Julia Ebner verfolgt hauptberuflich Extremisten. Undercover mischt sie sich unter Hacker, Terroristen, Trolle, Fundamentalisten und Verschwörer, sie kennt die Szenen von innen, von der Alt-Right-Bewegung bis zum Islamischen Staat, online wie offline. Ihr Buch macht Radikalisierung fassbar, es ist Erfahrungsbericht, Analyse, unmissverständlicher Weckruf.
Als Extremismusforscherin stellen sich ihr folgende Fragen: Wie rekrutieren, wie mobilisieren Extremisten ihre Anhänger? Was ist ihre Vision der Zukunft? Mit welchen Mitteln wollen sie diese Vision erreichen? Um Antworten zu finden, schleust sich Julia Ebner ein in zwölf radikale Gruppierungen quer durch das ideologische Spektrum. Sozusagen von der anderen Seite beobachtet sie Planungen terroristischer Anschläge, Desinformationskampagnen, Einschüchterungsaktionen, Wahlmanipulationen. Sie erkennt, Radikalisierung folgt einem klaren Skript: Rekrutierung, Sozialisierung, Kommunikation, Mobilisierung, Angriff.
Als Extremismusforscherin stellen sich ihr folgende Fragen: Wie rekrutieren, wie mobilisieren Extremisten ihre Anhänger? Was ist ihre Vision der Zukunft? Mit welchen Mitteln wollen sie diese Vision erreichen? Um Antworten zu finden, schleust sich Julia Ebner ein in zwölf radikale Gruppierungen quer durch das ideologische Spektrum. Sozusagen von der anderen Seite beobachtet sie Planungen terroristischer Anschläge, Desinformationskampagnen, Einschüchterungsaktionen, Wahlmanipulationen. Sie erkennt, Radikalisierung folgt einem klaren Skript: Rekrutierung, Sozialisierung, Kommunikation, Mobilisierung, Angriff.
»Ihr Buch ist das Resultat einer gefährlichen Feldforschung und eine umsichtige Analyse des digitalen Terrorismus: präzise und erschreckend.« DIE ZEIT 20190926
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.11.2019Die Profiteure
des Katzenjammers
Zwei Studien über Radikalisierung im Internet
In diesem Sommer erschien eine Studie von Maik Fielitz und Holger Marcks, die am Hamburger „Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik“ arbeiten. Sie beschäftigt sich mit Radikalisierungsprozessen im Netz und trägt den Titel „Digital Fascism: Challenges for the Open Society in Times of Social Media“. Damit ist schon gesagt, wo die beiden Forscher den Nährboden für Radikalisierung sehen: In den Sozialen Medien. Sie haben in der Mechanik von Social Media den Grund für die Radikalisierung und massenhafte Verbreitung rechter Gesinnung erkannt. Hate-Kultur und die Unerreichbarkeit ihrer Mitglieder für Korrekturen werden nicht nur erst von Sozialmedien ermöglicht, sondern dort überhaupt erst geschaffen.
So verdienstvoll diese Studie ist, so theoretisch blieb sie bei der Observation ihrer Phänomene stehen. Einen mutigen Schritt weiter ins Innere dieser Hate-Kultur hat nun Julia Ebner getan und bei Rechten wie religiösen Fanatikern Erfahrungen gemacht, um die man sie nicht beneiden möchte. Ebner, die am Londoner Institute for Strategic Dialogue (ISD) forscht, berät internationale Regierungsorganisationen zu Fragen des Online-Extremismus. Das kann man nicht empiriefrei tun, im Vorwort ihrer Buches „Radikalisierungsmaschinen“ schreibt sie: Man „muss ins Innere vordringen, in die Maschinenräume, dorthin, wo die Motoren extremistischer Bewegungen laufen“. Also hat sie sich zwei Jahre lang unter verschiedenen Pseudonymen in radikale Netzgruppierungen begeben.
Julia Ebner hat Aufnahme-Prozeduren durchlaufen, die etwa nach ihrer möglichst vollständigen genetischen „Abstammungslinie“ und Belegfotos ihrer weißen Hautfarbe verlangten, aber auch eine Antwort auf die Frage, ob sie „homosexuell oder anderweitig sexuell anormal“ sei. Unter Ächzen und mit einiger persönlicher Überwindung erlangte sie dann Zutritt zur nationalistischen Internationale, mochte sie „MAtR“ („Men Among the Ruins“, ein amerikanisches Neonazi-Forum) oder „Reconquista Germanica“ heißen, eine technisch versierte Troll-Armee, die der extremen Rechten hierzulande im Netz zuarbeitet.
