Raoul Coutard (geb. am 16.9. 1924) ist ein Kameramann, der wie kein zweiter die Bildästhetik des modernen Kinos geprägt hat. In enger Kooperation mit den Regisseuren Jean-Luc Godard, François Truffaut, Jacques Demy und Jacques Rivette hatte er jene markante Bildlichkeit kreiert, die zum unverwechselbaren Kennzeichen der Nouvelle Vague werden sollte, einen Kamerastil, den sich dann die Reformbewegungen der sechziger Jahre (wie etwa der Junge Deutsche Film) zu eigen machten.
Filme wie Außer Atem (1959), Schießen Sie auf den Pianisten (1960), Jules und Jim (1961), Weekend (1967), Die Braut trug schwarz (1967) strahlten die für Raoul Coutards Kameraarbeit so typische Vitalität und Leichtigkeit aus.
Coutards Bilder durchbrachen die sterile Studioästhetik der fünfziger Jahre. Sie gewannen eine Offenheit des Blicks und eine Nähe zur Alltagswelt zurück, eine beinahe dokumentarische Unmittelbarkeit. In diesem Band wird Coutard nicht nur als Kameramann, sondern erstmals auch als Fotograf mit einer teils farbigen Fotostrecke gewürdigt.
Filme wie Außer Atem (1959), Schießen Sie auf den Pianisten (1960), Jules und Jim (1961), Weekend (1967), Die Braut trug schwarz (1967) strahlten die für Raoul Coutards Kameraarbeit so typische Vitalität und Leichtigkeit aus.
Coutards Bilder durchbrachen die sterile Studioästhetik der fünfziger Jahre. Sie gewannen eine Offenheit des Blicks und eine Nähe zur Alltagswelt zurück, eine beinahe dokumentarische Unmittelbarkeit. In diesem Band wird Coutard nicht nur als Kameramann, sondern erstmals auch als Fotograf mit einer teils farbigen Fotostrecke gewürdigt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.06.2004Die lichten Erfahrungen hinter der Kamera im Schatten der Körper der Künstler
Raoul Coutard war Kriegsfotograf und darauf Kameramann auch bei Jean-Luc Godard, bevor er in aller Bescheidenheit in Marburg Auskunft gab über den Stand seiner Kunst als Handwerk
Das Buch schließt mit einer schönen Geschichte. Ein deutscher Fernsehregisseur erzählt, wie er im Lastwagen eines Freundes nach Paris kommt, um Jean-Luc Godards Film "Passion" (1982) zu sehen. Müde von der langen Reise, sieht er den Anfang des Films - den Kondensstreifen des Flugzeugs, das einen Strich über die blaue Leinwand zieht -, um darauf den Rest des Films zu verschlafen. Um so wacher erlebt er die Rückfahrt. Sein Chauffeur fragt ihn nämlich Löcher in den Bauch, wie die rätselhaften Bilder zu verstehen seien. Die Filmhistorikerin Lotte Eisner hat das Paradox gesteigert: Gelungene Filme verschlief sie gerne; sobald sie sich aber ärgerte, blieb sie mit Sicherheit wach. Die alte Frage: Was ist der Zaubertrank des Kinos, und wer rührt ein Gebräu an, das solche Folgen zeitigen kann?
Godard ließ in "Passion" seine Kamera durch Arrangements historischer Gemälde fahren, um deren Geheimnisse zu ergründen. An den Gemälden gemessen, ist dieses Experiment mißlungen. Cineastische Kompetenz hat freilich seit jeher ausgezeichnet, Maß an anderer Kunst zu nehmen, um sie mit eigenen Mitteln zu überwinden. Godard ist der Prototyp des filmenden Ikonoklasten. Als erster verinnerlicht er für den Film die Lektion der Pop-art: Das technisch modifizierte Bild gibt seinen Adelsstand auf, und auch die Erzählungen werden brüchig. Verfremdung ist das Rezept der Stunde. Neue Formen müssen herbei. Von einem Buch über Godards wichtigsten Mitarbeiter, den Kameramann Raoul Coutard, könnte man Informationen über ein kreatives Tandem erwarten, das loszog, um die Filmwelt außerhalb des Ateliers und der klassischen Dramaturgie gemeinsam zu revolutionieren.
