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»Das kann nur Julia Zange: Alle zehn Jahre ein Buch schreiben, das man nicht mehr vergisst!« Maxim Biller Marlas Leben ist ein einziges Realitätsgewitter. Wenig Sex, viel iPhone. Viel Bewegung, wenig Sicherheit. Sehr globalisiert, aber immer noch ganz schön deutsch. Marla funktioniert perfekt. Sie hat immer die richtige Maske auf. Doch plötzlich bekommt ihr hochglänzender Panzer kleine Brüche. Plötzlich ist da eine schwere Traurigkeit, die langsam von ihrem Bauch nach oben spült. Um nicht zu ertrinken, macht sie sich auf den Weg zurück in ihr Heimatdorf. Und landet schließlich auf Sylt. Eine…mehr

Produktbeschreibung
»Das kann nur Julia Zange: Alle zehn Jahre ein Buch schreiben, das man nicht mehr vergisst!« Maxim Biller Marlas Leben ist ein einziges Realitätsgewitter. Wenig Sex, viel iPhone. Viel Bewegung, wenig Sicherheit. Sehr globalisiert, aber immer noch ganz schön deutsch. Marla funktioniert perfekt. Sie hat immer die richtige Maske auf. Doch plötzlich bekommt ihr hochglänzender Panzer kleine Brüche. Plötzlich ist da eine schwere Traurigkeit, die langsam von ihrem Bauch nach oben spült. Um nicht zu ertrinken, macht sie sich auf den Weg zurück in ihr Heimatdorf. Und landet schließlich auf Sylt. Eine Reise ins Erwachsenwerden und zu sich selbst. "'In der Nordsee ist nichts gefährlich!', sagt er. Und rennt Richtung Strandkörbe. Ich ziehe mich ganz aus und gehe vorsichtig ins Wasser. Die Wellen werfen mich fast um."
Autorenporträt
Zange, JuliaJulia Zange, geboren 1983, lebt und arbeitet seit 2006 in Berlin. 2005 gewann sie den Literaturwettbewerb Open-Mike, 2008 veröffentlichte sie ihren ersten Roman mit dem Titel Die Anstalt der besseren Mädchen. Sie ist Teil der Web-Serie Translantics. Sie arbeitet als Redakteurin bei L'Officiel und schreibt regelmäßig für Zeit Online und Fräulein. In Philip Grönings Film Mein Bruder Robert, der 2017 Kino-Premiere feiert, hat sie als Hauptdarstellerin debütiert. Außerdem organisiert sie regelmäßig die Veranstaltungsreihe Dead Poets Society im Soho House Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.12.2016

Ist das jetzt Leben?
"Realitätsgewitter": Julia Zanges Roman überlebt das Berliner Künstlermilieu

Dieses Buch ist ein Chamäleon: Es kommt darauf an, wo es sich befindet. Wird es in Berlin gelesen, dürfte Wiedererkennen die gängigste Reaktion sein - zumindest jemanden aus dem Bekanntenkreis meint man wiederzuerkennen, etwa die Cousine vom Dings, die auch immer völlig dicht auf irgendwelchen Künstlerpartys rumhängt, jeden kennt und sich auf rätselhafte Weise finanziert. In München dagegen denkt man spätestens bei Seite zwanzig, ach, was für eine beißende Satire, und streichelt wohlgefällig seinen Burberryschal.

Dieses Changieren je nach Perspektive zeigt genau das Kunststück, das Julia Zange schon bei ihrem Debüt 2008 fertiggebracht hat: ihre Hauptfigur einerseits hoffnungslos zu überzeichnen und ihr andererseits so viel Menschlichkeit zu lassen, dass das Ganze kein bisschen bösartig wirkt. Bei "Die Anstalt der besseren Mädchen" war diese Figur die kindlich verantwortungslose Loretta, die ihrerseits ein Kind bekommt, Marla. In Zanges nun acht Jahre später erschienenem zweiten Buch "Realitätsgewitter" heißt die Hauptfigur ebenfalls Marla, aber sie ist eine andere. Das Berliner Künstlermilieu allerdings ist gleich geblieben.

