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Bei der aufgeheizten politischen Debatte um sprachliche Grenzen und diskriminierende Wortverwendungen, stellt sich die Frage, welche Wörter man benutzen darf. Wo liegen beispielsweise die Unterschiede zwischen »Farbiger« und »Person of Color«? Dieses Buch erläutert, wieso das N-Wort aus der Sprache verschwindet, und hinterfragt kritisch, welche vergangenen Denkmuster in Wörtern wie »Naturvolk«, »Eingeborene« und »Tropenmedizin« stecken. Die Kulturwissenschaftlerin Susan Arndt setzt sich entlang konkreter Beispiele mit dem kolonialen Erbe in unserer Sprache auseinander. Darüber hinaus…mehr

Produktbeschreibung
Bei der aufgeheizten politischen Debatte um sprachliche Grenzen und diskriminierende Wortverwendungen, stellt sich die Frage, welche Wörter man benutzen darf. Wo liegen beispielsweise die Unterschiede zwischen »Farbiger« und »Person of Color«? Dieses Buch erläutert, wieso das N-Wort aus der Sprache verschwindet, und hinterfragt kritisch, welche vergangenen Denkmuster in Wörtern wie »Naturvolk«, »Eingeborene« und »Tropenmedizin« stecken. Die Kulturwissenschaftlerin Susan Arndt setzt sich entlang konkreter Beispiele mit dem kolonialen Erbe in unserer Sprache auseinander. Darüber hinaus diskutiert sie die Zusammenhänge zwischen Sprache und Macht. Sie zeigt, welche Möglichkeiten wir haben, mit der kolonialen Vergangenheit in unserer Sprache umzugehen und wie neuere Begriffsverwendungen, wie »Indigene Menschen« oder »weiß«, Alternativen bieten.
Autorenporträt
Susan Arndt (geboren 1967) ist Professorin für Englische Literaturwissenschaft und Anglophone Literaturen an der Universität Bayreuth. In ihren Veröffentlichungen zu Rassismus, Sexismus und Kolonialismus gelingt es ihr, die komplexen Hintergründe der aktuellen Debatten nachvollziehbar zu beleuchten und daraus Empfehlungen abzuleiten.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.10.2022

„Wir sind rassistisch sozialisiert“
Ein Gespräch mit der Linguistin Susan Arndt über Kolumbus’ Arroganz, Pippi Langstrumpfs Vater und die Zukunft der deutschen Sprache
Mit ihrem Buch „Rassismus begreifen“ sorgte Susan Arndt im vergangenen Jahr für einiges Aufsehen. Sie schreibt darin „Weiße“ kursiv und verwendet Wörter, die sie als rassistisch einstuft, in durchgestrichener Form – oder kürzt sie mit deren Initialen ab. Das hat ihr vom Spiegel den Vorwurf eines „akademischen Verbalradikalismus“ eingebracht. Zuletzt sah sich Harald Martenstein in der Zeit dazu veranlasst, nicht nur die deutsche Sprache, sondern auch gleich die Meinungsfreiheit gegen Susan Arndt zu verteidigen. In ihrem neuen Buch „Rassistisches Erbe“ zeichnet im Stil eines kritischen Wörterbuchs die Geschichte von 32 problematischen Begriffe nach. Zur Videoschalte meldet sie sich aus Bayreuth, wo sie Literaturwissenschaft lehrt.
SZ: Frau Arndt, Sie sagen, Rassismus ist „überall aktiv“. Viele Menschen verstehen sich aber nicht als Rassisten und sehen bei sich kein Problem. Was sagen Sie ihnen?
Susan Arndt: Ich kann das nachvollziehen, weil es mir selbst lange Zeit so ging – bis ich mich damit auseinandergesetzt habe, was Rassismus ist, wo er herkommt und wie er funktioniert. Dann kam ich schnell zu der Einsicht, dass es sich um ein strukturelles System handelt, das Privilegien an Weiße verteilt. Dazu gehört, dass wir über unser Weißsein nicht nachdenken müssen, weil es als unsichtbare Norm herrscht. Demgegenüber zeigen Studien, dass beispielsweise Schwarze mehrfach am Tag rassistisch beleidigt und bei der Arbeits- und Wohnungssuche benachteiligt werden. In diesem System sind wir sozialisiert. Ich zeige nicht mit dem Finger auf einzelne Menschen, sondern will ihnen die Angst nehmen, sich damit auseinanderzusetzen, was das System mit uns gemacht hat und was wir dagegen tun können.
