Die neuen Gedichte von Marica Bodrozic sind ein sprachmagnetisches Kopfarchiv. Ganz nebenbei entsteht in ihnen Seite für Seite ein klares poetisches Familienalbum, das Schrecken und Liebe gleichwertig behandelt und dabei den Schmerz nicht auslässt, der, Nachhall von Gewalt, Angst und Verlust, immer als präziser Schreiber im Gedächtnis mitgeht. Die Dichterin hat dabei einen inneren Ort entstehen lassen, der von der Sehnsucht nach guten Berührungen erzählt, aber dabei die Idylle geradezu mathematisch scheut. Ein tastendes lyrisches Ich ist hier am Werk, das die Kraft aus dem Wissen um seine Zerbrechlichkeit schöpft. In allen diesen Gedichten ist es auf Reisen und wird nicht nur in der äußeren Welt fündig, vielmehr unterliegt es unterwegs und in fremden Städten, Orten und Landschaften den jeweils anderen Spiegelungen - ist es im Innen, treibt es wortgewaltig nach außen, um von dort wieder in die ureigenen Gedächtnishefte gleichsam wie in eine fremde Stadt vorzudringen. Die "Quittenstunden" bewegen sich im Echoraum von Gewalt und Freiheit. Die hier vorgelegten Muttergedichte, Vatergedichte und Liebesgedichte sind von einer sprachlichen Klarheit, die nicht nur eigene Erinnerung aufleuchten lässt, sondern durch die auch ein wortschöpferisches Panoptikum als fühlbarer Sprachraum sichtbar wird.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.04.2011Das Gelb des Lebens
Schlechte Laune ist das Letzte, was man ihrer Poesie vorwerfen kann. Marica Bodrozic, 1973 in Dalmatien geboren und in Berlin lebend, schreibt deutsche Bücher mit heiteren Titeln wie "Ein Kolibri kam unverwandelt" oder "Lichtorgeln". Der neue Gedichtband "Quittenstunden" trägt leuchtendes Orange. Darin heißt es: "Quittenstunden liebte ich / schon im Bauch der Mutter / Alles Schöne und Gute." Das ist - von einigen Kindheitsbitternissen abgesehen - der freundliche Tenor. Er hat manchmal einen Anklang an idealistisches Menschheitspathos. So findet Bodrozic in der Menge "für Stunden Brüder / viele Schwestern im Vorübergehen" und sieht sich "am Anfang des neuen Menschen". Doch das ist kein Programm, sondern bleibt bloße Stimmungsanmutung. Die Autorin vertraut dem, was sich ihr an Impressionen, Befindlichkeiten und Wünsche aufdrängt - so, als müssten ihre Assoziationen zwingend zu denen des Lesers werden. Bodrozic möchte kein "seeker" sein, sondern "alles über Menschen / lernen / leuchtend und prall / am Gelb teilhaben". Das wirkt sympathisch unverkrampft, bleibt aber frommer Wunsch. Den breiten lyrischen Arrangements fehlt die Kohärenz des Sehens und Erkennens. Das prosahafte Parlando findet keine prägnante Form, die Assoziationsflut keinen entschiedenen Zugriff auf Wirklichkeit. Nehmen wir "Quittenstunden" - mit Bodrozics Formulierung - als "lichtrandiges Buch / das niemanden stört". (Marica Bodrozic: "Quittenstunden". Gedichte. Otto Müller Verlag, Salzburg 2011. 68 S., geb., 18,- [Euro].) H.H.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Schlechte Laune ist das Letzte, was man ihrer Poesie vorwerfen kann. Marica Bodrozic, 1973 in Dalmatien geboren und in Berlin lebend, schreibt deutsche Bücher mit heiteren Titeln wie "Ein Kolibri kam unverwandelt" oder "Lichtorgeln". Der neue Gedichtband "Quittenstunden" trägt leuchtendes Orange. Darin heißt es: "Quittenstunden liebte ich / schon im Bauch der Mutter / Alles Schöne und Gute." Das ist - von einigen Kindheitsbitternissen abgesehen - der freundliche Tenor. Er hat manchmal einen Anklang an idealistisches Menschheitspathos. So findet Bodrozic in der Menge "für Stunden Brüder / viele Schwestern im Vorübergehen" und sieht sich "am Anfang des neuen Menschen". Doch das ist kein Programm, sondern bleibt bloße Stimmungsanmutung. Die Autorin vertraut dem, was sich ihr an Impressionen, Befindlichkeiten und Wünsche aufdrängt - so, als müssten ihre Assoziationen zwingend zu denen des Lesers werden. Bodrozic möchte kein "seeker" sein, sondern "alles über Menschen / lernen / leuchtend und prall / am Gelb teilhaben". Das wirkt sympathisch unverkrampft, bleibt aber frommer Wunsch. Den breiten lyrischen Arrangements fehlt die Kohärenz des Sehens und Erkennens. Das prosahafte Parlando findet keine prägnante Form, die Assoziationsflut keinen entschiedenen Zugriff auf Wirklichkeit. Nehmen wir "Quittenstunden" - mit Bodrozics Formulierung - als "lichtrandiges Buch / das niemanden stört". (Marica Bodrozic: "Quittenstunden". Gedichte. Otto Müller Verlag, Salzburg 2011. 68 S., geb., 18,- [Euro].) H.H.
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