Produktdetails
- Verlag: Anabas
- 1997.
- Seitenzahl: 143
- Deutsch
- Abmessung: 10mm x 175mm x 246mm
- Gewicht: 430g
- ISBN-13: 9783870383299
- ISBN-10: 3870383291
- Artikelnr.: 08972912
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.1997Warum der Schluß niemals am Ende steht - Ror Wolfs Enzyklopädie
Als vor drei Jahren "Raoul Tranchirers letzte Gedanken über die Vermehrung der Lust und des Schreckens" erschienen, galt die vierbändige "Welt- und Wirklichkeitslehre" von Ror Wolf als abgeschlossen. Den Schlußpunkt unter seine Tetralogie hatte der Autor indessen bereits viel früher gesetzt. Unter dem Stichwort "Schluß" findet sich in "Raoul Tranchirers Mitteilungen an Ratlose" von 1988 folgende Erklärung: "Es ist mir klar, daß der Schluß an den Schluß gehört, an das eigentliche Ende. Ich habe mich aber entschlossen, den Schluß jetzt schon zu bringen, zumal es eine Reihe von Lesern gibt, die gern beizeiten wissen wollen, wie die Sache ausgeht . . . Man hat mir zuweilen die Schlußlosigkeit meiner Werke vorgeworfen. Das wird man nun nicht mehr wagen."
Jede Enzyklopädie ersetzt die natürliche Ordnung der Dinge durch eine künstliche, die ihre Nebenwirkungen hat. Innerhalb dieser künstlichen Ordnung aber ist es nur natürlich, daß der Schluß in Ror Wolfs Welterklärungs- und Ratschlägerwerk nicht am Ende, sondern unter dem Buchstaben S zu finden ist. Das S ist nun übrigens stärker als je zuvor. Denn von den dreiunddreißig Lemmata, um die "Raoul Tranchirers Mitteilungen" in der Neuausgabe ergänzt worden sind, beginnen elf mit diesem Buchstaben.
Daß Ror Wolf seinen schönen, 1988 erstmals erschienenen Band um Stichworte wie "Schattentheater", "Schauspiel", "Schießen", "Schweine" und "Schwill" erweitert hat, ist zu begrüßen, denn was wüßten wir sonst vom schüchternen Schwill, dem "weichen, gewölbten, am Rande abgerundeten" Bewohner der Bergwelt? Aber muß man es auch erklären? Muß man die Frage stellen nach dem Zusammenhang zwischen dem Wesen dieser Enzyklopädie und der besonderen Bevorzugung, die einzelne Buchstaben darin genießen? Warum das S, gebenedeit unter den Buchstaben?
Vor solche Probleme sieht sich der Leser Ror Wolfs häufig gestellt. Das Werk dieses Autors provoziert kühne Erklärungen und gewagte Behauptungen. Dies gilt für die frühen Gedichte, mit denen der Autor zu Beginn der sechziger Jahre auf sich aufmerksam machte, ebenso wie für die Hörspiele und die Prosa, deren Titel, ähnlich wie die von Peter Handke, sprichwörtlich hätten werden können. Daß sie es nicht geworden sind, lag daran, daß auch Bücher wie "Die Gefährlichkeit der großen Ebene" (1976) oder, zwölf Jahre später, "Ausflug an den vorläufigen Rand der Dinge" viel zu wenig Leser fanden. Ror Wolf, der zu den größten Sprachkünstlern und den wichtigsten Prosaisten der deutschen Nachkriegsliteratur gehört, genießt noch immer nicht den Ruhm, den er verdient.
Daran, so steht zu befürchten, werden weder die schöne Werkausgabe, die bei der Frankfurter Verlagsanstalt entsteht, noch die bibliophilen Bände des kleinen Frankfurter Anabas Verlags etwas ändern. Die schön gesetzten, mit 69 bislang unveröffentlichten Collagen des Autors versehenen "Mitteilungen an Ratlose" hat Anabas in siebenhundert numerierten und signierten Exemplaren aufgelegt. Die erste Auflage von "Raoul Tranchirers letzten Gedanken über die Vermehrung der Lust und des Schreckens", siebenhundertfünfzig Exemplare, ist auch nach drei Jahren noch nicht verkauft.
Für den Zusammenhang von literarischem Rang und Verkaufserfolg gilt wohl dasselbe wie für das unerwartete Erstarken des Buchstabens S im Verhältnis zum inneren Wesen von Raoul Tranchirers Enzyklopädie: "Neuerdings ist von Klomm behauptet worden, daß in Fällen, in denen man den Zusammenhang beobachtet zu haben glaubte, eine Verwechslung mit anderen Zusammenhängen vorgelegen habe. Das mag sein. Es ist aber noch zu früh für eine abschließende Behauptung. Eine Berechtigung zu einer endgültigen Behauptung gibt es nicht. Wir haben keine Veranlassung, uns von den Behauptungen Klomms einschüchtern zu lassen. Die wirkliche Bedeutung des Zusammenhangs ist ohnehin nicht so groß, wie er behauptet."
