Mit genauem und doch zärtlichem Blick beschreibt die in New York lebende Deborah Eisenberg eine amerikanische Realität, die zunehmend chaotischer, brutaler und unkontrollierbarer geworden ist. Dämmerung der Superhelden erzählt im Rückblick von einer Freundesgruppe im extravaganten, glitzernden Manhattan zu Beginn des neuen Jahrtausends, und erst allmählich begreift man, dass das, was die jungen Leute von ihrem luxuriösen Penthouse aus beobachten, die Attacke vom 11. September ist. Andere Geschichten beschreiben Misfits, Begegnungen von Kindern und Kindeskindern und auseinanderdriftende Familien, in denen manchmal schon ein falsches Wort genügt, um alte Ressentiments wiederaufflammen zu lassen. Konzentrierte, formal perfekte Studien von Deborah Eisenberg - einer Meisterin der amerikanischen Kurzgeschichte.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.03.2008So waren wir, so sind wir immer noch
„Rache der Dinosaurier”: Deborah Eisenbergs intelligent-lässige Geschichten über New York und seine neurotischen Bewohner
Die Stadtneurotiker? Ein Fall, reserviert für Woody Allen? Deborah Eisenberg, in Chicago geboren, seit Urzeiten New Yorkerin, Schriftstellerin, Dozentin für creative writing, Lebensgefährtin des Schauspielers Wallace Shawn, ist Kennerin des wundersam melancholischen Gefühls, das Woody Allens beste Filme unvergleichlich macht. Sie kennt den prekären Untergrund, weshalb jüdische Amerikaner ängstlich, verzweifelt, erfolgreich, familienversessen und melancholisch sind. Deborah Eisenberg ist keine sentimentale, rückwärts gewandte Frau. Aber sie weiß, dass es ohne Vergangenheit keine Zukunft gibt, und die Kindeskinder der Einwanderer immer noch und immer wieder neu durchgeschüttelte Amerikaner sind. Diese Kindeskinder schleppen Spurenelemente der alten Verwundungen und Idiosynkrasien mit sich herum. Deborah Eisenberg erwischt die Männer und Frauen, Freunde und Liebespaare in ihren subtilen Verstecken. Ihre Lebensformen sind der Gegenwart eines durch den 11. September 2001 schwerstverletzten Amerikas angepasst.
Wenn in letzter Zeit ein überzeugender Text über die Vibration geschrieben worden ist, die eine Stadt an ihre Einwohner weiterleitet, bis die Menschen selbst so zittern wie die Häuser, Straßen und U-Bahnen, dann sind es definitiv Deborah Eisenbergs fünf neue Erzählungen mit dem monströsen Titel „Rache der Dinosaurier” (im Original „Twilight of the Superheroes”). Es geht hier natürlich nicht um das eindeutige Buntbild mit sex and crime oder um irgendwelchen affirmativen Protz. Deborah Eisenberg beschreibt die Welt einiger Personen aus verdeckt neurotischen Milieus. Anteilnehmend distanziert sieht sie den Spinnereien, Verwerfungen und Selbstbeschönigungen ihres Personals zu und schildert die bohrende Gangart von Tragödien. Es sind, weil die ordentlich nach Geschlechtern und Generationen aufgeteilten Familiengeschichten der Vergangenheit angehören, Geschichten über zeittypische Ersatzformen. Otto lebt mit William, Naomi mit Margaret, die Frauen haben in China ein Kind adoptiert. Nathaniel träumt von einer Yogalehrerin und ist mit dem Träumen zufrieden. Die in der „Rache der Dinosaurier” versammelten Geschichten sind Meisterwerke der Überblendung. Fast nichts ist so, wie es zu sein scheint, und die „arme alte Erde” wird, während alle noch so dahinschwafeln, „unter ihren Füßen geplündert”. Deborah Eisenberg findet immer eine Person, der sie ungemütliche bis vehement zornige politische Botschaften gegen Bushs Amerika, gegen den Ausbeuterkapitalismus in den Mund legen kann.