Doch sie wurde auch Mitglied der „Terror Agency Sister chatting group“, einer reinen Frauenverbindung, die den Islamischen Staat unterstützt. Überall trifft sie auf dieselben Mechanismen: Die Betonung von Exklusivität und Auserwähltheit der Gruppe, Verschwörungstheorien, welche die eigene Identität gefährdet sehen und Hass und Gewalt gegen ethnische und kulturelle Minderheiten, aber auch gegen den angeblich manipulativen, „tiefen Staat“ befeuern. Live-Stream-Features in sozialen Medien fördern den Gruppengeist, dienen aber auch als Vehikel, Aktionen und Terror viral über die Community hinaus zu verbreiten.
Auffällig sind hier eine Gamifizierung der Terror-Handlungen, als ob alles nur ein Spiel wäre, sowie ein radikaler Jargon der Entmenschlichung des verabscheuten Anderen. So entsteht eine toxische Internetkultur, in der Fakten kaum mehr eine Rolle spielen, zu der dann aber auch eine Verkitschung von Geschichte gehört, die in der Verklärung ausgesuchter Episoden eines nur imaginierten Vergangenen besteht. Es kommt nur in einer makellosen Reinform oder in einer Opfersaga vor.
Alles hier ist Lüge und darauf angelegt, Terrorfantasien zu befördern und zu legitimieren. Dieser „inspirational terrorism“ dient als Folie für Nachfolgetaten und wird in Wort und Bild sozialmedial aufbereitet. Auch, um über die Grenzen der eigenen Community hinaus sichtbar zu sein und ‚normal‘ zu werden. Offensichtlich mit Erfolg: „Die Ideologien und die Sprache (der gewaltbereiten Rechten), mit denen sie ihre Aktionsaufrufe unterfüttert, sind schon lange in den Mainstream eingesickert.“ Ebner nennt etwa die Floskel vom „Großen Austausch“, der es in Wahlprogramme rechter Parteien in Europa und in die Tweets von Donald Trump geschafft hat.
„Das Aufkommen von isolierten Echokammern im Internet“, so Ebner im fast tagebuchartigen Report ihrer Online-Erlebnisse und realen Begegnungen, „hat massiv Einfluss genommen auf die Art und Weise, wie extremistische Bewegungen Neulinge indoktrinieren und wie sie sicherstellen, dass diese sich sehr schnell mit der Gruppe identifizieren, aber auch abhängig von ihr werden.“ Nur darum sei hier eine „erhöhte Bereitschaft gegeben, sich selbst aktiv aufzuopfern für die Gruppenideologie, -vision und -ehre. Auf diese Weise werden Selbstmordattentäter geboren – sei es in Form von IS-Märtyrern oder in Form von um sich schießenden Neonazis.“
„Das Internet ist wie der Wilde Westen. Wir dachten, wir wären die Cowboys, aber es stellte sich heraus, wir sind die Bisons.“ So desillusioniert beginnt Geert Lovinks Buch zum „Digitalen Nihilismus“. Lovink hat einen Abgesang auf die einst hochfliegenden Digital- und Vernetzungsillusionen der Neunzigerjahre geschrieben. Von der Menschheitsbeglückung durch das Internet sind heute jedoch die nicht kontrollierten, nicht mehr kontrollierbaren Firmen des Silicon Valley geblieben, deren Einfluss immer weiter wächst. „Verhaltensmanipulation und Fake News, alles was wir lesen, dreht sich um die bankrotte Glaubwürdigkeit des Silicon Valley. Beweise sind offenbar nicht genug – nichts verändert sich. Warum gibt es denn nicht schon machbare Alternativen zu den großen Plattformen? (Doch) unsere Reaktionen auf Alt-Right und systemische Gewalt bleiben vorhersehbar und machtlos“, man könne auch gleich „zu sprechen aufhören“.
