Wohl in vielen Bücherschränken stand und steht es bis heute, das berühmteste Werk des protestantischen Historikers Leopold von Ranke: "Die römischen Päpste, ihre Kirche und ihr Staat im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert". Zwischen 1834 und 1836 erstmals veröffentlicht, war es ein großer Erfolg, erschien in zahllosen Auflagen und wurde in verschiedene Sprachen übersetzt. Doch nicht von allen erhielt es ungeteilte Zustimmung. Gregor XVI. ließ die "Päpste" 1841 auf den "Index der verbotenen Bücher" setzen; fortan durfte dieses "Standardwerk" zur Papstgeschichte von Katholiken nicht mehr gelesen werden.
Mit kriminalistischem Spürsinn rekonstruieren Hubert Wolf und Dominik Burkard den Hergang und die Hintergründe der Indizierung Rankes.
Mit kriminalistischem Spürsinn rekonstruieren Hubert Wolf und Dominik Burkard den Hergang und die Hintergründe der Indizierung Rankes.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.02.2003Karambolage zweier Wissenskulturen
Neues aus den vatikanischen Archiven: Rankes Papstgeschichte vor der römischen Indexkongregation
1834 bis 1836 erschien in drei Bänden Leopold Rankes Werk über die "römischen Päpste, ihre Kirche und ihr Staat im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert". Erstes Ergebnis eines mehrjährigen italienischen Studienaufenthalts, sollte die Papstgeschichte wesentlich dazu beitragen, den Ruhm des protestantischen Berliner Historikers als "Vater des Historismus" zu begründen. Im Urteil der unmittelbaren Zeitgenossen freilich blieb diese in vieler Hinsicht neue, in ihrem Grundansatz provozierende Papstgeschichte keineswegs unumstritten; eine heute nicht mehr zu rekonstruierende Denunziation rief schließlich auch die römische Indexkongregation, jene kuriale Behörde, auf den Plan, die darüber zu befinden hatte, welche Bücher für Katholiken als "verboten" zu erklären waren.
Die Akten der Indexkongregation, ein schier unerschöpflicher Quellenbestand zur Geistesgeschichte der Neuzeit, sind seit Öffnung des Archivs der römischen Kongregation für die Glaubenslehre 1998 der wissenschaftlichen Auswertung zugänglich. In einem großangelegten Projekt hat seither der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf begonnen, die Arbeit dieser Zensurbehörde systematisch zu erforschen. Zusammen mit seinem wissenschaftlichen Mitarbeiter Dominik Burkard und unterstützt durch den Frankfurter Rankeforscher Ulrich Muhlack, gibt er nun, als Ausschnitt aus dieser Arbeit, einen höchst bemerkenswerten Einblick in die Causa Ranke.
Sofort verblüfft die Feststellung: Die Indizierung der Rankeschen Papstgeschichte erfolgte keineswegs zwangsläufig. Ein erstes Verfahren im Jahr 1838, wenn freilich auch nicht gegen die deutsche, sondern gegen eine Ranke stark "katholisierende" französische Übersetzung, scheiterte. Die Gutachten zweier Konsultoren, des Jesuiten Domenico Zecchinelli und des späteren Münchner Nuntius und Kardinals Antonino De Luca, standen gegeneinander. Während Zecchinelli im Detail herausarbeitete, welche Urteile Rankes, insbesondere über die Reformation, aus römischer Perspektive abzulehnen seien, hob De Luca die insgesamt positive Haltung der französischen Ranke-Übersetzung zur katholischen Kirche hervor: Solcherlei aus der Feder eines protestantischen Autors zu vernehmen, sei doch eher nützlich als schädlich, aller Irrtümer im einzelnen ungeachtet.
Während Zecchinelli den Kern des Rankeschen Ansatzes - die Historisierung des päpstlichen Primatsanspruchs - erkannt hatte und fundamental kritisierte, argumentierte De Luca rein politisch. Der Kongregationssekretär Degola, ein Dominikaner, schloß sich De Luca an und verstand dem Papst den Vorgang in einer Weise zu referieren, die Gregor XVI. davon Abstand nehmen ließ, Rankes Werk auf den Index zu setzen. War letztlich ein Ordenskonflikt zwischen Jesuiten und Dominikanern ausschlaggebend für diese Wendung des Verfahrens? Erst drei Jahre später, 1841, gelangten Rankes "Päpste" sozusagen im Schlepptau eines anderen Indizierungsverfahrens doch noch in das Verzeichnis der verbotenen Bücher. Handstreichartig von dem in Rom "bekehrten", ehemaligen schlesischen Reformkatholiken und jetzt Neukonsultor Augustin Theiner auf die Tagesordnung der Kongregation gehoben, stand in dieser zweiten Runde ausschließlich die Haltung des Werkes zur Primatfrage zur Debatte. Daß Ranke den päpstlichen Primat nicht als Glaubenssatz, sondern als historisch gewachsen und ergo als Veränderungen unterworfen dargestellt hatte, genügte nun, die deutsche Originalausgabe zu indizieren. Wiederum war es Sekretär Degola, der, von Theiner beraten, beim Papst eine der ersten völlig entgegengesetzte Entscheidung erwirkte.
