Als Rainer Werner Fassbinder am 10. Juni 1982 in München starb, war er gerade 37 Jahre alt. In atemberaubender Geschwindigkeit hatte er ab 1969 in 13 Jahren rastloser Tätigkeit 44 Filme geschaffen, die wie ein ästhetisches Gebirge in der Filmwelt stehen. Beeinflusst von der intellektuellen Raffinesse eines Bert Brecht und der lakonischen Aneignung des Profanen bei Andy Warhol entwickelte Fassbinder eine kraftvolle eigene poetische Sprache. Und da er von den meist traurigen Spielarten der Liebe sprach, wurde eine Weltsprache daraus. In der genauen und liebevollen Beschreibung der (west)deutschen Verhältnisse nach dem Kriegsende und vor dem Mauerfall sind seine Filme zusätzlich zu einem nationalen Monument geworden.Es ist eine auf 13 schöpferische Jahre komprimierte Fülle filmischer Phantasie, in der der Poet und Erzähler Fassbinder seine Erfüllung und schließlich seine Erschöpfung fand. Unser Band ist ein Erinnerungsbuch der Sonderklasse, das alle seine 44 Filme optisch an uns vorüberziehen lässt: seine Schauspieler - die schönen Männer und die starken Frauen -, seine Kameramänner, Ausstatter, Filmarchitekten und engen Mitarbeiter. Eine Hommage an ein Genie - ein heiliges und eiliges.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.06.2016Eingefrorene Bilder
Ein neuer Fotoband über Fassbinders Filme
Rainer Werner Fassbinder, gestorben am 10. Juni 1982, ist jetzt fast so lange tot, wie er gelebt hat - und vermutlich ist es allerhöchste Zeit, dass dieser Mann, dessen Leben und dessen Kunst immer im Präsens waren, uns trotzdem endlich historisch wird. Die 34 Jahre ohne ihn, die hinter uns und dem deutschen Film liegen, lassen sich grob gliedern in eine erste Phase, da fehlte er, so wie heute Bernd Eichinger selbst denen fehlt, die nie die größten Fans seiner Filme waren; der deutsche Film nach Fassbinders Tod wirkte nur noch halb so kraftvoll, halb so produktiv, halb so lebendig - erst als er nicht mehr da war, merkte man, wie alt und müde der noch immer so genannte Junge deutsche Film geworden war; und dass die Filmer, und nur sie, sich aber immer noch für jung hielten und die wirklich Jungen nicht hochkommen ließen. Irgendwann, weil man eh keine Wahl hatte, gewöhnte man sich aber daran, dass der deutsche Film ohne Fassbinder so war, wie er eben war. Das war der Anfang der zweiten Phase, in welcher von Fassbinder nicht besonders viel die Rede war. Er, der selbst ein großer Cinéphiler war, ein Verehrer zum Beispiel von Douglas Sirk (den das Publikum zu seiner Zeit für einen Kitschheini hielt) und von Raoul Walsh (den kaum einer kannte), er war aber selber keiner, der seinerseits verehrt worden wäre von jenen Cinéphilen, die zwar wenige sind, aber deren Historisierungen und Geschmacksurteile sich dann doch durchsetzen beim größeren Publikum: zu viele Filme zu schnell gedreht und dabei viel zu wenig wimwendershafte Selbstreflexion und demonstrative Nachdenklichkeit. Und natürlich viel zu viel Inhalt, Plot, Schicksal, Geschichte, Absicht, Wut, als dass da viel Zeit gewesen wäre, über Ästhetik zu sprechen. Erschwerend kam hinzu: Anscheinend war unter den unübersehbar vielen Fassbinderfilmen keiner, der dafür taugte, jedermanns Lieblingsfilm zu sein.
