Produktdetails
  • Verlag: Argon
  • ISBN-13: 9783870244828
  • ISBN-10: 3870244828
  • Artikelnr.: 08853676
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.10.2000

Fahrstuhl in die Fachhochschule
Horst Bosetzky nimmt den Mittelbau fest in den Soziologenblick

Soziologieprofessor ist er, aber außerdem Autor von mehr als zwei Dutzend Kriminalromanen, von Hörspielen, wissenschaftlichen Studien sowie Drehbüchern für Filme und fürs Fernsehen. Jugendbücher hat er auch verfaßt, zudem eine mehrbändige Autobiographie in Romanform, deren vorerst letzter Teil, "Quetschkartoffeln und Karriere", gerade herausgekommen ist.

Wann schafft er das alles? Frühmorgens um halb sieben geht es los. Acht Seiten am Tag sind ein guter Durchschnitt. Auch Thomas Mann hat sich dieses Pensum abverlangt (oder hat Frau Katja ihn dazu verdammt?). Horst Bosetzky, der seine Krimis unter dem Pseudonym "-ky" veröffentlicht, muß zum Schreiben nicht gedrängt werden. Er produziert freiwillig und mit Lust am laufenden Band anhand seiner Notizen und gesammelten Materialien aus dem Tagesgeschehen. Den Anspruch auf hohe Literatur erhebt er nicht. Doch ein Chronist und Zeitzeuge will er schon sein.

Wer sein Leben wie eine Feldstudie ausbreitet und sich auf präzise Tagebuchaufzeichnungen verlassen kann, ist gegenüber seinen fabulierenden Konkurrenten im Vorteil: die Authentizität ist unbestreitbar. Aufgewachsen als Neuköllner Hinterhofkind und reichlich ausgestattet mit einer fixen Berliner Schnauze, sind Horst Bosetzky die Sympathien seiner Leser sicher. Vor allem die Gleichaltrigen vom Jahrgang achtunddreißig aus dem akademischen Mittelbau werden bei ihm ihr Generationserlebnis wiederfinden. Und die Jüngeren werden vielleicht verstehen, warum die heute Grauhaarigen so sind, wie sie sind: angepaßt, abgenutzt und manchmal melancholisch ihren Anfängen nachsinnend.

Bosetzky, obwohl ein Hypochonder, wie er im Buch steht (falls er ebenfalls so empfindsam leidet wie sein Held), muntert auf mit Situationskomik. Witze und Kalauer finden sich auf jeder Seite. Über sich selbst, vielmehr über seinen Doppelgänger Manfred Matuschewski, macht er sich besonders gern lustig. Er braucht ja kaum etwas zu erfinden, fast alles ist selbst erfahren. Der alltägliche Kleinkram mit seinen Hochs und Tiefs wie die Katastrophen, die ehelichen Freuden wie die Verstimmungen oder Gefährdungen einer langjährigen bewährten Partnerschaft.

Einer, der die achtundsechziger Revolution in Berlin erlebt hat und neben Rudi Dutschke in der Freien Universität gesessen hat, versucht seinen Idealen treu zu bleiben, auch wenn der Marsch durch die Institutionen mühsam ist und die Hoffnung, daß die Gesellschaft durch eine Verwaltungsreform zu verändern ist, sich auch im SPD-regierten Bremen bald als Illusion herausstellt.

Ein Soziologe mit Familie, promoviert und frisch von der Universität, hat nicht viel Auswahl: arbeitslos oder Mitarbeiter im neugeschaffenen Amt für Verwaltungsinnovation in Bremen, so lautet die Alternative. Die Erlebnisse im Koschnick-Clan mögen zugespitzt sein, die Kollegen dort sind manchmal bösartig gezeichnete Karikaturen - witzig ist es allemal, wie da Ämter erst einmal aufgebläht werden, um später erfolgreich zu schrumpfen, wie durch reichlich Alkohol Kameraderie entsteht und die Bürokratie um ihrer selbst willen sich verfestigt und feiert. Doch Bremen ist für einen echten Berliner Provinz und das absurde Theater im Amt auf die Dauer ermüdend und durch aufgezwungenen Alkoholkonsum gesundheitsschädigend.

