Am 19. April 2005 wurde Joseph Ratzinger zu Benedikt XVI. gewählt. "Wir sind Papst!" verkündete am Tag darauf der Boulevard. Und bündelte darin bei aller Übergeschnapptheit doch die Hauptaspekte, unter denen das neue Kirchenoberhaupt seither erscheint: als Deutscher und als Popstar, bis hin zum Bravo-Poster. Was in der öffentlichen Repräsentation dagegen weitgehend ausgespart bleibt, ist der Dogmatiker und Theologe Ratzinger.
In die so entstehende 'Leerstelle' von außen her einzudringen, sprich: die Variablen der Ratzinger-Funktion zu füllen, ist das Experiment des vorliegenden Bandes. Thomas Meinecke hat es mit seinem gleichnamigen, in den Münchner Kammerspielen uraufgeführten Monolog Joseph Kardinal Ratzinger begonnen. Andere Autoren setzen es aus den unterschiedlichsten Positionen heraus fort. Mit völlig offenem Ausgang.
Mit Beiträgen von Thomas Meinecke, Dietmar Dath, Felix Ensslin, Jochen Hörisch, Bettine Menke, Barbara Vinken, Slavoj Zizek u. a.
In die so entstehende 'Leerstelle' von außen her einzudringen, sprich: die Variablen der Ratzinger-Funktion zu füllen, ist das Experiment des vorliegenden Bandes. Thomas Meinecke hat es mit seinem gleichnamigen, in den Münchner Kammerspielen uraufgeführten Monolog Joseph Kardinal Ratzinger begonnen. Andere Autoren setzen es aus den unterschiedlichsten Positionen heraus fort. Mit völlig offenem Ausgang.
Mit Beiträgen von Thomas Meinecke, Dietmar Dath, Felix Ensslin, Jochen Hörisch, Bettine Menke, Barbara Vinken, Slavoj Zizek u. a.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.05.2006Wir sind Papst?- Aber der ist leider Theologe
Sammelbände, die nicht wissen, was sie wollen, sind die Pest. Auf die Tatsache, dass ein Deutscher Papst wurde, schien irgendwie auch eine intellektuelle Reaktion geboten, zumal es hieß, dieser Papst sei gleichfalls ein Intellektueller. Also kommt jetzt bei Suhrkamp ein Band heraus, der den so unglücklichen wie in seiner Ratlosigkeit verräterischen Titel trägt: „Ratzinger-Funktion”.
Den Kristallisationskern bildet ein Ein-Mann-Dramolett des Schriftstellers Thomas Meinecke, worin er den damals noch amtierenden Chef der Kongregation für Glaubensfragen vor einer Freisprechanlage monologisieren lässt; wenige Wochen später begann das Pontifikat Benedikts XVI., und Meinecke durfte sich als Prophet gerechtfertigt fühlen. Man muss ihm danken für diese geraffte Kompilation schwieriger theologischer Konzepte. Dass er diesen gänzlich unverfremdeten Zitatenbau allerdings unter der Flagge des eigenen Bühnenwerks segeln lässt, kann man kaum anders als einen Etikettenschwindel nennen. Als szenisches Ereignis muss es von einer grandiosen Öde gewesen sein.
An Meineckes Vorgabe reihen sich in lockerem Anschluss diverse weitere Beiträge. Barbara Vinken legt, mit verdienstvollem Ernst, dar, warum Ratzingers dem Weiblichen zugewandte Mariologie, trotz großer gedanklicher Nähe zu feministischen Positionen, der Befreiung der Frau zuletzt doch nicht zugute komme. Bettine Menke gibt eine zeichentheoretische Deutung der theologischen Mysterien und lädt einem schwierigen geschlossenen System die Begriffllichkeit eines noch schwierigeren offenen auf, bis zum Punkt der faktischen Unlesbarkeit. Sie berichtet über die Begegnung von Ratzinger und Habermas, deren wohlwollender Ton einer verhohlenen Herablassung beiderseits geschuldet war, indem Habermas das „Wahrheitspotential” der Religion, Ratzinger aber die „Wahrheitsfähigkeit” der Vernunft lobte.