"Eine blanke tiefe Traurigkeit, ein seltsames Wohlgefühl und eine Art Langeweile" prägen Marla. Derart resigniert geht sie auf sonderbare Partys, wo sie jeder zu kennen scheint. Sie hat 1675 Freunde bei Facebook, das mit den oberflächlichen Kontakten funktioniert also gut. Nur will Marla das Gegenteil: Sie sehnt sich nach Berührungen, nach Liebe, nach einer ernsthaften Beziehung. Wie der Typ genau sein soll, weiß sie nicht, vieles kann sie sich vorstellen, da gibt es zum Beispiel Dylan, der humpelt ein bisschen, "was ziemlich süß ist". Aber es ist nicht einfach mit den Männern. Einer ihrer verzweifelten Booty Calls endet völlig unerfüllt mit einem Kyle vor dessen Fernseher, wo Marla Wasser trinkt und eine Neuseeland-Dokumentation anschaut. Berlin wird Scharen von Zuzugswilligen verlieren, wenn durch diesen Roman publik wird, dass erträglicher Sex dort auch nicht einfacher zu bekommen ist als anderswo.

Wie Marla sich finanziert, wird erst so richtig klar, als ihre Eltern plötzlich die Zahlungen an sie einstellen. Sie macht dann - wir sind hier immer noch in Berlin - natürlich ein Praktikum bei einem Modemagazin. Seltsamerweise erweist sich die Erwerbstätigkeit nicht als das Ende der Welt: "Ich fühle mich ganz okay, was mich irritiert. Ist das jetzt das Leben?" Erst hier, auf halber Strecke, nimmt "Realitätsgewitter" richtig Fahrt auf. Da der Roman recht kurz ist, ist der Spaß dann leider auch schon fast wieder vorbei.

Die Kombination aus am Rande der Künstlerszene angesiedelter Alltagsuntauglichkeit und Liebesbedürftigkeit erinnert stark an Julia Zanges Debüt. Im Grunde ist das der größte Vorwurf, den man "Realitätsgewitter" machen kann: Eine deutliche literarische Weiterentwicklung während der vergangenen acht Jahre ist nicht sichtbar. Julia Zange ist in der Zwischenzeit nicht nur als Journalistin, sondern auch als Schauspielerin in Erscheinung getreten. 2016 spielte sie im Tatort "Borowski und das verlorene Mädchen". 2017 läuft Philip Grönings "Mein Bruder Robert" an, der erste Kinofilm mit ihr in der Hauptrolle.

Immerhin hat sich ihre Sprache durchaus verändert. Die bunten Bilder von damals sind passé, sie schreibt recht schlicht und geradlinig, aber sehr sinnlich. "Das Treppenhaus riecht nach Putzmitteln in spanischen Ferienpensionen", heißt es da, und diese Beschreibung könnte perfekter nicht sitzen. Und ihre Lakonie schafft ein paar gelungene Pointen, etwa als Marla vor ihrer schwer gestörten Mutter ("Ich möchte auf der Ebene von Gefühlen wirklich keine Zweiergespräche mit dir führen") flieht und in einem Hotelbett Suizid googelt - ergebnislos. "Vom Im-Bett-Liegen allein stirbt man jedenfalls nicht." Also installiert sie Tinder. Das ist ja fast das Gleiche.

JULIA BÄHR

Julia Zange: "Realitätsgewitter". Aufbau-Verlag, 157 Seiten, 17,95 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.12.2016