Welche Gründe im einzelnen zu dieser nachgeschobenen Indizierung Rankes führten, bleibt Vermutungen vorbehalten. Durch das Ausscheiden Zecchinellis hatte sich der Ordenskonflikt zunächst entschärft; auch die politische Situation, das Verhältnis zwischen Preußen und dem Heiligen Stuhl, hatte sich seit 1838 durchaus zugunsten Roms verändert. Möglicherweise hatte sich aber auch die ungewöhnliche Karriere des Deutschen Theiner sowie dessen Beschäftigung mit anderen primatkritischen Werken mehr oder minder zufällig-ungünstig auf die eigentlich schon abgeschlossene Causa Ranke ausgewirkt.
Greifbarer und bedeutender als solche, von Wolf und Burkard wohlabwägend präsentierten Überlegungen sind freilich vor allem die Erkenntnisse über die Kraftfelder innerhalb einer kurialen Kongregation: Von einheitlicher Ausrichtung und nach strengen Vorgaben geregelten Verfahren kann keine Rede sein. Stets wirken auch Einflüsse, spielen Konstellationen mit, die außerhalb der Causa selbst liegen, politische Umstände, persönliche Netzwerke, Rivalitäten. Die starke Position des Sekretärs wird deutlich, von dessen Darstellung des jeweiligen Falles in der Audienz beim Papst die Entscheidung letzten Endes immer abhing. Das sind Beobachtungen, die Forschungsergebnisse zur Funktionsweise anderer Kongregationen, etwa des Heiligen Offiziums, bestätigen. Bestätigt wird aber auch, daß die Entscheidungen, allen externen Einflüssen zum Trotz, nicht leichtfertig und nicht ohne intensive vorangehende Argumentationen auf durchweg hohem Niveau fielen.
Der Wolf-Burkardschen, aus den Akten der Indexkongregation vorgenommenen Rekonstruktion der beiden Verfahren gegen Rankes "Päpste" folgt im Mittelteil des Bandes eine Edition der wesentlichen Quellentexte, besonders der Gutachten Zecchinellis, De Lucas und Theiners, bevor der abschließende Essay Muhlacks die wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung der Indizierung Rankes beleuchtet. Muhlack betont völlig zu Recht, wie nachhaltig das "Kölner Ereignis" von 1838 den Konsens des deutschen Konservativismus zerstörte und einer unheilvollen Konfessionalisierung Vorschub leistete. Die schließlich doch noch erfolgte Indizierung Rankes von 1841 erscheint in diesem Lichte als ein Ergebnis ultramontaner Mobilmachung, als "die Kriegserklärung des in der Jahrhundertmitte auftrumpfenden Ultramontanismus an die moderne Geschichtswissenschaft".
Inwiefern diese militante Wende die Katholiken alle Wissenschaftlichkeit vergessen ließ, bis sie - eine Art geistesgeschichtlicher Treppenwitz - in den ruhigeren Jahren nach dem Kulturkampf doch wieder zu den Rankeschen Grundsätzen zurückkehrten, bliebe aber doch noch intensiver zu erörtern. Denn Ranke hat ja den Historismus keineswegs allein erfunden; eine andere Fährte der Entwicklung moderner Geschichtswissenschaft führt beispielsweise, relativ unbeeindruckt von Ranke wie von der Ultramontanisierung nach 1838, über den Freiherrn vom Stein und Georg Heinrich Pertz zu dem katholisierenden Protestanten Johann Friedrich Böhmer und schließlich dem Katholiken Julius Ficker. Insonderheit die Rolle Böhmers für die katholische Geschichtswissenschaft in Deutschland ist sehr viel bedeutender einzuschätzen, als seine Kennzeichnung als Frankfurter Gewährsmann des Münchener Görreskreises vermuten ließe.
