Seelische Untiefen, verführerische Unholde und derber Witz Schubal und Armin, zwei Loser aus Berlin-Mitte, treffen in einer Disco auf Benjamin von Stuckrad-Barre und eine hübsche Gespielin. Aber "Stucki" behauptet, er sei gar nicht "Stucki", sondern einer, der permanent mit ihm verwechselt wird, was ihn aber nicht daran hindert, die Verwechslung zu nutzen und mit seinem praktischen Look-Alike-Face bei allen möglichen Events dabei zu sein. Gerade nachher muss er zu einer Party seines "Freundes" Schlingensief, da kann er die beiden, Schubal und Armin gerne mitnehmen. Gysi, Wowi, Sven, Leander und viele andere - alle sind sie da. Läuft doch super, denken Schubal und Arnim, ohne zu ahnen, dass sie Teil einer raffinierten Großinszenierung werden. Ob als Statisten oder Hauptdarsteller, das bleibt die Frage ... Mit der am Zäpfchen kitzelnden Schnoddrigkeit eines Berliner Buffet-Flaneurs lässt Tex Rubinowitz die Kulturgrößen der Hauptstadt aufeinander los - sehr zum Vergnügen des voyeuristischen Lesers.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.08.2009Grill statt Tristesse
Zwischen Weltuntergang und Schlingensief-Imitation: Deutsche Debütanten beschreiben Berlin-Mitte als Geisterbahn und kopieren sich selbst
Endlich wird diese gefährliche Parallelgesellschaft des Landes einmal in Romanen angemessen gewürdigt: dieses kleine Subsystem der Weltverschwörung, dieses luftdicht abgeschlossene Selbstgenügsamkeitssystem, Getto der Selbstfeier und Selbstüberschätzung, der Allmachtsphantasien, des millionenschweren Handels mit Werten, die am nächsten Tag schon wertlos sind, diese Drogenhölle, dieses kleine Dorf der totalen sozialen Abschottung: Berlin-Mitte.
Tex Rubinowitz ist Zeichner, Karikaturist, er wurde laut Klappentext 1961 in Worms geboren und heiße (was nicht stimmt) eigentlich Dirk Blocker, lebe in Wien, besuche regelmäßig Berlin-Mitte und habe einst das etwas verschwitzte Internetforum www.hoefliche-papparazzi.de mitbegründet, eine Internetseite, auf der Mitglieder jedes mitgehörte Promi-Gespräch, jedes Promi-Spotting auf der Straße, in Clubs, im Supermarkt für alle Welt lesbar aufschreiben konnten. Jetzt hat Rubinowitz einen Roman geschrieben, einer der Protagonisten darin heißt Armin, kommt aus Worms und fotografiert gerne Promis auf der Straße. Seine Bilder werden nirgends veröffentlicht, "außer in verschwitzten Internetforen, wie www.promisichtung.de", schreibt er in seinem Buch. Armin ist, zusammen mit seinem Freund Schubal, der einzige sogenannte Nicht-Prominente in Rubinowitz' Roman. Die beiden sitzen zu Beginn etwas verlassen im "White Trash" - "ein angesagter, sehr nervöser Club in der Schönhauser Allee, der seine Zeit, sein Verfallsdatum bereits etwas überschritten hat", es "ist aber immer noch ein ,Spitzenhangout'", versichern sie sich etwas verunsichert. Gerade sind sie bei der Feier einer Leander-Haußmann-Premiere in der "Paris Bar" am Türsteher gescheitert, obwohl sie sich wortreich glänzender Verbindungen zum Gastgeber rühmten. "Fakt ist, dass ich im Abspann steh", erklärt Schubal verzweifelt, im Glauben, es handele sich um eine Filmpremierenfeier. Darauf der Türsteher: "Theater hat keine Abspänne, Vorhang vielleicht, hast du den Vorhang genäht?" Also, das wird hier nichts mehr für die zwei Promisüchtlinge, und so ziehen sie vom alten Westen nach Mitte weiter. An einen Ort ohne Zugangsbeschränkung. Jetzt sitzen sie da, haben kaum Geld fürs nächste Bier, zweifeln an der Location und an sich, als plötzlich der Schriftsteller, Journalist und Berlin-Mitte-Drehbuchautor Benjamin von Stuckrad-Barre an ihrem Tisch vorbeizieht. Die Aufregung der beiden ist beinahe grenzenlos: "Oh, da kommt grad Stuckrad-Barre, ich fass es nicht, und gerade jetzt spinnt meine Kamera, kannst du vielleicht? - Was? - Ihn abfangen? - Abfangen? - Knipsen halt."