Vernetzt, verletzt, vereinsamt
Macht das Smartphone uns alle zu Narzissten? Drei sehr unterschiedliche Bücher von Kristin Dombek,
Jarett Kobek und Julia Zange über die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Persönlichkeit
VON MEREDITH HAAF
Wohin wendet man sich, wenn man sich selbst und die Menschen um einen herum nicht mehr versteht? Wo sucht die Verlorene nach Auswegen, der Traurige nach Trost, die Wütende nach Gleichgesinnten? Die modernen Kommunikationsmedien stellen dem Menschen nicht nur eine Infrastruktur des sozialen Austauschs zur Verfügung, sondern sie generieren auch eigene Deutungsmuster für den Einzelnen und sein jeweiliges Umfeld. Das Verhältnis des Selbst zur digitalen Kommunikation ist längst zu einer der wichtigsten Herausforderungen im Leben des modernen Menschen geworden. Drei Neuerscheinungen stellen sich dieser Herausforderung, ohne in digitalbesessenes Palaver zu verfallen.
In einem schmalen Band beschäftigt sich die amerikanische Publizistin Kristin Dombek mit einem der derzeit verbreitetsten Deutungsmuster für zwischenmenschliches Verhalten. „Die Selbstsucht der anderen. Ein Essay über Narzissmus“, so der Titel ihres Buchs, untersucht, wie sich im Lauf des vergangenen Jahrzehnts die Ansicht unter vielen Psychologen und anderen durchsetzen konnte, „dass eine Persönlichkeitsstörung ( … ) die treffendste Beschreibung ist für die meisten von uns, dass sich also eine narzisstische Persönlichkeitsstörung gar nicht merklich von den Erwartungen eines kulturellen Kontexts unterscheidet, sondern genau das ist: unsere Kultur.“
Dombek widmet sich der Berichterstattung über die vor allem im Gesellschaftsjournalismus als besonders narzisstisch verschriene Generation der Millennials, sowie dem Diskurs über medienbewusste Massenmörder wie Anders Breivik. Sie erklärt die Begriffsgeschichte und die medizinischen Hintergründe einer diagnostizierbaren narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Der Narzissmus sei zu einer publizistischen Totschlagdiagnose unserer Zeit geworden, schreibt Dombek, als Ursache von allen nicht ganz leicht zu erklärenden Phänomenen wie die Kardashians und Anthony Weiner, exzessivem Selfie-Schießen, der Schuldenkrise oder der Schönheitschirurgie. Er habe sich darüber hinaus als diskursive Allzweckwaffe im Emo-Jargon unserer Zeit durchgesetzt.
Das, was sie „Narziphobie“ nennt, präge eine ganze Generation in ihrem Beziehungsleben: Jedes Fehlverhalten mache einen heute schnell reif für die Narzissmus-Diagnose. So werde rücksichtloses oder in anderer Weise verwerfliches Verhalten rasch pathologisiert und zu einem Fall, der sich laut der umfangreichen Ratgeberliteratur nur durch Intervention oder die Kontaktsperre lösen lässt.
Die „Narzissmus-Epidemie“ grassiert, man ahnt es, vor allem im Internet. In zahllosen Online-Foren und Blogs tauschen sich Betroffene über Narzissten (kurz Narcs) und über ihre Leidensgeschichten aus, die, so Dombek, immer „demselben Drehbuch“ folgen. Dombek spricht von einer „Narzisphäre“, in der sich insbesondere Frauen als Opfer und Männer als Täter tummelten. Die leidensbringende Tat sei dabei im Grunde immer die Unfähigkeit des anderen, die eigenen emotionalen Bedürfnisse zu befriedigen und die daraus resultierende Abhängigkeit. Diese Perspektive selbst kann man in vielen Fällen, wie Dombek es tut, als Akt mangelnder Empathie verstehen: „Die Selbstsucht der anderen ist das Gefühl unserer bloß gelegten Abhängigkeit, das sich in dem Moment einstellt, in dem sich der Blick von uns abwendet.“ Dem Narziphoben fehle die Erkenntnis, dass man selbst ein anderer ist. Dombek plädiert deshalb dafür, ein Bewusstsein für die je eigene und ganz universelle Verbundenheit mit den anderen zu entwickeln: „Ich schnippe eine Zigarette in eine Schneewehe und sie brennt ein glühendes Loch und verschwindet. Jetzt liegt sie hinter mir und vor jemand anderem.“
Dombeks Buch zeigt, wie viel die Kommunikationsmedien über das moderne Selbst mitteilen können, wenn man sie nur richtig befragt. Es zeigt aber auch, wie unvermeidbar der Rekurs auf entweder den Kapitalismus oder das Netz oder am besten beides für aktuelle Selbsterklärungsversuche ist. Die Menschheit hat den vorläufigen Höhepunkt ihrer Verschränkung mit den Systemen von Daten- und Warentausch erreicht – sie kann sich nicht mehr ohne diese wahrnehmen.
