Angesichts der Debatten um Kunstfreiheit und Urheberrecht führt der Band historisch-systematisch in das Verhältnis von Recht und Literatur ein. Die Schlüsselbegriffe 'Werk' und 'Autor', die Verfahren des Urteilens und der Interpretation sind sowohl literarisch als auch juristisch geprägt. Erläutert wird die Verwandtschaft zwischen Rechts- und Literaturtheorie anhand der Hermeneutik sowie mit Blick auf die Theorieschulen der Gegenwart: Dekonstruktion, System- und Diskurstheorie, Poetik des Wissens.
Macht und Unzugänglichkeit der Gesetze sind wohl nie knapper und eindringlicher dargestellt worden als in Kafkas Türhüterparabel. "Vor dem Gesetz" inszeniert, wovon diese kurze Präambel zum Roman "Der Prozeß" handelt. Es geht um niemals endende Versuche des Verstehens, Auslegens, Anwendens von Vorschriften. "Recht und Literatur" - so zeigt die gleichnamige Theorieeinführung von Thomas Weitin - sind nahe Verwandte: In Plagiats- oder Urheberrechtsstreitigkeiten gerät die Literatur immer wieder selbst unter Anklage. Umgekehrt sind Verbrechen, Ermittlung oder Bestrafung Gegenstände der Kriminalliteratur und Gerichtskomödie. Über solche Wechselbeziehungen hinaus teilen beide Systeme ihre Geschichte und Verfahren. Seit Savigny und Grimm versetzen Juristen wie Literaturinterpreten sich im Prozess der Textauslegung in die Position des Gesetzgebers beziehungsweise Autors und prüfen dabei sprachliche, logische, historische und systematische Umstände. Noch Gadamer gilt das Recht als Modell der Hermeneutik. Inzwischen hat die "Law as Literature"-Bewegung im Zeichen modernerer Literaturtheorie die Sensibilität dafür erhöht, dass die komplexe Analyse von Rede, Sprache und Text das juristische Urteilen schärft. Mit seinem klugen Plädoyer bewährt sich Weitin als Kunstrichter im Sinne eines rechtskundigen Literaturkritikers. (Thomas Weitin: "Recht und Literatur". Aschendorff Verlag, Münster 2010. 168 S., br., 19,80 [Euro].) kos
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