Von einer Zeit, in der die Hoffnungen auf radikale Veränderungen in der Ukraine begraben werden
Als »Barrikadenpianist« hat er die Revolution zu Hause unterstützt. In der Emigration verdient er sein Geld als Salonmusiker - Josip Rotsky, ein Mann unklarer Identität, dessen Name sich auf Trotzki, Brodsky und Joseph Roth reimt. In einem Schweizer Hotel muss er für den Diktator seines Landes spielen - und wird zum Attentäter.
Nach der Haft zieht Rotsky sich in die heimatlichen Karpaten zurück. Geheimdienstler und andere Finsterlinge trachten ihm nach dem Leben. Mit seiner Geliebten Animé und dem Raben Edgar flieht er nach Griechenland. Erst auf der Gefängnisinsel am Null-Meridian ist Schluss. Dort sendet sein »Radio Nacht« rund um die Uhr Musik, Poesie und Geschichten in die sich verfinsternde Welt.
Als »Barrikadenpianist« hat er die Revolution zu Hause unterstützt. In der Emigration verdient er sein Geld als Salonmusiker - Josip Rotsky, ein Mann unklarer Identität, dessen Name sich auf Trotzki, Brodsky und Joseph Roth reimt. In einem Schweizer Hotel muss er für den Diktator seines Landes spielen - und wird zum Attentäter.
Nach der Haft zieht Rotsky sich in die heimatlichen Karpaten zurück. Geheimdienstler und andere Finsterlinge trachten ihm nach dem Leben. Mit seiner Geliebten Animé und dem Raben Edgar flieht er nach Griechenland. Erst auf der Gefängnisinsel am Null-Meridian ist Schluss. Dort sendet sein »Radio Nacht« rund um die Uhr Musik, Poesie und Geschichten in die sich verfinsternde Welt.
»Die heterogenen Handlungselemente, ach: die aberwitzigen Wendungen des Geschehens werden durch phantastische Schlenker und hanebüchene Motive miteinander verbunden ... Die Rockmusik und der Sex, der Schotter und die Liebe - Radio Nacht hebt die unverkennbar spätpubertären Züge seiner Hauptperson durch Beschleunigung und postmoderne Ironie auf ein sehr unterhaltsames karnevalistisches Niveau.« Jörg Plath Neue Zürcher Zeitung 20221122
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ein faustisches Spiel ist "Radio Nacht" des Ukrainers Andruchowytsch für Rezensentin Christiane Pöhlmann, aber leider eines, das in ihren Augen nicht so recht aufgehen mag. Der Protagonist Josip Rotsky schildert in seiner Radioshow sein bewegtes Leben, auch an der Seite Meph(isto)s in einem nicht näher bezeichneten Land, das klar als die Ukraine zu erkennen ist, und übt Kritik am Regime und den politischen Umständen. Das sei zwar an sich kurzweilig, aber bietet der Rezensentin doch zu wenig Einblicke und Erkenntnisse, um wirklich überzeugen zu können.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2022Teil von jener Kraft
Juri Andruchowytschs Parforceritt durch jüngere Geschichte und ältere Literatur: "Radio Nacht".
Von Christiane Pöhlmann
Ob er - der zwielichtige Meph - stets das Böse will, sei dahingestellt. Dass er in vielerlei Hinsicht Gutes schafft, steht außer Frage. Viel verneint wird ebenfalls, ganz sicher aber nicht, weil alles, was entsteht, auch wert ist, dass es zugrunde geht. Der Faust'sche Pakt und die Umtriebe eines Mephistopheles sind beliebte Versatzstücke der modernen Literatur. Zu denken ist an Bulgakows grandiosen Roman "Der Meister und Margarita", der wiederum in Salman Rushdies "Satanischen Versen" Spuren hinterlassen hat.
Der Meph im neuen Roman des Ukrainers Juri Andruchowytsch (geboren 1960) ist wie stets der ewige Dritte, dabei aber ein treuer Geselle. "Wenn Gott unser Vater ist, dann ist der Teufel unser Busenfreund." Mit diesen Worten beginnt der eigentliche Protagonist, Josip Rotsky, nächtens sein Radioprogramm. Er sendet von einer Insel irgendwo auf "dem Null-Meridan". Hinter Rotsky liegt ein Leben als Keyboarder, DJ, Revolutionär, politischer Attentäter, Häftling in der Schweiz, Flüchtling, Mafia-Gejagter und Gefährte eines Raben, der selbstverständlich Edgar heißt. Sein Busenfreund Meph hat ihm wiederholt aus der Patsche geholfen. Mehr muss über die Fabulier-, Zitier- und Tempofreude Andruchowytschs wohl nicht gesagt werden.