Geert Lovink, niederländischer Medientheoretiker, Internetaktivist und -kritiker der ersten Stunde, lehrt als Professor für Medientheorie in Amsterdam und an der European Graduate School. Für ihn ist das Dilemma von Social-Media-Katastrophe und ausbleibender Reaktion, das ihn in einen digitalen Nihilismus treibt, kein Problem von Lethargie, eher eines von struktureller Unmöglichkeit. „Unsere aktuelle Unfähigkeit, auf den Plattformkapitalismus und seine ultimative Form ‚technischer Gewalt‘ zu reagieren, ist keine Folge heftiger Debatten und aufeinanderprallender Positionen. Einerseits müssen wir heute ins Herz der Technik vorstoßen und versuchen, sie uns zu eigen zu machen, gegen die herrschenden Kräfte, die die Technik gegen uns richten. Andererseits gibt es den Aufruf zum Widerstand gegen den digitalen Angriff.“
Die von Lovink nur angedeutete, weil nur vermutete Lösung aus dieser doppelten Anforderung, nämlich zugleich innerhalb und außerhalb der dominanten Digitaltechnologien zu agieren, besteht darin, das „Soziale“ wieder das Kommando über die Sozialen Medien übernehmen zu lassen. Lovink bleibt da sehr vage und ist auch hier kaum zuversichtlich, wenn er dieses „Soziale“ eng mit einer aufgefrischten (Kunst-)Avantgarde assoziiert, die nun entkoppelt ist von „Schönheit, Modernität und Neuheitsschock“. Vielmehr arbeite sie in „unsichtbaren Netzwerken ohne Links, Likes und Weiterempfehlungen an der ‚Daten-Prävention‘ .“
Es ist charakteristisch, dass die Bücher von Ebner und Lovink eher schonungslose Befunde als Lösungen formulieren. Radikalisierung und Tribalismen, Mobilisierung von Fanatikern und Frontenbildung in den manipulativen Medien sind längst erkannt und erforscht, doch sie gehen einfach nur weiter, haben längst ein Gefühl von Blockierung, Ohnmacht und Versagen erzeugt. Die Politik, die einschreiten müsste, kann, will oder tut es nicht, der fassungslose Rest kapituliert vor der Überforderung. „Es gibt doch schon genug Stränge und Geschichten, Kommentare und Trolle“, schreibt Lovink. „Online-Häresie ist die neue Normalität. Wir leben in einer post-dekonstruktivistischen Zeit, müde, weil wir vernetzt sind.“ Und terrorisiert, weil wir den Falschen das Netz überlassen.
BERND GRAFF
Julia Ebner: Radikalisierungsmaschinen. Wie Extremisten die neuen Technologien nutzen und uns manipulieren. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 334 Seiten, 18 Euro.
Geert Lovink: Digitaler Nihilismus: Thesen zur dunklen Seite der
Plattformen. Transcript Verlag, Bielefeld 2019.
242 Seiten, 24,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
des Katzenjammers
Zwei Studien über Radikalisierung im Internet
In diesem Sommer erschien eine Studie von Maik Fielitz und Holger Marcks, die am Hamburger „Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik“ arbeiten. Sie beschäftigt sich mit Radikalisierungsprozessen im Netz und trägt den Titel „Digital Fascism: Challenges for the Open Society in Times of Social Media“. Damit ist schon gesagt, wo die beiden Forscher den Nährboden für Radikalisierung sehen: In den Sozialen Medien. Sie haben in der Mechanik von Social Media den Grund für die Radikalisierung und massenhafte Verbreitung rechter Gesinnung erkannt. Hate-Kultur und die Unerreichbarkeit ihrer Mitglieder für Korrekturen werden nicht nur erst von Sozialmedien ermöglicht, sondern dort überhaupt erst geschaffen.
So verdienstvoll diese Studie ist, so theoretisch blieb sie bei der Observation ihrer Phänomene stehen. Einen mutigen Schritt weiter ins Innere dieser Hate-Kultur hat nun Julia Ebner getan und bei Rechten wie religiösen Fanatikern Erfahrungen gemacht, um die man sie nicht beneiden möchte. Ebner, die am Londoner Institute for Strategic Dialogue (ISD) forscht, berät internationale Regierungsorganisationen zu Fragen des Online-Extremismus. Das kann man nicht empiriefrei tun, im Vorwort ihrer Buches „Radikalisierungsmaschinen“ schreibt sie: Man „muss ins Innere vordringen, in die Maschinenräume, dorthin, wo die Motoren extremistischer Bewegungen laufen“. Also hat sie sich zwei Jahre lang unter verschiedenen Pseudonymen in radikale Netzgruppierungen begeben.
