Was ist der Mensch? Was ist Sprache, Geist, Bewusstsein, Selbstbewusstsein, Seele, Absicht, Wille, Freiheit, Subjektivität? Wie hängt dies alles mit der Natur, der es entstammt, zusammen? Wer stellt diese Grundfragen der Philosophie heute noch, und wer gibt Antworten darauf? Gerold Prauss deckt einen bisher noch nicht gesehenen Zusammenhang auf, der philosophisch weiterführt. Ein philosophisches Grundlagenwerk, das als eine Erneuerung systematischen Philosophierens aus dem Geist der großen drei Kritiken Immanuel Kants begrüßt worden ist. Band I/2:Raum - Substanz - Kausalität
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.02.2000Was das Denken erstrebt, erreicht es
Was Hume liefert, ist einfach eine Zumutung: Gerold Prauss kann sich seine Welt selber basteln
Die Empiristen hätten, so Gerold Prauss im dritten Teil eines philosophischen Grundlagenwerks (siehe F.A.Z. vom 6. Juni 1991), alle Welt zur Annahme verleitet, Mentales gebe es gar nicht, sondern nur Somatisches. Dabei könnten Theorie wie Praxis überhaupt nur gedacht werden, wenn wir von einem Subjekt ausgehen, das sich als Intention auf ein Objekt richtet. Und das Objekt dieser Intention wiederum könne kein Vorhandenes sein, so wenig wie das Ziel des Bogenschusses in der Scheibe bestehe, sondern im Treffen der Scheibe, und wir nicht die Wirklichkeit des Apfels begehren, sondern seinen Verzehr. Jede Intention richte sich auf Artefakte - ein Wort, mit dem unserer Tendenz zum Verfallen an die Dingwelt begegnet werden soll. Brentano, Husserl, Heidegger und Sartre dagegen, mögen sie auch noch so viel von ihr reden, dringen nirgends zum eigentlichen Sinn von Intentionalität durch, von dem Kant doch immerhin eine Ahnung gehabt habe, nämlich Spontaneität zu sein.
Denken wie Handeln wollen Erfolg, und das heißt die Verwirklichung von etwas anderem als sich, eine Fremdverwirklichung, die dann ihrerseits, an unserem Leib, die Selbstverwirklichung als Selbstverursachung voraussetze. Gänzlich verfehlt sei die seit Hume bis heute unbekümmert wiederholte Annahme, frei wären wir, wenn wir uns sozusagen frei bewegen können, weil wir beispielsweise nicht gefangen sind. In Fesseln bleiben wir so gut wie auf dem Thron Subjekte.
"Was uns seit Hume zugemutet wird, ist so offenkundig falsch, dass Sie gleich mir sich wundern müssten, wie man darauf überhaupt verfallen konnte." Die Welt ist im Unrecht, alles ist ganz anders, Sie werden es gleich einsehen. Diese zunächst etwas schrullig wirkende Haltung wird einem im Laufe der durchaus nicht leichten Lektüre fortschreitend sympathisch. Da lässt sich jemand von keinen vergangenen oder gegenwärtigen Autoritäten und von keinen Rede- und Denkgewohnheiten beeindrucken, sondern folgt ausschließlich und mit großer Konsequenz seiner Frage, wie es sich denn grundlegend mit dem Denken und Handeln verhält. Wenn die andern in Bausch und Bogen als Deppen etikettiert werden, geschieht das ohne Lust an der Böswilligkeit. Sie stehen einfach nur, wie Touristengruppen in einer Geschäftsstraße, störend auf dem Weg zur Wahrheit herum.
Andererseits hat Husserl doch Gründe, wenn er die Intention auf Wirkliches gehen lässt, etwa den, dass sich anders mit quadratischen Kreisen nicht umgehen lässt, und Hume hat Gründe, wenn er sich mit der Bewegungsfreiheit bescheidet, etwa den, dass von hier aus die politischen Bedingungen dieser Freiheit leichter in den Blick kommen. Das heißt nicht, dass Husserl und Hume gegen Prauss Recht hätten. Vielmehr sind die Phänomene komplizierter und verlangen vielfältigere Unterscheidungen, als es einem Denken gelingen kann, das ganz von vorne anfängt.
Prauss grenzt sich nicht von irgend ernsthaft erwogenen Alternativen ab. Wie verhält sich etwa das, was er Artefakt nennt, zu dem, was andere Nichtempiristen als (soziale) Konstruktion der Wirklichkeit nehmen? Wie unterscheidet sich sein Versuch, über Kant hinaus Theorie und Praxis von der Praxis her zusammenzudenken, von Fichtes Kant-Lektüre? Und Prauss kommt nirgends auf Konkretes. Wie sieht im Einzelnen ein Entscheidungsprozess aus, wie kann ich das Unbewusste, Manipulationen, Selbsttäuschungen verstehen, wenn ich Heteronomie leugne? Der Denkstil von Prauss ist so abstrakt und monologisch wie sein Freiheitsbegriff. Und wahrscheinlich hängt beides zusammen. Denn wenn ich davon ausgehe, dass meine Freiheit in konkreten und sprachlich erschlossenen Situationen ihren Ort hat, muss ich mich mit anderen über das Hier und Jetzt verständigen. So aber werde ich nicht einmal zum Widerspruch gereizt, weil ich nirgends sehe, welche Konsequenzen es haben kann, die Sachen auf diese Weise und nicht anders zu fassen.
