosmologie hingeführt zu aktuellen Forschungsfragen der Quantengravitation. Eine solche Theorie der Quantengravitation, kurz Weltformel, soll eine vereinheitlichte Beschreibung der starken, schwachen und elektromagnetischen Wechselwirkungen zusammen mit der Gravitation ermöglichen. Alle vier physikalischen Grundkräfte sollen so auf ein gemeinsames, ihnen zugrundeliegendes Prinzip zurückgeführt werden.
Damit klassisch verbunden ist die Vorstellung, dass unsere Naturgesetze aus einer fundamentalen Theorie eindeutig abgeleitet werden können und man daher erklären kann, warum unser Universum sich in der heute beobachtbaren Form verhält. Wie Lüst zeigt, ist die Stringtheorie zwar der vielversprechendste Kandidat in Hinsicht auf eine Vereinigung von Teilchenphysik und Gravitation, gleichzeitig kann sie aber gerade nicht dazu dienen, unsere Naturgesetze eindeutig festzulegen. Der Grund dafür ist, dass die Stringtheorie eine unvorstellbar große Anzahl verschiedener Lösungen, das heißt verschiedener möglicher Universen, erlaubt. Unser eigenes Universum in dieser Vielzahl von Lösungen zu identifizieren scheint dabei recht hoffnungslos.
An dieser Stelle gibt es zwei mögliche Reaktionsweisen: Man bemängelt, dass die Stringtheorie nicht leisten kann, was man von ihr erwartet hatte, oder man stellt fest, dass die Erwartung einer eindeutigen Erklärung unserer Physik zu naiv gewesen ist. Letzterer Weg erfordert einen grundsätzlichen Paradigmenwechsel in Bezug auf unsere Anforderungen an eine Weltformel. Gleichzeitig eröffnet er aber eine möglicherweise theoretisch gerechtfertigte Anwendbarkeit des anthropischen Prinzips: Die physikalischen Gesetze und viele der physikalischen Größen sind in unserem Universum durch die Tatsache festgelegt, dass sie menschliches Leben erlauben, während dies an anderen Stellen des String-Multiversums nicht der Fall sein mag.
Lüst versucht den Leser von letzterer Lesart der Stringtheorie zu überzeugen und scheint dabei die Hauptschwierigkeit darin zu sehen, dass das Multiversumskonzept unserer Intuition und Anschauung widerspricht. Seine Hoffnung scheint zu sein, dass der Paradigmenwechsel hin zur Uneindeutigkeit der Naturgesetze erleichtert werden kann, indem wir vom anschaulichen Beispiel verschiedener Fischteiche mit unterschiedlichen Teichparametern den Transfer auf unser Universum und entsprechende Paralleluniversen vollziehen. Die Analogie birgt allerdings gewisse Gefahren, denn tatsächlich gibt es einen weiteren, vielleicht sogar fundamentaleren Paradigmenwechsel, der durch die Stringtheorie notwendig wird.
Dieser Paradigmenwechsel hängt zwar mit der Nichteindeutigkeit der String-Lösungen zusammen, tritt in der Fischfabel aber in den Hintergrund. Er betrifft die letztendlich philosophische Frage nach den Grenzen der Naturwissenschaft und dem Stellenwert der empirischen Signifikanz physikalischer Theorien. Die prominenteste Antwort auf diese Frage stammt wohl von Karl Popper, der die Wissenschaftlichkeit einer Theorie an deren empirischer Falsifizierbarkeit festmachte.
Lüst behandelt das Problem der Vereinbarkeit der Stringtheorie mit dieser Forderung in den letzten beiden Kapiteln. Neben dem allgemeinen Problem, dass die Stringtheorie wahrscheinlich auf uns unzugänglichen Energieskalen wirksam wird, verursacht darüber hinaus das Konzept des Multiversums ein fundamentales Problem für ein Prinzip der Falsifizierbarkeit. Denn wann immer ein empirischer Befund, etwa die Entdeckung neuer Teilchen, nicht zu den Vorhersagen der Stringtheorie passt, heißt dies lediglich, dass man die Lösung der Stringtheorie, die auf unser Universum passt, vielleicht noch nicht gefunden hat.
Wie schwierig diese Frage nach der empirischen Fundierung der Stringtheorie tatsächlich ist, wird in Formulierungen Lüsts deutlich, die zwischen Optimismus und Vagheit schwanken. Wenn er etwa resümiert: "Die Stringtheorie wird sich nahtlos in die empirischen Naturwissenschaften einreihen. Denn wenn auch nicht jeder Aspekt der Stringtheorie heute falsifizierbar erscheint, so macht sie doch einige konkrete Aussagen, die sich eventuell überprüfen lassen." Lüsts Buch zeigt, wie stark die Suche nach der Weltformel letztendlich auch von philosophischen Fragestellungen durchwirkt ist. Es bietet einen hervorragenden Ausgangspunkt, sich mit ihnen zu beschäftigen.
