Über die Sprengkraft subtiler Diskriminierung: Brandon Taylors aufwühlender Debütroman
Ein Spätsommerabend bei Freunden, man plaudert und sagt: Wallace könne froh sein, es als einziger Schwarzer an der Uni zum Biochemie-Doktoranden gebracht zu haben. Selbst die, die ihm angeblich nahestehen, sehen oft nicht mehr als die Farbe seiner Haut. Als sein Vater stirbt, brechen die Erinnerungen über Wallace herein: an eine Kindheit in Alabama, die ihrem Elend nicht gewachsene, trinkende Mutter und den kühlen, seltsam unbeteiligten Vater. All das hat Wallace hinter sich gelassen. Doch noch immer spürt er die Kluft der Scham, die ihn von seinen Freunden trennt. Und nicht zuletzt von Miller, mit dem er eine heimliche Affäre beginnt.
Brandon Taylors gefeiertes Romandebüt schaffte es bis auf die Shortlist des Booker Prize 2020. In Real Life bricht ein Mann mit seiner schmerzhaften Vergangenheit. Er wagt sich hinaus ins echte Leben, zeigt sich als der, der er ist. Und riskiertso, alles zu verlieren - oder alles zu gewinnen.
»Es ist, als würden sie sagen, du sollst mit all deinen Erfahrungen kommen und ganz du selbst sein. Aber wenn du dann an ihrem Tisch sitzt, als queere schwarze Person aus dem Arbeitermilieu der Südstaaten, wollen sie auf einmal nicht mehr, dass du über bestimmte Dinge sprichst, weil du damit alle Regeln ihrer Welt brechen würdest.« Brandon Taylor im Interview mit Maddie Sofia, NPR
»Das Wechselspiel aus Begehren und Widerwillen macht die psychologisch-erzählerische Tiefe von Real Life aus.« Berliner Zeitung
»Beeindruckend ist die Sprachgewalt, mit der Taylor den Süden der USA heraufbeschwört. Real Life funktioniert als Anti-Bildungsroman, der wie ein Prequel wirkt zum echten Leben. Dass sein Autor, anders als Wallace, den endgültigen Absprung aus dem Labor wagte, ist für die Literatur ein Glück.« Die Zeit
»Real Life verdeutlicht auf ergreifende Weise, welcher Widerspruch aufklafft, sobald man sich in einer Institution nicht akzeptiert und verstanden fühlt, die aggressiv ihre eigene unbefleckte Progressivität bewirbt.« The Guardian
»Mal bitter, mal zart schreibt sich dieser fein gewirkte Roman in die schwule Literatur ein. Aber damit nicht genug, Wallace' Stimme trägt mit ihrer erfrischenden Nuanciertheit und ihrem Sinn fürs Mikroskopische auch zur Debatte um Black Lives Matter bei.« Financial Times
Ein Spätsommerabend bei Freunden, man plaudert und sagt: Wallace könne froh sein, es als einziger Schwarzer an der Uni zum Biochemie-Doktoranden gebracht zu haben. Selbst die, die ihm angeblich nahestehen, sehen oft nicht mehr als die Farbe seiner Haut. Als sein Vater stirbt, brechen die Erinnerungen über Wallace herein: an eine Kindheit in Alabama, die ihrem Elend nicht gewachsene, trinkende Mutter und den kühlen, seltsam unbeteiligten Vater. All das hat Wallace hinter sich gelassen. Doch noch immer spürt er die Kluft der Scham, die ihn von seinen Freunden trennt. Und nicht zuletzt von Miller, mit dem er eine heimliche Affäre beginnt.
Brandon Taylors gefeiertes Romandebüt schaffte es bis auf die Shortlist des Booker Prize 2020. In Real Life bricht ein Mann mit seiner schmerzhaften Vergangenheit. Er wagt sich hinaus ins echte Leben, zeigt sich als der, der er ist. Und riskiertso, alles zu verlieren - oder alles zu gewinnen.
