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Hiermit liegen erstmals Zeichnungen des einstigen Berliner Religionsphilosophen Klaus Heinrich vor. Der Band ist eine Kooperation zwischen der Galerie Friese (Berlin) und dem ça ira-Verlag (Freiburg/Wien); letzterer ist seit 2020 der Verlag von Klaus Heinrichs Gesamtwerk. Mit Texten von Klaus Gerrit Friese, Klaus Heinrich, Caroline Neubaur, Corinna Thierolf und Hanns Zischler. 160 x 240 mm. Karton. 216 Farbabbildungen.» ... Nie hätte ich gedacht, daß die Kisten, in denen ich alte Dokumente meiner Eltern wähnte, wenn sie aufgeklappt werden, plötzlich so viele Zeichnungen hervorbringen. Ich war…mehr

Produktbeschreibung
Hiermit liegen erstmals Zeichnungen des einstigen Berliner Religionsphilosophen Klaus Heinrich vor. Der Band ist eine Kooperation zwischen der Galerie Friese (Berlin) und dem ça ira-Verlag (Freiburg/Wien); letzterer ist seit 2020 der Verlag von Klaus Heinrichs Gesamtwerk. Mit Texten von Klaus Gerrit Friese, Klaus Heinrich, Caroline Neubaur, Corinna Thierolf und Hanns Zischler. 160 x 240 mm. Karton. 216 Farbabbildungen.» ... Nie hätte ich gedacht, daß die Kisten, in denen ich alte Dokumente meiner Eltern wähnte, wenn sie aufgeklappt werden, plötzlich so viele Zeichnungen hervorbringen. Ich war von maximal 300 Blättern ausgegangen, ich habe mehr als 3000 gefunden. Und jetzt weiß ich, was alles fehlt. Ich bin der Meinung, das ist auch noch bei uns, irgendwo im Keller oder sonst wo. Wir gehen herunter und haben immer die Hoffnung, wir werden fündig.Das mir Unheimliche am Zeichnen ist das eigentlich Selbstverständliche. Alle haben wir es getan, alle machen wir es weiter, und dann hören wir plötzlich auf. Und wenn man doch weitermacht, heißt das auch, man läßt die Verbindung zur Kindheit nicht abbrechen - und plötzlich tut sich das ganze Leben auf. Wenn ich überlegen sollte, was Zeichnen bedeutet, müßte ich erst einmal sagen: Da sind die Nahsinne, da ist das Tasten. Das wußten wir ja alle, wir sind ja alle Triebwesen, und die Zeichnungen zeigen es ja, daß wir niemals aufhören, es zu sein. Also, da ist erst einmal das Tasten, wir krauchen herum und tasten. - Aber dann kommt das Sehen, das auch eine Form des Tastens ist, und zwar eine Form, die den Raum durchmißt. Plötzlich sehen wir, tasten wir Entferntes. Und das ist nicht nur ein Ersatz fürs Tasten mit den Händen, das ist auch gleichzeitig ein Schutz vor dem, was das Tasten mit sich bringen könnte. Wenn Sie überlegen, daß all das, was Sie da sehen, von Ihnen wirklich ertastet würde, wären Sie schon im Kittchen. Da gibt es kein Stopp, da gibt es auch kein Aufhören. Und da merken Sie, daß Sie nicht nur den Raum verändern: mit Zeichnungen bis in die Unendlichkeit des Raumes gehen können, sondern auch, daß Sie die Zeit verändern. Denn Sie halten zwar nur einen Moment fest, aber der ist nicht verloren, der steckt jetzt in der Zeichnung. Das heißt, plötzlich tut die Zeit sich auf als ein Prozeß, aus dem Sie niemals mehr herauskommen. Und jede Zeichnung hält Stationen in diesem Prozeß fest, und - und das ist jetzt das Entscheidende, das ist das, worauf Ihre Sätze alle angespielt haben - es ist ja so, daß wir nicht zu Rande kommen mit dem, wovon wir doch wissen, daß es in uns ist, und dieses Nicht-zurande-kommen-Damit befördert immer wieder den Blick auf die Zeichnung und befördert auch, daß die Zeichnungen über Jahrzehnte in Serien verlaufen. Immer wieder ist es das - um Sigmund Freuds Begriff zu nehmen - Unbewußte, was mitzeichnet und was die Zeichnung dazu nutzt, ein Stück weit bewußt zu werden. Und das