Dieser anthropologischen Grundstimmung versuchen natürlich auch die erzählenden Künste gerecht zu werden. In den vergangenen Jahren hat es immer wieder auch Versuche gegeben, der Datengesellschaft literarisch beizukommen. Dazu gehörten beispielsweise die umfangreichen Romane von Jonathan Franzen („Unschuld“) und Dave Eggers („Der Circle“), die jeweils versuchten, das Netz in all seinem dystopischen Schrecken darzustellen. Wirklich gelungen ist ihnen das eher nicht; schließlich liegt der fassliche Schrecken – wenn man denn von einem solchen sprechen will – der Digitalisierung des Alltags weniger in der Systematik des Ganzen als in dem kleinen, subtilen Horror, den das Eindringen der Technik in unser Leben verbreitet. Umso spannender sind zwei Bücher, die von diesem Wandel auf völlig unterschiedliche Weise erzählen.
Da wäre zunächst Jarett Kobeks „Ich hasse dieses Internet“, keine große Erzählung, sondern eher eine Zusammenschau dessen, was am Internet eigentlich genau das Schlimme ist. Sein Vorwurf zielt auf zweierlei: dass „amerikanische Autoren nicht einmal halbwegs anständig über das Internet schreiben“ können und dass jenes Internet „nichts anderes ist als intellektueller Feudalismus auf Basis von technischen Neuerungen, die als Kultur getarnt daherkommen.“ Das Buch handelt von einer Gruppe kreativer Menschen in San Francisco, die durch das Internet Probleme bekommen: Eine Comiczeichnerin äußert sich bei einem Vortrag kritisch über Frauen in der Tech-Branche und wird Zielscheibe eines Shitstorms. Eine junge Frau findet Nacktfotos von sich im Netz. Ein Schriftsteller gerät in die Mühlen der Gentrifizierung.
Das alles ist extrem zeitgeistig, doch für den Roman ist das Schicksal der Protagonisten eher nebensächlich. Die Hauptrolle spielt eine kaum gebändigte Wut. Eine Kostprobe: „Als J. Karacehennem nach San Francisco zog, machte die Stadt gerade eine komplett wahnsinnige Phase durch. Die Schönheit der Stadt wog ihre nervigen Einwohner nicht mehr auf. ( …) Gentrifizierung war das, was einer Stadt widerfuhr, wenn Menschen mit überschüssigem Kapital aus ihrem Kapital noch mehr Kapital schlagen wollten, ohne Arbeit ihren Wert beizumessen.“ Darauf folgt eine Erklärung des Begriffs „Deregulierung“ und eine Liste der Präsidenten, die diese Politik zu verantworten haben.
Der eingangs genannte Protagonist taucht erst etwa sechs Kapitel später wieder auf. Und überhaupt: Informationen werden hier nur fragmentiert geliefert, Personen drücken zwar ihre Gefühle aus, verfügen aber über kein inneres Erleben, Erzählungen brechen ab oder schweifen aus. Das Ganze liest sich wie eine perfekte literarische Reproduktion eines langen Abends im Internet – und ist deshalb eine relativ unangenehme Lektüreerfahrung. Das Buch ermüdet mit endlosen Aufzählungen und Subtexten und erschöpft, ohne mehr zu bieten als ein paar bittere Lacher. Und doch enthält es eine schmerzhafte Wahrheit, nämlich die, dass jeder, der das Internet für mehr als das Allernötigste gebraucht, sich täglich genau dieser trostlosen Erfahrung freiwillig aussetzt. „Ich hasse dieses Internet“ verleiht dem Satz „das muss man gelesen haben“ eine neue Bedeutung: Man muss das Buch nicht gelesen haben, weil es so gut ist, sondern eher, weil es auf eine Weise schlecht ist, die bezeichnend ist für unsere Gegenwart.
In „Realitätsgewitter“, dem neuen Buch von Julia Zange, trägt die Symbiose von Selbst und Smartphone dagegen zugleich beiläufigere und intensivere Züge. Zanges Debütroman „Die Anstalt der verlorenen Mädchen“ erschien 2008 und erreichte einen gewissen Kultstatus. Auch „Realitätsgewitter“ handelt wieder von einer kleinen, blonden, verlorenen jungen Frau. In einem mühsam unterdrückten Zustand der Verzweiflung „tappst“ diese Marla durch Berliner Kaufhäuser und Szenelokale. Sie unterhält oberflächliche Sexualbeziehungen zu diversen künstlerischen Typen, die allesamt direkt aus den Foren der Narzisphäre entsprungen sein könnten. Sie macht ein Praktikum bei einer Modezeitschrift, das sie nicht besonders interessiert. Und wenn sie ihr ganzes Geld mal wieder für Taxifahrten ausgegeben hat, klaut sie Toilettenreinigungskräften das Trinkgeld vom Teller. Sie ist so einsam, dass sie ihr Smartphone vermenschlicht („Eine Nachricht blinkt auf meinem iPhone, dessen Frontscheibe ganz zersprungen ist, womit es eine Art iPhone-Identität bekommen hat“) – und sich selbst verdinglicht. Gerade aufgewacht, stellt sie fest: „Meine Gesichtserkennung funktioniert noch nicht richtig.“
