Peter Ackroyd is our preeminent chronicler of London. In Queer City, he looks at the metropolis in a whole new way - through the history and experiences of its gay population. In Roman Londinium the penis was worshipped and homosexuality was considered admirable. The city was dotted with lupanaria ('wolf dens' or public pleasure houses), fornices (brothels) and thermiae (hot baths). Then came the Emperor Constantine, with his bishops and clergy, monks and missionaries. His rule was accompanied by the first laws against queer practices. What followed was an endless loop of alternating permissiveness and censure, from the notorious Normans, whose military might depended on masculine loyalty, and the fashionable female transvestism of the 1620s; to the frenzy of executions for sodomy in the early 1800s and the 'gay plague' in the 1980s. Ackroyd takes us right into this hidden city, celebrating its diversity, thrills and energy on the one hand; but reminding us of its very real terrors, dangers and risks on the other. In a city of superlatives, it is perhaps this endless sexual fluidity and resilience that epitomise the real triumph of London.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.01.2019Diese Stadt sexualisiert alles und jeden
Peter Ackroyd feiert London als Hauptstadt der geschlechtlichen Vielfalt
"Weil ich London gesehen habe, habe ich so viel vom Leben gesehen, wie die Welt zu zeigen hat", so der Lexikograph Samuel Johnson 1773. Was er damit meinte, wissen wir dank der neuen Studie von Peter Ackroyd nun genauer. "Mitte des 18. Jahrhunderts war es fast schon Mode, queer zu sein", heißt es da. "Die Stadt war randvoll mit Prostituierten beider Geschlechter: Soldaten boten ihre Körper im St James's Park und anderswo feil, Knaben wurden zu Strichjungen herangezogen; es gab effeminierte Männer, als Frauen verkleidete Männer, als Männer verkleidete Frauen, außerdem Gassenjungen."
In London, der Geburtsstadt des Kapitals, scheint Homosexualität immer schon sichtbarer gewesen zu sein als fast überall sonst. Und das, obwohl das "Sodomitentum" zu beinahe allen Zeiten als verwerflich galt. In ihrer "homosexuellen Strahlkraft" vergleichbar sei die Stadt an der Themse nur den Zentren der Antike, Athen und Rom. Ackroyd, Romancier, Sachbuchautor und Londons nobelster Stadtschreiber - unübertroffen sein Standardwerk "London. Eine Biographie" -, erklärt sich die "queere" Identität Londons damit, dass die Bewohner dieser Fremde magisch anziehenden Weltstadt eng gedrängt lebten.
Die verwirrende Vielfalt der Sprachen und die Intimität anonymer Menschenmassen animierten demnach zu Grenzübertritten. "Die Stadt sexualisierte alles und jeden." Sittenwächter kamen nie gegen dieses ständeübergreifende Verlangen an, so viele Homosexuelle oder als solche Denunzierte auch ihr Leben am Galgen verloren, am Pranger misshandelt wurden oder aus dem Land fliehen mussten. Die Lust wurde nur noch verstärkt durch die Furcht.
Mit Queer Studies hat das Buch nichts zu tun. Der Autor amüsiert sich gar darüber, wenn sich heute etwa eine "Cis-Frau" (biologisches und soziales Geschlecht stimmen überein) mit einer "Transfrau" darüber streitet, wer privilegierter sei. Ackroyd hat es lieber positivistisch und eilt in großen Schritten von der pädophiliefreundlichen keltischen und römischen Vorzeit bis in die Gegenwart, in der Vauxhall das verruchte Soho wieder als "gay village" abgelöst habe. Nur durch eine solche, endlos scheinende Aufreihung von Einzelfällen - Quellen sind oft Prozessakten oder Memoiren - lässt sich die Dimension des Auslebens der gleichgeschlechtlichen Anziehung über die Jahrhunderte tatsächlich erahnen.
Dass es sich bei einigen besonders ausgeschmückten Anekdoten aus anonymen Flugschriften um interessegeleitete Unterstellungen gegen die Mächtigen handeln dürfte, macht sie als Quellen nicht unbrauchbar. Vielmehr zeigt sich gerade hier, auf welches allgemeine Wissen aufgebaut werden konnte. Der von Scipio beschriebene "homo delicatus", parfümiert und affektiert, ist laut Tacitus im alten Britannien oft zu finden. Hochzeiten von Männern mit schönen Knaben waren im vierten Jahrhundert offenbar verbreitet. Die Liebe unter freien Männern aber wurde zumindest ungern gesehen.