Daß, wie Wolf und Burkard gelegentlich spekulieren, der Schweizer Konvertit und österreichische Hofhistoriograph mit guten Verbindungen nach Rom, Friedrich Hurter, Ranke 1838 vor der Indizierung bewahrt haben könnte, ist definitiv auszuschließen. 1846 äußerte Hurter über Rankes Geschichte der Reformationszeit, vor derartiger Historiographie möchte man "auf einer ungesattelten Sau davonreiten". Auch der katholische Papstgeschichtsschreiber Ludwig Pastor fand privatim wenig schmeichelhafte Worte über Ranke. Daß ihn die Lektüre der Rankeschen Päpste zu hehrem Kräftemessen im Geiste der Wahrheit angespornt habe, ist kaum mehr als eine retrospektive Legende. Am 12. Juni 1877 - zu einer Zeit, als die Katholiken Julius Ficker und Carl Adolf Cornelius schon längst auf Rankescher Augenhöhe Geschichtswissenschaft betrieben - vermerkte Pastor auf einem Brief von Onno Klopp: "Das Durchlesen von Rankes Päpsten hat mir gezeigt, daß in diesem arroganten Berliner Professor der ganze Kulturkampf vorgebildet erscheint. Darum nicht die kleinen bellenden Köter, sondern die Blutdogge selbst muß auf den Kopf geschlagen werden."
Diese ergänzenden Bemerkungen verstehen sich nicht als Kritik, sondern als Diskussionsbeiträge zu einem von Wolf, Burkard und Muhlack exemplarisch mustergültig aufbereiteten und zu fesselnder Lektüre verdichteten Kernproblem der Moderne, dem Zusammenprall zweier "Wissenskulturen", der neuen historisierenden, relativierenden und der traditionellen Wissenskultur des Glaubens.
THOMAS BRECHENMACHER
Hubert Wolf, Dominik Burkard, Ulrich Muhlack: "Rankes ,Päpste' auf dem Index". Dogma und Historie im Widerstreit. Schöningh Verlag, Paderborn 2003. 218 S., geb., 32,- [Euro].
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Neues aus den vatikanischen Archiven: Rankes Papstgeschichte vor der römischen Indexkongregation
1834 bis 1836 erschien in drei Bänden Leopold Rankes Werk über die "römischen Päpste, ihre Kirche und ihr Staat im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert". Erstes Ergebnis eines mehrjährigen italienischen Studienaufenthalts, sollte die Papstgeschichte wesentlich dazu beitragen, den Ruhm des protestantischen Berliner Historikers als "Vater des Historismus" zu begründen. Im Urteil der unmittelbaren Zeitgenossen freilich blieb diese in vieler Hinsicht neue, in ihrem Grundansatz provozierende Papstgeschichte keineswegs unumstritten; eine heute nicht mehr zu rekonstruierende Denunziation rief schließlich auch die römische Indexkongregation, jene kuriale Behörde, auf den Plan, die darüber zu befinden hatte, welche Bücher für Katholiken als "verboten" zu erklären waren.
Die Akten der Indexkongregation, ein schier unerschöpflicher Quellenbestand zur Geistesgeschichte der Neuzeit, sind seit Öffnung des Archivs der römischen Kongregation für die Glaubenslehre 1998 der wissenschaftlichen Auswertung zugänglich. In einem großangelegten Projekt hat seither der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf begonnen, die Arbeit dieser Zensurbehörde systematisch zu erforschen. Zusammen mit seinem wissenschaftlichen Mitarbeiter Dominik Burkard und unterstützt durch den Frankfurter Rankeforscher Ulrich Muhlack, gibt er nun, als Ausschnitt aus dieser Arbeit, einen höchst bemerkenswerten Einblick in die Causa Ranke.
Sofort verblüfft die Feststellung: Die Indizierung der Rankeschen Papstgeschichte erfolgte keineswegs zwangsläufig. Ein erstes Verfahren im Jahr 1838, wenn freilich auch nicht gegen die deutsche, sondern gegen eine Ranke stark "katholisierende" französische Übersetzung, scheiterte. Die Gutachten zweier Konsultoren, des Jesuiten Domenico Zecchinelli und des späteren Münchner Nuntius und Kardinals Antonino De Luca, standen gegeneinander. Während Zecchinelli im Detail herausarbeitete, welche Urteile Rankes, insbesondere über die Reformation, aus römischer Perspektive abzulehnen seien, hob De Luca die insgesamt positive Haltung der französischen Ranke-Übersetzung zur katholischen Kirche hervor: Solcherlei aus der Feder eines protestantischen Autors zu vernehmen, sei doch eher nützlich als schädlich, aller Irrtümer im einzelnen ungeachtet.