Was hätte sich aus dieser Szene, wenn jeder den anderen wie einen braven Hund, der das Stöckchen bringt, tätschelt, mit einem Funken anschauenden Humors machen lassen! Slavoj Zizek behandelt das Themenfeld von Glauben, Wollen, Wissen in seiner geistreich federnden Art, springt aber so wild herum, dass er aus den Augen verliert, was er eigentlich vorhatte. Schmunzelnd erklärt Jochen Hörisch das nach der Inthronisation Benedikts geprägte Wort vom „Papa Ratzi” für einen gelungenen Witz, spiegle er doch die neue mediale Präsenz der Kirche wider. In einer Bemühung um Ausgewogenheit wird Dietmar Dath, einem Atheisten von der pfaffenfresserischen Sorte, das Wort erteilt; er nutzt es zu einem Endlos-Gedicht über den „knarrend katholischen Leibstuhl”, als welchen er den Papstthron zu verspotten geruht, und erhebt sich kaum über das Niveau der Anpöbelung; durch den mechanisch gebrauchten Hexameter wird das Produkt zur schlimmen Lese-Strapaze.
Was im Zusammenhang mit diesem mutmaßlich deutschen, in Wahrheit rein theologischen Papst (hier am Freitag in Warschau, Foto: Reuters) am meisten not täte, nämlich einmal dieser überall ausposaunten religiösen Erneuerung der letzten Zeit etwas genauer auf den hohlen Zahn zu fühlen, das besorgt eigentlich nur der letzte Beiträger, Felix Ensslin. Als deren tiefste Quelle macht er den Neid aus, den Neid der Zerstückelten aufs Ganze und Unbedingte. Da sie diesem aber wiederum nur bedingt und zerstreut zu folgen bereit sind wie irgend einer anderen Mode auch, so können sie, was ihnen vorschwebt, schlechterdings nicht kriegen.
Ja, dass aus der Zerstreutheit spontan ein Ganzes erwachsen möge, das seine Teile aus eigener Kraft integrierte und überstiege, davon träumt mancher vergebens; nicht zuletzt, wie gesagt, dieser Sammelband.
BURKHARD MÜLLER
Ratzinger-Funktion. Mit Beiträgen von Thomas Meinecke und anderen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 152 Seiten, 8,50 Euro.
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Sammelbände, die nicht wissen, was sie wollen, sind die Pest. Auf die Tatsache, dass ein Deutscher Papst wurde, schien irgendwie auch eine intellektuelle Reaktion geboten, zumal es hieß, dieser Papst sei gleichfalls ein Intellektueller. Also kommt jetzt bei Suhrkamp ein Band heraus, der den so unglücklichen wie in seiner Ratlosigkeit verräterischen Titel trägt: „Ratzinger-Funktion”.
Den Kristallisationskern bildet ein Ein-Mann-Dramolett des Schriftstellers Thomas Meinecke, worin er den damals noch amtierenden Chef der Kongregation für Glaubensfragen vor einer Freisprechanlage monologisieren lässt; wenige Wochen später begann das Pontifikat Benedikts XVI., und Meinecke durfte sich als Prophet gerechtfertigt fühlen. Man muss ihm danken für diese geraffte Kompilation schwieriger theologischer Konzepte. Dass er diesen gänzlich unverfremdeten Zitatenbau allerdings unter der Flagge des eigenen Bühnenwerks segeln lässt, kann man kaum anders als einen Etikettenschwindel nennen. Als szenisches Ereignis muss es von einer grandiosen Öde gewesen sein.
An Meineckes Vorgabe reihen sich in lockerem Anschluss diverse weitere Beiträge. Barbara Vinken legt, mit verdienstvollem Ernst, dar, warum Ratzingers dem Weiblichen zugewandte Mariologie, trotz großer gedanklicher Nähe zu feministischen Positionen, der Befreiung der Frau zuletzt doch nicht zugute komme. Bettine Menke gibt eine zeichentheoretische Deutung der theologischen Mysterien und lädt einem schwierigen geschlossenen System die Begriffllichkeit eines noch schwierigeren offenen auf, bis zum Punkt der faktischen Unlesbarkeit. Sie berichtet über die Begegnung von Ratzinger und Habermas, deren wohlwollender Ton einer verhohlenen Herablassung beiderseits geschuldet war, indem Habermas das „Wahrheitspotential” der Religion, Ratzinger aber die „Wahrheitsfähigkeit” der Vernunft lobte.
