Wie ist vorzugehen, um das geltende Recht zu ermitteln?
Wie gehen wir mit Regelungslücken um?
Wie verhält sich die Interpretation der Rechtssätze zum logisch richtigen Arbeiten mit ihnen?
Das Buch stellt Grundfragen und zeigt, wie sich die Antworten bis heute entwickelt haben. Wer als Jurist die historischen, geistesgeschichtlichen und aktuellen Grundlagen der juristischen Methode verstehen und sie im modernen Sinne weiterentwickeln will, kommt an diesem Buch nicht vorbei.
Das Buch ist in seiner Art einzigartig, ein vergleichbares Werk zur Rechtsquellen- und Methodenlehre gibt es nicht. Es ist gleichermaßen bedeutend für den historischen Blick zurück wie auch für die aktuelle Rechtsquellen- und Methodendiskussion. Es entfaltet sich ein faszinierendes Panorama der Geistesgeschichte und damit eine spannende Lektüre. Schon die unvollendete 1. A. wurde 2001 als eines von vier juristischen »Büchern des Jahres« ausgezeichnet. MIT DER 3. AUFLAGE ist das Werk nun vollendet! Der gesamte Zeitraum von 1500 bis 1990 ist jetzt abgedeckt. Über dreißig Jahre hat den Autor dieses opus magnum beschäftigt. Vom göttlich-menschlichen Recht der frühesten Neuzeit über die Entdeckung der konstruktiven Vernunft und der Geschichte führt er uns zur Begründung der positiven Rechtswissenschaft, zum Rechtspositivismus im späten 19. Jahrhundert, zu den deutschen Diktaturen (NS-Staat, DDR) und schließlich zur Methodenlehre des bürgerlich-liberalen Verfassungsstaats.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Wie gehen wir mit Regelungslücken um?
Wie verhält sich die Interpretation der Rechtssätze zum logisch richtigen Arbeiten mit ihnen?
Das Buch stellt Grundfragen und zeigt, wie sich die Antworten bis heute entwickelt haben. Wer als Jurist die historischen, geistesgeschichtlichen und aktuellen Grundlagen der juristischen Methode verstehen und sie im modernen Sinne weiterentwickeln will, kommt an diesem Buch nicht vorbei.
Das Buch ist in seiner Art einzigartig, ein vergleichbares Werk zur Rechtsquellen- und Methodenlehre gibt es nicht. Es ist gleichermaßen bedeutend für den historischen Blick zurück wie auch für die aktuelle Rechtsquellen- und Methodendiskussion. Es entfaltet sich ein faszinierendes Panorama der Geistesgeschichte und damit eine spannende Lektüre. Schon die unvollendete 1. A. wurde 2001 als eines von vier juristischen »Büchern des Jahres« ausgezeichnet. MIT DER 3. AUFLAGE ist das Werk nun vollendet! Der gesamte Zeitraum von 1500 bis 1990 ist jetzt abgedeckt. Über dreißig Jahre hat den Autor dieses opus magnum beschäftigt. Vom göttlich-menschlichen Recht der frühesten Neuzeit über die Entdeckung der konstruktiven Vernunft und der Geschichte führt er uns zur Begründung der positiven Rechtswissenschaft, zum Rechtspositivismus im späten 19. Jahrhundert, zu den deutschen Diktaturen (NS-Staat, DDR) und schließlich zur Methodenlehre des bürgerlich-liberalen Verfassungsstaats.
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Frankfurter Allgemeine ZeitungErst das System erzeugt die Lücke
Jan Schröder vertieft sich in die Geschichte der Rechtsgelehrsamkeit
Wo der Nötigungsparagraf von "Gewalt" spricht, ist sprachliche Eindeutigkeit nur auf den ersten Blick gegeben. Die Auslegung der entsprechenden Norm im deutschen StGB war ein kontroverser rechtspolitischer Fall des Demonstrationsrechts früherer Jahrzehnte. Passive Sitzblockierer verhinderten das Befahren einer Straße. Der Bundesgerichtshof sagte 1969, das sei "Gewalt", und deswegen handele es sich um eine strafbare Nötigung (§ 240, Absatz 1 StGB): Psychische Gewalt reiche aus, sofern sie vom Betroffenen als körperlich empfunden wurde. 1995 widersprach das Bundesverfassungsgericht: Die Interpretation sei vom Wortlaut nicht gedeckt, es handele sich um eine verfassungsrechtlich verbotene Analogie.