Manfred bewirbt sich um eine Stelle an der neu zu gründenden Fachhochschule für Verwaltung in seiner Heimatstadt. Zwar muß er nun seine Fahrstuhlangst und seine Furcht vor dem Versagen im Lehrbetrieb überwinden, als Linker hat er außerdem dauernd mit seinen bourgeoisen Gelüsten zu kämpfen. Das Neuköllner Hinterhofkind hat noch längst nicht den Aufstieg in die besseren Quartiere von Dahlem oder Zehlendorf geschafft. Eine Laube mit Kleingarten ist zwar ideal für die Kinder, aber nicht für das Renommee. Die kleinbürgerliche Verwandtschaft erwartet weit mehr von einem Professor der Soziologie.

Familienbande verleugnet der vom Ehrgeiz gehetzte Wissenschaftler keineswegs; sie erweisen sich als äußerst stabil und verlangen Präsenz beim Geburtstagskaffee wie beim obligatorischen Besuch entfernter Onkel und Tanten im Osten und im Westen der Stadt. Auch diese Welt der kleinen Leute, die es mehr oder weniger zu etwas gebracht haben, zeichnet Bosetzky nicht ohne nachsichtig-liebevolle Ironie mit geschultem Soziologenblick und einer Fülle von Details. Die genauen Beschreibungen - darin ist er Walter Kempowski ähnlich - sind überhaupt seine Stärke. Und ebenso wie jener scheut er auch vor Banalitäten nicht zurück und erwartet von seinen Lesern manchmal viel Geduld. Auch die Lust am Blödeln mit Sprichwörtern und stereotypen Aussprüchen, die einzelne Menschen kennzeichnen, haben die beiden gemein. So bleibt das Lachen gelegentlich im Halse stecken, weil der Auslöser bereits mehrmals benutzt wurde.

Daß die autobiographischen Romane alle die Kartoffel im Titel führen, läßt vermuten, daß dem Autor diese Ernährungsgrundlage der Deutschen wichtig ist. Hausmannskost eben.

MARIA FRISÉ

Horst Bosetzky: "Quetschkartoffeln und Karriere". Roman. Argon Verlag, Berlin 2000. 554 S., geb., 44,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Maria Frisé räumt ein, dass es sich hier nicht unbedingt um "hohe Literatur" handelt. Trotzdem gefällt ihr der Band. Die Rezensentin geht davon aus, dass der Autor Horst Bosetzky und sein Held weitestgehend identisch sind, aber dies stört sie nicht, im Gegenteil. Diese Authentizität scheint für sie eine der wesentlichen Stärken des Bandes zu sein. Auch verfügt der Autor, wie sie anmerkt, über eine Menge Humor und scheut nicht davor zurück, sich selbst mit seiner Hypochondrie und seinen Alltags- und Beziehungskatastrophen selbst auf die Schippe zu nehmen - etwas, was bei Achtundsechzigern vielleicht nicht selbstverständlich ist. Großen Gefallen hat Frisé besonders an der Passage gefunden, in der sich der Protagonist in einem Amt für Verwaltungsinnovation herumplagen muss - mit dem sinnlos aufgeblähten bürokratischen Apparat, den es zu schrumpfen gilt, mit Alkohol-Kameradschaften, mit Kollegen, die Bosetzky manchmal "bösartig" karikiert. Aber auch die Schilderung des einfachen Milieus, aus dem der Autor selber kommt (Berlin-Neukölln) gefällt der Rezensentin. Hier zeige Bosetzky "nachsichtig-liebevolle Ironie" und eine ausgesprochene Begabung zu genauer Beschreibung.

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