heißt zugleich, von da aus ansetzend, auch ein Stück weit Aufklärung säen, betreiben, sozusagen als das zu erkennen, was uns erst eine Identität gibt und was der Gattung, der wir angehören, der Gattung des Triebwesens Mensch, auch erst eine Identität zu geben vermag. Also, die kleinen Zeichnungen auf dem Rückendeckel, beispielshalber, eines Kartons, den Sie sich aus der Tasche fischen: Sie setzen sich darin mit der Gattung Mensch auseinander. Sie können immer wieder anfangen, abbrechen - es ist das Gleiche. Ihre Zeichnungen gehören in Raum und Zeit und zwar dorthinein, wo Sie beide verändern können. Und das ist der eigentliche Anstoß, den wir schon in frühkindlichen Kritzeleien erwarten dürfen, daß wir nicht von einem Jetzt zu einem anderen Jetzt hoppeln, und bei jedem Jetzt sind wir praktisch aus der Welt, sondern wir tun die Welt erst auf.Das wünsche ich Ihnen als Erfahrung Ihr ganzes Leben hindurch, das wünsche ich Ihnen auch als Erfahrung, wenn Sie irgendwo an einem Tisch sitzen in einem Lokal, und da ist ein Untersatz und Sie beginnen, auf dem ein paar Kritzeleien zu machen.
Autorenporträt
Geboren 1927 in Berlin wurde er im Alter von 15 Jahren als Luftwaffenhelfer eingezogen. 1943 überlebte er ein Verfahren wegen Wehrkraftzersetzung und Defätismus. Ab dem Wintersemester 1945/46 studierte er an der unter sowjetischer Militäradministration stehenden Friedrich-Wilhelm-Universität Unter den Linden (ab 1948 Humboldt-Universität) Jura und Philosophie, Psychologie und Theologie, Kunst- und Literaturgeschichte. Dort wurde er nach einem improvisierten Vortrag zur Verteidigung Sartres gegen stalinistische Kritik denunziert, was ihn dazu veranlasste, 1948 im Westteil der Stadt als Student an der Gründung der Freien Universität mitzuwirken. Auf die Promotion in Philosophie 1952 folgte auf verschlungenen und hindernisreichen Wegen erst im Jahre 1964 die Habilitation mit dem Versuch über die Schwierigkeit nein zu sagen. 1968 wurde Klaus Heinrich Direktor des Religionswissenschaftlichen Instituts, 1971 ordentlicher Professor für Religionswissenschaften auf religionsphilosophischer Grundlage. Nach seiner Emeritierung im Jahre 1995 wurde er 1998 Ehrenmitglied der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung (DPV). Im Jahre 2002 erhielt er den Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Als wahren Glücksfall wertet Rezensentin Beate Scheder den Umstand, dass der Galerist Klaus Gerrit Friese diesen Schatz von zwischen 1955 und 2020 entstandenen Zeichnungen des Berliner Religionswissenschaftlers und FU-Mitbegründers Klaus Heinrich entdeckte. In den zahlreichen fantasie- und humorvollen Zeichnungen von Tieren, Hybridwesen, Porträts, "schlummernden Kuscheltieren" und "schrulligen Gestalten in universitären Talaren" erkennt die Kritikerin den "feinsinnigen Universalgelehrten". Mehr noch: Einige der gezeichneten "Selbstanalysen, Träumereien und Spielereien" erinnern Scheder gar an Picasso, Matisse oder Beckmann. Heinrichs Eröffnungsrede der ihm gewidmeten Ausstellung im Jahr 2020 und weitere Begleittexte runden den Band für die Kritikerin ab.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Die Linien vagabundieren, wie bei Picasso, Klee oder Steinberg, ohne vorgefasstes Ziel über das Papier, sie lassen sich von spontanen Regungen leiten und finden erst im Verlauf ihrer Bewegung eine vorläufige Form. Da Klaus Heinrich keine Ambitionen hat, mit dieser Ausstellung auf dem Kunstmarkt zu reüssieren, ist es angemessen, diese im Zusammenhang mit seinem theoretischen Werk zu würdigen.« / Karlheinz Lüdeking, FAZ