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David Shields hat ein in den USA heiß diskutiertes Buch geschrieben. Sein "literarisches Manifest" ist "ultrahip" (The Observer) und nimmt leidenschaftlich und intelligent Stellung zu den wichtigsten Fragen der Gegenwartskultur: Was ist Realität, was ist Wirklichkeit, was ist "echt" und "authentisch", in welchen Formen stellen wir unser Leben in der Kunst dar? Horaz, Friedrich Nietzsche, Samuel Beckett, Thomas Pynchon, Nicholson Baker, Jean-Luc Godard, Lars von Trier und viele andere bekannte Namen der Literatur- und Kulturgeschichte treffen auf die Google- und Facebook-Generation; sie bilden…mehr

Produktbeschreibung
David Shields hat ein in den USA heiß diskutiertes Buch geschrieben. Sein "literarisches Manifest" ist "ultrahip" (The Observer) und nimmt leidenschaftlich und intelligent Stellung zu den wichtigsten Fragen der Gegenwartskultur: Was ist Realität, was ist Wirklichkeit, was ist "echt" und "authentisch", in welchen Formen stellen wir unser Leben in der Kunst dar? Horaz, Friedrich Nietzsche, Samuel Beckett, Thomas Pynchon, Nicholson Baker, Jean-Luc Godard, Lars von Trier und viele andere bekannte Namen der Literatur- und Kulturgeschichte treffen auf die Google- und Facebook-Generation; sie bilden den aktuellen Hintergrund für eine grundlegend neue Kultur des Sampelns, der kreativen Montage von Bildern und der freien Benutzung aller Texte. Urheberrechte sind genauso wie die Forderung nach einer naturalistischen Erzählung und nach einer linearen Handlung Relikte aus der alten Welt.

Shields plädiert in seinem Manifest für die Freiheit von Grenzen, seien es die zwischen Fakt und Fiktionbzw. zwischen Reportage und Erfindung oder die zwischen Erzählung und Essay. Mit seinem ebenso provozierenden wie höchst informativen Werk, das selbst zu einem großen Teil aus Zitaten, Aphorismen und Anekdoten anderer Autoren besteht, regt Shields dazu an, traditionelle Ansichten über Originalität, Authentizität und Kreativität zu überdenken. Man wird sein Buch lieben oder hassen. Ohne Zweifel gelingt es ihm jedoch spielend, allen Seiten in der kontroversen Debatte auf höchst unterhaltsame Art und Weise die Gründe für ihre Argumentation zu liefern.
Autorenporträt
David Shields, geb. 1956, lebt in Seattle, wo er an der University of Washington Kreatives Schreiben unterrichtet. Für sein schriftstellerisches Werk ist er mehrfach ausgezeichnet worden.

Andreas Wirthensohn, geb. 1967, lebt als freier Lektor, Übersetzer und Literaturkritiker in München.

Andreas Wirthensohn, geb. 1967, lebt als freier Lektor, Übersetzer und Literaturkritiker in München.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2011

Der Künstler muss ein Kidnapper sein

In seinem Manifest "Reality Hunger" macht David Shields gemeinsame Sache mit Rappern und Komikern. Das Ziel: die Rettung der Literatur.

Von Daniel Haas

Die Gebrauchsanweisung des Buches kommt zum Schluss. Man solle eine Schere nehmen und die Seiten 213 bis 224 heraustrennen. Sie bilden den Anhang, in dem alle in "Reality Hunger" zitierten Quellen aufgeführt sind, ausgenommen jene, "die ich nicht ausfindig machen konnte oder die ich unterwegs vergessen habe". Der Verlag habe leider auf diese Liste bestanden, schreibt der Autor David Shields. Sie ergebe jedoch keinen Sinn. Schließlich seien Aneignung und Plagiat ein zentrales Thema des Werks; die eigene Arbeit müsse deshalb selbst Teil der beschriebenen Verfahren sein. Sonst wäre es, "als würde man ein Buch über das Lügen schreiben, ohne in diesem Buch lügen zu dürfen".

Nun gibt es die Liste aber, und sie ist Teil der Dramaturgie dieses literarischen Manifests. Natürlich ist die Versuchung groß, Shields' Text auf seine Stichwortgeber hin zu überprüfen. 618 Einträge umfasst "Reality Hunger", manche sind kaum länger als ein Aphorismus, manche haben die Länge einer Kürzestgeschichte. Sentenzen, Slogans, Bonmots, theoretische und historische Exkurse: keine Textsorte, die in dieses Werk nicht eingespeist worden wäre.