Das Beispiel verdeutlicht, dass noch jeder Begriff von Rechtsanwendern ausgelegt werden muss, Gesetzeswortlauten mit alltagssprachlichem Verständnis allein nicht beizukommen ist, Juristen mehrere Ansichten begründen können - und in den vergangenen Jahrzehnten das Bundesverfassungsgericht oft das letzte Wort hatte. Alles eine Frage der Methodenlehre! Die wissenschaftliche Rechtsfindung umfasst dabei sowohl die Frage der geltenden Rechtsquellen als auch Regeln über die Anwendung der generellen Rechtsnorm auf den Einzelfall. Welche Methoden hierbei zur Anwendung kommen, wirft komplizierte Fragen auf: Soll es auf den Willen des Gesetzgebers ankommen oder auf den Zweck der Norm? Darf ein Richter unter Umständen selbst eine "billige" Lösung anstreben? Woher kommen die übergreifenden Rechtsprinzipien? Gibt es Lücken im Gesetz? Warum darf man sie im Strafrecht gegebenenfalls nicht durch Analogie schließen?
In der Wirtschaft spricht man von "Hidden Champions", um unbekannte Weltmarktführer zu bezeichnen. In der Rechtswissenschaft ist Jan Schröders Standardwerk "Recht als Wissenschaft" eine solche Ausnahmeerscheinung. Es ist von Auflage zu Auflage erweitert worden und nun auf zwei Bände angewachsen. Das Buch ist auf Basis größter Quellenkenntnis, in glasklarer Sprache und mit entschiedenem Willen zur Systematisierung verfasst. Es analysiert die Geschichte der neuzeitlichen Rechtswissenschaft auf deren eminentem Gebiet, nämlich der Methodenlehre. Auf diese Weise ist ein Werk entstanden, das jeder Rechtswissenschaftler mit Gewinn lesen kann - und viele andere Gelehrte auch.
In den von Schröder erforschten fünf Jahrhunderten ändern sich im kontinentalen Europa wiederholt die Auffassungen der Gelehrten über die Rechtsquellen und rechtswissenschaftlichen Methoden. Der Tübinger Emeritus zeichnet die verschiedenen Einschätzungen der Rolle des Naturrechts nach. Man sieht, wie das Gewohnheitsrecht in Theorie und Praxis langsam verschwindet. Großartig ist die Umsicht, mit der Schröder analytische Kategorien wie "Positivismus" anhand von Primärquellen prüft und differenzierte Antworten gibt, die zwischen rechtswissenschaftlichem Positivismus, soziologischem Positivismus und Gesetzespositivismus überzeugend unterscheiden.
Ebenso faszinierend wie rätselhaft ist das Verhältnis der rechtswissenschaftlichen Entwicklung zu ihrer Umwelt. Jan Schröders Buch fokussiert auf innerjuristische Entwicklungen, die aber selbstverständlich mit politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Bedingungen interagieren. Für die Frühe Neuzeit und ihren "juristischen Pluralismus" hat man das Gefühl, dass seine Juristen in einem Ideenhimmel schweben. Sie sind geprägt von antiker und mittelalterlicher Philosophie, ihre Interpretationslehren sind teilweise von bizarrer Subtilität.
Suchmaschinen des Rechts.
Aber auch später hat nicht jeder Meinungsstreit praktische Relevanz. Am Ende geht es immer um praktische Rechtsfälle, die mit dem methodischen Handwerkszeug der allgemeinen Hermeneutik und juristischen Interpretationstheorie entschieden werden: Wie kann man begründen, dass der Verwahrer eines Schwerts dieses nicht zurückgeben muss, wenn der Gläubiger (Deponent) inzwischen wahnsinnig geworden ist? Erstreckt sich das Verbot der Getreideausfuhr auch auf Mehl? Womit lässt sich das Nachtbackverbot begründen? Mögliche Antworten gab die allgemeine Argumentationstheorie; manche Logiker des frühen siebzehnten Jahrhunderts listeten siebzehn Topoi, aus denen sich der Sinn des Gesetzes ergeben sollte. Sie waren Wegweiser zu bereits vorhandenem Wissen, Schröder nennt sie "Suchmaschinen des Rechts".