Während Zecchinelli den Kern des Rankeschen Ansatzes - die Historisierung des päpstlichen Primatsanspruchs - erkannt hatte und fundamental kritisierte, argumentierte De Luca rein politisch. Der Kongregationssekretär Degola, ein Dominikaner, schloß sich De Luca an und verstand dem Papst den Vorgang in einer Weise zu referieren, die Gregor XVI. davon Abstand nehmen ließ, Rankes Werk auf den Index zu setzen. War letztlich ein Ordenskonflikt zwischen Jesuiten und Dominikanern ausschlaggebend für diese Wendung des Verfahrens? Erst drei Jahre später, 1841, gelangten Rankes "Päpste" sozusagen im Schlepptau eines anderen Indizierungsverfahrens doch noch in das Verzeichnis der verbotenen Bücher. Handstreichartig von dem in Rom "bekehrten", ehemaligen schlesischen Reformkatholiken und jetzt Neukonsultor Augustin Theiner auf die Tagesordnung der Kongregation gehoben, stand in dieser zweiten Runde ausschließlich die Haltung des Werkes zur Primatfrage zur Debatte. Daß Ranke den päpstlichen Primat nicht als Glaubenssatz, sondern als historisch gewachsen und ergo als Veränderungen unterworfen dargestellt hatte, genügte nun, die deutsche Originalausgabe zu indizieren. Wiederum war es Sekretär Degola, der, von Theiner beraten, beim Papst eine der ersten völlig entgegengesetzte Entscheidung erwirkte.
Welche Gründe im einzelnen zu dieser nachgeschobenen Indizierung Rankes führten, bleibt Vermutungen vorbehalten. Durch das Ausscheiden Zecchinellis hatte sich der Ordenskonflikt zunächst entschärft; auch die politische Situation, das Verhältnis zwischen Preußen und dem Heiligen Stuhl, hatte sich seit 1838 durchaus zugunsten Roms verändert. Möglicherweise hatte sich aber auch die ungewöhnliche Karriere des Deutschen Theiner sowie dessen Beschäftigung mit anderen primatkritischen Werken mehr oder minder zufällig-ungünstig auf die eigentlich schon abgeschlossene Causa Ranke ausgewirkt.
Greifbarer und bedeutender als solche, von Wolf und Burkard wohlabwägend präsentierten Überlegungen sind freilich vor allem die Erkenntnisse über die Kraftfelder innerhalb einer kurialen Kongregation: Von einheitlicher Ausrichtung und nach strengen Vorgaben geregelten Verfahren kann keine Rede sein. Stets wirken auch Einflüsse, spielen Konstellationen mit, die außerhalb der Causa selbst liegen, politische Umstände, persönliche Netzwerke, Rivalitäten. Die starke Position des Sekretärs wird deutlich, von dessen Darstellung des jeweiligen Falles in der Audienz beim Papst die Entscheidung letzten Endes immer abhing. Das sind Beobachtungen, die Forschungsergebnisse zur Funktionsweise anderer Kongregationen, etwa des Heiligen Offiziums, bestätigen. Bestätigt wird aber auch, daß die Entscheidungen, allen externen Einflüssen zum Trotz, nicht leichtfertig und nicht ohne intensive vorangehende Argumentationen auf durchweg hohem Niveau fielen.
Der Wolf-Burkardschen, aus den Akten der Indexkongregation vorgenommenen Rekonstruktion der beiden Verfahren gegen Rankes "Päpste" folgt im Mittelteil des Bandes eine Edition der wesentlichen Quellentexte, besonders der Gutachten Zecchinellis, De Lucas und Theiners, bevor der abschließende Essay Muhlacks die wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung der Indizierung Rankes beleuchtet. Muhlack betont völlig zu Recht, wie nachhaltig das "Kölner Ereignis" von 1838 den Konsens des deutschen Konservativismus zerstörte und einer unheilvollen Konfessionalisierung Vorschub leistete. Die schließlich doch noch erfolgte Indizierung Rankes von 1841 erscheint in diesem Lichte als ein Ergebnis ultramontaner Mobilmachung, als "die Kriegserklärung des in der Jahrhundertmitte auftrumpfenden Ultramontanismus an die moderne Geschichtswissenschaft".
