"Die Macht ihres Wissens und die Schönheit ihrer Sprache machten sie zu einer der einflussreichsten Frauen unserer Zeit", schrieb die New York Times über die amerikanische Biologin Rachel Carson. Ihr Buch Silent Spring (Der stumme Frühling), 1962 veröffentlicht, rüttelte die Welt auf: Sie machte darin auf den maßlosen Gebrauch von Pestiziden aufmerksam und auf dessen Folgen. Die Naturschutzbewegung politisierte sich in der Folge und neue Umweltbewegungen wurden gegründet. Dabei war sie eigentlich Meeresbiologin und hatte bereits mehrere Bücher über das Leben im und am Meer geschrieben in einer einzigartigen Kombination von Wissenschaft und Poesie. Dank Carsons außergewöhnlichem Gespür für Naturbeobachtung und ihrem schriftstellerischen Talent waren diese zu Bestsellern geworden und hatten die junge Naturwissenschaftlerin landesweit bekannt gemacht. Rachel Carsons ökologisches Denken fand in Der stumme Frühling eine praktische Umsetzung. Es gilt bis heute als "Zündfunke der weltweiten Umweltbewegung" (Süddeutsche Zeitung). Auch wir können uns von dieser mutigen und engagierten Frau inspirieren lassen wie die erste deutschsprachige Biographie beweist.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Hätte kürzer sein können, findet Manuela Lenzen angesichts von Dieter Steiners Biografie über die Schriftstellerin und Biologin Rachel Carson und meint damit vor allem die vielen Zitate aus Carsons Schriften, die der Autor in seinen Text einbaut. Die aber findet Lenzen für die Lektüre der Lebensgeschichte dieser ungewöhnlichen Frau entbehrlich. Als erste deutsche Biografie zu Carson überzeugt Lenzen das Buch in seiner Kombination aus Vita und Zeitpanorama dennoch. Das Ankämpfen der willensstarken Wissenschaftsautorin gegen Männerdomänen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und eine seinerzeit explosionsartig sich entwickelnde Agrochemie, erscheint Lenzen eindrucksvoll und faszinierend genug.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.05.2014Sie führte den Kampf gegen die Pestizide
Die erste deutsche Biographie der Öko-Pionierin Rachel Carson erzählt von einer starken Frau - und warum sie ihren Vornamen abkürzte
Seit auf jedem irgendwie bearbeitbaren Quadratmeter Boden Energiepflanzen wachsen müssen, ist ein Schreckgespenst zurück, das längst vertrieben schien: der stumme Frühling, ein Frühling ohne Vögel und Bienen. Eine der Ersten, die dieses Gespenst beim Namen nannte, war die Schriftstellerin und Biologin Rachel Carson. Mit ihrem 1962 erschienenen Buch "Silent Spring" (Der stumme Frühling) wurde sie zu einer der einflussreichsten Stimmen der frühen Ökobewegung.
Innerhalb von nur drei Monaten wurden über 100 000 Exemplare verkauft. Carson legte sich in ihrem Buch mit der Pestizidindustrie an, die gerade einen lukrativen "Dritten Weltkrieg" führte: gegen die Feuerameise, die Malariamücke, Insekten insgesamt. DDT wurde direkt auf die Haut gesprüht, die Piloten, die es über den Wäldern verteilten, nach der Menge des ausgebrachten Gifts bezahlt. Der Weißkopfseeadler, das stolze Wappentier der Vereinigten Staaten, bekam kaum noch Nachwuchs. 1959 verbot die Food and Drug Administration pünktlich zu Thanksgiving den Verkauf mit Insektiziden besprühter Cranberries. Die Hinweise auf einen Zusammenhang mit Schilddrüsenkrebs waren zu deutlich geworden. Die Öffentlichkeit war aufgeschreckt.
"Der stumme Frühling" war Carsons letztes Buch, ihrer Krebserkrankung abgetrotzt, ihre früheren Werke sind weitgehend vergessen. Dieter Steiner, emeritierter Geograph und Humanökologe, hat nun eine erste deutsche Biographie Carsons vorgelegt. Darin erzählt er nicht nur die Lebensgeschichte einer außergewöhnlich willensstarken Frau, sondern lässt zugleich ein bedrückendes Panorama ihrer Zeit entstehen.
Es ist die Geschichte eines Mädchens, das in der Natur aufwächst, von der Mutter zu aufmerksamer Betrachtung und sorgsamem Umgang angehalten - jeder aufgesammelte Käfer musste unversehrt an den Fundort zurückgebracht werden -; einer jungen Frau, die erlebt, wie die Fabrikschornsteine das Grundstück der Familie immer enger umstellen, und die in dem College in Pittsburgh, in dem sie ihr Studium beginnt, vor Smog tagelang die Sonne nicht zu sehen bekommt. Vor allem aber ist es die Geschichte einer Frau, die glaubt, sich entscheiden zu müssen: Biologie oder Literatur? Wissenschaft oder Kunst? Nützlichkeit oder Schönheit? Verstand oder Emotion?