Im späten siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert erscheint ein neuer Rechtsbegriff. Der Wille des Gesetzgebers wird wichtiger als die Frage der Gerechtigkeit der Regelung. Damit einher geht ein bisher unbekannter Anspruch auf Vollständigkeit. Paradoxerweise ist es gerade dieser Anspruch auf Vollständigkeit, der die Vorstellung von "Lücken" im Gesetz erzeugt. Das säkulare Naturrecht hat in dieser Konstellation unter anderem die Funktion, Widersprüche auszumerzen, Lücken zu schließen und zur Rechtsfortbildung im Sinne einer Rechtspolitik beizutragen: ein vernünftiges, positives und vollständiges Recht wird zum Geltungsideal, und wissenschaftliches Recht hilft dabei als subsidiäre Rechtsquelle. Spannend sind die spärlich gezogenen Verbindungslinien zu den Naturwissenschaften: Wo die Hinwendung zu einem empirischen Weltbild vollzogen ist, wird Beobachtung wichtig, rein formale Methoden wie die Topik, die kein wirkliches beziehungsweise neues Sachwissen vermittelten, geraten zu altem Eisen.
Im neunzehnten Jahrhundert politisiert sich dieses Bild. Die Rechtsquellen- und Methodenlehre scheint stärker von Vormärz und Konstitutionalismus beeinflusst, als sie vorher etwa der Territorial-Absolutismus prägte. Erst recht beschleunigt sich diese Verflechtung von Rechtswissenschaft und Politik im Kaiserreich, in der Weimarer Republik und in den beiden deutschen Diktaturen, dem Nationalsozialismus und der DDR.
Eine spezifisch deutsche Sache.
Hier ist Jan Schröder konsequent am politischsten, was seine Erzählung anbelangt. Er unternimmt Diktaturvergleiche und kommt zu "einem deutlichen Profil diktatorischer Rechtstheorie". Die Parallelen liegen im ständigen Konflikt zwischen autoritärem und ideologischem Prinzip (gilt der ausdrücklich erklärte Wille des Diktators oder die allgemeine Weltanschauung?), in der Geringschätzung des Gewohnheitsrechts und der ideologischen Gesetzesauslegung. In beiden deutschen Diktaturen fehlte ferner eine richterliche Normenkontrolle; die juristische Methodenlehre begünstigte Unsicherheit und Irrationalität der Rechtsfindung.
Der Schwerpunkt von Jan Schröders Quellen sind gedruckte, zumeist hoch gelehrte wissenschaftliche Bücher. Manchmal bezieht er Vorlesungsmitschriften ein, die praktische Relevanz im Justizalltag blitzt häufig durch, jedoch wird die Rechtsprechungsanalyse kein roter Faden der Darstellung. Geographisch liegt der Schwerpunkt im zeitlichen Verlauf zunehmend im deutschsprachigen Bereich. Allein diese Übersicht ist eine eindrucksvolle Leistung, die weltweit ihresgleichen sucht. Erst recht ist anzuerkennen, wie sehr Jan Schröder danach strebt, alle Bereiche des geltenden Rechts wenigstens zu Wort kommen zu lassen. An der Spitze steht das am stärksten verwissenschaftlichte Zivilrecht, auch Strafrecht und öffentliches Recht kommen vor, Völkerrecht kaum, das kanonische Recht fehlt. Für die Bundesrepublik erhält das Verfassungsrecht den ihm angemessenen breiten Raum.
Woher individuelle Präferenzen der Akteure für bestimmte Methoden- und Auslegungsfragen kommen, kann man oft nur mutmaßen. Kollektivbiographisch bilden sich Trends ab, so etwa für die Bonner Republik in ihren mittleren und späten Jahren eine Hinwendung der deutschen Professoren (ja, praktisch nur Männer) zur gesellschaftlichen Wirklichkeit. Sie stehen dabei erkennbar unter angloamerikanischem und skandinavischem Einfluss. Gewohnheitsrecht gerät als Begründungsmuster unter Druck (etwa die elterliche Wahl des Vornamens; Züchtigungsrecht der Volksschullehrer). Auch das Naturrecht wird nun zunehmend misstrauisch beäugt; manchem erscheint der Gedanke eines übergesetzlichen Rechts sogar als "die Atombombe der Rechtsordnung".