Doch es geschieht ein Wunder. Der Schriftsteller bleibt an ihrem Tisch stehen, und nach verschiedenen Missverständnissen kommt man tatsächlich ins Gespräch. Er sei auf dem Weg zu Schlingensiefs Geburtstag, sagt Stuckrad, die beiden behaupten in einer mutigen Sekunde, ebenfalls gut mit diesem befreundet zu sein, und schließen sich dem Schriftsteller an. Die Reise ins Innere der Parallelgesellschaft beginnt. Es wird eine Reise, die die beiden schlichten Mitte-Spotter an den Rand des Wahnsinns treiben wird. Denn die vorgefundene Parallelgesellschaft ist sozusagen doppelt parallel. Denn erstens sind tatsächlich alle da, die sich selbst vor allem aus dem Fernsehen, den Büchern und den Magazinen kennen, Jonathan Meese, Barbara Becker, Heinz Strunk, Charlotte Roche, Roger Willemsen, Norbert Blüm, Matthias Matussek, Feridun Zaimoglu und Gregor Gysi, und zweitens sind sie alle vielleicht doch nicht da. Mit Stuckrad-Barre fängt es an, der schon im "White Trash" gebeichtet hatte, er sei gar nicht Stuckrad, sondern ein geheimer Enkel Heiner Müllers. Er sehe nur aus wie Stuckrad, und das nutze er für seine Zwecke aus, und nachdem der absolut unprominente Armin von Schlingensief mit großer Selbstverständlichkeit wie ein alter Freund begrüßt wird, wächst der Verdacht, dass die ganze Gesellschaft hier womöglich aus hohlköpfigen Promidarstellern besteht, die Unsinn reden, Drogen nehmen, wichtig tun in ewiger Angst, dass ihr Schwindel auffliegen könnte und der wahre Schlingensief dem Treiben ein Ende setzt. Das ist der erste Schrecken, der die zwei Gäste erfasst. Der zweite ist die Ahnung: In Wahrheit sind die alle echt. Auch Stuckrad behauptet nur, nicht Stuckrad zu sein, als ironische Volte und Zwischenflucht aus einem langweiligen Leben. Diese Party-Horrorwelt aus Lemuren ist womöglich die echte ersehnte geheime Parallelwelt von Berlin-Mitte.
Am Anfang liest sich das rasant, komisch und entlarvend, auf die Dauer ist eine einzige Pointe dann doch etwas zu wenig für einen ganzen Roman. Außerdem nervt die Süffisanz kolossal, mit der der Paparazzi-Autor über die drohende Krebserkrankung Schlingensiefs, die Brüste von Charlotte Roche und die angebliche Alkoholsucht Leander Haußmanns schreibt, unter dem gesicherten Deckmäntelchen der doppelten Fiktion.
Unter diesem Deckmäntelchen ist auch ein anderer Debüt-Autor der Berlin-Mitte-Gesellschaft zu Hause: Henning Kober ist achtundzwanzig Jahre alt, und schon sein Lebenslauf hinten im Buch liest sich wie von Tex Rubinowitz ausgedacht, denn die Orte seines Lebens entsprechen weitgehend den biographischen Stationen eines anderen Autors: Christian Kracht. Was zunächst noch ein Zufall, eine kleine Hommage oder ein Witz zu sein scheint, erweist sich beim Lesen des Buches als zentrale Botschaft: Henning Kober ist eine Christian-Kracht-Kopie. Das Buch ist eine Kopie des Kracht-Debüts "Faserland", angereichert mit zahlreichen Zitaten und Motiven aus dem weiteren Werk Krachts, nordkoreanischer Architektur, selbstauflösenden Bergumkreisungen in Nepal, Beschreibungen der "angenehmsten Orte der Welt", Verehrung für Mullah Omar, "tief unter der Erde, ein Bunker im Krieg", "Ironie ist vorbei, schon lange", alles Kracht-Motive, Kracht-Zitate. Ein Gespenster-Buch.