Dieter Lüst: "Quantenfische". Die Stringtheorie und die Suche nach der Weltformel.
Verlag C. H. Beck, München 2011. 381 S., Abb., geb., 26,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wer, wenn nicht er? Es gibt auf der Welt keinen Zweiten, der sein Leben so rückhaltlos der Stringtheorie gewidmet hat wie Dieter Lüst.
Von Sibylle Anderl
Stringtheoretiker haben es nicht immer leicht. Nicht nur, dass sie im Zuge der Ausarbeitung ihrer Theorie nach wie vor mit einer Vielzahl hartnäckiger Probleme und ungelöster Fragen zu kämpfen haben. Daneben sehen sie sich oftmals auch noch mit Kritik grundsätzlichster Art konfrontiert, die ihnen im Extremfall sogar den Status als Naturwissenschaftler streitig zu machen sucht. Vor diesem Hintergrund hat Dieter Lüst, Leiter des Arnold-Sommerfeld-Instituts für theoretische Physik an der Ludwig-Maximilians-Universität und Direktor am Max-Planck-Institut für Physik in München, als einer der führenden Stringtheoretiker in Deutschland nun ein Buch verfasst, in dem er sich zum Ziel setzt, ein möglichst objektives Bild der Stringtheorie mit all ihren Schwächen und Erfolgen zu zeichnen.
Lüsts Einschätzung der Stringtheorie als Kandidatin einer Zusammenführung von Quantenmechanik und allgemeiner Relativitätstheorie fällt erwartungsgemäß äußerst positiv aus. Da ein solches Urteil nach Lüst insbesondere aber auch daran hängt, den Kosmos als ein Multiversum zu verstehen, das aus einer großen Anzahl verschiedener Universen besteht, muss Lüst den Versuch unternehmen, den Leser mit dem Verlust der Einzigartigkeit unseres Universums zu versöhnen.
Zu diesem Zweck schlüpft Lüst am Anfang seines Buches in die Rolle des Märchenerzählers und berichtet von einem Fischteich, dessen Fischbewohner mit Hilfe der Physik versuchen, ihre Umwelt zu verstehen. Analog dazu, wie wir heute Elementarteilchen erforschen, befassen sich die Fischwissenschaftler schließlich mit den verschiedenen Formen mikroskopischer Quantenfische, die sie mit dem Standardmodell der Quantenfische zu beschreiben versuchen.
Dabei stoßen sie auf theoretisch nicht erklärbare Parameterwerte wie zum Beispiel den Sauerstoffgehalt ihres Teiches, die für die Existenz von Fischen genau die vorliegenden Werte annehmen müssen. Irgendwann berechnen Theoretiker-Fische die Möglichkeit von Fischteichen mit anderen Parameterwerten, halten diese Lösungen aber zunächst für nicht real. Erst als das Überleben der Fische durch ein Absinken des Sauerstoffgehalts ihres Teiches gefährdet ist, werden diese postulierten Alternativteiche ernst genommen, und die Fische können ihre Art dadurch retten, dass mit genetischer Fisch-Information ausgestattete Quantenfische in einen überlebensfreundlichen Parallelteich tunneln.
Diese etwas propagandistisch anmutende Fischgeschichte ist Auftakt für eine sich in den nächsten Kapiteln anschließende detailscharfe und mit historischen Anekdoten gespickte Beschreibung der faszinierenden Suche nach der Weltformel. Dabei wird der Leser über die verschiedenen Routen der Elementarteilchenphysik sowie der Relativitätstheorie und Kosmologie hingeführt zu aktuellen Forschungsfragen der Quantengravitation. Eine solche Theorie der Quantengravitation, kurz Weltformel, soll eine vereinheitlichte Beschreibung der starken, schwachen und elektromagnetischen Wechselwirkungen zusammen mit der Gravitation ermöglichen. Alle vier physikalischen Grundkräfte sollen so auf ein gemeinsames, ihnen zugrundeliegendes Prinzip zurückgeführt werden.
Damit klassisch verbunden ist die Vorstellung, dass unsere Naturgesetze aus einer fundamentalen Theorie eindeutig abgeleitet werden können und man daher erklären kann, warum unser Universum sich in der heute beobachtbaren Form verhält. Wie Lüst zeigt, ist die Stringtheorie zwar der vielversprechendste Kandidat in Hinsicht auf eine Vereinigung von Teilchenphysik und Gravitation, gleichzeitig kann sie aber gerade nicht dazu dienen, unsere Naturgesetze eindeutig festzulegen. Der Grund dafür ist, dass die Stringtheorie eine unvorstellbar große Anzahl verschiedener Lösungen, das heißt verschiedener möglicher Universen, erlaubt. Unser eigenes Universum in dieser Vielzahl von Lösungen zu identifizieren scheint dabei recht hoffnungslos.