Sie beschreiben Rassismus als ideologisches Werkzeug des Kolonialismus. Welche Rolle spielt dabei Sprache?
Kolonialismus war ökonomisch ergiebig für Europa. Viele stellten sich aber auch die Frage: Dürfen wir das? Schon Kolumbus beging Genozide und enteignete Menschen. Um das zu rechtfertigen, musste ihnen das Menschsein abgesprochen werden – durch abwertende Erzählungen. Dafür konnte man nicht ihre Eigenbezeichnungen verwenden, denn diese hätten sie als vernunftfähig ausgewiesen. Deswegen haben die Europäer alles, was sie vorgefunden haben, neu benannt – mit verallgemeinernden und abschätzigen Wörtern wie „Indianer“. Das Problem ist, dass wir bis heute viele dieser Wörter verwenden, weil wir uns ihr Ballast nicht bewusst ist.
Sie schreiben, dass nur Weiße sich rassistisch verhalten können. Das finden Ihre Kritiker wiederum rassistisch.
Diskriminierung gibt es in verschiedenen Facetten und an verschiedenen Orten. Auch China oder Japan haben Imperialismus ausgeübt mit Strukturen, die an Rassismus oder Kolonialismus erinnern. Doch wir können den Begriff Rassismus dafür nicht verwenden, weil Europäer das Konzept der ‚Rasse‘ erfunden haben, um zu behaupten, dass Weiße allen anderen ‚Rassen‘ überlegen seien. Rassismus als weiße Vorherrschaft zu verstehen, bedeutet nicht, dass China nicht diskriminiert. Es ist nur keine rassistische Diskriminierung.
Wie sonst soll man denn etwa nennen, was in China den Uiguren widerfährt?
Die chinesische Regierung unterdrückt die Uiguren kulturell und religiös. Dabei beruft sie sich nicht auf die Überlegenheit von Weißen, sondern auf die eigene totalitäre Einheitspolitik. Peking vertreibt Uiguren, sperrt sie hunderttausendfach in Konzentrationslager ein, die als Orte der „Umerziehung“ deklariert werden, und bereitet so einen Genozid vor.
Warum können Sie als Weiße beurteilen, wie man über die Opfer von Rassismus sprechen sollte?
Es ist gerade wichtig, dass Weiße sich mit Rassismus auseinandersetzen. Mich macht es betroffen, was der Rassismus noch immer anrichtet, und ich fühle mich dafür verantwortlich. Deshalb richte ich mein Wirken darauf aus, Rassismus aus der Tiefe seiner Geschichte zu verstehen und zu bekämpfen.
Ihr neues Buch liest sich als Glossar rassistischer Begriffe wie „Eskimo“, „Mulatte“ und „Zigeuner“. Ist die deutsche Sprache besonders rassistisch?
Nein, viele dieser Begriffe existieren analog in anderen europäischen Sprachen. Das Wort „Hottentotten“ kommt aus dem Niederländischen, das N-Wort aus dem Portugiesischen. Jedoch wird im anglophonen Raum seit den Sechzigern offensiv thematisiert, was Rassismus mit der Sprache macht. Deutschland noch steckt in der Ob-Debatte fest: Sollen wir das überhaupt diskutieren? Viele rassistische Wörter irritieren hier viele noch nicht im eigenen Sprachgefühl. Ich glaube, es ist typisch für Deutschland, sich dieser Debatte zu verweigern und daraus abzuleiten, wir hätten keinen Rassismus in der Sprache.
Was sollte mit den Wörtern geschehen, die Sie im Buch besprechen?
