Einer der dunkelsten und faszinierendsten Texte Eric Voegelins. Fragment geblieben, behandelt er das Thema der Metaphysikblindheit der Moderne. Peter J. Opitz, der Herausgeber seiner Schriften, geht in einem luziden Nachwort auf die Zusammenhänge seiner Entstehung und den Kontext ein, in dem "Realitätsfinsternis" thematisch und werkgeschichtlich steht. "Durch einen Akt der Imagination kann der Mensch sich zu einem Selbst schrumpfen, das dazu 'verdammt ist, frei zu sein'."
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.05.2010Selbstkontraktion
Der 1985 verstorbene Politikwissenschaftler und Geschichtsphilosoph Eric Voegelin gehörte zu den Autoren, die ein Offenbarungserlebnis zum Ausgangspunkt ihrer Theorie machen. Seiner fundamentalen Kritik an der westlichen Moderne gab dies eine Form der Streitbarkeit und Unangreifbarkeit zugleich. Ablehnung oder Zustimmung richten sich nach der Akzeptanz seiner metaphysischen Prämisse. Voegelins von Platon her geschriebene Verfallsgeschichte des westlichen Bewusstseins sieht den Menschen im Zuge der Säkularisierung in eine geistige Krise geraten. Schuld daran sei der Verlust einer aus der Spannung zu Gott gelebten Existenz. In diesen normativen Zusammenhang ordnet sich die kurze, Fragment gebliebene Schrift "Eclipse of reason" ein, die in den siebziger Jahren entstand und jetzt unter dem Titel "Realitätsfinsternis" zum ersten Mal auf Deutsch erschienen ist. Nur auf dem Boden wahrhaften Seins könne sich eine vernünftige politische Ordnung entfalten. Die neuzeitliche Verdunklung der Realität durch ein "kontrahiertes Selbst", das seine Offenheit zu Gott verloren hat, verführe die Vernunft auf die Abwege selbstgemachter Projektionen, die den Zugang zur wahrhaften Erfahrung verdecken. Unter diese fatale Hybris rechnet Voegelin die spekulativen Systeme des Idealismus nicht weniger als die aufklärerischen Selbsterlösungsversuche durch zivilisatorischen Fortschritt und die revolutionäre Aktion des Sozialismus. Die Zeit der großen philosophischen Entwürfe und der politischen Religionen als Produkte hypertropher Selbstermächtigung sei vorbei. Es bleiben Sekundäreffekte wie Liberalismus, Positivismus und Hedonismus, die vor nihilistischem Hintergrund weiterlaufen. Der einsamen Arbeit des Philosophen obliegt es, die Rückkehr aus der Düsternis zur Transzendenz zu schaffen. (Eric Voegelin: "Realitätsfinsternis". Aus dem Englischen von Dora Fischer-Barnicol. Hrsg. und mit einem Nachwort von Peter J. Opitz. Matthes & Seitz Berlin 2010, br., 160 S., 14,80 [Euro].)
thom
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der 1985 verstorbene Politikwissenschaftler und Geschichtsphilosoph Eric Voegelin gehörte zu den Autoren, die ein Offenbarungserlebnis zum Ausgangspunkt ihrer Theorie machen. Seiner fundamentalen Kritik an der westlichen Moderne gab dies eine Form der Streitbarkeit und Unangreifbarkeit zugleich. Ablehnung oder Zustimmung richten sich nach der Akzeptanz seiner metaphysischen Prämisse. Voegelins von Platon her geschriebene Verfallsgeschichte des westlichen Bewusstseins sieht den Menschen im Zuge der Säkularisierung in eine geistige Krise geraten. Schuld daran sei der Verlust einer aus der Spannung zu Gott gelebten Existenz. In diesen normativen Zusammenhang ordnet sich die kurze, Fragment gebliebene Schrift "Eclipse of reason" ein, die in den siebziger Jahren entstand und jetzt unter dem Titel "Realitätsfinsternis" zum ersten Mal auf Deutsch erschienen ist. Nur auf dem Boden wahrhaften Seins könne sich eine vernünftige politische Ordnung entfalten. Die neuzeitliche Verdunklung der Realität durch ein "kontrahiertes Selbst", das seine Offenheit zu Gott verloren hat, verführe die Vernunft auf die Abwege selbstgemachter Projektionen, die den Zugang zur wahrhaften Erfahrung verdecken. Unter diese fatale Hybris rechnet Voegelin die spekulativen Systeme des Idealismus nicht weniger als die aufklärerischen Selbsterlösungsversuche durch zivilisatorischen Fortschritt und die revolutionäre Aktion des Sozialismus. Die Zeit der großen philosophischen Entwürfe und der politischen Religionen als Produkte hypertropher Selbstermächtigung sei vorbei. Es bleiben Sekundäreffekte wie Liberalismus, Positivismus und Hedonismus, die vor nihilistischem Hintergrund weiterlaufen. Der einsamen Arbeit des Philosophen obliegt es, die Rückkehr aus der Düsternis zur Transzendenz zu schaffen. (Eric Voegelin: "Realitätsfinsternis". Aus dem Englischen von Dora Fischer-Barnicol. Hrsg. und mit einem Nachwort von Peter J. Opitz. Matthes & Seitz Berlin 2010, br., 160 S., 14,80 [Euro].)
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Erst sieht es so aus, als wollte Otto Kallscheuer uns Eric Voegelin als vergessenen Intellektuellen vom Schlag eines Adorno oder Löwith in Erinnerung rufen. Anhand von Voegelins düsterer Zeitdiagnostik gelingt ihm das allerdings nur insofern, als er uns das "grandiose Scheitern" des Autors vorstellt. Das von Peter J. Opitz edierte und kommentierte Fragment jedenfalls, in dem Voegelin etwa die Psychose und Sartres Existenzialismus als Belege für die Realitätsfinsternis in der Moderne anführt, lässt laut Rezensent eines ganz schmerzlich vermissen: Einen Gegenentwurf nämlich, ein unabhängiges Kriterium, wie sich ein krankes von einem gesunden Selbstbewusstsein denn unterscheidet. Obgleich Voegelins Diagnose im Anfang stecken bleibt, vermag Kallscheuer ihr dennoch etwas abzugewinnen. Die vom Autor angeführten, freilich gleichfalls verdammten Ersatzrealitäten des an der Moderne erkrankten Menschen (Schillers Universalgeschichte, Comtes Positivismus) scheinen ihn in diesem Kontext immerhin zu beeindrucken.
© Perlentaucher Medien GmbH
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