Ravenna, zeitweilig Hauptresidenz des weströmischen Reiches, Rivalin und später unter der Herrschaft Konstantinopels, liegt etwas abseits der üblichen Touristenrouten nahe der adriatischen Küste. In der Spätantike war sie kultureller Schmelztiegel und ein Zentrum des frühchristlichen Glaubens.
Nirgendwo sonst gibt es mehr erhaltene frühchristliche Kirchen und ihr Erhaltungszustand ist überraschend…mehrRavenna, zeitweilig Hauptresidenz des weströmischen Reiches, Rivalin und später unter der Herrschaft Konstantinopels, liegt etwas abseits der üblichen Touristenrouten nahe der adriatischen Küste. In der Spätantike war sie kultureller Schmelztiegel und ein Zentrum des frühchristlichen Glaubens. Nirgendwo sonst gibt es mehr erhaltene frühchristliche Kirchen und ihr Erhaltungszustand ist überraschend gut: Große Zerstörungen blieben Ravenna weitgehend erspart, trotz häufiger Machtwechsel und nicht zuletzt wegen seiner abgeschiedenen Lage. Beim Gang durch die Stadt stößt man noch heute überall auf antike Relikte.
Der Kulturreiseführer vermittelt sowohl die Elemente der spätrömischen Geschichte am Übergang ins Frühmittelalter, die Ravenna geprägt haben, als auch die Kunst- und Baugeschichte der antiken Kirchen, Kapellen und Mausoleen. Hier stehen besonders die weltberühmten Mosaiken im Fokus, die man nirgendwo sonst in dieser Menge und Qualität besichtigen kann. Ausgezeichnetes Bildmaterial ergänzt den Text, der sachlich und auf das Wesentliche konzentriert bleibt. Die Autorin legt dabei großen Wert auf die Unterscheidung von Originalsubstanz und späteren Ergänzungen bzw. auch Verfälschungen. Mit der archäologisch-wissenschaftlichen „Wiederentdeckung“ Ravennas im 19. Jahrhundert kam es zu einigen historisierenden Umbauten, die zwar die vermeintliche Originalität wiederherstellen wollten, dabei aber teilweise über das Ziel hinausschossen. Carola Jäggi schärft den Blick des Besuchers und vermittelt gleichzeitig Stadt- und Weltgeschichte.
Die Kapitel sind chronologisch strukturiert, von der Zeit Ravennas als Kaiserresidenz, unter den Ostgoten, unter byzantinischer Besetzung, bis zu einem kurzen Exkurs ins frühe Mittelalter. Der Fokus verengt sich dabei vom Allgemeinen zum Speziellen: Neben der schriftlichen Quellenlage (v. a. Agnellus mit seiner Bischofsgenealogie) werden die archäologische Forschungsgeschichte und die kosmopolitische Lage der Stadt im Spannungsfeld zwischen Ost und West thematisiert. Ravenna ist es über mehrere Jahrhunderte hinweg exzellent gelungen, aus dieser Spannung gesellschaftliche und ökonomische Energie zu ziehen, was man noch heute in den Besonderheiten seiner Bauten und Mosaike erkennen kann.
Neben den illustrierenden Originalfotos sind zahlreiche Grabungspläne, Rekonstruktionen und Grundrisse abgebildet, die insgesamt einen sehr guten räumlichen Eindruck der geschilderten Orte vermitteln. Die Einflüsse der Architektur auf nachfolgende Generationen werden erkennbar und auf der anderen Seite zeigen die Bauwerke einen Baustil, der fast überall sonst durch Plünderungen, Um- und Neubauten zerstört ist, selbst wenn die Gründung einer Kirche in die Spätantike fällt. In seiner Erhaltung ist Ravenna einzigartig, auch wenn es einen typisch „ravennischen“ Stil nicht gibt. Er leitet sich aus den zeitgleichen Strömungen in Oberitalien und Byzanz ab, je nachdem, welche Herrschaft gerade installiert war.
Als Rucksackbegleiter ist das Buch aus meiner Sicht ein wenig zu groß geraten, für einen Kulturreisenden, der sich intensiv vorbereiten will und Hilfe bei der Auswahl und Planung braucht, ist das Buch dagegen ideal. Es vermittelt Hintergrundwissen und solide kunsthistorische, archäologische und baugeschichtliche Kenntnisse auf dem neuesten Stand, allerdings fehlen die für einen Reiseführer üblicherweise vorhandenen Angaben zu Öffnungszeiten, Eintrittspreisen und Gottesdienstzeiten (zu denen normalerweise kein Besuchsverkehr erwünscht ist).
(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)