Nirgends eine Katastrophe
Die Geschichte „Dämmerung der Superhelden” erzählt von New York am Neujahrstag 2000 und von New York nach dem Einsturz der Normalität im September 2001. Der vierundzwanzigjährige Nathaniel denkt sich am Abend vor dem neuen Jahrtausend, als alle dachten, die Welt geht unter oder wenn schon nicht die gesamte Erde, dann wenigstens Europa, aus, er müsse seinem Enkel erzählen, was damals geschehen ist. „Gar nichts geschah! Wir hielten den Atem an. . ., und es war nichts. Auf dem ganzen Erdball, von Ost nach West und wieder zurück, weit und breit keine Katastrophe”. Das Erwartete blieb aus, das Unerwartete, Unvorstellbare, Unbeschreibbare tritt dafür am 11. September ein. „O dieser Tag! Man wartete – als käme ein Morgen aus der Zeit vor diesem Tag, der sie alle in eine andere Richtung umdirigieren würde. Man wartete darauf, dass dieser vernichtende Tag ungeschehen gemacht würde. . . . Eine klebrige Schicht Krematoriumsasche” lag auf der Stadt, in die Schulfreunde Nathaniel gerufen hatten. Dabei hatte Nathaniel sich’s bei seinen Eltern bequem gemacht und erfolgreiche Comics über das erfolglose Leben des „Passiv-Manns” entworfen und war dabei selbst zum Passiv-Mann geworden.
Deborah Eisenberg erzählt in der „Dämmerung der Superhelden” eine vielfältige Geschichte. Sie handelt von Nathaniel und seinen Freunden, die im Luxusloft eines japanischen Geschäftsmanns die Blumen gießen, bis Mr. Matsumoto nach der Baisse zurückkommen und in New York wieder Geld verdienen kann. Von Mr. Matsumotos Terrasse kann man die Freiheitsstatue sehen. Deborah Eisenberg bringt auf 53 Seiten das Kunststück fertig, Milleniumshysterie und den Albtraum des 11. September mit den zurückliegenden Ängsten in den Familiengeschichten zu verbinden. Bitter sind ihre Geschichten nie, eher liebevoll und komisch. Denn alle fühlen sich ein bisschen nervös, unwohl und müde. Alle wissen oder ahnen, dass man „nur den Vorhang sieht. Und unwillkürlich darüber spekuliert, was sich wohl dahinter abspielt.” Scharf und wütend opponiert die Autorin gegen die Politik von Bush, dessen „verkniffenes Gesicht aus den allgegenwärtigen Mattscheiben starrt”.
Es gehört zu den vielen Überraschungen in Deborah Eisenbergs Texten, dass man einfache Sätze und eine einfache Geschichte liest und erst nach und nach versteht, was alles hinter den einfachen Sätzen gestapelt ist, oder was sich hinter dem „Vorhang” abspielt. Um es einfach zu sagen: Die grausame Geschichte des 20. Jahrhunderts. Macht euch nichts draus, scheint die Schriftstellerin zu sagen, so ist das Leben, so ist die Normalität, schaut in die Zukunft und in die Vergangenheit. Leider ist beides schlecht miteinander in Einklang zu bringen, weil es überall Versprechen und gebrochene Versprechen gibt.
Die Liebe ist, wie jedes Kind weiß, eine äußerst komplizierte Angelegenheit. Nathaniel ist zu faul für die Liebe, und Otto, der erfolgreiche Anwalt, liebt William. Otto ist erfolgreicher als William und erfolgreicher als seine Geschwister, die mal mit dem oder der verheiratet sind, Kinder bekommen haben, Ottos Nichten und Neffen, für die er sich verantwortlich fühlt. „Vielleicht”, denkt Otto, „ hatte das Leben der letzten Dinosaurier, als sie verwirrt und bekümmert über den vom Kometen versengten Planeten wanderten, dieser Kindheit geähnelt. Jedenfalls war sie bestimmt nicht angenehm gewesen, und doch drängte es einen gelegentlich, dem gemeinsamen Vorleben Reverenz zu erweisen.”
Hör mit dem Quatsch auf!
Manchmal fragt der Erzähler in schöner Naivität: „Was reden die Leute da bloß?” Und William stellt die Frage, ob es rein theoretisch möglich wäre, „sich an etwas zu erinnern, was man – also der Teil seiner selbst, den man bewusst wahrnimmt – noch gar nicht erlebt hat. Ich meine, wir wissen ja wirklich nicht, ob die Zeit linear verläuft.” Otto verlangt, dass William mit dem Quatsch sofort aufhört, William lässt sich den Mund nicht verbieten. „Ich spreche doch nur von der Theorie.” Obwohl Deborah Eisenberg ihr Personal nur bruchstückhaft vorstellt und das meiste, was an gewöhnlichem Leben so stattfindet, weglässt, gelingt es ihr mit ein paar Sätzen, den existentiellen Zwiespalt zu charakterisieren.
„Jedermann ist so allein. Großer Gott, wie hielt man das aus? Ja, natürlich fühlte man sich unvollständig, natürlich fühlte man sich behindert und blind. Und vielleicht versuchte jede Kreatur auf Erden, auf all den Erden, ihre hartnäckigen Membranen zu durchstoßen . . . Es ging einem doch schon zur Genüge auf den Geist, nur mit ein paar anderen Menschen Kontakt zu pflegen, und wie erst mit all seinen Ichs.”