Immer wieder hat man die Vermutung, eine spezifisch deutsche, international einzigartige Rechtswissenschaftlichkeit erzählt zu bekommen. Denn die dogmatische Durchdringung des gesamten Rechtsstoffs ist so umfassend und zugleich so tief wie in kaum einem anderen Land. Eine bloße "Billigkeits"-Argumentation wie noch in der Frühen Neuzeit, die einfache Korrekturmöglichkeiten ungerecht erscheinender Ergebnisse vorsah, ist längst verpönt. Stattdessen dominieren universitär und beruflich vermittelte und institutionell kontrollierte Codes, in denen die Juristen bei der Gesetzesinterpretation "denkenden Gehorsam" (Philipp Heck) praktizieren. Schröder ist zufrieden: "Der scheinbaren Sicherheit der Ideologien begegnet die pluralistische Offenheit der liberalen Gesellschaft." Sie muss auf kunstvolles Handwerk und das Gewissen des Rechtsanwenders vertrauen. Jan Schröders Buch ist nicht zuletzt auch eine performative Huldigung dieser großen deutschen rechtsdogmatischen Tradition. MILOS VEC.
Jan Schröder: "Recht als Wissenschaft". Geschichte der juristischen Methodenlehre in der Neuzeit (1500-1990).
Verlag C. H. Beck, München 2021. 2 Bde., zus. 858 S., geb., 149,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jan Schröder vertieft sich in die Geschichte der Rechtsgelehrsamkeit
Wo der Nötigungsparagraf von "Gewalt" spricht, ist sprachliche Eindeutigkeit nur auf den ersten Blick gegeben. Die Auslegung der entsprechenden Norm im deutschen StGB war ein kontroverser rechtspolitischer Fall des Demonstrationsrechts früherer Jahrzehnte. Passive Sitzblockierer verhinderten das Befahren einer Straße. Der Bundesgerichtshof sagte 1969, das sei "Gewalt", und deswegen handele es sich um eine strafbare Nötigung (§ 240, Absatz 1 StGB): Psychische Gewalt reiche aus, sofern sie vom Betroffenen als körperlich empfunden wurde. 1995 widersprach das Bundesverfassungsgericht: Die Interpretation sei vom Wortlaut nicht gedeckt, es handele sich um eine verfassungsrechtlich verbotene Analogie.
Das Beispiel verdeutlicht, dass noch jeder Begriff von Rechtsanwendern ausgelegt werden muss, Gesetzeswortlauten mit alltagssprachlichem Verständnis allein nicht beizukommen ist, Juristen mehrere Ansichten begründen können - und in den vergangenen Jahrzehnten das Bundesverfassungsgericht oft das letzte Wort hatte. Alles eine Frage der Methodenlehre! Die wissenschaftliche Rechtsfindung umfasst dabei sowohl die Frage der geltenden Rechtsquellen als auch Regeln über die Anwendung der generellen Rechtsnorm auf den Einzelfall. Welche Methoden hierbei zur Anwendung kommen, wirft komplizierte Fragen auf: Soll es auf den Willen des Gesetzgebers ankommen oder auf den Zweck der Norm? Darf ein Richter unter Umständen selbst eine "billige" Lösung anstreben? Woher kommen die übergreifenden Rechtsprinzipien? Gibt es Lücken im Gesetz? Warum darf man sie im Strafrecht gegebenenfalls nicht durch Analogie schließen?
In der Wirtschaft spricht man von "Hidden Champions", um unbekannte Weltmarktführer zu bezeichnen. In der Rechtswissenschaft ist Jan Schröders Standardwerk "Recht als Wissenschaft" eine solche Ausnahmeerscheinung. Es ist von Auflage zu Auflage erweitert worden und nun auf zwei Bände angewachsen. Das Buch ist auf Basis größter Quellenkenntnis, in glasklarer Sprache und mit entschiedenem Willen zur Systematisierung verfasst. Es analysiert die Geschichte der neuzeitlichen Rechtswissenschaft auf deren eminentem Gebiet, nämlich der Methodenlehre. Auf diese Weise ist ein Werk entstanden, das jeder Rechtswissenschaftler mit Gewinn lesen kann - und viele andere Gelehrte auch.