»Es ist, als würden sie sagen, du sollst mit all deinen Erfahrungen kommen und ganz du selbst sein. Aber wenn du dann an ihrem Tisch sitzt, als queere schwarze Person aus dem Arbeitermilieu der Südstaaten, wollen sie auf einmal nicht mehr, dass du über bestimmte Dinge sprichst, weil du damit alle Regeln ihrer Welt brechen würdest.« Brandon Taylor im Interview mit Maddie Sofia, NPR
»Das Wechselspiel aus Begehren und Widerwillen macht die psychologisch-erzählerische Tiefe von Real Life aus.« Berliner Zeitung
»Beeindruckend ist die Sprachgewalt, mit der Taylor den Süden der USA heraufbeschwört. Real Life funktioniert als Anti-Bildungsroman, der wie ein Prequel wirkt zum echten Leben. Dass sein Autor, anders als Wallace, den endgültigen Absprung aus dem Labor wagte, ist für die Literatur ein Glück.« Die Zeit
»Real Life verdeutlicht auf ergreifende Weise, welcher Widerspruch aufklafft, sobald man sich in einer Institution nicht akzeptiert und verstanden fühlt, die aggressiv ihre eigene unbefleckte Progressivität bewirbt.« The Guardian
»Mal bitter, mal zart schreibt sich dieser fein gewirkte Roman in die schwule Literatur ein. Aber damit nicht genug, Wallace' Stimme trägt mit ihrer erfrischenden Nuanciertheit und ihrem Sinn fürs Mikroskopische auch zur Debatte um Black Lives Matter bei.« Financial Times
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.10.2021Lieber Krieg als Heuchelei
In Brandon Taylors Roman „Real Life“ brechen an einer amerikanischen Kleinstadtuni mühsam verdrängte Konflikte um race, class und gender auf
Bevor sich Wallace, der Protagonist in Brandon Taylors Roman „Real Life“ den Menschen zuwendet, betrachtet er Nematoden. Nematoden sind winzige Würmer, die Wallace zu Forschungszwecken züchtet und kreuzt. Es geht um die „Regulation und Steuerung der Genexpression, Markierung eines Proteins, Entfernen oder Hinzugeben bestimmter Abschnitte des genetischen Materials“. Doch nun ist eine Tragödie passiert: Jemand oder etwas hat die Kulturen verunreinigt, die Nematoden, die Tage zuvor noch „schön und perfekt“ waren, sie sterben. Wallace hat diese Katastrophe bei der Arbeit an seiner Promotion um Monate zurückgeworfen.
Er würde sich am liebsten im Labor einsperren, um allein zu sein mit den Rüttlern, Zentrifugen, Autoklaven und Brutschränken. Doch es ist Freitag, und seine Kommilitonen schicken schon Mails herum, um ein abendliches Treffen am See zu organisieren, Auftakt für ein spätsommerliches Wochenende mit Abendessen und Parties, Tennis, Segeln und Sex, das ihn glücklich machen sollte und ihn doch verzweifelt zurücklässt.
Wallace ist einer der ganz wenigen Schwarzen in dieser Universitätsstadt im Mittleren Westen, die sehr klein ist und enorm viel Lebensqualität besitzt. Er ist auch der erste schwarze Doktorand am Biochemie-Institut. Er kam hierher mit der festen Absicht, ein „alternatives Ich“ zu entwerfen, „eine nach seinen Vorstellungen gestaltete Version seiner selbst, ohne Familie und ohne Vergangenheit“, fernab seiner Kindheit voller Einsamkeit, Missbrauch und Alkoholismus. Doch dieses Projekt scheint an diesem Wochenende endgültig zu scheitern. Vielleicht ist es der Tod seiner Würmer, vielleicht auch der Tod seines Vaters: Die mühsam unterdrückte Fremdheit, die er in dieser weißen Welt empfindet, sie platzt in den Vordergrund seines Bewusstseins. Nun, da seine Nematoden tot sind, richtet er seinen Wissenschaftsblick auch auf die Lebewesen außerhalb des Labors, die er, der dickliche Schwule, begehrt, und die ihn zugleich abstoßen. Er beobachtet die Kontraktion ihrer Muskeln, die Struktur ihrer Knochen, die Glätte ihrer hellen Haut. Die Welt um ihn scheint zu zerfallen in lauter potenzielle Studienobjekte. Mal hält er seine Lupe auf die Nahrung: „Das Essen weißer Leute ist hässlich anzusehen, hat ein fades, gestrecktes, verwässertes Aroma und eine merkwürdige Konsistenz.“ Mal analysiert er das Trinkwasser, es riecht in dieser Stadt „stark nach Chlor und schmeckt alkalisch“. Und wenn dann Rassismus und Klassenunterschiede, Kindheitstraumata und sexuelle Fantasien, die ein paar Semester lang notdürftig verräumt und übertüncht waren, plötzlich bei Craft-Bier und Quinoa-Salat mitten unter den lächelnden Freunden stehen wie böse Geister, dann ist das auch sein Werk. Ihm ist Krieg lieber als geheuchelte Harmonie. Er will sie vorführen mit ihrem verlogenen Verständnistalk und ihren banalen Therapie-Sprüchen. „Egal wie nett sie sind“, konstatiert er kühl, „sie werden sich immer auf die andere Seite schlagen“, die Seite der Weißen nämlich.