Julia Ebner hat Aufnahme-Prozeduren durchlaufen, die etwa nach ihrer möglichst vollständigen genetischen „Abstammungslinie“ und Belegfotos ihrer weißen Hautfarbe verlangten, aber auch eine Antwort auf die Frage, ob sie „homosexuell oder anderweitig sexuell anormal“ sei. Unter Ächzen und mit einiger persönlicher Überwindung erlangte sie dann Zutritt zur nationalistischen Internationale, mochte sie „MAtR“ („Men Among the Ruins“, ein amerikanisches Neonazi-Forum) oder „Reconquista Germanica“ heißen, eine technisch versierte Troll-Armee, die der extremen Rechten hierzulande im Netz zuarbeitet.
Doch sie wurde auch Mitglied der „Terror Agency Sister chatting group“, einer reinen Frauenverbindung, die den Islamischen Staat unterstützt. Überall trifft sie auf dieselben Mechanismen: Die Betonung von Exklusivität und Auserwähltheit der Gruppe, Verschwörungstheorien, welche die eigene Identität gefährdet sehen und Hass und Gewalt gegen ethnische und kulturelle Minderheiten, aber auch gegen den angeblich manipulativen, „tiefen Staat“ befeuern. Live-Stream-Features in sozialen Medien fördern den Gruppengeist, dienen aber auch als Vehikel, Aktionen und Terror viral über die Community hinaus zu verbreiten.
Auffällig sind hier eine Gamifizierung der Terror-Handlungen, als ob alles nur ein Spiel wäre, sowie ein radikaler Jargon der Entmenschlichung des verabscheuten Anderen. So entsteht eine toxische Internetkultur, in der Fakten kaum mehr eine Rolle spielen, zu der dann aber auch eine Verkitschung von Geschichte gehört, die in der Verklärung ausgesuchter Episoden eines nur imaginierten Vergangenen besteht. Es kommt nur in einer makellosen Reinform oder in einer Opfersaga vor.
Alles hier ist Lüge und darauf angelegt, Terrorfantasien zu befördern und zu legitimieren. Dieser „inspirational terrorism“ dient als Folie für Nachfolgetaten und wird in Wort und Bild sozialmedial aufbereitet. Auch, um über die Grenzen der eigenen Community hinaus sichtbar zu sein und ‚normal‘ zu werden. Offensichtlich mit Erfolg: „Die Ideologien und die Sprache (der gewaltbereiten Rechten), mit denen sie ihre Aktionsaufrufe unterfüttert, sind schon lange in den Mainstream eingesickert.“ Ebner nennt etwa die Floskel vom „Großen Austausch“, der es in Wahlprogramme rechter Parteien in Europa und in die Tweets von Donald Trump geschafft hat.
„Das Aufkommen von isolierten Echokammern im Internet“, so Ebner im fast tagebuchartigen Report ihrer Online-Erlebnisse und realen Begegnungen, „hat massiv Einfluss genommen auf die Art und Weise, wie extremistische Bewegungen Neulinge indoktrinieren und wie sie sicherstellen, dass diese sich sehr schnell mit der Gruppe identifizieren, aber auch abhängig von ihr werden.“ Nur darum sei hier eine „erhöhte Bereitschaft gegeben, sich selbst aktiv aufzuopfern für die Gruppenideologie, -vision und -ehre. Auf diese Weise werden Selbstmordattentäter geboren – sei es in Form von IS-Märtyrern oder in Form von um sich schießenden Neonazis.“
„Das Internet ist wie der Wilde Westen. Wir dachten, wir wären die Cowboys, aber es stellte sich heraus, wir sind die Bisons.“ So desillusioniert beginnt Geert Lovinks Buch zum „Digitalen Nihilismus“. Lovink hat einen Abgesang auf die einst hochfliegenden Digital- und Vernetzungsillusionen der Neunzigerjahre geschrieben. Von der Menschheitsbeglückung durch das Internet sind heute jedoch die nicht kontrollierten, nicht mehr kontrollierbaren Firmen des Silicon Valley geblieben, deren Einfluss immer weiter wächst. „Verhaltensmanipulation und Fake News, alles was wir lesen, dreht sich um die bankrotte Glaubwürdigkeit des Silicon Valley. Beweise sind offenbar nicht genug – nichts verändert sich. Warum gibt es denn nicht schon machbare Alternativen zu den großen Plattformen? (Doch) unsere Reaktionen auf Alt-Right und systemische Gewalt bleiben vorhersehbar und machtlos“, man könne auch gleich „zu sprechen aufhören“.
