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Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus bewegt sich derzeit auf zwei Ebenen. In den historischen Wissenschaften, einschließlich der Rechtsgeschichte, schreiten Professionalisierung und »Historisierung« voran. Dagegen zeigt sich in der Tagespolitik und in der Kriminalistik wieder ein unverhüllter und zunehmend organisierter Rechtsextremismus. In Parteien und Parlamenten verlieren die Tabus, die bisher Kontaktaufnahme nach »rechts« verwehrten, ihre Kraft. »Lernen aus der Geschichte« scheint nur in begrenztem Umfang möglich zu sein.
Der Band vereint Studien zu Methodenproblemen der
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Produktbeschreibung
Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus bewegt sich derzeit auf zwei Ebenen. In den historischen Wissenschaften, einschließlich der Rechtsgeschichte, schreiten Professionalisierung und »Historisierung« voran. Dagegen zeigt sich in der Tagespolitik und in der Kriminalistik wieder ein unverhüllter und zunehmend organisierter Rechtsextremismus. In Parteien und Parlamenten verlieren die Tabus, die bisher Kontaktaufnahme nach »rechts« verwehrten, ihre Kraft. »Lernen aus der Geschichte« scheint nur in begrenztem Umfang möglich zu sein.

Der Band vereint Studien zu Methodenproblemen der Rechtsgeschichte (I), zum Staats- und Verwaltungsrecht, zu Verwaltungslehre und Verwaltungsgerichtsbarkeit im Nationalsozialismus (II) sowie zum Wiederaufbau von Verwaltung und Justiz nach dem Zusammenbruch des NS-Staates (III). Ihr verbindendes Motiv ist die Überzeugung, daß die Rechtsgeschichte zwar an jener »Historisierung« teilnimmt, aber in diesem Fall auch eine besondere politische Verantwortung zu tragen hat.

Die englische Fassung dieses Buchs ist unter dem Titel »The Law under the Swastika« (Chicago 1998) erschienen.
Autorenporträt
Stolleis, MichaelMichael Stolleis ist Professor für Öffentliches Recht und Neuere Rechtsgeschichte an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main und Direktor am dortigen Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.03.1995

Staatsrechtslehre(r)
Zur Rechtsgeschichte des Nationalsozialismus

Michael Stolleis: Recht im Unrecht. Studien zur Rechtsgeschichte des Nationalsozialismus. Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1994. 333 Seiten, 22,80 Mark.

Kann es das geben, "Recht im Unrecht"? Gibt es nicht entweder Recht oder Unrecht, und muß eine staatliche Ordnung entweder als Rechtsstaat oder als Unrechtsstaat qualifiziert werden? Michael Stolleis gibt der Sammlung von 13 Studien zur Rechtsgeschichte des Nationalsozialismus, die von 1972 bis 1989 entstanden sind, bewußt den Titel "Recht im Unrecht". Er tut recht daran. Die Rechtsordnung der NS-Zeit war nicht global nur Unrecht, vielmehr fraß sich materielles Unrecht Stück um Stück, mal schneller und intensiver, mal langsamer und eher am Rande, in das geltende Recht hinein. Auch gab es Bereiche, die in den nur 12 Jahren, die das NS-Regime währte, davon (noch) relativ unberührt blieben. Recht und Unrecht lagen so ineinander. Für den Rechtshistoriker, der Recht und Rechtswesen im Nationalsozialismus erforschen und darstellen will, bedarf es mithin einer differenzierten Betrachtung.

Worin hat diese ihre Grundlage? Stolleis postuliert eine von den Ansprüchen des geltenden Rechts und der aktuellen Politik emanzipierte Rechtsgeschichte. Ihr Erkenntnisziel ist eine möglichst umfassende, undogmatische und unparteiische Erhellung historischer Normstrukturen; dazu bedürfe es der Position eines "distanzierten Beobachters", der historisch arbeitet, das heißt analysiert, ohne zu moralisieren.