Es fällt schwer, „Real Life“ nicht auch als eine Abrechnung Taylors zu lesen. Der 1989 geborene Autor, dessen Buch 2020 auf der Shortlist des Booker Prize stand, ist ebenfalls schwarz und schwul, ebenfalls in Alabama aufgewachsen und studierte ebenfalls Biochemie, bevor er an Unis im Mittleren Westen Schriftsteller wurde. Heute lebt er in Iowa City.
Gnadenlos stellt er nun das ihm offenkundig bestens vertraute Smalltalk-Geklapper, das seinen Protagonisten in den Wahnsinn treibt, im Maßstab 1:1 aus. Deutet aber auch auf die Ödnis und Flachheit in dessen Leben: Was passiert zum Beispiel, wenn er geduscht hat? „Die Luft im Badezimmer ist feucht.“ Es ist ein riskantes Verfahren, denn auch sein Buch droht dabei öde zu werden. Immer mal wieder versteigt er sich auch zu prätentiösem Blabla: „Er kocht nicht oft für andere und muss deshalb auch nicht die Landschaft fremder Vorlieben kartieren.“ In den vielen guten Momenten jedoch erzeugt er aus der kargen Monotonie einen kraftvollen, erstaunlich sinnlichen Minimalismus. Dieser Kargheit und Kühle steht eine irritierende Intensität gegenüber. Besonders in der zweiten Hälfte, als Wallace aus dem Kreis seiner Freunde driftet und hinein in eine hitzige Beziehung mit dem Hetero Morris, erlaubt Taylor dem Leser kaum noch Distanz. Man gäbe einiges für einen gelegentlichen Schwenk über den Horizont, für einen Ortswechsel, für einen Song aus dem Radio. Statt dessen fällt einem beim Lesen die Decke auf den Kopf. Der Raum wird immer enger, immer klaustrophobischer.
JÖRG HÄNTZSCHEL
Das Essen weißer Leute ist
hässlich anzusehen, hat
ein fades, verwässertes Aroma
Brandon Taylor:
Real Life.
Roman. Aus dem
Englischen von Eva Bonné.
Piper Verlag,
München 2021.
352 Seiten, 22 Seiten.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
In Brandon Taylors Roman „Real Life“ brechen an einer amerikanischen Kleinstadtuni mühsam verdrängte Konflikte um race, class und gender auf
Bevor sich Wallace, der Protagonist in Brandon Taylors Roman „Real Life“ den Menschen zuwendet, betrachtet er Nematoden. Nematoden sind winzige Würmer, die Wallace zu Forschungszwecken züchtet und kreuzt. Es geht um die „Regulation und Steuerung der Genexpression, Markierung eines Proteins, Entfernen oder Hinzugeben bestimmter Abschnitte des genetischen Materials“. Doch nun ist eine Tragödie passiert: Jemand oder etwas hat die Kulturen verunreinigt, die Nematoden, die Tage zuvor noch „schön und perfekt“ waren, sie sterben. Wallace hat diese Katastrophe bei der Arbeit an seiner Promotion um Monate zurückgeworfen.
Er würde sich am liebsten im Labor einsperren, um allein zu sein mit den Rüttlern, Zentrifugen, Autoklaven und Brutschränken. Doch es ist Freitag, und seine Kommilitonen schicken schon Mails herum, um ein abendliches Treffen am See zu organisieren, Auftakt für ein spätsommerliches Wochenende mit Abendessen und Parties, Tennis, Segeln und Sex, das ihn glücklich machen sollte und ihn doch verzweifelt zurücklässt.
