'Muss das sein?!' Das bekommt Ramona ziemlich oft von ihrer Mama zu hören. Natürlich muss nie sein, was Ramona gerade anstellt . . . Und zugegeben, im Schlafanzug zur Schule zu gehen - das war wirklich keine gute Idee. Aber manche Dinge passieren eben einfach irgendwie. Und das müsste Ramonas Mutter eigentlich wissen, oder?
Der Alltag einer selbstbewußten 9-Jährigen
Der Alltag der selbstbewussten neunjährigen Ramona ist reichlich turbulent. Das Mädchen wächst in einer intakten traditionellen Großfamilie zwischen zwei Schwestern auf: an dem Baby Roberta sieht sie, wie sie selbst einmal war, ihre bevorstehende Entwicklung erlebt sie an ihrer pubertierenden Schwester Beatrice, die mit ihrer ersten Party die gesamte Familie nervt.
Drei Herzenswünsche hat Ramona: Sie will die Rechtschreibung besser beherrschen, ohne sich dafür anstrengen zu müssen. Sie erhofft sich mehr Gegenliebe von ihrem heimlichen Schwarm Daniel, und sie wünscht sich eine beste Freundin. Die Leserin identifiziert sich spontan.
Die Autorin schildert nun plastisch, wie Ramona mit gehörigem Durchsetzungsvermögen daran geht, diese Wunschträume in die Realität umzusetzen. Dabei agiert sie spontan und mit einem Kopf voller Flöhe. So bricht sie einmal sogar versehentlich beim Spielen im Speicherboden ein und hängt in einer Wolke von Staub über dem Esstisch ihrer neuen Freundin. Sie muss aber auch miterleben, wie Daniels erster Liebesbrief im Unterricht konfisziert wird. Beim Schulfotografen verpasst sie außerdem den entscheidenden Moment des eingeübten Lächelns. Doch genau jenes Foto bricht das Eis in der zarten Annäherung von Ramona und Daniel. Letztendlich wächst unsere Heldin an ihren Aufgaben: Weil die Neunjährige noch keinen Babysitterjob übernehmen darf, übt sie sich im Katzenhüten – eine selbstgestellte Aufgabe, die sie gekonnt meistert. Jetzt wachsen bei ihr Selbstvertrauen und Ehrgeiz, ihre Probleme selbst zu lösen.
Einfühlsam, voller Wärme und mit Sinn fürs Komische – was Kinder lieben – schildert Beaverly Cleary, wie die Titelheldin langsam Verantwortung deshalb für sich selbst zu übernehmen lernt, weil sie es nun will. Immer sind die Beschreibungen überzeugend, ob es nun um die geschwisterliche Eifersucht, um das unbeholfene Gepolter der Jungs oder das abstoßend sabbernde und doch heißgeliebte Baby, die kleine Schwester geht.
Das elterliche Leben bleibt für die kindlichen Leser wohltuend im Hintergrund. Fürsorglich lenkend und unverzagt begleitet die Mutter ihre Kinder durch die Widrigkeiten des Alltags hindurch. Der Vater als einziger männlicher Vertreter erträgt seine Familie mit überraschend großem Humor.
Die einzelnen Episoden und die gesamte Erzählung haben viel Spannung und Tempo. Zeilenabstand und Schriftgröße sind so gestaltet, dass sie zum Selbstlesen reizen. Der Illustrator Oliver Wenniges hat mit seinem klaren Strich die kecke Protagonistin gut getroffen. Verglichen mit seinen ersten Veröffentlichungen sind seine Figuren wesentlich sympathischer geworden. Neu ist sein Hang zur Geometrie.
Cleary gelingt es, das Lebensgefühl der Altersgenossen auf den Punkt zu bringen. Begeistert verfolgt die Leserin Ramonas Freuden und Leiden im „besten Jahr ihres bisherigen Lebens”: dem vierten Schuljahr. Energisch und voller Lebenslust hüpft sie uns direkt ins Herz. Nichts ist spektakulär in diesem Kinderleben, besser: Es ist die fesselnde Erzählung des entfesselten Kinderalltags. (ab 8 Jahre)
ANNEMARIE SCHICKERT
BEVERLY CLEARY: Ramona. Aus dem Amerikanischen von Catrin Frischer. Mit Illustrationen von Oliver Wenniges. Erika Klopp Verlag 2000. 190 Seiten, 22 Mark.
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