Der erste Teil seiner Biographie umgreift die Jahre der Kindheit, der Jugend - mit ersten Veröffentlichungen von Gedichten, Erzählungen, Künstlermonographien und Essays - und der beginnenden Meisterschaft der "Neuen Gedichte". Er reicht bis zum Bruch mit dem Bildhauer Auguste Rodin, für den Rilke eine Zeitlang als Sekretär tätig war. Freedman schildert das Leben des jungen René Rilke, der sich, nach einer schweren Kindheit in der gestörten Ehe seiner Eltern und in Militärschulen, früh zum Dichter bestimmt fühlte und seine ganze Kraft immer ausschließlicher auf ein Ziel zu richten begann: ein Dichter von Rang zu werden. Bei seiner auffälligen Orientierung an den Großen seiner Zeit hatte Rilke letztlich eines im Blick: das Wachsen seines dichterischen Werkes.
Der zweite Teil der Rilke-Biographie folgt den Spuren des reifen Dichters. Biographisch gesehen sind es die Jahre nach der Trennung von Auguste Rodin im Jahr 1906 und der immer ausschließlicheren Orientierung auf das eigene Werk, als ahnte Rilke, daß sich sein Leben mit 51 Jahren vollendet haben wird. Von den nun entstehenden Meisterwerken machten ihn "Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge" (1910), vor allem aber die "Duineser Elegien" und "Die Sonette an Orpheus" (1923) über die Grenzen des deutschen Sprachraums hinaus berühmt.
Der zweite Teil der Rilke-Biographie folgt den Spuren des reifen Dichters. Biographisch gesehen sind es die Jahre nach der Trennung von Auguste Rodin im Jahr 1906 und der immer ausschließlicheren Orientierung auf das eigene Werk, als ahnte Rilke, daß sich sein Leben mit 51 Jahren vollendet haben wird. Von den nun entstehenden Meisterwerken machten ihn "Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge" (1910), vor allem aber die "Duineser Elegien" und "Die Sonette an Orpheus" (1923) über die Grenzen des deutschen Sprachraums hinaus berühmt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.12.2001Bildhauer der Biographie
Trabant, noch kein Stern: Ralph Freedman über den jungen Rilke
Bei Rilke sind Biographen immer richtig. Denn war das Wirken des Dichters nicht ein einziger Feldzug für den Zusammenschluß von Leben und Werk? "Meine Bücher sind meine Confessionen und meine Lebensgeschichte", schreibt Rilke schon mit unschuldigen einundzwanzig Jahren an seinen Jugendfreund Arnold Wimhölzl. Und wie man in den Wald der Fiktionen hineinruft, so schallt es heraus. Später bevölkern sich besagte Bücher bekanntlich mit archaischen Torsen, die dem Leser den Befehl erteilen, sein Leben zu ändern. Wo Artefakte so gründlich in Lebensläufe eingreifen, da geben freilich sich auch Viten als Kunstprodukte zu erkennen. Keine Urlaubsbekanntschaft, die Rilke nicht mit Briefgedichten bombardierte. Das Soldatentum, an dem sein beruflich erfolgloser Vater scheiterte - der in Mädchenkleidern aufgewachsene Sohn sollte es in einem beispiellosen Aufmarsch der poetischen Bilder doch noch zum Triumph führen.
Der Literaturwissenschaftler Ralph Freedman nimmt in seiner umfangreichen Rilke-Biographie, deren erster, die jungen Jahre von 1875 bis 1906 umfassender Teil nun auf deutsch vorliegt, die Schauplätze von Rilkes Leben in erster Linie als Szenen seines Schreibens in den Blick. Die Überblendung von biographischen und literarischen Welten setzt schon am Stadtplan der Prager Heimat an. Hier steckt der Abstand zwischen der ärmlichen Heinrichsgasse des Elternhauses und der feudalen Herrengasse der Großeltern den semantischen Spielraum des dichterischen Werks ab. Eine solche Zweiweltenlehre, die fast an Prousts in zwei Universen zerfallendes Combray erinnernt, unterlegt Freedman auch anderen Stationen der Poetenkarriere. Als sich Rilke, den Militärschulen und der Handelsakademie entkommen, in Prag auf das Abitur vorbereitet, dienen die von "feuchten Höfen und schmalen Gassen" umgebene Wohnung seiner Tante Gabriele und das "inmitten von Ziersträuchern und Blumen" gelegene Haus seiner adeligen Tante Charlotte Mähler von Mählersheim als Orte, an denen er seinen Bedeutungshaushalt auffüllt. Mädchenkleider und Zinnsoldaten, das "dichterisch Feminine" der Mutter und das "militärisch Maskuline" des Vaters - aus der Spannung zwischen diesen Polen speist sich nach Freedman das Kraftfeld der Rilkeschen Texte, auch wenn nicht nur die von einer zutiefst androgynen Sexualität geprägten Gedichte des "Stunden-Buchs" vor allem einer Poetik der Umpolung folgen.