Wallace ist einer der ganz wenigen Schwarzen in dieser Universitätsstadt im Mittleren Westen, die sehr klein ist und enorm viel Lebensqualität besitzt. Er ist auch der erste schwarze Doktorand am Biochemie-Institut. Er kam hierher mit der festen Absicht, ein „alternatives Ich“ zu entwerfen, „eine nach seinen Vorstellungen gestaltete Version seiner selbst, ohne Familie und ohne Vergangenheit“, fernab seiner Kindheit voller Einsamkeit, Missbrauch und Alkoholismus. Doch dieses Projekt scheint an diesem Wochenende endgültig zu scheitern. Vielleicht ist es der Tod seiner Würmer, vielleicht auch der Tod seines Vaters: Die mühsam unterdrückte Fremdheit, die er in dieser weißen Welt empfindet, sie platzt in den Vordergrund seines Bewusstseins. Nun, da seine Nematoden tot sind, richtet er seinen Wissenschaftsblick auch auf die Lebewesen außerhalb des Labors, die er, der dickliche Schwule, begehrt, und die ihn zugleich abstoßen. Er beobachtet die Kontraktion ihrer Muskeln, die Struktur ihrer Knochen, die Glätte ihrer hellen Haut. Die Welt um ihn scheint zu zerfallen in lauter potenzielle Studienobjekte. Mal hält er seine Lupe auf die Nahrung: „Das Essen weißer Leute ist hässlich anzusehen, hat ein fades, gestrecktes, verwässertes Aroma und eine merkwürdige Konsistenz.“ Mal analysiert er das Trinkwasser, es riecht in dieser Stadt „stark nach Chlor und schmeckt alkalisch“. Und wenn dann Rassismus und Klassenunterschiede, Kindheitstraumata und sexuelle Fantasien, die ein paar Semester lang notdürftig verräumt und übertüncht waren, plötzlich bei Craft-Bier und Quinoa-Salat mitten unter den lächelnden Freunden stehen wie böse Geister, dann ist das auch sein Werk. Ihm ist Krieg lieber als geheuchelte Harmonie. Er will sie vorführen mit ihrem verlogenen Verständnistalk und ihren banalen Therapie-Sprüchen. „Egal wie nett sie sind“, konstatiert er kühl, „sie werden sich immer auf die andere Seite schlagen“, die Seite der Weißen nämlich.
Es fällt schwer, „Real Life“ nicht auch als eine Abrechnung Taylors zu lesen. Der 1989 geborene Autor, dessen Buch 2020 auf der Shortlist des Booker Prize stand, ist ebenfalls schwarz und schwul, ebenfalls in Alabama aufgewachsen und studierte ebenfalls Biochemie, bevor er an Unis im Mittleren Westen Schriftsteller wurde. Heute lebt er in Iowa City.
Gnadenlos stellt er nun das ihm offenkundig bestens vertraute Smalltalk-Geklapper, das seinen Protagonisten in den Wahnsinn treibt, im Maßstab 1:1 aus. Deutet aber auch auf die Ödnis und Flachheit in dessen Leben: Was passiert zum Beispiel, wenn er geduscht hat? „Die Luft im Badezimmer ist feucht.“ Es ist ein riskantes Verfahren, denn auch sein Buch droht dabei öde zu werden. Immer mal wieder versteigt er sich auch zu prätentiösem Blabla: „Er kocht nicht oft für andere und muss deshalb auch nicht die Landschaft fremder Vorlieben kartieren.“ In den vielen guten Momenten jedoch erzeugt er aus der kargen Monotonie einen kraftvollen, erstaunlich sinnlichen Minimalismus. Dieser Kargheit und Kühle steht eine irritierende Intensität gegenüber. Besonders in der zweiten Hälfte, als Wallace aus dem Kreis seiner Freunde driftet und hinein in eine hitzige Beziehung mit dem Hetero Morris, erlaubt Taylor dem Leser kaum noch Distanz. Man gäbe einiges für einen gelegentlichen Schwenk über den Horizont, für einen Ortswechsel, für einen Song aus dem Radio. Statt dessen fällt einem beim Lesen die Decke auf den Kopf. Der Raum wird immer enger, immer klaustrophobischer.
JÖRG HÄNTZSCHEL
Das Essen weißer Leute ist
hässlich anzusehen, hat
ein fades, verwässertes Aroma
Brandon Taylor:
Real Life.
Roman. Aus dem
Englischen von Eva Bonné.
Piper Verlag,
München 2021.
352 Seiten, 22 Seiten.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
»Großartiges Debüt.« Der Freitag
»'Real Life' hat den Charakter einer Momentaufnahme. Hier werden keinerlei Lösungen angeboten, wird kein Happy End in Aussicht gestellt. Doch gerade das ist eine der Stärken dieses ungewöhnlichen Romans. Er schildert unaufgeregt und schnörkellos, was ist.« Frankfurter Rundschau 20210630