In den von Schröder erforschten fünf Jahrhunderten ändern sich im kontinentalen Europa wiederholt die Auffassungen der Gelehrten über die Rechtsquellen und rechtswissenschaftlichen Methoden. Der Tübinger Emeritus zeichnet die verschiedenen Einschätzungen der Rolle des Naturrechts nach. Man sieht, wie das Gewohnheitsrecht in Theorie und Praxis langsam verschwindet. Großartig ist die Umsicht, mit der Schröder analytische Kategorien wie "Positivismus" anhand von Primärquellen prüft und differenzierte Antworten gibt, die zwischen rechtswissenschaftlichem Positivismus, soziologischem Positivismus und Gesetzespositivismus überzeugend unterscheiden.
Ebenso faszinierend wie rätselhaft ist das Verhältnis der rechtswissenschaftlichen Entwicklung zu ihrer Umwelt. Jan Schröders Buch fokussiert auf innerjuristische Entwicklungen, die aber selbstverständlich mit politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Bedingungen interagieren. Für die Frühe Neuzeit und ihren "juristischen Pluralismus" hat man das Gefühl, dass seine Juristen in einem Ideenhimmel schweben. Sie sind geprägt von antiker und mittelalterlicher Philosophie, ihre Interpretationslehren sind teilweise von bizarrer Subtilität.
Suchmaschinen des Rechts.
Aber auch später hat nicht jeder Meinungsstreit praktische Relevanz. Am Ende geht es immer um praktische Rechtsfälle, die mit dem methodischen Handwerkszeug der allgemeinen Hermeneutik und juristischen Interpretationstheorie entschieden werden: Wie kann man begründen, dass der Verwahrer eines Schwerts dieses nicht zurückgeben muss, wenn der Gläubiger (Deponent) inzwischen wahnsinnig geworden ist? Erstreckt sich das Verbot der Getreideausfuhr auch auf Mehl? Womit lässt sich das Nachtbackverbot begründen? Mögliche Antworten gab die allgemeine Argumentationstheorie; manche Logiker des frühen siebzehnten Jahrhunderts listeten siebzehn Topoi, aus denen sich der Sinn des Gesetzes ergeben sollte. Sie waren Wegweiser zu bereits vorhandenem Wissen, Schröder nennt sie "Suchmaschinen des Rechts".
Im späten siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert erscheint ein neuer Rechtsbegriff. Der Wille des Gesetzgebers wird wichtiger als die Frage der Gerechtigkeit der Regelung. Damit einher geht ein bisher unbekannter Anspruch auf Vollständigkeit. Paradoxerweise ist es gerade dieser Anspruch auf Vollständigkeit, der die Vorstellung von "Lücken" im Gesetz erzeugt. Das säkulare Naturrecht hat in dieser Konstellation unter anderem die Funktion, Widersprüche auszumerzen, Lücken zu schließen und zur Rechtsfortbildung im Sinne einer Rechtspolitik beizutragen: ein vernünftiges, positives und vollständiges Recht wird zum Geltungsideal, und wissenschaftliches Recht hilft dabei als subsidiäre Rechtsquelle. Spannend sind die spärlich gezogenen Verbindungslinien zu den Naturwissenschaften: Wo die Hinwendung zu einem empirischen Weltbild vollzogen ist, wird Beobachtung wichtig, rein formale Methoden wie die Topik, die kein wirkliches beziehungsweise neues Sachwissen vermittelten, geraten zu altem Eisen.
Im neunzehnten Jahrhundert politisiert sich dieses Bild. Die Rechtsquellen- und Methodenlehre scheint stärker von Vormärz und Konstitutionalismus beeinflusst, als sie vorher etwa der Territorial-Absolutismus prägte. Erst recht beschleunigt sich diese Verflechtung von Rechtswissenschaft und Politik im Kaiserreich, in der Weimarer Republik und in den beiden deutschen Diktaturen, dem Nationalsozialismus und der DDR.