Über den Sender schildert Rotsky sein Leben, das ein weiterer Ich-Erzähler parallel im deutlich umfangreicheren zweiten Strang für das "Internationale Interaktive Biografische Komitee" rekonstruiert. Rotsky kommt aus einem Land, das namenlos bleibt, aber von Oranger Revolution und Euromaidan geprägt ist. Staatschef ist einer der unehelichen Söhne des "vorletzten Diktators Europas", ein "TV-Comedian". Der Roman beschreibt ein Scheitern dieser Bewegungen, aktuelle Bilder lassen ihn aber wie einen Kommentar auf Verhältnisse in einem anderen namenlos bleibenden Land wirken, das gerade "weg von sich fährt - immer schneller und schneller".
Die Nullerjahre dienten nur noch "der Generierung von gigantischem, kosmisch unendlichem Zaster". Lakonisch wird dem geschichtlichen Umbruch eine Absage erteilt: "Tatsächlich gab es zwar den Zerfall, aber das Imperium blieb erhalten", weshalb allerorten "Altregimeplüsch" die "unerhört hörigen Partnerinnen" einlädt. Andruchowytsch scheut keine Kalauer, doch einen Mann vom Geheimdienst lässt er sagen: Systemkritiker "verfrachteten sie in den winterlichen Wald und ließen sie dort verenden, mit Flaschen vergewaltigt und nackt". Niemand sollte es sich bei der Lektüre vorschnell im Altregimeplüsch gemütlich machen.
Das führt zur Schwäche des Romans. Mit überbordender Phantasie und reicher Sprache gestaltet Andruchowytsch Volte um Volte, dies so gut, dass er beinahe über das fehlende Romankonzept hinwegtäuscht. Der Text ist kurzweilig, wer wollte, könnte ihn in ein, zwei Nächten lesen, was im Deutschen auch Sabine Stöhr und ihrer guten Übersetzung zu danken ist. Er bleibt aber eine Ansammlung von Episoden. Um die Hälfte gekürzt, wäre er vermutlich genauso gut.
Phantasie und Absurdität sind keineswegs die falschen Mittel, um einer Beschreibung der Realität zu Leibe zu rücken. Gerade in repressiven oder dikatorischen Systemen halten fiktionale Texte dieser Art der Gesellschaft oft einen glänzenden Spiegel vor. Voraussetzung dafür ist eine textimmanente Logik. Warum sucht Rotskys Biograph nach Spuren - wenn Rotsky sein Leben im Radio schildert? Oder wird die Sendung, wie der Schluss suggeriert, aus dem Jenseits übertragen? Selbst dann bliebe Rotsky freilich höchst auskunftsfreudig.
Ein tieferes Verständnis für die Entwicklungen der letzten Jahre in der Ukraine vermittelt "Radio Nacht" kaum. Die Szenen sind zwar Lektüreleckerbissen, als mehrszeniges Menü wird der Roman aber nicht unbedingt zum Schmaus. Zu wenig Futter für die Gehirnzellen bietet er.
Juri Anruchowytsch: "Radio Nacht". Roman.
Aus dem Ukrainischen von Sabine Stöhr. Suhrkamp Verlag, Berlin 2022. 472 S., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Juri Andruchowytschs Parforceritt durch jüngere Geschichte und ältere Literatur: "Radio Nacht".
Von Christiane Pöhlmann
Ob er - der zwielichtige Meph - stets das Böse will, sei dahingestellt. Dass er in vielerlei Hinsicht Gutes schafft, steht außer Frage. Viel verneint wird ebenfalls, ganz sicher aber nicht, weil alles, was entsteht, auch wert ist, dass es zugrunde geht. Der Faust'sche Pakt und die Umtriebe eines Mephistopheles sind beliebte Versatzstücke der modernen Literatur. Zu denken ist an Bulgakows grandiosen Roman "Der Meister und Margarita", der wiederum in Salman Rushdies "Satanischen Versen" Spuren hinterlassen hat.