Dies ist richtig, hat aber hinsichtlich der NS-Zeit bis heute seine Schwierigkeiten. Ungeachtet des Zeitabstands von fünfzig Jahren und mehr steht das Dritte Reich immer noch im Zwischenstadium von Geschichte und Gegenwart. Die zunächst weithin ausgeblendete, später dann - nicht zuletzt durch die Achtundsechziger-Generation - heftig verlangte und in Gang gekommene "Bewältigung", die zuvörderst in politisch-moralischen Kategorien denkt und argumentiert, fordert nach wie vor ihren Tribut. Gleichwohl ist die historisch arbeitende, sachlich-wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Recht und Unrecht im Dritten Reich dringlich. Erst dadurch kann diese Zeit auch insoweit als Stück der eigenen Geschichte begriffen werden, der wir verhaftet sind und die in die Gegenwart hinein - auch Schatten werfend und Verantwortung begründend - fortwirkt. Die Suche nach den politisch-moralisch Schuldigen, die entweder gefunden werden oder nicht, entlastet (sich) von dieser - möglicherweise schmerzhaften - Auseinandersetzung, jedenfalls deckt sie sie zu.

Stolleis ist sich dieser Probleme bewußt. Als Jurist des öffentlichen Rechts und mehrfach hervorragend ausgewiesener Rechtshistoriker bringt er die Voraussetzungen mit, ihnen gerecht zu werden. Schon in seiner Habilitationsschrift (1973) untersuchte und durchleuchtete er die Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht darauf, wieweit Interpretation und Handhabung dieser vielfach vorfindlichen Formeln dazu diente, die überkommene Rechtsordnung auch ohne Änderung in allen Details grundlegend umzubauen, ihr ein neues ideologisch geprägtes Fundament einzubilden. Der vorliegende Band greift in seinen Einzelstudien weiter aus. Das Spektrum reicht von einem einführenden Überblick über die Entwicklung des nationalsozialistischen Rechts in den verschiedenen Rechtsbereichen, auch der verschiedenen Stufen der Auseinandersetzung mit dem NS-Recht nach 1945, spannend ergänzt um die Auseinandersetzung mit der NS-Justiz (Die "Weiße Rose" und ihre Richter) über ins Detail gehende Beiträge zur Lage und Aufgabenstellung der Rechtsgeschichte in der NS-Zeit, zur Staatsrechtslehre, Verwaltungsrechtswissenschaft und Verwaltungsgerichtsbarkeit im Nationalsozialismus, zur Wehrmachtjustiz, bis hin zu Rechtsordnung und Justizpolitik nach 1945 und einer kritischen Auseinandersetzung mit der heutigen rechtshistorischen Forschung zum Nationalsozialismus, die den Verfasser zu der eingangs erwähnten methodischen Positionsnahme führt.

Bausteine

Was sich dabei herausschält, ist noch kein Gesamtbild der Rechtsordnung und des Rechtswesens im Nationalsozialismus. Aber der Band liefert wichtige, aussagekräftige Bausteine dazu. An verschiedenen Beispielen wird deutlich, nach welchem Muster sich das Hineinfressen des neuen "völkischen" Rechts in die überkommene Rechtsordnung vollzog und deren Umbildung durch spezifisches NS-Recht, das zumeist materielles Unrecht war, stattfand: Die Auswechslung von Personen in Einflußpositionen, die Etablierung neuer Grundbegriffe und Auslegungsmaximen, gesetzliche Änderungen an den Scharnierstellen des alten Rechtssystems, Rücknahme des Rechtsschutzes in den politisch-sensiblen Bereichen, auf der neu gewonnenen Ebene dann Verschärfung und Intensivierung der völkischen Durchformung des Rechts.