Ein Familientreffen zu Thanksgiving, eine Reise nach Italien, ein Besuch bei einer bewunderten, nach einem Schlaganfall geistig entrückten Großmutter, alles gewöhnliche Anlässe, um den Unterschied zwischen Selbstbewusstsein und Selbstbestätigung, um die Distanz, in der wir uns zu uns selbst befinden, auszuloten. Die größtmöglichen Unglücksfälle und die kleinstmöglichen Ungewissheiten. Deborah Eisenbergs Geschichten kurven um die Erkenntnis, dass Erinnerung immer die Erinnerung an eine Erinnerung ist. Sie zeigt Liebende am Rande des Nervenzusammenbruchs und, wenn auch nur in einem Nebensatz, das Familiensystem, dem die Liebenden nicht entkommen können. Um das nicht falsch zu verstehen: Nichts wird hier trivial denunziert, keine Psychiater oder Psychotherapeutenarien, keine Ambulanz, die mit kreischenden Rädern und Geheul um die Straßenecke rast. Deborah Eisenberg ist die blitzgescheite Meisterin des Subtilen. Die Geschichten bestehen aus Dialogen, nur manchmal braust ein Erzähler herrlich ernüchternd dazwischen: „Hallo, so waren wir, so sind wir noch immer, und tschüss.”VERENA AUFFERMANN
DEBORAH EISENBERG: Rache der Dinosaurier. Erzählungen. Aus dem Amerikanischen von Thomas Überhoff und Nicolaus Hansen. Carl Hanser Verlag, München 2008. 218 Seiten, 17,90 Euro.
New York nach dem 11. September 2001: Die Türme des World Trade Centers sind nur noch auf der Abbildung zu sehen. Foto: Regina Schmeken
Deborah Eisenberg trifft das New Yorker Milieu. Foto: Isolde Ohlbaum
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„Rache der Dinosaurier”: Deborah Eisenbergs intelligent-lässige Geschichten über New York und seine neurotischen Bewohner
Die Stadtneurotiker? Ein Fall, reserviert für Woody Allen? Deborah Eisenberg, in Chicago geboren, seit Urzeiten New Yorkerin, Schriftstellerin, Dozentin für creative writing, Lebensgefährtin des Schauspielers Wallace Shawn, ist Kennerin des wundersam melancholischen Gefühls, das Woody Allens beste Filme unvergleichlich macht. Sie kennt den prekären Untergrund, weshalb jüdische Amerikaner ängstlich, verzweifelt, erfolgreich, familienversessen und melancholisch sind. Deborah Eisenberg ist keine sentimentale, rückwärts gewandte Frau. Aber sie weiß, dass es ohne Vergangenheit keine Zukunft gibt, und die Kindeskinder der Einwanderer immer noch und immer wieder neu durchgeschüttelte Amerikaner sind. Diese Kindeskinder schleppen Spurenelemente der alten Verwundungen und Idiosynkrasien mit sich herum. Deborah Eisenberg erwischt die Männer und Frauen, Freunde und Liebespaare in ihren subtilen Verstecken. Ihre Lebensformen sind der Gegenwart eines durch den 11. September 2001 schwerstverletzten Amerikas angepasst.
Wenn in letzter Zeit ein überzeugender Text über die Vibration geschrieben worden ist, die eine Stadt an ihre Einwohner weiterleitet, bis die Menschen selbst so zittern wie die Häuser, Straßen und U-Bahnen, dann sind es definitiv Deborah Eisenbergs fünf neue Erzählungen mit dem monströsen Titel „Rache der Dinosaurier” (im Original „Twilight of the Superheroes”). Es geht hier natürlich nicht um das eindeutige Buntbild mit sex and crime oder um irgendwelchen affirmativen Protz. Deborah Eisenberg beschreibt die Welt einiger Personen aus verdeckt neurotischen Milieus. Anteilnehmend distanziert sieht sie den Spinnereien, Verwerfungen und Selbstbeschönigungen ihres Personals zu und schildert die bohrende Gangart von Tragödien. Es sind, weil die ordentlich nach Geschlechtern und Generationen aufgeteilten Familiengeschichten der Vergangenheit angehören, Geschichten über zeittypische Ersatzformen. Otto lebt mit William, Naomi mit Margaret, die Frauen haben in China ein Kind adoptiert. Nathaniel träumt von einer Yogalehrerin und ist mit dem Träumen zufrieden. Die in der „Rache der Dinosaurier” versammelten Geschichten sind Meisterwerke der Überblendung. Fast nichts ist so, wie es zu sein scheint, und die „arme alte Erde” wird, während alle noch so dahinschwafeln, „unter ihren Füßen geplündert”. Deborah Eisenberg findet immer eine Person, der sie ungemütliche bis vehement zornige politische Botschaften gegen Bushs Amerika, gegen den Ausbeuterkapitalismus in den Mund legen kann.