Doch weit gefehlt. Godard stellt sich als unberechenbarer Kompagnon heraus. Er will, nach einem seiner bekanntesten Sätze, keine andere Geschichte, sondern eine Geschichte anders erzählen. Was die Bildgestaltung betrifft, und das bedeutet beim Aufnehmen: die Bewegung der Kamera, die Wahl des Ausschnitts und die Lichtgestaltung, votiert er immer für das Experiment und für die Improvisation.
Die Erfahrung des Kameramanns, der sein Handwerk als Kriegsfotograf und Operateur der Wochenschau gelernt hatte, ist das Fundament, auf das Godard baut, nicht mehr und nicht weniger. Coutard selbst greift kaum einmal kreativ ein; er liefert nur, was man von ihm erwartet. Seine Wahl zum ersten Träger des "Marburger Kamerapreises" vor vier Jahren war daher eine besondere Herausforderung an alle Laudatoren, deren Einsichten nun in gedruckter Form vorliegen.
Die Annäherung an eine legendäre Phase des europäischen Kunstkinos zeichnet aus, daß sie auf den Versuch einer kunstwissenschaftlichen Darstellung verzichtet. Statt dessen bietet sie, was einen Sammelband ausmacht, der eine lebende Person mit Hilfe ihres Werkes ehren soll: die allfälligen Hommagen, das notorische Frage-und-Antwort-Spiel sowie einen Vergleich mit der Revolte der Impressionisten, der sich als einsichtig erweist. Es komme darauf an, im letzten Moment präzise zu sein, sagt Godard sinngemäß. Nach diesem Motto hat auch ein Monet seine Pinselstriche ausgeführt.
Dagegen sind unter den Filmen, die Raoul Coutard für andere Regisseure gedreht hat, solide Arbeiten, große Erzählungen sogar, Filme von Demy, Rouch und Costa-Gavras und natürlich von François Truffaut. Entscheidend erweist sich stets, ob beim Filmen an das Illustrieren von Drehbuchseiten gedacht wird oder an die Visualisierung von Ideen, auf die der Zuschauer von selbst stoßen kann.
Nach Raoul Coutard sind Robby Müller, Frank Griebe und Slawomir Idziak nach Marburg gekommen. Das intensive Befragen solch versierter Praktiker birgt freilich die Gefahr, den überkommenen Autorenbegriff durch eine andere Politik zu ersetzen - als habe es nicht Mr. Hitchcock, sondern der Kameramann "gemacht". Ein Künstler? Ein Handwerker? Prototypisch für alle Marburger Preisträger erscheint Coutards Bescheidenheit, sein ständiges Relativieren von Produktionsanekdoten, das einen neuen Personenkult verhindert. Einen von diesen Bildern ausgehenden "Zweifel am Stand der Dinge" deuten die meisten Autoren des Bandes an. Auch auf ihrer Seite spürt man einen Aufbruchsmut: den Unterschied zwischen filmischer Rede und filmischer Repräsentanz zu verringern. Oder anders: nicht länger der Intention eines Autors nachzuforschen, wer immer es sei, sondern dem, was zwischen den Nahtstellen der Erzählung passiert, also mitten im Bild.
Wenn praktisches Filmen im engen Sinn aber nur ein Handwerk ist, das zur Kunst führt oder führen kann, dann ist es um so mehr in der Gefahr, irgendwann einfach zu verschwinden wie die Erfindung der Brüder van Eyck, die Ölmalerei. Dieses Jahr hat Slawomir Idziak in Marburg ein Problem geschildert: Er habe zunehmend Probleme, seine ästhetischen Finessen gegen die Postproduktion durchzusetzen. Die Festlegung der Farben und des Lichts erfolge immer seltener am Set, dafür habe sich mit dem Lichtbestimmer ein neuer Berufsstand entwickelt. Die digitale Technik öffnet solchen Entwicklungen Tür und Tor. Die Arbeit am Set wird zum ästhetischen Rohmaterial, zum Sekundärgut - wie die Realität, die es zu Hoch-Zeiten der Kamerakunst nicht zuletzt im emphatischen Sinn zu belichten galt.