An dieser Stelle gibt es zwei mögliche Reaktionsweisen: Man bemängelt, dass die Stringtheorie nicht leisten kann, was man von ihr erwartet hatte, oder man stellt fest, dass die Erwartung einer eindeutigen Erklärung unserer Physik zu naiv gewesen ist. Letzterer Weg erfordert einen grundsätzlichen Paradigmenwechsel in Bezug auf unsere Anforderungen an eine Weltformel. Gleichzeitig eröffnet er aber eine möglicherweise theoretisch gerechtfertigte Anwendbarkeit des anthropischen Prinzips: Die physikalischen Gesetze und viele der physikalischen Größen sind in unserem Universum durch die Tatsache festgelegt, dass sie menschliches Leben erlauben, während dies an anderen Stellen des String-Multiversums nicht der Fall sein mag.
Lüst versucht den Leser von letzterer Lesart der Stringtheorie zu überzeugen und scheint dabei die Hauptschwierigkeit darin zu sehen, dass das Multiversumskonzept unserer Intuition und Anschauung widerspricht. Seine Hoffnung scheint zu sein, dass der Paradigmenwechsel hin zur Uneindeutigkeit der Naturgesetze erleichtert werden kann, indem wir vom anschaulichen Beispiel verschiedener Fischteiche mit unterschiedlichen Teichparametern den Transfer auf unser Universum und entsprechende Paralleluniversen vollziehen. Die Analogie birgt allerdings gewisse Gefahren, denn tatsächlich gibt es einen weiteren, vielleicht sogar fundamentaleren Paradigmenwechsel, der durch die Stringtheorie notwendig wird.
Dieser Paradigmenwechsel hängt zwar mit der Nichteindeutigkeit der String-Lösungen zusammen, tritt in der Fischfabel aber in den Hintergrund. Er betrifft die letztendlich philosophische Frage nach den Grenzen der Naturwissenschaft und dem Stellenwert der empirischen Signifikanz physikalischer Theorien. Die prominenteste Antwort auf diese Frage stammt wohl von Karl Popper, der die Wissenschaftlichkeit einer Theorie an deren empirischer Falsifizierbarkeit festmachte.
Lüst behandelt das Problem der Vereinbarkeit der Stringtheorie mit dieser Forderung in den letzten beiden Kapiteln. Neben dem allgemeinen Problem, dass die Stringtheorie wahrscheinlich auf uns unzugänglichen Energieskalen wirksam wird, verursacht darüber hinaus das Konzept des Multiversums ein fundamentales Problem für ein Prinzip der Falsifizierbarkeit. Denn wann immer ein empirischer Befund, etwa die Entdeckung neuer Teilchen, nicht zu den Vorhersagen der Stringtheorie passt, heißt dies lediglich, dass man die Lösung der Stringtheorie, die auf unser Universum passt, vielleicht noch nicht gefunden hat.
Wie schwierig diese Frage nach der empirischen Fundierung der Stringtheorie tatsächlich ist, wird in Formulierungen Lüsts deutlich, die zwischen Optimismus und Vagheit schwanken. Wenn er etwa resümiert: "Die Stringtheorie wird sich nahtlos in die empirischen Naturwissenschaften einreihen. Denn wenn auch nicht jeder Aspekt der Stringtheorie heute falsifizierbar erscheint, so macht sie doch einige konkrete Aussagen, die sich eventuell überprüfen lassen." Lüsts Buch zeigt, wie stark die Suche nach der Weltformel letztendlich auch von philosophischen Fragestellungen durchwirkt ist. Es bietet einen hervorragenden Ausgangspunkt, sich mit ihnen zu beschäftigen.
Dieter Lüst: "Quantenfische". Die Stringtheorie und die Suche nach der Weltformel.
Verlag C. H. Beck, München 2011. 381 S., Abb., geb., 26,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Die Physikerin und Philosophin Sibylle Anderl hat sich auf höchstem Niveau mit Dieter Lüsts Apologie der Stringtheorie auseinandergesetzt und versucht uns Lesern deren Stärken und Schwächen näherzubringen. Es geht Lüst darum, die Stringtheorie historisch als die Suche nach der "Weltformel" nachzuzeichnen, ihre Vorteile aber auch Probleme aufzudecken, meint die Rezensentin. Zur Illustration seines Themas, hebt der Autor mit einer Parabel von den Quantenfischen an, die seine Intention, die Stringtheorie zu stärken, untermauern soll, so die Rezensentin. Kenntnisreich stellt sie Probleme und nötige Paradigmenwechsel in den Naturwissenschaften heraus, mit denen Lüst sich herumschlagen muss, und weist darauf hin, wie sehr die Weltformel auch eine philosophische Fragestellung ist. Als Startpunkt, sich mit diesen Fragen und Problemen auseinanderzusetzen, findet sie das vorliegende Werk gewinnbringend.
© Perlentaucher Medien GmbH
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