Mit den christlichen Missionaren erreichte im sechsten Jahrhundert das Ressentiment die Insel: Homosexualität stand fortan unter Strafe, auch wenn es - eben deshalb - zahllose Zeugnisse über entsprechende Neigungen unter Geistlichen, Militärs und Hochadeligen gibt. Wir lernen, dass bereits im vierzehnten Jahrhundert die Freundschaftsbeziehungen unter Männern wieder einige Komplexität besaßen. So gab es die Einrichtung der "wedded brethren", ein vor dem Altar geschlossener Bund, mit dem wohl oft auch eine "obszöne Vertrautheit" einherging. Eduard II. und sein Günstling Piers Gaveston handelten sich diesen Vorwurf ebenso ein wie Richard II. und Robert de Vere. Crossdressing kam spätestens mit dem Aufschwung des Theaters im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert in Mode. Transgender-Biographien und sogenannte "Molly"-Häuser, Schwulentreffpunkte, finden sich seit dem siebzehnten Jahrhundert zuhauf. Auch die lesbische Liebe trotzte allen Verfolgungen etwa durch die "Society for the Reformation of Manners". Anatomisch korrekte "Shuttlecocks" waren im achtzehnten Jahrhundert überall erhältlich, in Leicester Fields soll es gar ein Geschäft gegeben haben, "das nichts anderes verkaufte".
Von 1800 an blieb Großbritannien in Sachen Liberalität hinter dem Rest Europas zurück. Aufklärer wie Jeremy Bentham plädierten allenfalls in unveröffentlichten Schriften für die Straflosigkeit von homosexuellen Handlungen, weil sie "der Gesellschaft keinerlei Leid" zufügten. Im strengen viktorianischen Zeitalter ging nicht einmal ein Oscar Wilde straflos aus, aber es war eben diese Epoche, in der London als "queere Metropole" Format gewann. Wildes Verteidigungsrede für die "Liebe, die ihren Namen nicht zu nennen wagt", mag das Gericht nicht überzeugt haben, doch sie wurde ein Meilenstein im Zivilisationsprozess. Erst 1967 schaffte die britische Regierung schließlich die Strafbarkeit homosexueller Handlungen zwischen Erwachsenen ab. Den Bezug zur gesellschaftlichen Realität hatte die Politik da längst verloren.
Der Clou des Buches besteht darin, dass für Ackroyd mit dem Sieg von Toleranz und Gleichberechtigung - die Gay Liberation Front ist Geschichte; die Homo-Ehe seit 2014 (wieder) erlaubt - die schrille Geschichte des "queeren London" endete und die leisen Jahre begannen. Schwul oder nicht schwul, das ist nicht mehr die Frage. Geheimsprachen wie Polari, Ausdrücke wie "Macaroni", "Urninde", "Tiddy Doll" oder "Molly" sind obsolet geworden, daran können auch reaktionäre Aufwallungen wie die unter bibeltreuen Hardlinern derzeit kursierende "Nashville-Erklärung" nichts ändern. Ob sich das gentrifizierte London aber seine von Ackroyd gefeierte Vielfalt und Widerständigkeit bewahren wird, muss sich erst noch zeigen.
OLIVER JUNGEN
Peter Ackroyd: "Queer
London". Von der Antike bis heute.
Aus dem Englischen von Sophia Lindsey. Penguin Verlag, München 2018. 272 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Peter Ackroyd feiert London als Hauptstadt der geschlechtlichen Vielfalt
"Weil ich London gesehen habe, habe ich so viel vom Leben gesehen, wie die Welt zu zeigen hat", so der Lexikograph Samuel Johnson 1773. Was er damit meinte, wissen wir dank der neuen Studie von Peter Ackroyd nun genauer. "Mitte des 18. Jahrhunderts war es fast schon Mode, queer zu sein", heißt es da. "Die Stadt war randvoll mit Prostituierten beider Geschlechter: Soldaten boten ihre Körper im St James's Park und anderswo feil, Knaben wurden zu Strichjungen herangezogen; es gab effeminierte Männer, als Frauen verkleidete Männer, als Männer verkleidete Frauen, außerdem Gassenjungen."
In London, der Geburtsstadt des Kapitals, scheint Homosexualität immer schon sichtbarer gewesen zu sein als fast überall sonst. Und das, obwohl das "Sodomitentum" zu beinahe allen Zeiten als verwerflich galt. In ihrer "homosexuellen Strahlkraft" vergleichbar sei die Stadt an der Themse nur den Zentren der Antike, Athen und Rom. Ackroyd, Romancier, Sachbuchautor und Londons nobelster Stadtschreiber - unübertroffen sein Standardwerk "London. Eine Biographie" -, erklärt sich die "queere" Identität Londons damit, dass die Bewohner dieser Fremde magisch anziehenden Weltstadt eng gedrängt lebten.
Die verwirrende Vielfalt der Sprachen und die Intimität anonymer Menschenmassen animierten demnach zu Grenzübertritten. "Die Stadt sexualisierte alles und jeden." Sittenwächter kamen nie gegen dieses ständeübergreifende Verlangen an, so viele Homosexuelle oder als solche Denunzierte auch ihr Leben am Galgen verloren, am Pranger misshandelt wurden oder aus dem Land fliehen mussten. Die Lust wurde nur noch verstärkt durch die Furcht.