Die Empfehlung, das Buch zu verstümmeln, gehört selbst schon ins poetologische Programm: Das Werk, vor allem das literarischer Fiktion, muss attackiert und in seinem kulturellen Einfluss eingeschränkt werden. Deshalb ist der Eintrag Nummer 362 genaugenommen eine Lüge: "In diesem Buch wird nichts passieren", erklärt Shields mit koketter Selbstreflexivität. Aber es passiert ja doch einiges. Genauer: Es wird exakt das präsentiert, was der Autor ideologisch verdächtig findet: eine Geschichte mit einem Helden und einem Gegenspieler, mit Krisen und Wendepunkten.

Der Held, das ist der implizite Autor, diese Stimme, die sich im Fortgang der aus Textschnipseln gemischten Collage ergibt. Die Stimme, nennen wir sie wie der Autor selbst "DS", verkündet das Ende des konventionellen Romans, das Ende der Autobiographie und die Heraufkunft des Essays als neuer, erkenntnistheoretisch integrer, erzählerisch innovativer Form.

Warum braucht man nun diese literarische Revolution? Weil unser Realitätshunger angeblich droht die Wirklichkeit zu verschlingen und nur eine profunde, zugleich spielerische Imagination diese Wirklichkeit zurückholen kann in den Bereich unseres Wissens und unserer Erfahrung. Mit Realitätsgier ist vor allem die mediale Verwertung konkreter Lebenswelten gemeint, die zahllosen Dokusoaps, die uns einen vermeintlich authentischen Blick hinter die Kulissen anderer Existenzen liefern. Oder die vielen Wettbewerbs-Shows, hierzulande zum Beispiel "Deutschland sucht den Superstar" oder "Germany's Next Top Model", die im Stil der Vorher-Nachher-Logik ein biographisches Drama darstellen. "Im Jahr 2008 wurden für ,American Idol' mehr Stimmen abgegeben als für Barack Obama bei der Präsidentschaftswahl", schreibt Shields. "97 Millionen für ,American Idol' und am Wahltag 70 Millionen für Obama." Wenn die Realitätsstaffage soviel überzeugender ist als die Realität selbst, wenn das Publikum, wie Shields schreibt, nach der Wirklichkeit anderer Menschen in bearbeiteter Form dürstet, selbst "wenn es der eigenen langweiligen überdrüssig ist", dann müsste doch eigentlich die Stunde der Fiktion geschlagen haben. Sie könnte der verzerrten, marktförmigen Realityshow eine höhere, weil durchgestaltete Form des Realen entgegensetzen - die erfundene Wirklichkeit als Wahrheit.

Hier nun tritt der Feind von Shields' poetologischer Geschichte auf: der realistische Roman, wie wir ihn seit dem neunzehnten Jahrhundert kennen. "Der Roman mit Helden gehört der Vergangenheit an", wird Alain Robbe-Grillet, der Schriftsteller und Theoretiker des nouveau roman, zitiert. Es ist vom "Betonkorsett der Fiktion" die Rede und vom Starautor Jonathan Franzen, der hier als Schurke im Kampf zwischen alter illusionistischer Fabulierkunst einerseits und neuer, offener, postmodernistischer Schreibweise andererseits herhalten muss. Der Autor von "Korrekturen" und "Freiheit" ist überhaupt das schönste Feindbild für Shields volatile Ästhetik. "Ich könnte kein Buch von ihm lesen", heißt es, weil: "Plots sind was für Tote" und "alle Bewegungen, die der traditionelle Roman vollzieht, sind unglaublich vorhersehbar, müde, gekünstelt und im Grunde zwecklos." Einer Agenda, wie gesagt, entkommt Shields aber selbst nicht, seine essayistische Liste verfolgt schlüssig eine Idee und ruft dafür auch Gewährsleute auf. Das wären die Mitstreiter des Helden, Autoren wie Beckett und Tschechow, alle Meister des Weglassens, die das nachmoderne Konzept einer nichtlinearen, diskontinuierlichen Darstellung vorbereitet haben.

Auch aus dem Feld der Popkultur erwartet "DS" Schützenhilfe: Da sind zum einen Stand-up-Komiker wie Kathy Griffin, die in ihren Auftritten ihre beschämenden Erfahrungen als D-Promi verwertet, und Sarah Silverman, eine Komikerin, die von Jesus bis Martin Luther King alle Ikonen des westlichen Wertekanons mit Häme überzieht. Dann die Rapper: Weil Musiker wie Jay-Z oder Lil' Wayne in ihren Songs Teile anderer Stücke zitieren, stehen sie für eine Produktionsästhetik, die die Grenzen zwischen Original und Kopie verwischt. "Wirklichkeitsbasierte Kunst kidnappt ihr Material und entschuldigt sich nicht dafür", schreibt Shields. Die Plattenlabels, die im Namen ihrer Hip-Hop-Stars aufwendige Copyright-Prozesse führen mussten, sehen das vermutlich anders, aber das Konzept ist klar: Im Sampling, also in der Montage und Kompilation verschiedener Quellen, entsteht Kunst. "Die Kopie", so Shields, "transzendiert das Original."

