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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.08.2009

Kino des Circensischen
"Inglourious Basterds", von allen Seiten betrachtet

"Inglourious Basterds", das sei nicht einfach nur ein Kriegsfilm. Es sei stattdessen der Film, an dem sich neu definieren müsse, "was Geschichte, Erinnerung, Erzählung und Kino ist". In den folgenden, fast hundertfünfzig Seiten seiner Monographie zu Quentin Tarantinos Opus Magnum arbeitet Georg Seeßlen sich dann an dieser gewichtigen These ab. Produktionsnotizen, Paraphrasen des Inhalts und mannigfache Verweise in die Filmgeschichte strukturieren Seeßlens cinéphile Agitprop, die man sich nicht mehr wegdenken möchte aus der deutschen Filmkritik.

Auch wenn Seeßlen mitunter etwas redundant zu werden droht, er stößt doch immer wieder auch in faszinierende Randgebiete des Kinos vor. Besonders erfreulich ist sein Kapitel zum italienischen Kriegsfilm, einem lustvollen Kino des Circensischen. Einem Kino, das sich nicht mehr historisch verortet, sondern bereits im Posthistoire angelangt ist - dort, wo die Geschichten jede Geschichte bezwungen haben. Einem Kino also, das Tarantino schon vor vierzig Jahren weit voraus war. Über wunderbare Filme wie Umberto Lenzis "Fünf gegen Casablanca" (1967) oder Giorgio Ferronis "Königstiger vor El Alamein" (1969) schreibt Seeßlen, über Gianfranco Parolinis "Todeskommando Panthersprung" (1969) oder Duccio Tessaris "Die Helden von Afrika" (1973) und natürlich auch über Enzo G. Castellaris "Ein Haufen verwegener Hunde" (1977), der in den Vereinigten Staaten als "Inglorious Basterds" verliehen wurde. Nicht, dass hier sich wirklich neue Erkenntnisse einstellten. Aber es ist schön, über Lenzi und Ferroni und Parolini und Tessari und Castellari gelesen zu haben.

Tarantino wird von Seeßlen als "Erlöser" gefeiert: als einer, der die Arbeit des Kinos an der Geschichte zum Sieg des Kinos über den Lauf der Geschichte radikalisiert. Die Präsenz des Imaginären, sie ist stärker als jedes kommunikative Gedächtnis, das ist eine alte Erkenntnis. Visionär neu definiert hat sie gerade erst Michael Mann mit seinen "Public Enemies" - in digitalen Bildern, die Vergangenheit als vergangene Gegenwart codieren, das heißt sie präsent machen durch modernste Mittel. Tarantino dagegen ist ein Nostalgiker des Analogen, dem historischen Imaginären kann sein Kino keine neue Volte abringen. Ein visueller Regisseur war Tarantino nie, das ändert sich auch nicht mit den "Inglourious Basterds". Er sucht keine Bilder, sondern Dialoge, lässt nicht die verbalen Zeichen das Visuelle komplementieren, sondern das Visuelle die verbalen Zeichen. Vor dem Sichtbaren steht stets das Sagbare. Hier liegt das große Paradox des Quentin Tarantino: dass er Filme über Filme dreht, das aber auf die denkbar unfilmischste Art und Weise.

IVO RITZER

Georg Seeßlen: "Quentin Tarantino gegen die Nazis". Alles über "Inglourious Basterds". Kleine Schriften zum Film 1. Bertz + Fischer, Berlin 2009, 175 S., Abb., br., 9,90 [Euro].

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