Oder einfach: ein Kracht-Imitationsroman. Zwei Brüder, Janus und Bobby, auf der Suche nach echten Erschütterungen, echten Gefühlen, echten Erlebnissen, unterwegs in einer untergehenden Welt. Vor allem Janus ist der Kracht-Wiedergänger, Bobby erinnert in einigen biographischen Details eher an Rainald Goetz, schreibt aber auch wie Kracht. Ein Jahr lang ist Janus unterwegs, auf Brudersuche, Intensitätssuche, die Anzeichen des drohenden Weltuntergangs werden immer drängender, doch Janus sieht der explodierenden Welt auf CNN zu und trägt seinen Lieblingspullover aus Kaschmir.
Der Roman blendet zwischendurch immer wieder zurück ins Zentrum der Weltzerstörung, nach Berlin-Mitte. "Ging nicht von Berlin die größte Zerstörungsenergie der Moderne aus?", wird gefragt und der Bogen in die Gegenwart geschlagen, zu den Usama-Bin-Ladin-Bartträgern im Zentrum der Stadt: "Allein der Bart war ein so mächtiges Statement, dass er in Berlin-Mitte, vor allem am Zentralort Grill-Royal, noch lange durch stumpfe Imitation gewürdigt wurde." Übrigens sind die Beobachtungen Kobers mitunter großartig, auch sein Stil ist auf den besten Seiten so gläsern-schwebend-klar wie der seines Vorbilds. Trotzdem fragt man sich auf jeder Seite: "Warum?" Warum Kracht kopieren, wo er doch selbst noch lebt und schreibt, warum eine Art Welt-Faserland dem Original hinterherschreiben? Über das "Grill Royal"-Berlin schreibt er: "Es ist die perfekte Hölle. Alle sehen gleich aus. Es kommt mir sinnlos vor. Und fordert mich trotzdem heraus."
Aber zu so wenig? Nur zum Verehren und Kopieren und Endlos-weiter-Drehen? In scheinbar grauer Vorzeit, 1983, endete ein großartiges Vorvorgängerbuch dieser neuesten Berlin-Romane, die Erzählung "Berliner Simulation" von Bodo Morshäuser, mit dem resignierten Satz: "Wir sind nicht mehr empört."
Was war in den sechsundzwanzig Jahren dazwischen so?
VOLKER WEIDERMANN
Tex Rubinowitz: "Ramses Müller". Eichborn 2009, 222 Seiten, 16,95 Euro
Henning Kober: "Unter diesem Einfluss". S. Fischer 2009, 284 Seiten, 18,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zwischen Weltuntergang und Schlingensief-Imitation: Deutsche Debütanten beschreiben Berlin-Mitte als Geisterbahn und kopieren sich selbst
Endlich wird diese gefährliche Parallelgesellschaft des Landes einmal in Romanen angemessen gewürdigt: dieses kleine Subsystem der Weltverschwörung, dieses luftdicht abgeschlossene Selbstgenügsamkeitssystem, Getto der Selbstfeier und Selbstüberschätzung, der Allmachtsphantasien, des millionenschweren Handels mit Werten, die am nächsten Tag schon wertlos sind, diese Drogenhölle, dieses kleine Dorf der totalen sozialen Abschottung: Berlin-Mitte.
