Der Rationalismus ist ein zentraler Pfeiler des modernen okzidentalen Selbstverständnisses. Der Begriff ist aber, wie eine postkoloniale Lektüre des Begriffs in Max Webers religionsvergleichenden Studien zeigt, ebenso ein Instrument zur Hierarchisierung und Essentialisierung im interreligiösen und interkulturellen Vergleich. Dabei wendet sich der Rationalismusbegriff nicht nur in Gestalt des Orientalismus gegen den "irrationalen" Islam, sondern als dessen spiegelbildliche Rückseite bestimmt er ebenso die idealisierte Selbstdarstellung des Westens als Okzidentalismus und marginalisiert dabei dessen Irrationalität. Um diese Polarität im Religionsvergleich zu überwinden, werden die rationalen wie irrationalen Anteile schiitischer Theologie hinsichtlich ihrer Funktion zur Konstruktion einer sinnhaften Weltsicht in Beziehung gesetzt. In drei Stadien der ismailitischen Geschichte wird das Verhältnis von sozio-politischer Lebenswelt der Gemeinschaft und zentralen Konzepten der Theologie untersucht. In der Analyse von Imamatslehre, Kosmogonie und Eschatologie vor, während und nach dem Fatimidenreich offenbart sich die Dynamik von Rationalität und Irrationalität religiöser Weltbilder jenseits hegemonialer Imaginationen und hierarchisierender Vergleiche.