Der Meph im neuen Roman des Ukrainers Juri Andruchowytsch (geboren 1960) ist wie stets der ewige Dritte, dabei aber ein treuer Geselle. "Wenn Gott unser Vater ist, dann ist der Teufel unser Busenfreund." Mit diesen Worten beginnt der eigentliche Protagonist, Josip Rotsky, nächtens sein Radioprogramm. Er sendet von einer Insel irgendwo auf "dem Null-Meridan". Hinter Rotsky liegt ein Leben als Keyboarder, DJ, Revolutionär, politischer Attentäter, Häftling in der Schweiz, Flüchtling, Mafia-Gejagter und Gefährte eines Raben, der selbstverständlich Edgar heißt. Sein Busenfreund Meph hat ihm wiederholt aus der Patsche geholfen. Mehr muss über die Fabulier-, Zitier- und Tempofreude Andruchowytschs wohl nicht gesagt werden.
Über den Sender schildert Rotsky sein Leben, das ein weiterer Ich-Erzähler parallel im deutlich umfangreicheren zweiten Strang für das "Internationale Interaktive Biografische Komitee" rekonstruiert. Rotsky kommt aus einem Land, das namenlos bleibt, aber von Oranger Revolution und Euromaidan geprägt ist. Staatschef ist einer der unehelichen Söhne des "vorletzten Diktators Europas", ein "TV-Comedian". Der Roman beschreibt ein Scheitern dieser Bewegungen, aktuelle Bilder lassen ihn aber wie einen Kommentar auf Verhältnisse in einem anderen namenlos bleibenden Land wirken, das gerade "weg von sich fährt - immer schneller und schneller".
Die Nullerjahre dienten nur noch "der Generierung von gigantischem, kosmisch unendlichem Zaster". Lakonisch wird dem geschichtlichen Umbruch eine Absage erteilt: "Tatsächlich gab es zwar den Zerfall, aber das Imperium blieb erhalten", weshalb allerorten "Altregimeplüsch" die "unerhört hörigen Partnerinnen" einlädt. Andruchowytsch scheut keine Kalauer, doch einen Mann vom Geheimdienst lässt er sagen: Systemkritiker "verfrachteten sie in den winterlichen Wald und ließen sie dort verenden, mit Flaschen vergewaltigt und nackt". Niemand sollte es sich bei der Lektüre vorschnell im Altregimeplüsch gemütlich machen.
Das führt zur Schwäche des Romans. Mit überbordender Phantasie und reicher Sprache gestaltet Andruchowytsch Volte um Volte, dies so gut, dass er beinahe über das fehlende Romankonzept hinwegtäuscht. Der Text ist kurzweilig, wer wollte, könnte ihn in ein, zwei Nächten lesen, was im Deutschen auch Sabine Stöhr und ihrer guten Übersetzung zu danken ist. Er bleibt aber eine Ansammlung von Episoden. Um die Hälfte gekürzt, wäre er vermutlich genauso gut.
Phantasie und Absurdität sind keineswegs die falschen Mittel, um einer Beschreibung der Realität zu Leibe zu rücken. Gerade in repressiven oder dikatorischen Systemen halten fiktionale Texte dieser Art der Gesellschaft oft einen glänzenden Spiegel vor. Voraussetzung dafür ist eine textimmanente Logik. Warum sucht Rotskys Biograph nach Spuren - wenn Rotsky sein Leben im Radio schildert? Oder wird die Sendung, wie der Schluss suggeriert, aus dem Jenseits übertragen? Selbst dann bliebe Rotsky freilich höchst auskunftsfreudig.
Ein tieferes Verständnis für die Entwicklungen der letzten Jahre in der Ukraine vermittelt "Radio Nacht" kaum. Die Szenen sind zwar Lektüreleckerbissen, als mehrszeniges Menü wird der Roman aber nicht unbedingt zum Schmaus. Zu wenig Futter für die Gehirnzellen bietet er.
Juri Anruchowytsch: "Radio Nacht". Roman.
Aus dem Ukrainischen von Sabine Stöhr. Suhrkamp Verlag, Berlin 2022. 472 S., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main