Und genau deshalb ist es gut, dass Fassbinder uns langsam historisch wird, dass man auf seine Filme schauen kann, ohne dabei zugleich bis zum Hals involviert zu sein in all die Konflikte und Ambitionen, welche den Zeitgenossen Fassbinder so bewegten. Und genau deshalb ist es auch gut, ausnahmsweise mal nicht mit den Filmen anzufangen, sondern mit einem Buch, das "R. W. Fassbinder - Die Filme" heißt (Verlag Schirmer/Mosel) und im Wesentlichen aus Bildern besteht, die aber keine Standbilder sind, also nicht die Bilder, welche ein Fotograf am Filmset macht. Nein, es sind Bilder, direkt aus den Filmkopien herausfotografiert, genau die Kadrierungen, welche, zum Beispiel, Fassbinders wunderbarer Kameramann Michael Ballhaus gewählt hat, und genau da, im quasi eingefrorenen Film, sieht man heute, dass der Vorwurf, einen Stil habe er eigentlich nicht gehabt und vor lauter Werk könne man den einzelnen Film gar nicht mehr erkennen, nur ein Vorurteil ist, eine seltsam arrogante Sicht auf RWF, die vor der Filmgeschichte keinen Bestand haben wird.
Es gibt, natürlich, den Lieblingsfilm; nur dass es ihn bei Fassbinder gleich mehrmals gibt - beim Blättern bleibt der Blick hängen an unfassbaren Bildern von Barbara Valentin, Kurt Raab, Mascha Rabben, man erinnert sich, dass "Welt am Draht" eigentlich gar kein Film war, nur ein Fernsehzweiteiler aus der Zukunft, eine Geschichte wie "Matrix", nur subtiler, literarischer, und so wunderbar stilisiert, wie diese körperlichen Menschen, Klaus Löwitsch oder eben die sinnliche Barbara Valentin, mit ihren Körpern rebellieren gegen den Verdacht, dass es nicht Welt sei, sondern Simulation, was sie umgibt. Und natürlich will man diesen Film, den keine Anstalt sich heute zu produzieren traute fürs Hauptabendprogramm, sofort wiedersehen.
Oder diese schicken, schwarzweißen Bilder, auf denen die Münchner Vorstädte wie die Pariser Peripherie aussehen wollen, Fassbinder mit Sonnenbrille wie Dennis Hopper, Ulli Lommel mit Hut wie Alain Delon, Hanna Schygulla wie Anna Karina in "Vivre sa vie". "Liebe ist kälter als der Tod". Peter Berling, der Filmproduzent, der hier eine Rolle spielte, hat einmal erzählt, dass er fürchtete, aus dem Gewehr, das auf ihn gerichtet war, werde eine richtige Kugel kommen - so drastisch müssen die Dreharbeiten gewesen sein.
Das ist das Schöne an diesem Buch: Es ersetzt nicht das Betrachten der Filme - es fügt ihm etwas hinzu. Eine Distanz, aus der man Fassbinders Stil sehr gut ahnen und erkennen kann.
CLAUDIUS SEIDL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein neuer Fotoband über Fassbinders Filme
Rainer Werner Fassbinder, gestorben am 10. Juni 1982, ist jetzt fast so lange tot, wie er gelebt hat - und vermutlich ist es allerhöchste Zeit, dass dieser Mann, dessen Leben und dessen Kunst immer im Präsens waren, uns trotzdem endlich historisch wird. Die 34 Jahre ohne ihn, die hinter uns und dem deutschen Film liegen, lassen sich grob gliedern in eine erste Phase, da fehlte er, so wie heute Bernd Eichinger selbst denen fehlt, die nie die größten Fans seiner Filme waren; der deutsche Film nach Fassbinders Tod wirkte nur noch halb so kraftvoll, halb so produktiv, halb so lebendig - erst als er nicht mehr da war, merkte man, wie alt und müde der noch immer so genannte Junge deutsche Film geworden war; und dass die Filmer, und nur sie, sich aber immer noch für jung hielten und die wirklich Jungen nicht hochkommen ließen. Irgendwann, weil man eh keine Wahl hatte, gewöhnte man sich aber daran, dass der deutsche Film ohne Fassbinder so war, wie er eben war. Das war der Anfang der zweiten Phase, in welcher von Fassbinder nicht besonders viel die Rede war. Er, der selbst ein großer Cinéphiler war, ein Verehrer zum Beispiel von Douglas Sirk (den das Publikum zu seiner Zeit für einen Kitschheini hielt) und von Raoul Walsh (den kaum einer kannte), er war aber selber keiner, der seinerseits verehrt worden wäre von jenen Cinéphilen, die zwar wenige sind, aber deren Historisierungen und Geschmacksurteile sich dann doch durchsetzen beim größeren Publikum: zu viele Filme zu schnell gedreht und dabei viel zu wenig wimwendershafte Selbstreflexion und demonstrative Nachdenklichkeit. Und natürlich viel zu viel Inhalt, Plot, Schicksal, Geschichte, Absicht, Wut, als dass da viel Zeit gewesen wäre, über Ästhetik zu sprechen. Erschwerend kam hinzu: Anscheinend war unter den unübersehbar vielen Fassbinderfilmen keiner, der dafür taugte, jedermanns Lieblingsfilm zu sein.