Geert Lovink, niederländischer Medientheoretiker, Internetaktivist und -kritiker der ersten Stunde, lehrt als Professor für Medientheorie in Amsterdam und an der European Graduate School. Für ihn ist das Dilemma von Social-Media-Katastrophe und ausbleibender Reaktion, das ihn in einen digitalen Nihilismus treibt, kein Problem von Lethargie, eher eines von struktureller Unmöglichkeit. „Unsere aktuelle Unfähigkeit, auf den Plattformkapitalismus und seine ultimative Form ‚technischer Gewalt‘ zu reagieren, ist keine Folge heftiger Debatten und aufeinanderprallender Positionen. Einerseits müssen wir heute ins Herz der Technik vorstoßen und versuchen, sie uns zu eigen zu machen, gegen die herrschenden Kräfte, die die Technik gegen uns richten. Andererseits gibt es den Aufruf zum Widerstand gegen den digitalen Angriff.“
Die von Lovink nur angedeutete, weil nur vermutete Lösung aus dieser doppelten Anforderung, nämlich zugleich innerhalb und außerhalb der dominanten Digitaltechnologien zu agieren, besteht darin, das „Soziale“ wieder das Kommando über die Sozialen Medien übernehmen zu lassen. Lovink bleibt da sehr vage und ist auch hier kaum zuversichtlich, wenn er dieses „Soziale“ eng mit einer aufgefrischten (Kunst-)Avantgarde assoziiert, die nun entkoppelt ist von „Schönheit, Modernität und Neuheitsschock“. Vielmehr arbeite sie in „unsichtbaren Netzwerken ohne Links, Likes und Weiterempfehlungen an der ‚Daten-Prävention‘ .“
Es ist charakteristisch, dass die Bücher von Ebner und Lovink eher schonungslose Befunde als Lösungen formulieren. Radikalisierung und Tribalismen, Mobilisierung von Fanatikern und Frontenbildung in den manipulativen Medien sind längst erkannt und erforscht, doch sie gehen einfach nur weiter, haben längst ein Gefühl von Blockierung, Ohnmacht und Versagen erzeugt. Die Politik, die einschreiten müsste, kann, will oder tut es nicht, der fassungslose Rest kapituliert vor der Überforderung. „Es gibt doch schon genug Stränge und Geschichten, Kommentare und Trolle“, schreibt Lovink. „Online-Häresie ist die neue Normalität. Wir leben in einer post-dekonstruktivistischen Zeit, müde, weil wir vernetzt sind.“ Und terrorisiert, weil wir den Falschen das Netz überlassen.
BERND GRAFF
Julia Ebner: Radikalisierungsmaschinen. Wie Extremisten die neuen Technologien nutzen und uns manipulieren. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 334 Seiten, 18 Euro.
Geert Lovink: Digitaler Nihilismus: Thesen zur dunklen Seite der
Plattformen. Transcript Verlag, Bielefeld 2019.
242 Seiten, 24,99 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.2019Im Maschinenraum des Extremismus
Verdeckte Ermittlerin: Julia Ebner berichtet von ihren Erfahrungen in den Online-Foren radikaler Gruppen.
Von Nora Sefa
Inhalte aus Kunst, Musik, Film und Literatur werden häufig zur Unterstützung politischer Ideologien herangezogen. So beschreibt die österreichische Extremismusforscherin Julia Ebner in ihrem neuen Buch eine Szene aus dem ersten Teil des kultigen Science-Fiction-Films "Matrix", der für die Propaganda der internationalen Neuen Rechten zum Symbol geworden ist. Darin muss sich der Protagonist "Neo" zwischen einer blauen und einer roten Kapsel entscheiden. Schluckt er die blaue, lebt er auf ewig verblendet in einer Traumwelt. Nimmt er die rote Kapsel ein - die der "Wahrheit" -, erlangt er schmerzhafte Erkenntnis über die Welt, in der er lebt.
In rechtsextremen Kreisen steht die rote Kapsel für die Befreiung von den Mainstream-Wahrheiten. Man verschafft sich Zugang zum vermeintlich eigentlichen Wissen, was meist auf die Verbreitung von Verschwörungstheorien hinausläuft. Etwa auf die in der Alt-Right-Bewegung gepflegte Erzählung vom "Großen Bevölkerungsaustausch", nach der die weiße Rasse verdrängt werde und um ihre Erhaltung kämpfen müsse. In ihren Recherchen begegnen Julia Ebner viele solcher Verschwörungstheorien.