THOMAS MEDER
Karl Prümm, Michael Neubauer, Peter Riedel (Hrsg.): "Raoul Coutard". Kameramann der Moderne. Schüren Verlag, Marburg 2004. 208 S., Abb., br., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Raoul Coutard war Kriegsfotograf und darauf Kameramann auch bei Jean-Luc Godard, bevor er in aller Bescheidenheit in Marburg Auskunft gab über den Stand seiner Kunst als Handwerk
Das Buch schließt mit einer schönen Geschichte. Ein deutscher Fernsehregisseur erzählt, wie er im Lastwagen eines Freundes nach Paris kommt, um Jean-Luc Godards Film "Passion" (1982) zu sehen. Müde von der langen Reise, sieht er den Anfang des Films - den Kondensstreifen des Flugzeugs, das einen Strich über die blaue Leinwand zieht -, um darauf den Rest des Films zu verschlafen. Um so wacher erlebt er die Rückfahrt. Sein Chauffeur fragt ihn nämlich Löcher in den Bauch, wie die rätselhaften Bilder zu verstehen seien. Die Filmhistorikerin Lotte Eisner hat das Paradox gesteigert: Gelungene Filme verschlief sie gerne; sobald sie sich aber ärgerte, blieb sie mit Sicherheit wach. Die alte Frage: Was ist der Zaubertrank des Kinos, und wer rührt ein Gebräu an, das solche Folgen zeitigen kann?
Godard ließ in "Passion" seine Kamera durch Arrangements historischer Gemälde fahren, um deren Geheimnisse zu ergründen. An den Gemälden gemessen, ist dieses Experiment mißlungen. Cineastische Kompetenz hat freilich seit jeher ausgezeichnet, Maß an anderer Kunst zu nehmen, um sie mit eigenen Mitteln zu überwinden. Godard ist der Prototyp des filmenden Ikonoklasten. Als erster verinnerlicht er für den Film die Lektion der Pop-art: Das technisch modifizierte Bild gibt seinen Adelsstand auf, und auch die Erzählungen werden brüchig. Verfremdung ist das Rezept der Stunde. Neue Formen müssen herbei. Von einem Buch über Godards wichtigsten Mitarbeiter, den Kameramann Raoul Coutard, könnte man Informationen über ein kreatives Tandem erwarten, das loszog, um die Filmwelt außerhalb des Ateliers und der klassischen Dramaturgie gemeinsam zu revolutionieren.
Doch weit gefehlt. Godard stellt sich als unberechenbarer Kompagnon heraus. Er will, nach einem seiner bekanntesten Sätze, keine andere Geschichte, sondern eine Geschichte anders erzählen. Was die Bildgestaltung betrifft, und das bedeutet beim Aufnehmen: die Bewegung der Kamera, die Wahl des Ausschnitts und die Lichtgestaltung, votiert er immer für das Experiment und für die Improvisation.
Die Erfahrung des Kameramanns, der sein Handwerk als Kriegsfotograf und Operateur der Wochenschau gelernt hatte, ist das Fundament, auf das Godard baut, nicht mehr und nicht weniger. Coutard selbst greift kaum einmal kreativ ein; er liefert nur, was man von ihm erwartet. Seine Wahl zum ersten Träger des "Marburger Kamerapreises" vor vier Jahren war daher eine besondere Herausforderung an alle Laudatoren, deren Einsichten nun in gedruckter Form vorliegen.
Die Annäherung an eine legendäre Phase des europäischen Kunstkinos zeichnet aus, daß sie auf den Versuch einer kunstwissenschaftlichen Darstellung verzichtet. Statt dessen bietet sie, was einen Sammelband ausmacht, der eine lebende Person mit Hilfe ihres Werkes ehren soll: die allfälligen Hommagen, das notorische Frage-und-Antwort-Spiel sowie einen Vergleich mit der Revolte der Impressionisten, der sich als einsichtig erweist. Es komme darauf an, im letzten Moment präzise zu sein, sagt Godard sinngemäß. Nach diesem Motto hat auch ein Monet seine Pinselstriche ausgeführt.