Was hätte sich aus dieser Szene, wenn jeder den anderen wie einen braven Hund, der das Stöckchen bringt, tätschelt, mit einem Funken anschauenden Humors machen lassen! Slavoj Zizek behandelt das Themenfeld von Glauben, Wollen, Wissen in seiner geistreich federnden Art, springt aber so wild herum, dass er aus den Augen verliert, was er eigentlich vorhatte. Schmunzelnd erklärt Jochen Hörisch das nach der Inthronisation Benedikts geprägte Wort vom „Papa Ratzi” für einen gelungenen Witz, spiegle er doch die neue mediale Präsenz der Kirche wider. In einer Bemühung um Ausgewogenheit wird Dietmar Dath, einem Atheisten von der pfaffenfresserischen Sorte, das Wort erteilt; er nutzt es zu einem Endlos-Gedicht über den „knarrend katholischen Leibstuhl”, als welchen er den Papstthron zu verspotten geruht, und erhebt sich kaum über das Niveau der Anpöbelung; durch den mechanisch gebrauchten Hexameter wird das Produkt zur schlimmen Lese-Strapaze.
Was im Zusammenhang mit diesem mutmaßlich deutschen, in Wahrheit rein theologischen Papst (hier am Freitag in Warschau, Foto: Reuters) am meisten not täte, nämlich einmal dieser überall ausposaunten religiösen Erneuerung der letzten Zeit etwas genauer auf den hohlen Zahn zu fühlen, das besorgt eigentlich nur der letzte Beiträger, Felix Ensslin. Als deren tiefste Quelle macht er den Neid aus, den Neid der Zerstückelten aufs Ganze und Unbedingte. Da sie diesem aber wiederum nur bedingt und zerstreut zu folgen bereit sind wie irgend einer anderen Mode auch, so können sie, was ihnen vorschwebt, schlechterdings nicht kriegen.
Ja, dass aus der Zerstreutheit spontan ein Ganzes erwachsen möge, das seine Teile aus eigener Kraft integrierte und überstiege, davon träumt mancher vergebens; nicht zuletzt, wie gesagt, dieser Sammelband.
BURKHARD MÜLLER
Ratzinger-Funktion. Mit Beiträgen von Thomas Meinecke und anderen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 152 Seiten, 8,50 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Wenn Burkhard Müller eins nicht leiden kann, dann sind es Sammelbände, die in ihrer Themenwahl zu richtungslos sind. Das lastet er auch dem Band über den Papst an, dem er schon den Titel übel nimmt. Hier zeige sich bereits die "Ratlosigkeit", die sich, so der Rezensent abwertend, auch in den heterogenen Beiträgen insgesamt wieder findet. Und so geht er mit fast allen Texten dieses Buches streng ins Gericht: Thomas Meineckes Dramolett, das Ratzinger über Glaubensfragen monologisieren lässt, spricht er nicht nur die Eigenleistung des Autors ab, Müller spürt auch die Langeweile, die das Stück auf der Bühne ausgestrahlt haben muss. Dem Beitrag von Bettine Menke, die sich an einer semiotischen Exegese der Mysterien versucht, wirft er wegen der extrem schwierigen Terminologie gar völlige "Unlesbarkeit" vor. Dietmar Daths Langgedicht, in dem der sich als bekennender Atheist über den Papst lustig macht, geißelt der Rezensent als niveaulos und Slavoj Zizek, den er immerhin "geistreich" findet, wirft er vor, zu wenig auf sein Thema fokussiert zu sein, um ihm folgen zu können. Einzig der Text von Felix Ensslin, in dem der Autor den Gründen für die zur Zeit beschworene "religiöse Erneuerung" nachgeht, überzeugt den indignierten Müller als notwendig und erhellend.
© Perlentaucher Medien GmbH
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