Inwiefern diese militante Wende die Katholiken alle Wissenschaftlichkeit vergessen ließ, bis sie - eine Art geistesgeschichtlicher Treppenwitz - in den ruhigeren Jahren nach dem Kulturkampf doch wieder zu den Rankeschen Grundsätzen zurückkehrten, bliebe aber doch noch intensiver zu erörtern. Denn Ranke hat ja den Historismus keineswegs allein erfunden; eine andere Fährte der Entwicklung moderner Geschichtswissenschaft führt beispielsweise, relativ unbeeindruckt von Ranke wie von der Ultramontanisierung nach 1838, über den Freiherrn vom Stein und Georg Heinrich Pertz zu dem katholisierenden Protestanten Johann Friedrich Böhmer und schließlich dem Katholiken Julius Ficker. Insonderheit die Rolle Böhmers für die katholische Geschichtswissenschaft in Deutschland ist sehr viel bedeutender einzuschätzen, als seine Kennzeichnung als Frankfurter Gewährsmann des Münchener Görreskreises vermuten ließe.
Daß, wie Wolf und Burkard gelegentlich spekulieren, der Schweizer Konvertit und österreichische Hofhistoriograph mit guten Verbindungen nach Rom, Friedrich Hurter, Ranke 1838 vor der Indizierung bewahrt haben könnte, ist definitiv auszuschließen. 1846 äußerte Hurter über Rankes Geschichte der Reformationszeit, vor derartiger Historiographie möchte man "auf einer ungesattelten Sau davonreiten". Auch der katholische Papstgeschichtsschreiber Ludwig Pastor fand privatim wenig schmeichelhafte Worte über Ranke. Daß ihn die Lektüre der Rankeschen Päpste zu hehrem Kräftemessen im Geiste der Wahrheit angespornt habe, ist kaum mehr als eine retrospektive Legende. Am 12. Juni 1877 - zu einer Zeit, als die Katholiken Julius Ficker und Carl Adolf Cornelius schon längst auf Rankescher Augenhöhe Geschichtswissenschaft betrieben - vermerkte Pastor auf einem Brief von Onno Klopp: "Das Durchlesen von Rankes Päpsten hat mir gezeigt, daß in diesem arroganten Berliner Professor der ganze Kulturkampf vorgebildet erscheint. Darum nicht die kleinen bellenden Köter, sondern die Blutdogge selbst muß auf den Kopf geschlagen werden."
Diese ergänzenden Bemerkungen verstehen sich nicht als Kritik, sondern als Diskussionsbeiträge zu einem von Wolf, Burkard und Muhlack exemplarisch mustergültig aufbereiteten und zu fesselnder Lektüre verdichteten Kernproblem der Moderne, dem Zusammenprall zweier "Wissenskulturen", der neuen historisierenden, relativierenden und der traditionellen Wissenskultur des Glaubens.
THOMAS BRECHENMACHER
Hubert Wolf, Dominik Burkard, Ulrich Muhlack: "Rankes ,Päpste' auf dem Index". Dogma und Historie im Widerstreit. Schöningh Verlag, Paderborn 2003. 218 S., geb., 32,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
1841 wurde Leopold Rankes Papstgeschichte auf den Index der Katholischen Kirche gesetzt. Wie diese Indizierung zustande kam und warum sie so bedeutend war, findet der Rezensent Thomas Brechenmacher in dem Forschungsbericht von Hubert Wolf, Dominik Burkhard und Ulrich Muhlack "höchst bemerkenswert" ausgearbeitet. Im ersten Teil des Buches rekonstruieren Wolf und Burkhard die Verfahren gegen Ranke und greifen dabei auf das seit 1998 zugängliche Archiv der Indexkongregation zurück, erklärt Brechenmacher. "Dass Ranke den päpstlichen Primat nicht als Glaubenssatz, sondern als historisch gewachsen und ergo als Veränderungen unterworfen" darstellte, identifizieren die Autoren "wohlabwägend" als ausschlaggebenden Faktor für die Indizierung. Der Rezensent gewinnt hier aber auch Erkenntnisse "über die Kräftefelder innerhalb einer kurialen Kongregation". Auch damals spielten bei Entscheidungen "Konstellationen mit, die außerhalb der Causa selbst liegen, politische Umstände, persönliche Netzwerke, Rivalitäten", stellt Brechenmacher fest. Brechenmacher pflichtet Muhlack, der das Verbot des Werks als "Ergebnis ultramontaner Mobilmachung" analysiert, im Großen und Ganzen bei und freut sich über das von den Autoren "mustergültig aufbereitete und zu fesselnder Lektüre verdichtete Kernproblem der Moderne, dem Zusammenprall zweier 'Wissenskulturen', der neuen historisierenden, relativierenden und der traditionellen Wissenskultur des Glaubens".
© Perlentaucher Medien GmbH
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