Dagegen sind unter den Filmen, die Raoul Coutard für andere Regisseure gedreht hat, solide Arbeiten, große Erzählungen sogar, Filme von Demy, Rouch und Costa-Gavras und natürlich von François Truffaut. Entscheidend erweist sich stets, ob beim Filmen an das Illustrieren von Drehbuchseiten gedacht wird oder an die Visualisierung von Ideen, auf die der Zuschauer von selbst stoßen kann.
Nach Raoul Coutard sind Robby Müller, Frank Griebe und Slawomir Idziak nach Marburg gekommen. Das intensive Befragen solch versierter Praktiker birgt freilich die Gefahr, den überkommenen Autorenbegriff durch eine andere Politik zu ersetzen - als habe es nicht Mr. Hitchcock, sondern der Kameramann "gemacht". Ein Künstler? Ein Handwerker? Prototypisch für alle Marburger Preisträger erscheint Coutards Bescheidenheit, sein ständiges Relativieren von Produktionsanekdoten, das einen neuen Personenkult verhindert. Einen von diesen Bildern ausgehenden "Zweifel am Stand der Dinge" deuten die meisten Autoren des Bandes an. Auch auf ihrer Seite spürt man einen Aufbruchsmut: den Unterschied zwischen filmischer Rede und filmischer Repräsentanz zu verringern. Oder anders: nicht länger der Intention eines Autors nachzuforschen, wer immer es sei, sondern dem, was zwischen den Nahtstellen der Erzählung passiert, also mitten im Bild.
Wenn praktisches Filmen im engen Sinn aber nur ein Handwerk ist, das zur Kunst führt oder führen kann, dann ist es um so mehr in der Gefahr, irgendwann einfach zu verschwinden wie die Erfindung der Brüder van Eyck, die Ölmalerei. Dieses Jahr hat Slawomir Idziak in Marburg ein Problem geschildert: Er habe zunehmend Probleme, seine ästhetischen Finessen gegen die Postproduktion durchzusetzen. Die Festlegung der Farben und des Lichts erfolge immer seltener am Set, dafür habe sich mit dem Lichtbestimmer ein neuer Berufsstand entwickelt. Die digitale Technik öffnet solchen Entwicklungen Tür und Tor. Die Arbeit am Set wird zum ästhetischen Rohmaterial, zum Sekundärgut - wie die Realität, die es zu Hoch-Zeiten der Kamerakunst nicht zuletzt im emphatischen Sinn zu belichten galt.
THOMAS MEDER
Karl Prümm, Michael Neubauer, Peter Riedel (Hrsg.): "Raoul Coutard". Kameramann der Moderne. Schüren Verlag, Marburg 2004. 208 S., Abb., br., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Die Nouvelle Vague ist nicht ausschließlich das Kino der Autoren, als das die Filmgeschichte sie bisher definiert habe, sondern eine Koproduktion von Regie und Kamera, so der Mitherausgeber von "Raoul Coutard - Kameramann der Moderne" Karl Prümm. So sei es auch nur gerecht, dass endlich auch Coutard die Anerkennung zuteil werde, die bislang vor allem seine Regisseure abbekommen hätten, allen voran Jean-Luc Godard. Fasziniert scheint der Rezensent Hendrik Feindt gleichwohl vor allem von letzterem. Dass dieser dezidiert stets nur nicht gewollt habe anstatt gewollt - dieser "Furor der Negation" habe "der Kamera ungeahnte Freiräume überlassen". Ein bisschen trägt zu der Vernachlässigung Coutards jedoch offenbar auch bei, dass seine Arbeit so ausgesprochen optisch ist: "In Worten hört sich das allerdings so konservativ an wie die Selbsttitulierung Coutards als 'impressionniste': 'Die natürliche Schönheit des wirklichen Lichtes auf der Leinwand zu bewahren, das ist die Arbeit des Kameramannes.'" Der Band bietet Referate und Gespräche, die entstanden sind im Zusammenhang mit der Verleihung des ersten Marburger Kamerapreises 2001. Die Reihe von Schriften über Kameramänner soll fortgesetzt werden mit Bänden über Frank Griebe, Robby Müller und Slawomir Idziak.
© Perlentaucher Medien GmbH
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