Ebner forscht am Londoner Institute for Strategic Dialogue (ISD) und berät internationale Regierungsorganisationen in Online-Extremismus-Fragen. Ihr Beruf sei es, schreibt sie, Extremisten zu verfolgen; ihre Arbeit beschreibt sie als Katz-und-Maus-Spiel.
Doch die Perspektive der Katze, die sie in ihrer Forschung einnimmt, genügte ihr nicht, sie wollte wissen, was sich unter den Mäusen, im "Maschinenraum" des Extremismus, abspielt - dort, wo die Radikalisierung sich stufenweise vollzieht. Zwei Jahre lang hat Ebner deshalb immer wieder verschiedene Identitäten ("Avatare") angenommen, um sich undercover in extremistische Gruppierungen im Netz und auch offline einzuschleusen. Mal ist sie die naive "Jen Malo" im Chatroom der neonazistischen "MAtR" (Men Among the Ruins), mal mischt sie sich strategisch klug als "Isabella I. Königin von Kastilien" unter die größte Trollarmee Europas, "Reconquista Germanica", oder sie tritt konservativ-christlich auf, als Claire, eine französische Stewardess, die auf der Dating-Plattform "WASP Love" die Beziehungssehnsüchte weißer Rassisten ergründet. So wagt sie sich in die Welt von weißen Nationalisten und Neonazis, von Islamisten und radikalen Antifeministinnen.
Allen gemein ist, stellt Ebner fest, die "toxische Paarung" aus "ideologischer Vergangenheitssehnsucht" und "technologischem Futurismus", Eine explosive Mischung, wie bei der Lektüre deutlich wird. Mit ihren Avataren verschafft sie sich Zutritt zu den Chatforen auf der Gaming-App "Discord" und auf Messengern wie Telegram und Whatsapp, die mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung arbeiten. Deren Nutzer fühlen sich hier unbeobachtet und sicher. Ebner bezeichnet Discord und Telegram als "gekaperte Plattformen": Beide seien zu einem anderen Zweck entstanden, würden aber massiv von Extremisten genutzt. Die Online-Dienste arbeiteten zwar mit den Behörden zusammen, um ihre Server von Extremisten zu befreien, doch die Nutzer sind ihren Verfolgern meist einen Schritt voraus und wissen die Plattformen auszutricksen.
Ein Besuch im Chat der antifeministischen Frauenbewegung Red Pill Women/ Traditional Wives, einem Coaching- und Dating-Ratgeber, zeigt, wie verbale und körperliche Gewalt gegenüber Frauen von Frauen legitimiert wird. Frauen verachtende Rollenbilder werden hier hochgehalten, der eigene sexuelle Marktwert wird penibel errechnet. Auch Ebners Beobachtungen im Chat der "Terror Agency Sister"-Gruppe, zeigen, wie muslimische Frauen, die dem "Islamischen Staat" nahestehen, systematisch auf den Dschihad eingestimmt werden.
Ihre Recherchen bringen die Autorin immer wieder in heikle Situationen, auch außerhalb der Chats, im realen Leben. So wird sie durch Zufall Zeugin der Gründungsveranstaltung eines Ablegers der rechtsextremen Identitären Bewegung in London, ein Event, das die Köpfe der internationalen Rechten versammelt. Ebner sitzt, getarnt mit einer Perücke, mittendrin.
Sie habe "beobachtet, wie Extremisten Terroranschläge und Desinformationskampagnen planen und Einschüchterungsfeldzüge koordinieren", schreibt Ebner über ihre Erfahrungen. Fünf Schritte des von ihr untersuchten Radikalisierungsprozesses unterscheidet sie: Rekrutierung, Sozialisierung, Kommunikation, Vernetzung, Mobilisierung und Angriff. Jede dieser Etappen arbeitet sie eindringlich an einer oder mehreren Gruppen ab, die sie als virtuelle Agentin besucht hat. Erstaunlich ist, dass sich dieser Verlauf der Radikalisierung über alle ideologischen Unterschiede hinweg beobachten lässt.
Ebner zeigt eindrucksvoll, was hinter den Kulissen vorgeht, wenn terroristische Angriffe und Cyberattacken geplant werden, und erzeugt so immer wieder neue Spannungsbögen. Die Erzählweise führt dazu, dass sich das Buch streckenweise eher wie ein Tagebuch liest ("Mir läuft es bei dieser Unterhaltung kalt den Rücken hinunter und ich trinke mein Glas Wein.")