Mit Queer Studies hat das Buch nichts zu tun. Der Autor amüsiert sich gar darüber, wenn sich heute etwa eine "Cis-Frau" (biologisches und soziales Geschlecht stimmen überein) mit einer "Transfrau" darüber streitet, wer privilegierter sei. Ackroyd hat es lieber positivistisch und eilt in großen Schritten von der pädophiliefreundlichen keltischen und römischen Vorzeit bis in die Gegenwart, in der Vauxhall das verruchte Soho wieder als "gay village" abgelöst habe. Nur durch eine solche, endlos scheinende Aufreihung von Einzelfällen - Quellen sind oft Prozessakten oder Memoiren - lässt sich die Dimension des Auslebens der gleichgeschlechtlichen Anziehung über die Jahrhunderte tatsächlich erahnen.
Dass es sich bei einigen besonders ausgeschmückten Anekdoten aus anonymen Flugschriften um interessegeleitete Unterstellungen gegen die Mächtigen handeln dürfte, macht sie als Quellen nicht unbrauchbar. Vielmehr zeigt sich gerade hier, auf welches allgemeine Wissen aufgebaut werden konnte. Der von Scipio beschriebene "homo delicatus", parfümiert und affektiert, ist laut Tacitus im alten Britannien oft zu finden. Hochzeiten von Männern mit schönen Knaben waren im vierten Jahrhundert offenbar verbreitet. Die Liebe unter freien Männern aber wurde zumindest ungern gesehen.
Mit den christlichen Missionaren erreichte im sechsten Jahrhundert das Ressentiment die Insel: Homosexualität stand fortan unter Strafe, auch wenn es - eben deshalb - zahllose Zeugnisse über entsprechende Neigungen unter Geistlichen, Militärs und Hochadeligen gibt. Wir lernen, dass bereits im vierzehnten Jahrhundert die Freundschaftsbeziehungen unter Männern wieder einige Komplexität besaßen. So gab es die Einrichtung der "wedded brethren", ein vor dem Altar geschlossener Bund, mit dem wohl oft auch eine "obszöne Vertrautheit" einherging. Eduard II. und sein Günstling Piers Gaveston handelten sich diesen Vorwurf ebenso ein wie Richard II. und Robert de Vere. Crossdressing kam spätestens mit dem Aufschwung des Theaters im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert in Mode. Transgender-Biographien und sogenannte "Molly"-Häuser, Schwulentreffpunkte, finden sich seit dem siebzehnten Jahrhundert zuhauf. Auch die lesbische Liebe trotzte allen Verfolgungen etwa durch die "Society for the Reformation of Manners". Anatomisch korrekte "Shuttlecocks" waren im achtzehnten Jahrhundert überall erhältlich, in Leicester Fields soll es gar ein Geschäft gegeben haben, "das nichts anderes verkaufte".
Von 1800 an blieb Großbritannien in Sachen Liberalität hinter dem Rest Europas zurück. Aufklärer wie Jeremy Bentham plädierten allenfalls in unveröffentlichten Schriften für die Straflosigkeit von homosexuellen Handlungen, weil sie "der Gesellschaft keinerlei Leid" zufügten. Im strengen viktorianischen Zeitalter ging nicht einmal ein Oscar Wilde straflos aus, aber es war eben diese Epoche, in der London als "queere Metropole" Format gewann. Wildes Verteidigungsrede für die "Liebe, die ihren Namen nicht zu nennen wagt", mag das Gericht nicht überzeugt haben, doch sie wurde ein Meilenstein im Zivilisationsprozess. Erst 1967 schaffte die britische Regierung schließlich die Strafbarkeit homosexueller Handlungen zwischen Erwachsenen ab. Den Bezug zur gesellschaftlichen Realität hatte die Politik da längst verloren.
Der Clou des Buches besteht darin, dass für Ackroyd mit dem Sieg von Toleranz und Gleichberechtigung - die Gay Liberation Front ist Geschichte; die Homo-Ehe seit 2014 (wieder) erlaubt - die schrille Geschichte des "queeren London" endete und die leisen Jahre begannen. Schwul oder nicht schwul, das ist nicht mehr die Frage. Geheimsprachen wie Polari, Ausdrücke wie "Macaroni", "Urninde", "Tiddy Doll" oder "Molly" sind obsolet geworden, daran können auch reaktionäre Aufwallungen wie die unter bibeltreuen Hardlinern derzeit kursierende "Nashville-Erklärung" nichts ändern. Ob sich das gentrifizierte London aber seine von Ackroyd gefeierte Vielfalt und Widerständigkeit bewahren wird, muss sich erst noch zeigen.
OLIVER JUNGEN
Peter Ackroyd: "Queer
London". Von der Antike bis heute.
Aus dem Englischen von Sophia Lindsey. Penguin Verlag, München 2018. 272 S., geb., 24,- [Euro].
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After his mammoth, shamanic aria London: the Biography, the remarkable writer Peter Ackroyd has produced a nimble, uproarious pocket history of sex in his beloved metropolis Alasdair Lees Independent