Nirgends eine Katastrophe
Die Geschichte „Dämmerung der Superhelden” erzählt von New York am Neujahrstag 2000 und von New York nach dem Einsturz der Normalität im September 2001. Der vierundzwanzigjährige Nathaniel denkt sich am Abend vor dem neuen Jahrtausend, als alle dachten, die Welt geht unter oder wenn schon nicht die gesamte Erde, dann wenigstens Europa, aus, er müsse seinem Enkel erzählen, was damals geschehen ist. „Gar nichts geschah! Wir hielten den Atem an. . ., und es war nichts. Auf dem ganzen Erdball, von Ost nach West und wieder zurück, weit und breit keine Katastrophe”. Das Erwartete blieb aus, das Unerwartete, Unvorstellbare, Unbeschreibbare tritt dafür am 11. September ein. „O dieser Tag! Man wartete – als käme ein Morgen aus der Zeit vor diesem Tag, der sie alle in eine andere Richtung umdirigieren würde. Man wartete darauf, dass dieser vernichtende Tag ungeschehen gemacht würde. . . . Eine klebrige Schicht Krematoriumsasche” lag auf der Stadt, in die Schulfreunde Nathaniel gerufen hatten. Dabei hatte Nathaniel sich’s bei seinen Eltern bequem gemacht und erfolgreiche Comics über das erfolglose Leben des „Passiv-Manns” entworfen und war dabei selbst zum Passiv-Mann geworden.
Deborah Eisenberg erzählt in der „Dämmerung der Superhelden” eine vielfältige Geschichte. Sie handelt von Nathaniel und seinen Freunden, die im Luxusloft eines japanischen Geschäftsmanns die Blumen gießen, bis Mr. Matsumoto nach der Baisse zurückkommen und in New York wieder Geld verdienen kann. Von Mr. Matsumotos Terrasse kann man die Freiheitsstatue sehen. Deborah Eisenberg bringt auf 53 Seiten das Kunststück fertig, Milleniumshysterie und den Albtraum des 11. September mit den zurückliegenden Ängsten in den Familiengeschichten zu verbinden. Bitter sind ihre Geschichten nie, eher liebevoll und komisch. Denn alle fühlen sich ein bisschen nervös, unwohl und müde. Alle wissen oder ahnen, dass man „nur den Vorhang sieht. Und unwillkürlich darüber spekuliert, was sich wohl dahinter abspielt.” Scharf und wütend opponiert die Autorin gegen die Politik von Bush, dessen „verkniffenes Gesicht aus den allgegenwärtigen Mattscheiben starrt”.
Es gehört zu den vielen Überraschungen in Deborah Eisenbergs Texten, dass man einfache Sätze und eine einfache Geschichte liest und erst nach und nach versteht, was alles hinter den einfachen Sätzen gestapelt ist, oder was sich hinter dem „Vorhang” abspielt. Um es einfach zu sagen: Die grausame Geschichte des 20. Jahrhunderts. Macht euch nichts draus, scheint die Schriftstellerin zu sagen, so ist das Leben, so ist die Normalität, schaut in die Zukunft und in die Vergangenheit. Leider ist beides schlecht miteinander in Einklang zu bringen, weil es überall Versprechen und gebrochene Versprechen gibt.
Die Liebe ist, wie jedes Kind weiß, eine äußerst komplizierte Angelegenheit. Nathaniel ist zu faul für die Liebe, und Otto, der erfolgreiche Anwalt, liebt William. Otto ist erfolgreicher als William und erfolgreicher als seine Geschwister, die mal mit dem oder der verheiratet sind, Kinder bekommen haben, Ottos Nichten und Neffen, für die er sich verantwortlich fühlt. „Vielleicht”, denkt Otto, „ hatte das Leben der letzten Dinosaurier, als sie verwirrt und bekümmert über den vom Kometen versengten Planeten wanderten, dieser Kindheit geähnelt. Jedenfalls war sie bestimmt nicht angenehm gewesen, und doch drängte es einen gelegentlich, dem gemeinsamen Vorleben Reverenz zu erweisen.”
Hör mit dem Quatsch auf!