Die Gefahr einer biographischen Erzählung, welche sich an fundamentalen Gegensätzen entlangschreibt, liegt in der Suche nach immer neuem Ersatz für die einmal ins Spiel gebrachten Instanzen. So werden sämtliche "Musen" im Leben des jungen Rilke über das nicht eben originelle Rasterbild der Ersatzmutter erfaßt. Dennoch wirft gerade Rilkes von Freedman stets betonte Angewiesenheit auf soziale Navigationshilfen ein interessantes Licht auf den Schriftsteller, dessen frühe Dichtung doch vor allem um Figuren der Einsamkeit kreist - den Mönch, den Pilger und den Eremiten. Ohne die sechzehn Jahre ältere Lou Andreas-Salomé, die trotz seiner kurzen Ehe mit der Künstlerin Clara Westhoff den Part der weiblichen Hauptrolle in Rilkes Biographie spielt und welcher der Nachwuchsdichter von München nach Berlin und von dort aus bis nach Rußland folgt, trüge Rilke auch für uns noch seinen Taufnamen René und nicht den Künstlernamen Rainer.
Während die Lehrjahre des Gefühls bei Rilke einer Triangulation gleichen, die sich von Dreiecksbeziehung zu Dreiecksbeziehung fortbewegt und doch immer wieder auf den Fixpunkt Salomé zurückführt, hängt seine Künstlerlaufbahn an dem lange Zeit eher aussichtslosen Plan, sich ein tragfähiges Netz aus Freunden und Förderern zu knüpfen. Der neue Stern am Dichterhimmel versuchte sich lange Zeit als Trabant und schreckte auch nach seinen ersten Erfolgen nicht davor zurück, beim vergötterten Vorbild Auguste Rodin in Paris eine Anstellung als Sekretär zu übernehmen, aus der er nach ausgiebigem privaten Mißbrauch von Rodins geschäftlicher Korrespondenz nicht gerade ehrenhaft entlassen wurde.
Insgesamt gewinnen die überwiegend auf Briefzeugnisse gestützten und hervorragend übersetzten vierhundert Seiten der unter anderem schon von Wolfgang Leppmann ausführlich dargestellten Biographie des Rainer Maria Rilke keine bahnbrechend neuen Aspekte ab. Nicht wenige Textpassagen erschöpfen sich in leicht ermüdenden Aufzählungen: "Die zwei folgenden Tage gehörten Nowgorod und seinen Kirchen." Interessante Einsichten gelingen meist dort, wo biographische Stationen auch poetologisch auszubeuten sind - beispielsweise im durch und durch kranken Paris des bereits 1904 begonnenen, aber erst 1910 erschienenen "Malte Laurids Brigge". Der Sprachbilder, mit denen der Dichter später brillieren sollte, werden in Rilkes zu jedem Zeitpunkt mit Kunst aufgeladenem Lebenslauf schon früh behauen.
ANDREAS ROSENFELDER
Ralph Freedman: "Rainer Maria Rilke". Der junge Dichter 1875-1906. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Curdin Ebneter. Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 2001. 434 S., geb., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Trabant, noch kein Stern: Ralph Freedman über den jungen Rilke
Bei Rilke sind Biographen immer richtig. Denn war das Wirken des Dichters nicht ein einziger Feldzug für den Zusammenschluß von Leben und Werk? "Meine Bücher sind meine Confessionen und meine Lebensgeschichte", schreibt Rilke schon mit unschuldigen einundzwanzig Jahren an seinen Jugendfreund Arnold Wimhölzl. Und wie man in den Wald der Fiktionen hineinruft, so schallt es heraus. Später bevölkern sich besagte Bücher bekanntlich mit archaischen Torsen, die dem Leser den Befehl erteilen, sein Leben zu ändern. Wo Artefakte so gründlich in Lebensläufe eingreifen, da geben freilich sich auch Viten als Kunstprodukte zu erkennen. Keine Urlaubsbekanntschaft, die Rilke nicht mit Briefgedichten bombardierte. Das Soldatentum, an dem sein beruflich erfolgloser Vater scheiterte - der in Mädchenkleidern aufgewachsene Sohn sollte es in einem beispiellosen Aufmarsch der poetischen Bilder doch noch zum Triumph führen.
Der Literaturwissenschaftler Ralph Freedman nimmt in seiner umfangreichen Rilke-Biographie, deren erster, die jungen Jahre von 1875 bis 1906 umfassender Teil nun auf deutsch vorliegt, die Schauplätze von Rilkes Leben in erster Linie als Szenen seines Schreibens in den Blick. Die Überblendung von biographischen und literarischen Welten setzt schon am Stadtplan der Prager Heimat an. Hier steckt der Abstand zwischen der ärmlichen Heinrichsgasse des Elternhauses und der feudalen Herrengasse der Großeltern den semantischen Spielraum des dichterischen Werks ab. Eine solche Zweiweltenlehre, die fast an Prousts in zwei Universen zerfallendes Combray erinnernt, unterlegt Freedman auch anderen Stationen der Poetenkarriere. Als sich Rilke, den Militärschulen und der Handelsakademie entkommen, in Prag auf das Abitur vorbereitet, dienen die von "feuchten Höfen und schmalen Gassen" umgebene Wohnung seiner Tante Gabriele und das "inmitten von Ziersträuchern und Blumen" gelegene Haus seiner adeligen Tante Charlotte Mähler von Mählersheim als Orte, an denen er seinen Bedeutungshaushalt auffüllt. Mädchenkleider und Zinnsoldaten, das "dichterisch Feminine" der Mutter und das "militärisch Maskuline" des Vaters - aus der Spannung zwischen diesen Polen speist sich nach Freedman das Kraftfeld der Rilkeschen Texte, auch wenn nicht nur die von einer zutiefst androgynen Sexualität geprägten Gedichte des "Stunden-Buchs" vor allem einer Poetik der Umpolung folgen.