Als ihr erster Essay gedruckt wird, ist sie gerade elf Jahre alt, das erste Honorar bekommt sie mit vierzehn. Sie studiert englische Literatur, wechselt zur Biologie. Und hat Geldsorgen. Carson gründet nie selbst eine Familie, ist aber für Mutter, Nichten und andere Verwandte verantwortlich. So reicht das Geld weder für ein Promotionsstudium, noch kann sie es sich leisten, ihre Stelle in der Fischereiverwaltung zu kündigen, um sich endlich dem Schreiben zu widmen.
Dass sich schön und mit Emotionen über die Wissenschaft schreiben lässt, wird ihre wichtigste Einsicht und ihre Nische werden. Das große Thema ihrer Essays, Bücher und Broschüren ist vor allem das Meer mit den komplexen Zusammenhängen seiner Lebensgemeinschaften. Ihr erstes Buch "Under the Sea Wind" erfährt ein paar Tage große Aufmerksamkeit, geht dann aber in der Aufregung um den japanischen Angriff auf Pearl Harbor unter. Mit "The Sea Around Us" und "The Edge of the Sea" schafft sie es in die Bestsellerlisten der "New York Times". Ihr Erfolgsrezept: Die Menschen sollen das Gefühl bekommen, "vorübergehend das Leben dieser Meeresgeschöpfe zu leben".
Man braucht Carsons Schriften nicht zu kennen, um die Biographie zu lesen, Steiner zitiert sie ausführlich, zu ausführlich, denn zeitlos kann man Carsons Stil beim besten Willen nicht nennen. Was für die Zeitgenossen engagierte Wissenschaftsprosa war, wirkt heute leicht kitschig. Ob sie mit ihrem Ansatz nachhaltigeren Einfluss auf die Wissenschaftsberichterstattung nahm, erfährt der Leser leider nicht. Und Carsons Geschichte ist natürlich auch die Geschichte einer Frau, die sich in einer Männerdomäne behaupten muss. Schriftstellerei mochte ja noch angehen, aber Wissenschaft? Gehässige Kommentare, weniger Geld für die gleiche Arbeit, keine Beförderung. Unter vielen Artikeln kürzte Carson ihren Vornamen lieber ab.
Als sie sich nach dem Erfolg von "Der stumme Frühling" vor öffentlicher Aufmerksamkeit und angetragenen Ehrendoktorwürden kaum retten kann, beschreibt sie das Glücksgefühl, "dass ich getan habe, was ich konnte". Ihre Anklage findet Aufmerksamkeit bis ins Weiße Haus, die chemische Industrie tobt. Doch bis heute, so konstatiert der Autor resigniert, ist die Chemikalienpolitik eine Einzelstoffpolitik geblieben. Mal wird hier, mal da etwas verboten, ein Gesamtkonzept fehlt, die Agrochemie ist nach wie vor das ganz große Geschäft.
Die Biographie hätte kürzer sein können, doch das beschriebene Leben fasziniert.
MANUELA LENZEN
Dieter Steiner: "Rachel Carson". Pionierin der Ökologiebewegung. Eine Biographie. Oekom Verlag, München 2014. 360 S., geb., 19,95 [Euro].
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Die erste deutsche Biographie der Öko-Pionierin Rachel Carson erzählt von einer starken Frau - und warum sie ihren Vornamen abkürzte
Seit auf jedem irgendwie bearbeitbaren Quadratmeter Boden Energiepflanzen wachsen müssen, ist ein Schreckgespenst zurück, das längst vertrieben schien: der stumme Frühling, ein Frühling ohne Vögel und Bienen. Eine der Ersten, die dieses Gespenst beim Namen nannte, war die Schriftstellerin und Biologin Rachel Carson. Mit ihrem 1962 erschienenen Buch "Silent Spring" (Der stumme Frühling) wurde sie zu einer der einflussreichsten Stimmen der frühen Ökobewegung.
Innerhalb von nur drei Monaten wurden über 100 000 Exemplare verkauft. Carson legte sich in ihrem Buch mit der Pestizidindustrie an, die gerade einen lukrativen "Dritten Weltkrieg" führte: gegen die Feuerameise, die Malariamücke, Insekten insgesamt. DDT wurde direkt auf die Haut gesprüht, die Piloten, die es über den Wäldern verteilten, nach der Menge des ausgebrachten Gifts bezahlt. Der Weißkopfseeadler, das stolze Wappentier der Vereinigten Staaten, bekam kaum noch Nachwuchs. 1959 verbot die Food and Drug Administration pünktlich zu Thanksgiving den Verkauf mit Insektiziden besprühter Cranberries. Die Hinweise auf einen Zusammenhang mit Schilddrüsenkrebs waren zu deutlich geworden. Die Öffentlichkeit war aufgeschreckt.