Was Wolf über den Zusammenhang zu sagen hat, war ihm zu wichtig und zu grundlegend, als daß er damit bis zum Buchstaben Z hätte warten wollen. Nun steht es nahe dem Anfang, unter dem Lemma "Behauptung". Daß dies nicht das letzte Wort zum Thema ist, versteht sich also von selbst. (Ror Wolf: "Raoul Tranchirers Mitteilungen an Ratlose". Erste vollständige Ausgabe mit dreiunddreißig neuen Stichwörtern und neunundsechzig bisher unveröffentlichten Collagen. Numerierte und signierte Ausgabe. Anabas Verlag, Frankfurt am Main 1997. 146 S., Abb., geb., 128,- DM.) HUBERT SPIEGEL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Als vor drei Jahren "Raoul Tranchirers letzte Gedanken über die Vermehrung der Lust und des Schreckens" erschienen, galt die vierbändige "Welt- und Wirklichkeitslehre" von Ror Wolf als abgeschlossen. Den Schlußpunkt unter seine Tetralogie hatte der Autor indessen bereits viel früher gesetzt. Unter dem Stichwort "Schluß" findet sich in "Raoul Tranchirers Mitteilungen an Ratlose" von 1988 folgende Erklärung: "Es ist mir klar, daß der Schluß an den Schluß gehört, an das eigentliche Ende. Ich habe mich aber entschlossen, den Schluß jetzt schon zu bringen, zumal es eine Reihe von Lesern gibt, die gern beizeiten wissen wollen, wie die Sache ausgeht . . . Man hat mir zuweilen die Schlußlosigkeit meiner Werke vorgeworfen. Das wird man nun nicht mehr wagen."
Jede Enzyklopädie ersetzt die natürliche Ordnung der Dinge durch eine künstliche, die ihre Nebenwirkungen hat. Innerhalb dieser künstlichen Ordnung aber ist es nur natürlich, daß der Schluß in Ror Wolfs Welterklärungs- und Ratschlägerwerk nicht am Ende, sondern unter dem Buchstaben S zu finden ist. Das S ist nun übrigens stärker als je zuvor. Denn von den dreiunddreißig Lemmata, um die "Raoul Tranchirers Mitteilungen" in der Neuausgabe ergänzt worden sind, beginnen elf mit diesem Buchstaben.
Daß Ror Wolf seinen schönen, 1988 erstmals erschienenen Band um Stichworte wie "Schattentheater", "Schauspiel", "Schießen", "Schweine" und "Schwill" erweitert hat, ist zu begrüßen, denn was wüßten wir sonst vom schüchternen Schwill, dem "weichen, gewölbten, am Rande abgerundeten" Bewohner der Bergwelt? Aber muß man es auch erklären? Muß man die Frage stellen nach dem Zusammenhang zwischen dem Wesen dieser Enzyklopädie und der besonderen Bevorzugung, die einzelne Buchstaben darin genießen? Warum das S, gebenedeit unter den Buchstaben?
Vor solche Probleme sieht sich der Leser Ror Wolfs häufig gestellt. Das Werk dieses Autors provoziert kühne Erklärungen und gewagte Behauptungen. Dies gilt für die frühen Gedichte, mit denen der Autor zu Beginn der sechziger Jahre auf sich aufmerksam machte, ebenso wie für die Hörspiele und die Prosa, deren Titel, ähnlich wie die von Peter Handke, sprichwörtlich hätten werden können. Daß sie es nicht geworden sind, lag daran, daß auch Bücher wie "Die Gefährlichkeit der großen Ebene" (1976) oder, zwölf Jahre später, "Ausflug an den vorläufigen Rand der Dinge" viel zu wenig Leser fanden. Ror Wolf, der zu den größten Sprachkünstlern und den wichtigsten Prosaisten der deutschen Nachkriegsliteratur gehört, genießt noch immer nicht den Ruhm, den er verdient.
Daran, so steht zu befürchten, werden weder die schöne Werkausgabe, die bei der Frankfurter Verlagsanstalt entsteht, noch die bibliophilen Bände des kleinen Frankfurter Anabas Verlags etwas ändern. Die schön gesetzten, mit 69 bislang unveröffentlichten Collagen des Autors versehenen "Mitteilungen an Ratlose" hat Anabas in siebenhundert numerierten und signierten Exemplaren aufgelegt. Die erste Auflage von "Raoul Tranchirers letzten Gedanken über die Vermehrung der Lust und des Schreckens", siebenhundertfünfzig Exemplare, ist auch nach drei Jahren noch nicht verkauft.
Für den Zusammenhang von literarischem Rang und Verkaufserfolg gilt wohl dasselbe wie für das unerwartete Erstarken des Buchstabens S im Verhältnis zum inneren Wesen von Raoul Tranchirers Enzyklopädie: "Neuerdings ist von Klomm behauptet worden, daß in Fällen, in denen man den Zusammenhang beobachtet zu haben glaubte, eine Verwechslung mit anderen Zusammenhängen vorgelegen habe. Das mag sein. Es ist aber noch zu früh für eine abschließende Behauptung. Eine Berechtigung zu einer endgültigen Behauptung gibt es nicht. Wir haben keine Veranlassung, uns von den Behauptungen Klomms einschüchtern zu lassen. Die wirkliche Bedeutung des Zusammenhangs ist ohnehin nicht so groß, wie er behauptet."
Was Wolf über den Zusammenhang zu sagen hat, war ihm zu wichtig und zu grundlegend, als daß er damit bis zum Buchstaben Z hätte warten wollen. Nun steht es nahe dem Anfang, unter dem Lemma "Behauptung". Daß dies nicht das letzte Wort zum Thema ist, versteht sich also von selbst. (Ror Wolf: "Raoul Tranchirers Mitteilungen an Ratlose". Erste vollständige Ausgabe mit dreiunddreißig neuen Stichwörtern und neunundsechzig bisher unveröffentlichten Collagen. Numerierte und signierte Ausgabe. Anabas Verlag, Frankfurt am Main 1997. 146 S., Abb., geb., 128,- DM.) HUBERT SPIEGEL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main