Tex Rubinowitz ist Zeichner, Karikaturist, er wurde laut Klappentext 1961 in Worms geboren und heiße (was nicht stimmt) eigentlich Dirk Blocker, lebe in Wien, besuche regelmäßig Berlin-Mitte und habe einst das etwas verschwitzte Internetforum www.hoefliche-papparazzi.de mitbegründet, eine Internetseite, auf der Mitglieder jedes mitgehörte Promi-Gespräch, jedes Promi-Spotting auf der Straße, in Clubs, im Supermarkt für alle Welt lesbar aufschreiben konnten. Jetzt hat Rubinowitz einen Roman geschrieben, einer der Protagonisten darin heißt Armin, kommt aus Worms und fotografiert gerne Promis auf der Straße. Seine Bilder werden nirgends veröffentlicht, "außer in verschwitzten Internetforen, wie www.promisichtung.de", schreibt er in seinem Buch. Armin ist, zusammen mit seinem Freund Schubal, der einzige sogenannte Nicht-Prominente in Rubinowitz' Roman. Die beiden sitzen zu Beginn etwas verlassen im "White Trash" - "ein angesagter, sehr nervöser Club in der Schönhauser Allee, der seine Zeit, sein Verfallsdatum bereits etwas überschritten hat", es "ist aber immer noch ein ,Spitzenhangout'", versichern sie sich etwas verunsichert. Gerade sind sie bei der Feier einer Leander-Haußmann-Premiere in der "Paris Bar" am Türsteher gescheitert, obwohl sie sich wortreich glänzender Verbindungen zum Gastgeber rühmten. "Fakt ist, dass ich im Abspann steh", erklärt Schubal verzweifelt, im Glauben, es handele sich um eine Filmpremierenfeier. Darauf der Türsteher: "Theater hat keine Abspänne, Vorhang vielleicht, hast du den Vorhang genäht?" Also, das wird hier nichts mehr für die zwei Promisüchtlinge, und so ziehen sie vom alten Westen nach Mitte weiter. An einen Ort ohne Zugangsbeschränkung. Jetzt sitzen sie da, haben kaum Geld fürs nächste Bier, zweifeln an der Location und an sich, als plötzlich der Schriftsteller, Journalist und Berlin-Mitte-Drehbuchautor Benjamin von Stuckrad-Barre an ihrem Tisch vorbeizieht. Die Aufregung der beiden ist beinahe grenzenlos: "Oh, da kommt grad Stuckrad-Barre, ich fass es nicht, und gerade jetzt spinnt meine Kamera, kannst du vielleicht? - Was? - Ihn abfangen? - Abfangen? - Knipsen halt."
Doch es geschieht ein Wunder. Der Schriftsteller bleibt an ihrem Tisch stehen, und nach verschiedenen Missverständnissen kommt man tatsächlich ins Gespräch. Er sei auf dem Weg zu Schlingensiefs Geburtstag, sagt Stuckrad, die beiden behaupten in einer mutigen Sekunde, ebenfalls gut mit diesem befreundet zu sein, und schließen sich dem Schriftsteller an. Die Reise ins Innere der Parallelgesellschaft beginnt. Es wird eine Reise, die die beiden schlichten Mitte-Spotter an den Rand des Wahnsinns treiben wird. Denn die vorgefundene Parallelgesellschaft ist sozusagen doppelt parallel. Denn erstens sind tatsächlich alle da, die sich selbst vor allem aus dem Fernsehen, den Büchern und den Magazinen kennen, Jonathan Meese, Barbara Becker, Heinz Strunk, Charlotte Roche, Roger Willemsen, Norbert Blüm, Matthias Matussek, Feridun Zaimoglu und Gregor Gysi, und zweitens sind sie alle vielleicht doch nicht da. Mit Stuckrad-Barre fängt es an, der schon im "White Trash" gebeichtet hatte, er sei gar nicht Stuckrad, sondern ein geheimer Enkel Heiner Müllers. Er sehe nur aus wie Stuckrad, und das nutze er für seine Zwecke aus, und nachdem der absolut unprominente Armin von Schlingensief mit großer Selbstverständlichkeit wie ein alter Freund begrüßt wird, wächst der Verdacht, dass die ganze Gesellschaft hier womöglich aus hohlköpfigen Promidarstellern besteht, die Unsinn reden, Drogen nehmen, wichtig tun in ewiger Angst, dass ihr Schwindel auffliegen könnte und der wahre Schlingensief dem Treiben ein Ende setzt. Das ist der erste Schrecken, der die zwei Gäste erfasst. Der zweite ist die Ahnung: In Wahrheit sind die alle echt. Auch Stuckrad behauptet nur, nicht Stuckrad zu sein, als ironische Volte und Zwischenflucht aus einem langweiligen Leben. Diese Party-Horrorwelt aus Lemuren ist womöglich die echte ersehnte geheime Parallelwelt von Berlin-Mitte.