"Der stumme Frühling" war Carsons letztes Buch, ihrer Krebserkrankung abgetrotzt, ihre früheren Werke sind weitgehend vergessen. Dieter Steiner, emeritierter Geograph und Humanökologe, hat nun eine erste deutsche Biographie Carsons vorgelegt. Darin erzählt er nicht nur die Lebensgeschichte einer außergewöhnlich willensstarken Frau, sondern lässt zugleich ein bedrückendes Panorama ihrer Zeit entstehen.
Es ist die Geschichte eines Mädchens, das in der Natur aufwächst, von der Mutter zu aufmerksamer Betrachtung und sorgsamem Umgang angehalten - jeder aufgesammelte Käfer musste unversehrt an den Fundort zurückgebracht werden -; einer jungen Frau, die erlebt, wie die Fabrikschornsteine das Grundstück der Familie immer enger umstellen, und die in dem College in Pittsburgh, in dem sie ihr Studium beginnt, vor Smog tagelang die Sonne nicht zu sehen bekommt. Vor allem aber ist es die Geschichte einer Frau, die glaubt, sich entscheiden zu müssen: Biologie oder Literatur? Wissenschaft oder Kunst? Nützlichkeit oder Schönheit? Verstand oder Emotion?
Als ihr erster Essay gedruckt wird, ist sie gerade elf Jahre alt, das erste Honorar bekommt sie mit vierzehn. Sie studiert englische Literatur, wechselt zur Biologie. Und hat Geldsorgen. Carson gründet nie selbst eine Familie, ist aber für Mutter, Nichten und andere Verwandte verantwortlich. So reicht das Geld weder für ein Promotionsstudium, noch kann sie es sich leisten, ihre Stelle in der Fischereiverwaltung zu kündigen, um sich endlich dem Schreiben zu widmen.
Dass sich schön und mit Emotionen über die Wissenschaft schreiben lässt, wird ihre wichtigste Einsicht und ihre Nische werden. Das große Thema ihrer Essays, Bücher und Broschüren ist vor allem das Meer mit den komplexen Zusammenhängen seiner Lebensgemeinschaften. Ihr erstes Buch "Under the Sea Wind" erfährt ein paar Tage große Aufmerksamkeit, geht dann aber in der Aufregung um den japanischen Angriff auf Pearl Harbor unter. Mit "The Sea Around Us" und "The Edge of the Sea" schafft sie es in die Bestsellerlisten der "New York Times". Ihr Erfolgsrezept: Die Menschen sollen das Gefühl bekommen, "vorübergehend das Leben dieser Meeresgeschöpfe zu leben".
Man braucht Carsons Schriften nicht zu kennen, um die Biographie zu lesen, Steiner zitiert sie ausführlich, zu ausführlich, denn zeitlos kann man Carsons Stil beim besten Willen nicht nennen. Was für die Zeitgenossen engagierte Wissenschaftsprosa war, wirkt heute leicht kitschig. Ob sie mit ihrem Ansatz nachhaltigeren Einfluss auf die Wissenschaftsberichterstattung nahm, erfährt der Leser leider nicht. Und Carsons Geschichte ist natürlich auch die Geschichte einer Frau, die sich in einer Männerdomäne behaupten muss. Schriftstellerei mochte ja noch angehen, aber Wissenschaft? Gehässige Kommentare, weniger Geld für die gleiche Arbeit, keine Beförderung. Unter vielen Artikeln kürzte Carson ihren Vornamen lieber ab.
Als sie sich nach dem Erfolg von "Der stumme Frühling" vor öffentlicher Aufmerksamkeit und angetragenen Ehrendoktorwürden kaum retten kann, beschreibt sie das Glücksgefühl, "dass ich getan habe, was ich konnte". Ihre Anklage findet Aufmerksamkeit bis ins Weiße Haus, die chemische Industrie tobt. Doch bis heute, so konstatiert der Autor resigniert, ist die Chemikalienpolitik eine Einzelstoffpolitik geblieben. Mal wird hier, mal da etwas verboten, ein Gesamtkonzept fehlt, die Agrochemie ist nach wie vor das ganz große Geschäft.
Die Biographie hätte kürzer sein können, doch das beschriebene Leben fasziniert.
MANUELA LENZEN
Dieter Steiner: "Rachel Carson". Pionierin der Ökologiebewegung. Eine Biographie. Oekom Verlag, München 2014. 360 S., geb., 19,95 [Euro].
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