Im aktiven Wortschatz haben sie alle nichts mehr zu suchen. Aber das wird uns gerade nicht sprachlos machen, sondern die Gesellschaft bereichern, weil die Sprache diskriminierungsfreier wird. Zu allen Begriffen gibt es Alternativen. In literarischen Werken müssen sie jedoch stehen bleiben, wenn sie in deren Entstehungszeit gehören. Darüber sollten wir als Gesellschaft allerdings eine Debatte führen und in der Schule vermitteln, dass diese Wörter rassistisch sind. Dann können die Lesenden sie einordnen, anstatt sie unkritisch zu reproduzieren. In „Pippi Langstrumpf“ ist es jedoch nicht wichtig, dass der Vater ein „N-König“ ist. Er kann auch „Schwarzer König“ oder „Inselkönig“ heißen.
In Ihrem Glossar findet sich auch ein Wort wie „entdecken“. Befeuern Sie damit nicht den Vorwurf, man dürfe bald gar nichts mehr sagen?
Gerade das Wort „entdecken“ rührt mich zu Tränen. Wenn Galilei oder Kopernikus eine echte wissenschaftliche Entdeckung machen, passt es gut. Aber wenn die Taten von Kolumbus als Entdeckung bezeichnet werden, verharmlost das koloniale Gewalt. Schon vor seiner Ankunft haben Menschen in Amerika gelebt. Kolumbus hat das aus seiner katholisch-weißen Arroganz heraus verleugnet, ihnen das Land abgesprochen und sie umgebracht.
Weshalb schreiben Sie die Wörter „weiß“ und „Weiße“ kursiv?
Der Rassismus hat uns über Jahrhunderte gelehrt, ‚Rassen‘ zu sehen, etwa visualisiert als ‚Hautfarben‘. Heute wissen wir, dass es biologische ‚Rassen‘ nicht gibt. Dennoch existieren Rassen als soziale Positionen, die der Rassismus den Menschen zugewiesen hat. Das muss benannt werden. Wenn ich sage, dass ich eine weiße Person bin, meine ich das nicht im Sinn von Kolumbus, sondern will ausdrücken, dass ich Teil des rassistischen Systems bin. Deshalb verwende ich eine abweichende Schreibweise. Damit negiere ich, dass es biologische ‚Rassen‘ gibt, erkenne aber an, dass Rassismus existiert.
Rassistische Wörter verwenden Sie meist in durchgestrichener oder abgekürzter Form. Ist das ein vorübergehendes, notwendiges Übel oder stellen Sie sich so die Sprache der Zukunft vor?
In meinen Büchern muss ich rassistische Begriffe verwenden, weil ich über sie schreibe. Mit der Zeit wissen die Lesenden aber, worum es geht. Also streiche ich dort die Begriffe durch oder kürze sie ab, um nicht die Gewalt zu reproduzieren, die in ihnen steckt. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass wir diese Wörter gar nicht mehr brauchen und sich die diskriminierungsfreien Alternativbegriffe durchsetzen.
Davon stellt Ihr Buch eine Reihe vor. Warum sollte man statt „Farbige“ lieber „People of Color“ sagen?
„Farbige“ oder auch „Colored“ sind Begriffe aus ‚Rassen‘-Theorien, die Weißsein als Norm setzen und Menschen, die gezielt daraus ausgeschlossen werden, abwerten. Im Namen dieser Begriffe wurden in Südafrika, den USA und auch in Deutschland viele Menschenrechtsverletzungen begangen, etwa rassistische Sterilisierungen. Das steckt noch immer im deutschen Wort „Farbige“. In den USA dagegen hat sich die Widerstandsbewegung der Sechzigerjahre den Begriff „Colored“ durch die Voranstellung von „People of“ angeeignet und ihn umgekehrt. So wird betont, dass Schwarzen das Menschsein nicht länger abgesprochen wird.
INTERVIEW: NIKLAS ELSENBRUCH
Susan Arndt, geboren 1967 in Magdeburg, lehrt Englische Literaturwissenschaft und Anglophone Literaturen an der Universität Bayreuth.
Foto: Privat
Susan Arndt:
Rassistisches Erbe.
Wie wir mit der kolonialen Vergangenheit unserer Sprache umgehen.
Dudenverlag, Berlin 2022. 256 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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