Stolleis urteilt differenziert, vermeidet Globalisierungen, scheut aber auch nicht deutliche Feststellungen. So fragt er bei der Staats- und Verwaltungsrechtslehre nach der Ausgangslage und den Prägungen in der Zeit vor 1933, wieweit dadurch eine Disponiertheit für die Mitwirkung an der Abkehr vom Rechtsstaat gegeben war, übersieht nicht die Unterschiede zwischen emphatischer Beteiligung und Aufbauarbeit an der "neuen Ordnung" und deren eher restriktiver Interpretation, registriert eine sich ab 1938 ausbreitende "sprechende Stummheit", spart aber auch eine ebenso präzise wie betroffen machende Feststellung wie diese nicht aus: "In Kreisen des aktiven Widerstandes sucht man aber die Mitglieder der Staatsrechtslehrervereinigung vergebens."

Vergleichbar aufschlußreich ist die Darstellung der Entwicklung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, die dem Nationalsozialismus wegen ihrer Aufgabe des Individualrechtsschutzes ein Dorn im Auge war, sich aber nicht global vereinnahmen und gleichschalten ließ, sondern in Teilen eine "relative Widerstandsfähigkeit" zeigte. Weiter hellt Stolleis nicht nur das Fortwirken von Begriffen und Argumentationsfiguren der NS-Zeit im Rechtswesen nach 1945 auf, er fragt ebenso nach möglichen Erkenntnisfortschritten, die während des Nationalsozialismus anfielen, vielleicht sogar durch ihn mit hervorgerufen wurden. Solche findet er unter anderem in der Rechtsgeschichte und im Verwaltungsrecht mit der sachrichtigen Erfassung sozialgestaltender Aufgaben wie Daseinsvorsorge und Planung. Damit tritt er einem Vorurteil entgegen, das meint, in der NS-Zeit könne a priori nichts entstanden sein, was einen Erkenntnisgewinn bedeute und weiterführe. Er zeigt sich konsequent als Wissenschaftler, der die NS-Zeit nicht von vornherein als Abfallhaufen qualifiziert, sie vielmehr auch als Teil der eigenen Geschichte zu begreifen und sich zu ihr in ein reflektiertes Verhältnis zu setzen sucht - der beste Weg, um nicht von ihr, und sei es auch ex negativo, dominiert zu werden. So möchte man ihn ermuntern, über die hier vorgelegten Bausteine hinaus in diesem Sinn eine Rechtsgeschichte der NS-Zeit als Teil der deutschen Rechtsgeschichte im 20. Jahrhundert auszuarbeiten.

Den Band beschließt der engagierte Beitrag "Theodor Maunz - ein Staatsrechtslehrerleben", zuerst erschienen in dieser Zeitung am 21. Dezember 1993, in dem Stolleis sich kritisch mit dem wissenschaftlichen Werk, der Biographie und Person von Theodor Maunz befaßt. Er argumentiert hier nicht als nüchterner Wissenschaftler, sondern spricht engagiert im Sinne eines moralischen Gerichtshofs. Das hat lebhafte und kontroverse Reaktionen - nicht zuletzt aus dem Kreis der Staatsrechtslehrervereinigung - hervorgerufen, die von Stolleis zumal an deren Adresse gerichtete Herausforderung indes, wie vorauszusehen, nicht bewirkt. Dem Beitrag ist jetzt eine Nachbemerkung angefügt. Der Vorgang, der zu Stolleis' Attacke führte, kann und soll hier nicht von neuem aufgerollt werden. Er ist, was Reaktionen und Schweigen in der Öffentlichkeit, das Verhalten der Staatsrechtslehrer und Stellungnahmen der Schüler von Maunz aus unterschiedlichen Situationen heraus angeht, in mehrfacher Hinsicht aufschlußreich. Er sagt viel aus über Umgang mit Personen und Fakten, über die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit Vergangenheit und auch Gegenwart, über die Befindlichkeit der Staatsrechtslehre(r) heute, was zu mancherlei Überlegung Anlaß geben könnte. Dazu ist eine Rezension allerdings nicht der geeignete Ort. ERNST-WOLFGANG BÖCKENFÖRDE

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