Ebners Antwort auf die Frage, warum solche Radikalisierungen sich Bahn brechen, ist nicht neu: Die fortschreitende Technologie hat die Mobilisierungskraft extremistischer Gruppierungen enorm gestärkt. Auch nicht sonderlich neu sind die gleich zu Beginn des Buches als innovativ und mutig angekündigten Vorschläge, um die Radikalisierung von Internetusern zu verhindern ("Bildung gegen Extremismus") und gefährdende Gruppierungen aufzuspüren und zu überwältigen.
Ebners Verdienst besteht viel eher darin, verständlich zu machen, wie sich die Online-Radikalisierung vollzieht, wie Menschen zu solchen "hypersozialen extremistischen Hightech-Bewegungen" und ihren Chats finden und dort bleiben. "Mithilfe der Technik geben sie den Menschen zurück, was die Technik ihnen genommen hat", schreibt sie über Online-Chats. Das seien "Zugehörigkeitsgefühl, Selbstvertrauen und Identität. Beziehungsweise: Illusion dessen."
Julia Ebner: "Radikalisierungsmaschinen". Wie Extremisten die neuen Technologien nutzen und manipulieren.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019.
334 S., br., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Verdeckte Ermittlerin: Julia Ebner berichtet von ihren Erfahrungen in den Online-Foren radikaler Gruppen.
Von Nora Sefa
Inhalte aus Kunst, Musik, Film und Literatur werden häufig zur Unterstützung politischer Ideologien herangezogen. So beschreibt die österreichische Extremismusforscherin Julia Ebner in ihrem neuen Buch eine Szene aus dem ersten Teil des kultigen Science-Fiction-Films "Matrix", der für die Propaganda der internationalen Neuen Rechten zum Symbol geworden ist. Darin muss sich der Protagonist "Neo" zwischen einer blauen und einer roten Kapsel entscheiden. Schluckt er die blaue, lebt er auf ewig verblendet in einer Traumwelt. Nimmt er die rote Kapsel ein - die der "Wahrheit" -, erlangt er schmerzhafte Erkenntnis über die Welt, in der er lebt.
In rechtsextremen Kreisen steht die rote Kapsel für die Befreiung von den Mainstream-Wahrheiten. Man verschafft sich Zugang zum vermeintlich eigentlichen Wissen, was meist auf die Verbreitung von Verschwörungstheorien hinausläuft. Etwa auf die in der Alt-Right-Bewegung gepflegte Erzählung vom "Großen Bevölkerungsaustausch", nach der die weiße Rasse verdrängt werde und um ihre Erhaltung kämpfen müsse. In ihren Recherchen begegnen Julia Ebner viele solcher Verschwörungstheorien.
Ebner forscht am Londoner Institute for Strategic Dialogue (ISD) und berät internationale Regierungsorganisationen in Online-Extremismus-Fragen. Ihr Beruf sei es, schreibt sie, Extremisten zu verfolgen; ihre Arbeit beschreibt sie als Katz-und-Maus-Spiel.
Doch die Perspektive der Katze, die sie in ihrer Forschung einnimmt, genügte ihr nicht, sie wollte wissen, was sich unter den Mäusen, im "Maschinenraum" des Extremismus, abspielt - dort, wo die Radikalisierung sich stufenweise vollzieht. Zwei Jahre lang hat Ebner deshalb immer wieder verschiedene Identitäten ("Avatare") angenommen, um sich undercover in extremistische Gruppierungen im Netz und auch offline einzuschleusen. Mal ist sie die naive "Jen Malo" im Chatroom der neonazistischen "MAtR" (Men Among the Ruins), mal mischt sie sich strategisch klug als "Isabella I. Königin von Kastilien" unter die größte Trollarmee Europas, "Reconquista Germanica", oder sie tritt konservativ-christlich auf, als Claire, eine französische Stewardess, die auf der Dating-Plattform "WASP Love" die Beziehungssehnsüchte weißer Rassisten ergründet. So wagt sie sich in die Welt von weißen Nationalisten und Neonazis, von Islamisten und radikalen Antifeministinnen.