Manchmal fragt der Erzähler in schöner Naivität: „Was reden die Leute da bloß?” Und William stellt die Frage, ob es rein theoretisch möglich wäre, „sich an etwas zu erinnern, was man – also der Teil seiner selbst, den man bewusst wahrnimmt – noch gar nicht erlebt hat. Ich meine, wir wissen ja wirklich nicht, ob die Zeit linear verläuft.” Otto verlangt, dass William mit dem Quatsch sofort aufhört, William lässt sich den Mund nicht verbieten. „Ich spreche doch nur von der Theorie.” Obwohl Deborah Eisenberg ihr Personal nur bruchstückhaft vorstellt und das meiste, was an gewöhnlichem Leben so stattfindet, weglässt, gelingt es ihr mit ein paar Sätzen, den existentiellen Zwiespalt zu charakterisieren.
„Jedermann ist so allein. Großer Gott, wie hielt man das aus? Ja, natürlich fühlte man sich unvollständig, natürlich fühlte man sich behindert und blind. Und vielleicht versuchte jede Kreatur auf Erden, auf all den Erden, ihre hartnäckigen Membranen zu durchstoßen . . . Es ging einem doch schon zur Genüge auf den Geist, nur mit ein paar anderen Menschen Kontakt zu pflegen, und wie erst mit all seinen Ichs.”
Ein Familientreffen zu Thanksgiving, eine Reise nach Italien, ein Besuch bei einer bewunderten, nach einem Schlaganfall geistig entrückten Großmutter, alles gewöhnliche Anlässe, um den Unterschied zwischen Selbstbewusstsein und Selbstbestätigung, um die Distanz, in der wir uns zu uns selbst befinden, auszuloten. Die größtmöglichen Unglücksfälle und die kleinstmöglichen Ungewissheiten. Deborah Eisenbergs Geschichten kurven um die Erkenntnis, dass Erinnerung immer die Erinnerung an eine Erinnerung ist. Sie zeigt Liebende am Rande des Nervenzusammenbruchs und, wenn auch nur in einem Nebensatz, das Familiensystem, dem die Liebenden nicht entkommen können. Um das nicht falsch zu verstehen: Nichts wird hier trivial denunziert, keine Psychiater oder Psychotherapeutenarien, keine Ambulanz, die mit kreischenden Rädern und Geheul um die Straßenecke rast. Deborah Eisenberg ist die blitzgescheite Meisterin des Subtilen. Die Geschichten bestehen aus Dialogen, nur manchmal braust ein Erzähler herrlich ernüchternd dazwischen: „Hallo, so waren wir, so sind wir noch immer, und tschüss.”VERENA AUFFERMANN
DEBORAH EISENBERG: Rache der Dinosaurier. Erzählungen. Aus dem Amerikanischen von Thomas Überhoff und Nicolaus Hansen. Carl Hanser Verlag, München 2008. 218 Seiten, 17,90 Euro.
New York nach dem 11. September 2001: Die Türme des World Trade Centers sind nur noch auf der Abbildung zu sehen. Foto: Regina Schmeken
Deborah Eisenberg trifft das New Yorker Milieu. Foto: Isolde Ohlbaum
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Wie schon in früheren Büchern bezieht die amerikanische Autorin Deborah Eisenberg auch hier den weltpolitischen Kontext in ihre Geschichten mit ein und schafft in manchen der fünf Erzählungen des Bandes damit eine faszinierende "Collage" aus individueller Erfahrung und Historie, stellt Angela Schader eingenommen fest. In der Erzählung "Rache der Dinosaurier" erscheint der elfte September im Hintergrund auf dem Fernsehschirm, vor dem sich ein ekelhafter Erbenstreit entfaltet, in "Ein Fehler im Design" rechnet ein Sohn mit seinem Vater ab, der als Berater in Entwicklungsländern erfolgreich ist und mit seiner Familie dennoch keinen Kontakt zu den weniger privilegierten Landesbewohnern zulässt. Diese Geschichte allerdings hat die Rezensentin nicht überzeugt, zu bemüht und zudem nicht wirklich plausibel scheint ihr das Konstrukt um einen Seitensprung der Mutter, Angstzustände des Sohnes und einen Vater-Sohn-Konflikt. Viel Lob dagegen für die Erzählung "Ein anderer, besserer Otto" über eine naturwissenschaftlich hochbegabte, paranoide Schwester und ihren sie ängstlich meidenden Bruder. Hier präsentiere sich die Autorin als wahre "Alchimistin der Seele" und entfalte in pointierten Dialogen ein beeindruckendes Psychogramm, schwärmt die Rezensentin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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