Und genau deshalb ist es gut, dass Fassbinder uns langsam historisch wird, dass man auf seine Filme schauen kann, ohne dabei zugleich bis zum Hals involviert zu sein in all die Konflikte und Ambitionen, welche den Zeitgenossen Fassbinder so bewegten. Und genau deshalb ist es auch gut, ausnahmsweise mal nicht mit den Filmen anzufangen, sondern mit einem Buch, das "R. W. Fassbinder - Die Filme" heißt (Verlag Schirmer/Mosel) und im Wesentlichen aus Bildern besteht, die aber keine Standbilder sind, also nicht die Bilder, welche ein Fotograf am Filmset macht. Nein, es sind Bilder, direkt aus den Filmkopien herausfotografiert, genau die Kadrierungen, welche, zum Beispiel, Fassbinders wunderbarer Kameramann Michael Ballhaus gewählt hat, und genau da, im quasi eingefrorenen Film, sieht man heute, dass der Vorwurf, einen Stil habe er eigentlich nicht gehabt und vor lauter Werk könne man den einzelnen Film gar nicht mehr erkennen, nur ein Vorurteil ist, eine seltsam arrogante Sicht auf RWF, die vor der Filmgeschichte keinen Bestand haben wird.
Es gibt, natürlich, den Lieblingsfilm; nur dass es ihn bei Fassbinder gleich mehrmals gibt - beim Blättern bleibt der Blick hängen an unfassbaren Bildern von Barbara Valentin, Kurt Raab, Mascha Rabben, man erinnert sich, dass "Welt am Draht" eigentlich gar kein Film war, nur ein Fernsehzweiteiler aus der Zukunft, eine Geschichte wie "Matrix", nur subtiler, literarischer, und so wunderbar stilisiert, wie diese körperlichen Menschen, Klaus Löwitsch oder eben die sinnliche Barbara Valentin, mit ihren Körpern rebellieren gegen den Verdacht, dass es nicht Welt sei, sondern Simulation, was sie umgibt. Und natürlich will man diesen Film, den keine Anstalt sich heute zu produzieren traute fürs Hauptabendprogramm, sofort wiedersehen.
Oder diese schicken, schwarzweißen Bilder, auf denen die Münchner Vorstädte wie die Pariser Peripherie aussehen wollen, Fassbinder mit Sonnenbrille wie Dennis Hopper, Ulli Lommel mit Hut wie Alain Delon, Hanna Schygulla wie Anna Karina in "Vivre sa vie". "Liebe ist kälter als der Tod". Peter Berling, der Filmproduzent, der hier eine Rolle spielte, hat einmal erzählt, dass er fürchtete, aus dem Gewehr, das auf ihn gerichtet war, werde eine richtige Kugel kommen - so drastisch müssen die Dreharbeiten gewesen sein.
Das ist das Schöne an diesem Buch: Es ersetzt nicht das Betrachten der Filme - es fügt ihm etwas hinzu. Eine Distanz, aus der man Fassbinders Stil sehr gut ahnen und erkennen kann.
CLAUDIUS SEIDL
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