Allen gemein ist, stellt Ebner fest, die "toxische Paarung" aus "ideologischer Vergangenheitssehnsucht" und "technologischem Futurismus", Eine explosive Mischung, wie bei der Lektüre deutlich wird. Mit ihren Avataren verschafft sie sich Zutritt zu den Chatforen auf der Gaming-App "Discord" und auf Messengern wie Telegram und Whatsapp, die mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung arbeiten. Deren Nutzer fühlen sich hier unbeobachtet und sicher. Ebner bezeichnet Discord und Telegram als "gekaperte Plattformen": Beide seien zu einem anderen Zweck entstanden, würden aber massiv von Extremisten genutzt. Die Online-Dienste arbeiteten zwar mit den Behörden zusammen, um ihre Server von Extremisten zu befreien, doch die Nutzer sind ihren Verfolgern meist einen Schritt voraus und wissen die Plattformen auszutricksen.
Ein Besuch im Chat der antifeministischen Frauenbewegung Red Pill Women/ Traditional Wives, einem Coaching- und Dating-Ratgeber, zeigt, wie verbale und körperliche Gewalt gegenüber Frauen von Frauen legitimiert wird. Frauen verachtende Rollenbilder werden hier hochgehalten, der eigene sexuelle Marktwert wird penibel errechnet. Auch Ebners Beobachtungen im Chat der "Terror Agency Sister"-Gruppe, zeigen, wie muslimische Frauen, die dem "Islamischen Staat" nahestehen, systematisch auf den Dschihad eingestimmt werden.
Ihre Recherchen bringen die Autorin immer wieder in heikle Situationen, auch außerhalb der Chats, im realen Leben. So wird sie durch Zufall Zeugin der Gründungsveranstaltung eines Ablegers der rechtsextremen Identitären Bewegung in London, ein Event, das die Köpfe der internationalen Rechten versammelt. Ebner sitzt, getarnt mit einer Perücke, mittendrin.
Sie habe "beobachtet, wie Extremisten Terroranschläge und Desinformationskampagnen planen und Einschüchterungsfeldzüge koordinieren", schreibt Ebner über ihre Erfahrungen. Fünf Schritte des von ihr untersuchten Radikalisierungsprozesses unterscheidet sie: Rekrutierung, Sozialisierung, Kommunikation, Vernetzung, Mobilisierung und Angriff. Jede dieser Etappen arbeitet sie eindringlich an einer oder mehreren Gruppen ab, die sie als virtuelle Agentin besucht hat. Erstaunlich ist, dass sich dieser Verlauf der Radikalisierung über alle ideologischen Unterschiede hinweg beobachten lässt.
Ebner zeigt eindrucksvoll, was hinter den Kulissen vorgeht, wenn terroristische Angriffe und Cyberattacken geplant werden, und erzeugt so immer wieder neue Spannungsbögen. Die Erzählweise führt dazu, dass sich das Buch streckenweise eher wie ein Tagebuch liest ("Mir läuft es bei dieser Unterhaltung kalt den Rücken hinunter und ich trinke mein Glas Wein.")
Ebners Antwort auf die Frage, warum solche Radikalisierungen sich Bahn brechen, ist nicht neu: Die fortschreitende Technologie hat die Mobilisierungskraft extremistischer Gruppierungen enorm gestärkt. Auch nicht sonderlich neu sind die gleich zu Beginn des Buches als innovativ und mutig angekündigten Vorschläge, um die Radikalisierung von Internetusern zu verhindern ("Bildung gegen Extremismus") und gefährdende Gruppierungen aufzuspüren und zu überwältigen.
Ebners Verdienst besteht viel eher darin, verständlich zu machen, wie sich die Online-Radikalisierung vollzieht, wie Menschen zu solchen "hypersozialen extremistischen Hightech-Bewegungen" und ihren Chats finden und dort bleiben. "Mithilfe der Technik geben sie den Menschen zurück, was die Technik ihnen genommen hat", schreibt sie über Online-Chats. Das seien "Zugehörigkeitsgefühl, Selbstvertrauen und Identität. Beziehungsweise: Illusion dessen."
Julia Ebner: "Radikalisierungsmaschinen". Wie Extremisten die neuen Technologien nutzen und manipulieren.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019.
334 S., br., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Ebner zeigt eindrucksvoll, was hinter den Kulissen vorgeht, wenn terroristische Angriffe und Cyberattacken geplant werden, und erzeugt so immer wieder Spannungsbögen.« Nora Sefa Frankfurter Allgemeine Zeitung 20191012