Radunsky hört zu. Ja klar, das ist ja auch sein Job. Er ist Psychiater und Gesprächstherapeut.Neben dem Beruf gehört seine Leidenschaft der Literatur. Er hat den Plan, einen Roman zu schreiben: Plaudereien einer Erzählerin, deren Liebes-Eskapaden sein Buch in einem "erotischen Alphabet" durchbuchstabiert. Das reale Vorbild für seine Hauptfigur ist Paula, eine Frau die jetzt Anfang 60 ist. Ihr hat er seine Geschichten abgelauscht. "Abgelauscht" kann man vielleicht so nicht sagen. Er hat sie, als ihm die Idee zu seinem Roman kam, gefragt, ob er ihre Erlebnisse, die sie ihm in den Therapiestunden erzählt hat, benutzen dürfe - mit Veränderungen natürlich, die ein Wiedererkennen realer Personen unmöglich macht.Nun ist ein erster Entwurf fertig, und er ist gespannt auf Paulas Resonanz.Die eindimensionale Ausrichtung auf die Erotik kann sie hinnehmen. Allerdings ist ihr Radunskys Heldin nicht gerade sympathisch: Er hat mit ihr eine Figur geschaffen, die alles und jeden vordringlich auf die Möglichkeit eines erotischen Abenteuers abschätzt.Vor allem aber kritisiert sie, dass er seine Protagonistin und ihre Erlebnisse aus der Zeit herausgelöst, die Episoden aus ihrem Leben Eins zu Eins aus den späten 60er und den 70er Jahren um 40 Jahre ins Heute versetzt hat.Radunsky möchte gerne mehr über das Zeit-Kolorit dieser Periode erfahren. Und so lässt Paula eine Reihe ihrer Erinnerungsbilder für ihn Revue passieren. Es ist zwar die Zeit rund um seine Geburt, sie scheint ihm aber nichtsdestoweniger exotisch und weit entfernt zu sein.Bald geht es nicht mehr um seine ursprüngliche Idee. Was Paula zu erzählen hat ist ein anderer Roman, der, so meint Radunsky, geschrieben werden sollte.