Am Anfang liest sich das rasant, komisch und entlarvend, auf die Dauer ist eine einzige Pointe dann doch etwas zu wenig für einen ganzen Roman. Außerdem nervt die Süffisanz kolossal, mit der der Paparazzi-Autor über die drohende Krebserkrankung Schlingensiefs, die Brüste von Charlotte Roche und die angebliche Alkoholsucht Leander Haußmanns schreibt, unter dem gesicherten Deckmäntelchen der doppelten Fiktion.
Unter diesem Deckmäntelchen ist auch ein anderer Debüt-Autor der Berlin-Mitte-Gesellschaft zu Hause: Henning Kober ist achtundzwanzig Jahre alt, und schon sein Lebenslauf hinten im Buch liest sich wie von Tex Rubinowitz ausgedacht, denn die Orte seines Lebens entsprechen weitgehend den biographischen Stationen eines anderen Autors: Christian Kracht. Was zunächst noch ein Zufall, eine kleine Hommage oder ein Witz zu sein scheint, erweist sich beim Lesen des Buches als zentrale Botschaft: Henning Kober ist eine Christian-Kracht-Kopie. Das Buch ist eine Kopie des Kracht-Debüts "Faserland", angereichert mit zahlreichen Zitaten und Motiven aus dem weiteren Werk Krachts, nordkoreanischer Architektur, selbstauflösenden Bergumkreisungen in Nepal, Beschreibungen der "angenehmsten Orte der Welt", Verehrung für Mullah Omar, "tief unter der Erde, ein Bunker im Krieg", "Ironie ist vorbei, schon lange", alles Kracht-Motive, Kracht-Zitate. Ein Gespenster-Buch.
Oder einfach: ein Kracht-Imitationsroman. Zwei Brüder, Janus und Bobby, auf der Suche nach echten Erschütterungen, echten Gefühlen, echten Erlebnissen, unterwegs in einer untergehenden Welt. Vor allem Janus ist der Kracht-Wiedergänger, Bobby erinnert in einigen biographischen Details eher an Rainald Goetz, schreibt aber auch wie Kracht. Ein Jahr lang ist Janus unterwegs, auf Brudersuche, Intensitätssuche, die Anzeichen des drohenden Weltuntergangs werden immer drängender, doch Janus sieht der explodierenden Welt auf CNN zu und trägt seinen Lieblingspullover aus Kaschmir.
Der Roman blendet zwischendurch immer wieder zurück ins Zentrum der Weltzerstörung, nach Berlin-Mitte. "Ging nicht von Berlin die größte Zerstörungsenergie der Moderne aus?", wird gefragt und der Bogen in die Gegenwart geschlagen, zu den Usama-Bin-Ladin-Bartträgern im Zentrum der Stadt: "Allein der Bart war ein so mächtiges Statement, dass er in Berlin-Mitte, vor allem am Zentralort Grill-Royal, noch lange durch stumpfe Imitation gewürdigt wurde." Übrigens sind die Beobachtungen Kobers mitunter großartig, auch sein Stil ist auf den besten Seiten so gläsern-schwebend-klar wie der seines Vorbilds. Trotzdem fragt man sich auf jeder Seite: "Warum?" Warum Kracht kopieren, wo er doch selbst noch lebt und schreibt, warum eine Art Welt-Faserland dem Original hinterherschreiben? Über das "Grill Royal"-Berlin schreibt er: "Es ist die perfekte Hölle. Alle sehen gleich aus. Es kommt mir sinnlos vor. Und fordert mich trotzdem heraus."
Aber zu so wenig? Nur zum Verehren und Kopieren und Endlos-weiter-Drehen? In scheinbar grauer Vorzeit, 1983, endete ein großartiges Vorvorgängerbuch dieser neuesten Berlin-Romane, die Erzählung "Berliner Simulation" von Bodo Morshäuser, mit dem resignierten Satz: "Wir sind nicht mehr empört."
Was war in den sechsundzwanzig Jahren dazwischen so?
VOLKER WEIDERMANN
Tex Rubinowitz: "Ramses Müller". Eichborn 2009, 222 Seiten, 16,95 Euro
Henning Kober: "Unter diesem Einfluss". S. Fischer 2009, 284 Seiten, 18,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main