Eine spezifisch deutsche Sache.
Hier ist Jan Schröder konsequent am politischsten, was seine Erzählung anbelangt. Er unternimmt Diktaturvergleiche und kommt zu "einem deutlichen Profil diktatorischer Rechtstheorie". Die Parallelen liegen im ständigen Konflikt zwischen autoritärem und ideologischem Prinzip (gilt der ausdrücklich erklärte Wille des Diktators oder die allgemeine Weltanschauung?), in der Geringschätzung des Gewohnheitsrechts und der ideologischen Gesetzesauslegung. In beiden deutschen Diktaturen fehlte ferner eine richterliche Normenkontrolle; die juristische Methodenlehre begünstigte Unsicherheit und Irrationalität der Rechtsfindung.
Der Schwerpunkt von Jan Schröders Quellen sind gedruckte, zumeist hoch gelehrte wissenschaftliche Bücher. Manchmal bezieht er Vorlesungsmitschriften ein, die praktische Relevanz im Justizalltag blitzt häufig durch, jedoch wird die Rechtsprechungsanalyse kein roter Faden der Darstellung. Geographisch liegt der Schwerpunkt im zeitlichen Verlauf zunehmend im deutschsprachigen Bereich. Allein diese Übersicht ist eine eindrucksvolle Leistung, die weltweit ihresgleichen sucht. Erst recht ist anzuerkennen, wie sehr Jan Schröder danach strebt, alle Bereiche des geltenden Rechts wenigstens zu Wort kommen zu lassen. An der Spitze steht das am stärksten verwissenschaftlichte Zivilrecht, auch Strafrecht und öffentliches Recht kommen vor, Völkerrecht kaum, das kanonische Recht fehlt. Für die Bundesrepublik erhält das Verfassungsrecht den ihm angemessenen breiten Raum.
Woher individuelle Präferenzen der Akteure für bestimmte Methoden- und Auslegungsfragen kommen, kann man oft nur mutmaßen. Kollektivbiographisch bilden sich Trends ab, so etwa für die Bonner Republik in ihren mittleren und späten Jahren eine Hinwendung der deutschen Professoren (ja, praktisch nur Männer) zur gesellschaftlichen Wirklichkeit. Sie stehen dabei erkennbar unter angloamerikanischem und skandinavischem Einfluss. Gewohnheitsrecht gerät als Begründungsmuster unter Druck (etwa die elterliche Wahl des Vornamens; Züchtigungsrecht der Volksschullehrer). Auch das Naturrecht wird nun zunehmend misstrauisch beäugt; manchem erscheint der Gedanke eines übergesetzlichen Rechts sogar als "die Atombombe der Rechtsordnung".
Immer wieder hat man die Vermutung, eine spezifisch deutsche, international einzigartige Rechtswissenschaftlichkeit erzählt zu bekommen. Denn die dogmatische Durchdringung des gesamten Rechtsstoffs ist so umfassend und zugleich so tief wie in kaum einem anderen Land. Eine bloße "Billigkeits"-Argumentation wie noch in der Frühen Neuzeit, die einfache Korrekturmöglichkeiten ungerecht erscheinender Ergebnisse vorsah, ist längst verpönt. Stattdessen dominieren universitär und beruflich vermittelte und institutionell kontrollierte Codes, in denen die Juristen bei der Gesetzesinterpretation "denkenden Gehorsam" (Philipp Heck) praktizieren. Schröder ist zufrieden: "Der scheinbaren Sicherheit der Ideologien begegnet die pluralistische Offenheit der liberalen Gesellschaft." Sie muss auf kunstvolles Handwerk und das Gewissen des Rechtsanwenders vertrauen. Jan Schröders Buch ist nicht zuletzt auch eine performative Huldigung dieser großen deutschen rechtsdogmatischen Tradition. MILOS VEC.
Jan Schröder: "Recht als Wissenschaft". Geschichte der juristischen Methodenlehre in der Neuzeit (1500-1990).
Verlag C. H. Beck, München 2021. 2 Bde., zus. 858 S., geb., 149,- Euro.
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