Transzendiert nun der Autor mit seinem Ideensampling die klassische Idee des Manifests? Ja, weil der ganze vielstimmige Textstellenchor doch ein Stück mit erkennbarer Melodie und Refrain anstimmt. Und weil das Leitmotiv - weg mit der herkömmlichen Täuschungsrhetorik der Bestsellerromane! - ausgerechnet dann am schönsten anklingt, wenn Shields seine Schreiberfahrungen autobiographisch herleitet: aus seinen Collegezeiten, aus der ersten Liebe zu einer skriptomanen Studentin, aus der Bewunderung für den politisch engagierten Vater.

Ist das nicht ein Widerspruch? Ist das nicht narrative Augenwischerei und Illusionsbildung? Die Konstruktion eines Ich, das nicht mehr nur Funktionsträger des Textes, sondern tatsächlich Subjekt einer Geschichte ist? Und Subjekte, sind das nicht diese fragwürdigen Größen, wie sie uns der klassische Roman à la Franzen entwirft? Konsequent wäre es gewesen, auch diese Seiten wie den Anhang mit einer gestrichelten Linie zum Heraustrennen zu versehen. Das aber wäre ein Verlust für das Buch gewesen. Und für den Leser.

David Shields: "Reality Hunger. Ein Manifest"

Aus dem Englischen von Andreas Wirthensohn. C.H. Beck Verlag, München 2011. 224 S., geb., 18,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.03.2011