GUSTAV FALKE
Gerold Prauss: "Die Welt und wir". Zweiter Band: Subjekt und Objekt der Praxis. Erster Teil: Form und Inhalt einer Absicht als Bewusstsein. Metzler Verlag, Stuttgart 1999. VI, 492 S., geb., 118,- DM.
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Was Hume liefert, ist einfach eine Zumutung: Gerold Prauss kann sich seine Welt selber basteln
Die Empiristen hätten, so Gerold Prauss im dritten Teil eines philosophischen Grundlagenwerks (siehe F.A.Z. vom 6. Juni 1991), alle Welt zur Annahme verleitet, Mentales gebe es gar nicht, sondern nur Somatisches. Dabei könnten Theorie wie Praxis überhaupt nur gedacht werden, wenn wir von einem Subjekt ausgehen, das sich als Intention auf ein Objekt richtet. Und das Objekt dieser Intention wiederum könne kein Vorhandenes sein, so wenig wie das Ziel des Bogenschusses in der Scheibe bestehe, sondern im Treffen der Scheibe, und wir nicht die Wirklichkeit des Apfels begehren, sondern seinen Verzehr. Jede Intention richte sich auf Artefakte - ein Wort, mit dem unserer Tendenz zum Verfallen an die Dingwelt begegnet werden soll. Brentano, Husserl, Heidegger und Sartre dagegen, mögen sie auch noch so viel von ihr reden, dringen nirgends zum eigentlichen Sinn von Intentionalität durch, von dem Kant doch immerhin eine Ahnung gehabt habe, nämlich Spontaneität zu sein.
Denken wie Handeln wollen Erfolg, und das heißt die Verwirklichung von etwas anderem als sich, eine Fremdverwirklichung, die dann ihrerseits, an unserem Leib, die Selbstverwirklichung als Selbstverursachung voraussetze. Gänzlich verfehlt sei die seit Hume bis heute unbekümmert wiederholte Annahme, frei wären wir, wenn wir uns sozusagen frei bewegen können, weil wir beispielsweise nicht gefangen sind. In Fesseln bleiben wir so gut wie auf dem Thron Subjekte.
"Was uns seit Hume zugemutet wird, ist so offenkundig falsch, dass Sie gleich mir sich wundern müssten, wie man darauf überhaupt verfallen konnte." Die Welt ist im Unrecht, alles ist ganz anders, Sie werden es gleich einsehen. Diese zunächst etwas schrullig wirkende Haltung wird einem im Laufe der durchaus nicht leichten Lektüre fortschreitend sympathisch. Da lässt sich jemand von keinen vergangenen oder gegenwärtigen Autoritäten und von keinen Rede- und Denkgewohnheiten beeindrucken, sondern folgt ausschließlich und mit großer Konsequenz seiner Frage, wie es sich denn grundlegend mit dem Denken und Handeln verhält. Wenn die andern in Bausch und Bogen als Deppen etikettiert werden, geschieht das ohne Lust an der Böswilligkeit. Sie stehen einfach nur, wie Touristengruppen in einer Geschäftsstraße, störend auf dem Weg zur Wahrheit herum.
Andererseits hat Husserl doch Gründe, wenn er die Intention auf Wirkliches gehen lässt, etwa den, dass sich anders mit quadratischen Kreisen nicht umgehen lässt, und Hume hat Gründe, wenn er sich mit der Bewegungsfreiheit bescheidet, etwa den, dass von hier aus die politischen Bedingungen dieser Freiheit leichter in den Blick kommen. Das heißt nicht, dass Husserl und Hume gegen Prauss Recht hätten. Vielmehr sind die Phänomene komplizierter und verlangen vielfältigere Unterscheidungen, als es einem Denken gelingen kann, das ganz von vorne anfängt.
Prauss grenzt sich nicht von irgend ernsthaft erwogenen Alternativen ab. Wie verhält sich etwa das, was er Artefakt nennt, zu dem, was andere Nichtempiristen als (soziale) Konstruktion der Wirklichkeit nehmen? Wie unterscheidet sich sein Versuch, über Kant hinaus Theorie und Praxis von der Praxis her zusammenzudenken, von Fichtes Kant-Lektüre? Und Prauss kommt nirgends auf Konkretes. Wie sieht im Einzelnen ein Entscheidungsprozess aus, wie kann ich das Unbewusste, Manipulationen, Selbsttäuschungen verstehen, wenn ich Heteronomie leugne? Der Denkstil von Prauss ist so abstrakt und monologisch wie sein Freiheitsbegriff. Und wahrscheinlich hängt beides zusammen. Denn wenn ich davon ausgehe, dass meine Freiheit in konkreten und sprachlich erschlossenen Situationen ihren Ort hat, muss ich mich mit anderen über das Hier und Jetzt verständigen. So aber werde ich nicht einmal zum Widerspruch gereizt, weil ich nirgends sehe, welche Konsequenzen es haben kann, die Sachen auf diese Weise und nicht anders zu fassen.
GUSTAV FALKE
Gerold Prauss: "Die Welt und wir". Zweiter Band: Subjekt und Objekt der Praxis. Erster Teil: Form und Inhalt einer Absicht als Bewusstsein. Metzler Verlag, Stuttgart 1999. VI, 492 S., geb., 118,- DM.
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"Die Postmoderne ist tot, es lebe die Philosophie - Gerold Prauss legt einen erregenden Systementwurf über die Welt und uns vor". (FAZ)