Marla schreibt, wenn sie nervös ist, wahllos Nachrichten an ihre mehr als tausend Kontakte und folgt jeder Facebook-Einladung bereitwillig, nur um nicht allein zu sein. Jede ihrer Stimmungen entlädt sich in einer Verlinkung oder einer Nachricht an einen potenziellen Sexualpartner. Andauernd entwickelt sie unangemessene Gefühle für andere, die nicht erwidert werden: „Ich würde mich gerne an die hübsche Texte-zur-Kunst-Redakteurin lehnen, traue mich aber nicht.“ Oder, im Fahrstuhl mit einem der Sexualpartner: „Ich fahre mit der Hand über seine abrasierten Haare und reibe meine Wange an seiner. ,What are you doing!‘ Ben macht einen Schritt zurück. ,Pervert.‘“
Julia Zange erzählt von dieser kleinen, trostlosen und nicht ganz durchschnittlich depressiven Berlin-Existenz mit größter Klarheit. Marla ist auch deshalb so abhängig von ihrem Telefon, weil es in ihrem Leben niemanden gibt, von dem sie sich eine Abhängigkeit erlaubt. Das wird klar in einer Szene mit ihrer Mutter. Diese verhält sich erst überschwänglich, dann kalt und desinteressiert und schließlich hasserfüllt der Tochter gegenüber. Eine weitere Figur, die direkt aus einem Narzissmus-Forum entstiegen sein könnte.
Dass Schlüsselszene und Schluss nach den sehr starken ersten zwei Dritteln literarisch nicht völlig überzeugen, ist schade. Julia Zanges Eltern haben versucht, eine einstweilige Verfügung gegen den Roman zu erwirken – so lässt sich die Narzisphäre auch in der realen Welt besichtigen. In jedem Fall gelingt Julia Zange etwas, das man noch nicht oft lesen konnte: eine literarische Darstellung der Widersprüche, in die sich das vernetzte Selbst verstrickt hat. Ohne Facebook wäre Marla vielleicht noch einsamer, sich aber ihrer Einsamkeit nicht andauernd so sehr bewusst. Ohne das, was sie den ganzen Tag liest, wüsste sie selbst nicht mehr, wer oder was sie eigentlich ist, hätte aber noch eher eine Chance, ihr Leben zu durchschauen. Marla, die so sehr darunter leidet, dass niemand bei ihr bleibt, ist die personifizierte Selbstsucht – und sie ist damit so wie alle anderen, verwachsen mit der Welt und doch komplett isoliert.
Kristin Dombek: Die Selbstsucht der anderen. Ein Essay über Narzissmus. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. 160 Seiten, 16 Euro. E-Book 15,99 Euro.
Jarett Kobek: Ich hasse dieses Internet. Aus dem Englischen von Eva Kemper. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2016. 368 Seiten, 20 Euro. E-Book 16,99 Euro.
Julia Zange: Realitätsgewitter. Aufbau Verlag, Berlin 2016. 157 Seiten, 17,95 Euro. E-Book 12,95 Euro.
Jedes Fehlverhalten, so Dombek,
mache einen zum Kandidaten
für die Narzissmus-Diagnose
Auch die erzählende Literatur
widmet sich der Datengesellschaft
– mit wechselndem Erfolg
Ohne Facebook wäre Julia Zanges
Heldin vielleicht noch einsamer,
sich aber dessen nicht so bewusst
Verloren in Potemkinschen Weltdörfern? Das Selfie-Ich in seinen eigenen Kulissen, Rio 2016.
Foto: Michael Kappeler / dpa
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Die Figuren aus Julia Zanges neuem Roman "Realitätsgewitter" scheinen allesamt irgendwelchen Narzissmus-Foren entsprungen zu sein, stellt Rezensentin Meredith Haaf fest, die der jungen Autorin eine gelungene Zeitgeist-Diagnose verdankt. Zwar erscheint ihr Zanges Heldin Marla nicht eben durchschnittlich, und doch kann die Kritikerin an der jungen Berlinerin, die mit ihrem Smartphone wie mit einem Menschen kommuniziert oder ihre Einsamkeit über Facebook zu überwinden versucht, und gerade dadurch bewusst macht, all jene Widersprüche ablesen, in die sich das "vernetzte Selbst" verstrickt hat. Dass einige wenige Passagen literarisch nicht ganz so stark sind, verzeiht Haaf diesem so pointierten wie aktuellen Roman gern.

© Perlentaucher Medien GmbH
» [...] sie schreibt recht schlicht und geradlinig, aber sehr sinnlich. « Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 20161204