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Sie sind ein Freundeskreis in Turin: Arianna, Luigi und Cristina, der Maler Nando und Raskolnikov, ein Schüler des weltberühmten Pianisten Arturo Benedetti Michelangeli: Intellektuelle, die am Meer ihren Kindheitserinnerungen nachspüren und immer wieder über ihre Lektüre von Primo Levis Buch "Ist das ein Mensch?" diskutieren und nach der Ursache seines Selbstmords fragen. Laura Mancinellis Figuren tauchen auf wie zufällige Schauspieler auf der Bühne des Lebens, werden in absurd-komische Situationen verwickelt und verschwinden wieder.

Produktbeschreibung
Sie sind ein Freundeskreis in Turin: Arianna, Luigi und Cristina, der Maler Nando und Raskolnikov, ein Schüler des weltberühmten Pianisten Arturo Benedetti Michelangeli: Intellektuelle, die am Meer ihren Kindheitserinnerungen nachspüren und immer wieder über ihre Lektüre von Primo Levis Buch "Ist das ein Mensch?" diskutieren und nach der Ursache seines Selbstmords fragen. Laura Mancinellis Figuren tauchen auf wie zufällige Schauspieler auf der Bühne des Lebens, werden in absurd-komische Situationen verwickelt und verschwinden wieder.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.05.1999

Das Grauen im Kochtopf
Sugo in Moll: Laura Mancinellis Roman "Raskolnikov"

Laura Mancinellis neuer Roman "Raskolnikov", soeben in deutscher Übersetzung erschienen, hat auf den ersten Blick und trotz seines Titels nichts zu tun mit dem gleichnamigen Helden aus Dostojewkis großer Romantragödie "Schuld und Sühne". Die Autorin - eine in Turin lebende Germanistin, die unter anderem das "Nibelungenlied" und Gottfried von Straßburgs "Tristan" ins Italienische übersetzt hat - war bereits vor Jahren dem deutschen Publikum durch zwei phantasievolle Romane bekannt geworden, die Mozart und seine Musik in den Mittelpunkt einer geheimnisumwitterten Handlung stellten. Gegenüber den früheren Romanen "Mozart in Turin?" von 1987 und "Amadé" von 1990 hat die Autorin allerdings das spielerisch-beschwingte Erzählen, die quirlige Abfolge der Handlungssequenzen und die elegant-ironische Extravaganz aufregender, oft unglaublicher Konstellationen und Zufälle nochmals gesteigert. Kein Zweifel, die Kriterien der "Leichtigkeit" und der "Schnelligkeit", die Italo Calvino als Voraussetzung einer vollkommenen Erzählkunst für das nächste Jahrtausend einforderte, erfüllt Laura Mancinelli schon jetzt in hohem und noch dazu originellem Maße.

In schönem Wirbel spielt die Handlung bald in Turin, bald in der umgebenden Provinz, bald in Rom, bald in Arezzo, bald am Strand von Porto Maurizio. Sergej Raskolnikov, arrivierter Pianist und Schüler des berühmten Arturo Benedetti Michelangeli, lernt auf der Zugfahrt nach Turin Arianna kennen, die gerade Primo Levis Buch "Ist das ein Mensch?" liest, den Bericht des Turiners über seine Zeit im Konzentrationslager. Auf den Klippen von Porto Maurizio sehen sich die beiden Singles wieder und erleben dann eine lange Reihe von Abenteuern, organisieren Konzerte, die nicht stattfinden können, verirren sich auf Autofahrten oder sehen sich genötigt, Blutspuren auf der Tastatur des Pianisten dem untersuchenden Carabiniere zu erklären. Vor allem der sensible und ein wenig lebensfremde Raskolnikov ist es, der dem Geschehen chaotische Akzente verleiht, Termine verwechselt, Einladungen vergißt, in der Dusche eingeklemmt sein Konzert verpaßt oder so eindringlich von einem Mord erzählt, daß er selbst in dringenden Verdacht gerät.

Eine wichtige Figur ist auch der Maler Nando, der in jungen Jahren "Signor Trepizze" genannt wurde, weil er stets drei Pizzen aß, und der unter dem Eindruck Primo Levis Bilder vom Leben und Sterben in den Konzentrationslagern malt. Seine Frau Anna dagegen kocht den besten Sugo Italiens, eines der vielen kulinarischen Motive in diesem Roman. Die genüßlich beschriebenen Weine und Speisen treten allerdings bald in schmerzlichen Kontrast zum Hunger und Elend der gemalten Lagerinsassen; und auch die heiteren Tableaus italienischer Landschaften heben sich scharf vom Grau der Lagerbilder Nandos ab.

Arianna ist es, die die Fäden dieser kontrapunktischen Szenenfolge zusammenhält und zugleich das Alter ego der Autorin repräsentiert. Sie verkörpert unbeschwerten Lebensgenuß und zugleich ein beharrliches Nachsinnen über die Realität der Konzentrationslager. Viele Male hat sie Primo Levis Lagerbericht gelesen, ohne je die Frage beantworten zu können, warum denn der Autor, der das Lager überlebte, viele Jahre nach seiner Befreiung den Freitod wählte.

Wie schon in den früheren Romanen Mancinellis ist es die Musik, die als Leitmotiv die Einzelepisoden verbindet. Am Ende finden sich diskordante Figuren zusammen in einem Schlußkapitel, das den Titel "Die Übereinstimmung" trägt. Nando veranstaltet eine Gedenkfeier für Primo Levi, auf der er seine Bilder ausstellt und wo Mozarts Adagio in b-Moll gespielt werden soll. Dann gehen die Lichter aus, und Arianna rezitiert neben dem Flügel Raskolnikovs die Eingangsverse aus Primo Levis Buch: "Ihr, die ihr gesichert lebet / In behaglicher Wohnung / Denket, ob dies ein Mensch ist."

Laura Mancinelli hat in diesem Roman, den sie nach schwerer Krankheit schrieb, nicht nur das Leichte bewegt, sondern auch das Schwere, Tödliche eingekreist. Sie unternimmt den Versuch, unerträgliche Spannungen in einem lockeren Erzählstil zusammenzuschließen, ein gewagter Versuch, der sich weit von traditionellen Romanformen entfernt. So entsteht ein wechselndes Gebilde aus Hell und Dunkel, eine Gedächtnisschulung unverwechselbarer Art, die Vergangenes in einer spritzig durchlebten Gegenwart bewahrt und damit eine Überzeugung der Autorin einlöst: "Wir alle leben in dem, was wir getan haben."

MANFRED HARDT

Laura Mancinelli: "Raskolnikov". Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Maja Pflug. Arche Verlag, Zürich/Hamburg 1999. 181 S., geb., 34,- DM.

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