Die Gefahr einer biographischen Erzählung, welche sich an fundamentalen Gegensätzen entlangschreibt, liegt in der Suche nach immer neuem Ersatz für die einmal ins Spiel gebrachten Instanzen. So werden sämtliche "Musen" im Leben des jungen Rilke über das nicht eben originelle Rasterbild der Ersatzmutter erfaßt. Dennoch wirft gerade Rilkes von Freedman stets betonte Angewiesenheit auf soziale Navigationshilfen ein interessantes Licht auf den Schriftsteller, dessen frühe Dichtung doch vor allem um Figuren der Einsamkeit kreist - den Mönch, den Pilger und den Eremiten. Ohne die sechzehn Jahre ältere Lou Andreas-Salomé, die trotz seiner kurzen Ehe mit der Künstlerin Clara Westhoff den Part der weiblichen Hauptrolle in Rilkes Biographie spielt und welcher der Nachwuchsdichter von München nach Berlin und von dort aus bis nach Rußland folgt, trüge Rilke auch für uns noch seinen Taufnamen René und nicht den Künstlernamen Rainer.
Während die Lehrjahre des Gefühls bei Rilke einer Triangulation gleichen, die sich von Dreiecksbeziehung zu Dreiecksbeziehung fortbewegt und doch immer wieder auf den Fixpunkt Salomé zurückführt, hängt seine Künstlerlaufbahn an dem lange Zeit eher aussichtslosen Plan, sich ein tragfähiges Netz aus Freunden und Förderern zu knüpfen. Der neue Stern am Dichterhimmel versuchte sich lange Zeit als Trabant und schreckte auch nach seinen ersten Erfolgen nicht davor zurück, beim vergötterten Vorbild Auguste Rodin in Paris eine Anstellung als Sekretär zu übernehmen, aus der er nach ausgiebigem privaten Mißbrauch von Rodins geschäftlicher Korrespondenz nicht gerade ehrenhaft entlassen wurde.
Insgesamt gewinnen die überwiegend auf Briefzeugnisse gestützten und hervorragend übersetzten vierhundert Seiten der unter anderem schon von Wolfgang Leppmann ausführlich dargestellten Biographie des Rainer Maria Rilke keine bahnbrechend neuen Aspekte ab. Nicht wenige Textpassagen erschöpfen sich in leicht ermüdenden Aufzählungen: "Die zwei folgenden Tage gehörten Nowgorod und seinen Kirchen." Interessante Einsichten gelingen meist dort, wo biographische Stationen auch poetologisch auszubeuten sind - beispielsweise im durch und durch kranken Paris des bereits 1904 begonnenen, aber erst 1910 erschienenen "Malte Laurids Brigge". Der Sprachbilder, mit denen der Dichter später brillieren sollte, werden in Rilkes zu jedem Zeitpunkt mit Kunst aufgeladenem Lebenslauf schon früh behauen.
ANDREAS ROSENFELDER
Ralph Freedman: "Rainer Maria Rilke". Der junge Dichter 1875-1906. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Curdin Ebneter. Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 2001. 434 S., geb., 39,80 DM.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Curdin Ebneter ist es "vortrefflich" gelungen, die vor sechs Jahren in den USA erschienene Biografie Ralph Freedmans über Rainer Maria Rilke ins Deutsche zu übertragen, lobt Hans-Albrecht Koch. Und "vorzüglich" könnten nun, schwärmt der Rezensent weiter, alle Rilke-Fans dessen Leben und Werk in vielen Facetten nachvollziehen. Diese Biografie stelle geradezu, behauptet Koch, einen "Markstein" für die Literaturwissenschaft dar, denn Freedman, der lange Komparatistik in Princeton gelehrt hatte, wisse Leben und Werk "mit weitem Blick" und "gebändigter Detailfülle" "glücklich" in Einklang zu bringen. Stets gelinge es dem Autor, hinter Vordergründigem Ursachen und Motive sichtbar zu machen, ohne Unsicherheiten zur Spekulation zu erheben und ohne auf eine stets nüchterne Betrachtung zu verzichten. Erfreut ist der Rezensent auch darüber, dass die deutsche Fassung sogar auf dem neuesten Stand der Rilke-Forschung ist, denn der Autor habe edierte Briefe und Dokumente der letzten sechs Jahre in die deutsche Fassung miteinbezogen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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