Der schmale Grat
Erzählen als literarisches Kidnapping: David Shields’
Plädoyer für eine Zeitdiagnostik mit dem Teppichmesser
Es dauert nie lange bis Plagiatsdiskussionen um einen Roman zu grundsätzlichen Diskussionen um einen zeitgemäßen Literaturbegriff werden. Zum Glück. Denn die Grundsatzdiskussionen sind nicht selten interessanter als die Bücher, die sie zum Anlass haben. Sie bringen zwar nicht immer neue sachliche Erkenntnisse, aber sie zwingen Leser, Kritiker und Autoren zu Bekenntnissen. Und bestenfalls auch zu ein wenig Krawall, wie zuletzt im Fall von Helene Hegemanns teilweise einfach abgeschriebenen, teilweise aber eben auch clever gesampelten und geremixten Roman „Axolotl Roadkill“. Standpunkte, Überzeugungen und Vorlieben sind danach klarer. Und vielleicht hilft’s dem einen oder anderen schlappen Autor ja doch auch auf die Beine.
Im Mittelpunkt der schlaueren Reflexionen steht nämlich meist sehr schnell nicht mehr die Frage, was Roman-Autoren nun urheberrechtlich dürfen und was nicht, sondern inwieweit sich Literatur der Gegenwart, die relevant sein will, inhaltlich und formal eben dieser Gegenwart stellen muss. Zu Recht fragt etwa der deutsche Literaturkritiker Richard Kämmerlings in seinem soeben erschienenen Buch über die zeitgenössische Literatur „Das kurze Glück der Gegenwart“, warum sich ein Leser Neuerscheinungen zuwenden solle, wenn er „mit ihnen nicht ein Versprechen auf Gegenwartserkenntnis verbinden“ könne. Zeitlosen Fragen und Problemen könne man sich schließlich mit bewährten Klassikern besser stellen als mit aktuellen Büchern, von denen doch die größte Zahl eher nicht zur Weltliteratur aufsteigen werde.
In Amerika hat vor ziemlich genau einem Jahr der Schriftsteller und Dozent für Kreatives Schreiben an der University of Washington David Shields Alarm geschlagen. Jetzt erscheint sein Buch „Reality Hunger. A Manifesto“ auf Deutsch und ist sogar die noch etwas spektakulärere, also anmaßendere, prätentiösere, weiterreichende, kurzweiligere Version herausfordernder zeitgenössischer Literaturkritik. Und zwar nicht nur im Ton, sondern schon rein formal. Das Buch ist nicht klassisch in längere Kapitel aufgeteilt, sondern eine inhaltlich eher lose nach Reiz- und Stichwörtern geordnete, dafür aber streng durchnummerierte Sammlung von exakt 618 Absätzen, die allenfalls zur Hälfte Shields’ eigene Gedanken sind. Alles Übrige sind an Ort und Stelle nicht ausgewiesene, manchmal ergänzte, komprimierte oder stimmiger gemachte Stellungnahmen zum Thema von Montaigne, Barthes und Benjamin bis Bob Dylan, Charlie Parker, Geoff Dyer, Jonathan Lethem, Kurt Cobain, Robbe-Grillet, Virginia Woolf, Zadie Smith und Wikipedia. Zum aufklärenden Anhang hat sich Shields von der Rechtsabteilung seines amerikanischen Herausgebers eher widerwillig überreden lassen: „Wenn Sie das Buch in der Form haben möchten, in der es gelesen werden sollte, dann nehmen Sie einfach eine Schere oder ein Teppichmesser und entfernen die Seiten 213 bis 224, indem Sie sie entlang der gepunkteten Linie heraustrennen.“ Die gepunktete Linie, die man von Schnittmusterbögen kennt, gibt es wirklich. Samt dem typischen kleinen Scherensymbol.
Das kann man albern finden, oder gut abgehangen postmodern – es zeigt aber eben auch mit was für einem heiligen Ernst die Diskussion um Glanz und Elend der Gegenwartsliteratur in den USA geführt wird. Und mit was für einem Anspruch. Auch die New Yorker Zeitschrift n+1 beharrt in ihrer aktuellen Ausgabe darauf, dass aus geschäftlichem Kalkül selbst die besten New Yorker Verlage der Gegenwartsliteratur allen Wagemut ausgetrieben hätten. Niemand kümmere mehr, ob sein Buch auch in 20 Jahren noch bestehen könne. Sogar die weithin für ihre zeitdiagnostische Wucht gefeierten Romane Jonathan Franzens sind hier noch Teil des Problems. Womit man wieder bei David Shields wäre.
Wie so viele erfolgreiche Romane unserer Zeit sind Franzens Bücher für Shields nostalgisches Entertainment. In keiner Weise vermittelten ihm klassisch ausgedachte, große, verregelte Erzählungen dieser Art einen Eindruck davon, was es bedeute, im 21. Jahrhundert zu leben. Das Prinzip von Shields ars poetica ist vielmehr das dreiste Kidnapping realen Materials. Geschichtenerzähler sollen sich auf den schmalen Grat zwischen Fakten und Fiktion wagen, dort dann aber nicht trittsicher voranschreiten, sondern eher wanken, stolpern, gleichzeitig nach Authentizität lechzen und das Künstliche lieben. Die Helden dieser Literatur sind Figuren wie der amerikanische Entertainer Johnny Carson, der einmal auf die Frage, was der Unterschied zwischen ihm und Robert Redford sei, antwortete: „Ich spiele mich.“ Und das beste, was passieren kann, ist, dass über sie geschrieben wird, was einst im New York Globe über Moby Dick stand: „Der Verfasser hat leider nicht dafür gesorgt, dass man weiß, ob es sich bei seinen Bemühungen um Geschichtsschreibung, Autobiografie, Geografie oder Fantasie handelt.“
JENS-CHRISTIAN RABE
David Shields
Reality Hunger
Ein Manifest. Aus dem Englischen
von Andreas Wirthensohn.
Verlag C. H. Beck, München 2011.
224 Seiten, 18,95 Euro.
Geschichtenerzähler sollen
nach Echtheit lechzen
und das Künstliche lieben
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Nicht wirklich begeistern kann sich Dirk Pilz für David Shields' Manifest "Reality Hunger". Das aus 618 Stichworten bestehende Buch, das Hunderte von Zitaten enthält, die nicht im Text (aber im Anhang) ausgewiesen sind, läuft in seinen Augen auf zwei Thesen hinaus. Erstens: Wirklichkeit und Fiktion lassen sich nicht trennen. Zweitens: die Zeit des konventionellen Romans ist vorbei. Pilz setzt sich eingehend mit der ersten These auseinander und hält dem Autor vor, letztlich einem trivialen Konstruktivismus das Wort zu reden. Zugleich findet er in dem Buch immer wieder Passagen, die ihm recht essentialistisch anmuten, einen "kohärenten Gedanken" allerdings findet er darin nicht. Sicher, die zahllosen Zitate erscheinen ihm gut, erhellend, witzig, geistreich. Letztlich aber bleibt sein Fazit verhalten: "Im Grunde füllt dieses Buch in 618 Schlückchen alten Wein in einen neuen Schlauch".

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