Seit den Avantgarden der 20er Jahre verbindet sich mit dem Kino eine ästhetische Utopie. Diese Utopie zielt auf die Erwartung, das Kino vermöge zu leisten, was man von den bestehenden politischen Institutionen nicht erhoffen kann: Nämlich die konkreten Lebensbedingungen als sinnlich-anschauliche Verhältnisse auf den Erfahrungshorizont der einzelnen Individuen beziehen. Das meint nicht etwa den Versuch, mit Hilfe des Films abstrakte Macht-, Abhängigkeits- und Hierarchieverhältnisse, die sich der politischen Analyse verdanken, anschaulich darzustellen. Vielmehr kommt hier ein grundlegend anderes Verständnis von Politik zum Ausdruck, dass das Kino als einen Erfahrungsraum konzipiert, in dem für die einzelnen Individuen ein lebensweltlicher Zusammenhang zugänglich wird, der ihrem Alltagsbewusstsein verwehrt bleibt. Film erscheint als Möglichkeit, die gesellschaftlichen, historischen und medialen Bedingungen, die den Raum alltäglicher Wahrnehmung und damit die sinnlicheErfahrbarkeit der Welt festlegen, selbst noch sinnlich greifbar, anschaulich, evident zu machen. In seinem neuen Buch befragt Hermann Kappelhoff die Aktualität dieser ästhetischen Utopie. Er unternimmt einen Streifzug durch die Geschichte des Kinos, um in Studien zu so unterschiedlichen Regisseuren wie Eisenstein, Visconti, Fassbinder, Friedkin und Almodóvar herauszuarbeiten, wie sich das Anschaulichwerden von Geschichte und Gesellschaft konkret darstellt. Dabei entwickelt Kappelhoff, unter Bezugnahme auf Schriften von Kracauer, Brecht und Rancière, neue Perspektiven auf das Verhältnis von Kino und Politik. Er zeigt, dass es letztlich der Zuschauer ist, der die ästhetische Utopie des Kinos einzulösen vermag: Für diesen nämlich sind die Filme ein Werkzeug, mit dem er seinen Platz innerhalb der Gesellschaft hin
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